Landgericht Osnabrück
Urt. v. 29.01.1996, Az.: 15 Js 11659/95 20 Kls (III 30/95)

Beweiswürdigung bzgl. Zeugenaussagen im Zusammenhang mit einer Vergewaltigung

Bibliographie

Gericht
LG Osnabrück
Datum
29.01.1996
Aktenzeichen
15 Js 11659/95 20 Kls (III 30/95)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 32025
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGOSNAB:1996:0129.15JS11659.95.20KL.0A

In der Strafsache
gegen B. M. ,
geb. am ... in ...,
wohnhaft ...
...
z. Z. Justizvollzugsanstalt Wilhelmshaven, Außenstelle Emden,
wegen Vergewaltigung pp.
hat die III. große Strafkammer - Jugendkammer - des Landgerichts Osnabrück in den Sitzungen vom 28.11., 29.11., 01.12., 04.12., 11.12., 18.12., 19.12., 20.12., 28.12.1995, 03.01., 15.01., 22.01. u. 29.01.1996, an denen teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Landgericht Klein
als Vorsitzender
Richterin am Landgericht Schindhelm
Richterin am Landgericht Havliza
als beisitzende Richter
Beamter Manfred Schmidt, Nordhorn
Realschullehrerin Helga B.t, Bad Essen
als Schöffen
Staatsanwalt Dr. Schmitz
als Beamter der Staatsanwaltschaft
Rechtsanwalt Jäschke, Hannover
als Verteidiger
Rechtsanwältin Kathmann, Osnabrück (28.11., 29.11. u. 01.12.1995)
Rechtsanwältin W., Westoverledingen (04.12., 11.12., 18.12., 19.12., 20.12., 28.12.1995 u. 03.01., 15.01., 22.01. u. 29.01.1996)
als Nebenklägervertreterinnen
Justizangestellter Kruckmann (28.11., 29.11., 01.12., 11.12.95 u. 15.01.1996)
Justizamtsinspektor Bröcker (04.12.1995)
Justizobersekretär Haase (18.12.1995)
Justizangestellte Waltermann (18.12.1995)
Justizamtsinspektor Haarjohann (19.12.1995)
Justizobersekretär Kauf (20.12.1995)
Justizangestellte Rieskamp (28.12.1995)
Justizobersekretär Lührmann (03.01.1996)
Justizhauptsekretär Stein (22.01.1996)
Justizangestellte Sturm (29.01.1996)
als Urkundsbeamte der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Angeklagte ist der Vergewaltigung in 4 Fällen sowie der sexuellen Nötigung schuldig. Im übrigen wird er freigesprochen.

Er wird zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von

4 Jahren 6 Monaten

verurteilt.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Nebenklägerin im Rahmen seiner Verurteilung; soweit der Angeklagte freigesprochen wurde, hat die Staatskasse die Verfahrenskosten und die notwendigen Auslagen des Angeklagten zu tragen.

Gründe

A. Feststellungen der persönlichen Verhältnisse des Angeklagten, der Verhältnisse in den Familien S. und M., der Stellung des Angeklagten in diesen Familien sowie die gegen den Vater der Geschädigten erhobenen Vorwürfe.

I. Lebenslauf des Angeklagten.

Der Angeklagte wurde am ... in ... geboren. Er stammt aus einer kinderreichen Familie. Die Verhältnisse in der Familie waren stets geordnet. Während ein Großteil der Geschwister des Angeklagten verheiratet ist und sich jeweils verselbständigt hat, lebt der Angeklagte nach wie vor noch mit einer weiteren Schwester, der Zeugin A. M., im Haushalt der Eltern. Beide Eltern leben noch.

Der Angeklagte durchlief zunächst die Volksschule; dann nach Umstrukturierung des Schulsystems besuchte er die Hauptschule. Diese verließ er mit einem Abgangszeugnis. Einen Hauptschulabschluß erreichte er nicht. Nach dem Schulabschluß absolvierte er eine Lehre zum Maschinenbauer in einer Containerfirma. Er erreichte den Gesellenbrief und arbeitete noch einige Zeit in seinem Ausbildungsbetrieb. Im Anschluß an die Lehre wurde der Angeklagte zur Bundeswehr eingezogen. Er absolvierte den Grundwehrdienst beanstandungsfrei. Da ihm die Tätigkeit innerhalb seines Lehrbetriebes, die dort überwiegend in geschlossenen Räumen ausgeübt wurde, nicht zusagte, suchte sich der Angeklagte eine Stelle in einem ölförderungsunternehmen. Diese Tätigkeit füllte ihn sehr aus, so daß er bis zum Zeitpunkt der Festnahme in diesem Betrieb arbeitete. Die Arbeitszeit war so geregelt, daß der Angeklagte teilweise Dienst an Land tat, teilweise auf einer Bohrinsel in der Nordsee arbeiten mußte. War er an Land beschäftigt, so arbeitete er 3 Wochen und hatte dann eine Woche Freischicht. War er auf der Ölinsel beschäftigt, arbeitete der Angeklagte 14 Tage und hatte ebenfalls danach eine Woche Freischicht. Die Arbeitszeit selbst betrug wesentlich mehr als 8 Stunden. Der Verdienst des Angeklagten war dementsprechend. Er gibt an, stets um 4.000,-- DM netto verdient zu haben. Der Angeklagte war sehr sparsam. Er lebte in einfachen Verhältnissen zu Hause. Während der Arbeit an Land hatte er Unterkunft in einem eigenen Wohnwagen, den er zu den jeweiligen Arbeitseinsätzen mitnahm. Aufgrund seiner außerordentlichen Sparsamkeit hatte der Angeklagte sich in den Jahren größere Geldbeträge angespart. Einen Großteil dieses Geldes verwandte der Angeklagte nicht für eigene Anschaffungen, sondern unterstützte damit in großem Maße seine Familienangehörigen, wenn diese eine Finanzhilfe benötigten. Insgesamt war der Angeklagte stets sehr hilfsbereit. So wie es seine Zeit erlaubte unternahm der Angeklagte Besorgungsfahrten für seine Familienangehörigen. Er half, wo er gebraucht wurde. Infolgedessen genoß und genießt der Angeklagte in seinem Umfeld und in seinem Dorf großes Ansehen.

Intellektuell ist der Angeklagte einfach aber ausreichend strukturiert.

Strafrechtlich ist der Angeklagte bisher noch nicht in Erscheinung getreten.

In dieser Sache ist er am 23.03.1995 vorläufig festgenommen worden aufgrund des Haftbefehls des Amtsgerichts P. vom 22.03.1995. Seit diesem Zeitpunkt befindet sich der Angeklagte in Untersuchungshaft.

II. Das Beziehungsgeflecht der Familie S./M. und die Stellung des Angeklagten innerhalb dieser Beziehungen.

Die Schwester des Angeklagten E. S. ist die Stiefmutter der Geschädigten S. S.. Sie lernte den Vater der Geschädigten, A. S., im Sommer 1978 kennen, als dieser nach dem Tode seiner ersten Ehefrau eine Hauswirtschafterin für seinen Haushalt suchte. In dem Haushalt waren damals die beiden Töchter des A. S., die damals 4 Jahre alte B. und die damals 1 Jahr alte Geschädigte S. S.. Frau E. S. versorgte in der Folgezeit den Haushalt. Sie kümmerte sich sehr fürsorglich um die Mädchen, wobei die Geschädigte S. S. an ihre eigene Mutter infolge ihres geringen Alters keine Erinnerungen hatte. Für S. S. war und ist E. S. die eigentliche Mutter.

Im Februar 1979 heiratete E. S. den Vater der Geschädigten. Die Familie S. wurde offen von der Familie M. aufgenommen, obwohl sehr bald erkennbar war; daß der Vater der Geschädigten, A. S., in seiner Persönlichkeitsstruktur gravierende Mängel aufwies. Er war innerhalb der Familie oft sehr launisch und im Rahmen seiner Launen häufig brutal. Er schlug nicht nur die Familienangehörigen und dort insbesondere die Kinder, wenn er seinen Willen durchsetzen wollte. Er zerstörte auch häufiger Haushaltsgegenstände, um seinen Wünschen Nachdruck zu verleihen. 1984/85 zog die Familie S. nach H. in das an der M. Straße Nr. ... gelegene Haus. Die Zeugin E. S. wünschte sich sehr, in die Nähe ihrer Eltern und Geschwister zu ziehen. Innerhalb der Familie M. ist nämlich der Familienzusammenhang sehr eng, weshalb es für die Zeugin E. S. eine Belastung war, nicht in unmittelbarer Nähe ihrer Eltern und Geschwister wohnen zu können. Um das Haus in der M. Straße Nr. ... erwerben zu können, unterstützte der Angeklagte B. M. die Familie S. mit einem zumindest zinslos gezahlten erheblichen Kredit in Höhe von etwa 45.000,-- DM. Möglicherweise ist dieser Betrag auch von B. M. seiner Schwester zur Finanzierung des Hauses geschenkt worden. Jedenfalls hatte der Angeklagte durch seine finanzielle Unterstützung der Familie S. den Ankauf des Hauses ermöglicht. Dafür stand ihm in dem Haus ein Zimmer zur Verfügung, das er allerdings nur sehr selten nutzte.

Die räumliche Nahe zum Hause S. gestattete der Familie M., den beiden Mädchen B. und S. und den inzwischen aus der Ehe E. S./A. S. hervorgegangenen Kindern Jessica und R. bei übergriffen des Vaters zu Hilfe zu eilen. So wurde die Großmutter häufiger veranlaßt, die Polizei um Eingreifen zu bitten, wenn der Vater der Geschädigten S. S., A. S., aggressiv wurde und begann, die Kinder zu schlagen und Wohnungseinrichtungsgegenstände zu zertrümmern. Soweit der Angeklagte B. M. zugegen war, versuchte dieser die Streitigkeiten zu schlichten. Er war im wesentlichen der einzige der Familie M., der dem Vater der Geschädigten S. S., A. S., massiv gegenübertreten konnte. Andererseits scheute sich der Angeklagte, gegen den A. S. tätlich zu werden, da er eigene Verletzungen befürchtete. Es gelang ihm aber häufig, A. S. zum Einlenken zu bewegen.

Infolge seines häufig mutigen auch unerschrockenen Einsatzes für seine Schwester und deren Kinder genoß der Angeklagte auch innerhalb der Familie S. großes Ansehen. Er war zumindest bis zu den jetzt zur Aburteilung anstehenden Ereignissen quasi der Beschützer der Familienangehörigen der Familie S..

III.

Die gegen den Vater der Geschädigten S. S. erhobenen Vorwürfe.

Als die Geschädigte S. S. 12 Jahre alt war, kam es erstmals zu einem sexuellen übergriff des Vaters gegen sie. Dieser Vorfall und die sich daran anschließenden Ereignisse sind Gegenstand eines Strafverfahrens gegen den Vater der geschädigten Zeugin, A. S., gewesen, welches vor der Kammer in der Zeit vom 27. bis 31. März 1995 verhandelt wurde. Das Verfahren trug das Aktenzeichen 17 Js 36603/94 20 KLs (III 9/95). In diesem Verfahren hatte die Kammer folgende Vorfälle festgestellt, deren Ablauf im nachfolgenden kurz skizziert werden soll:

1. Der sogenannte Hahnenschlachtenfall

Anläßlich eines in der Nachbarschaft gefeierten Hahnenschlachtens hatte der Vater der Geschädigten A. S. in erheblichem Maße Alkohol zu sich genommen, so daß er erheblich angetrunken war. In diesem Zustand wurde er zunächst gegenüber der älteren Tochter B. zudringlich. Er umarmte sie und versuchte, seine Tochter zu küssen. B. konnte sich dem Zugriff entwinden, was den Vater noch wütender machte. Hinzukam eine Äußerung von S., die ihrem Vater deutlich zu verstehen gab, daß sie sein Verhalten "ekelhaft" fände. Diese Äußerung führte bei A. S. zu verbalen Aggressionen, die S. veranlaßten, aus dem Haus zu laufen und sich hinter Tannen zu verstecken. A. S. legte sich dann für einige Stunden schlafen. Als er gegen 19.30 Uhr aufstand, forderte er von seiner Ehefrau, daß diese ihm etwas zu essen zubereiten solle. Seine Ehefrau bot ihm an, Brote zu schmieren, was dieser jedoch ablehnte. Er verlangte eine warme Mahlzeit. Er schickte daraufhin seine Tochter B. mit einem Geldbetrag zu einem nahegelegenen Imbiß, um dort etwas zu holen. Nach kurzer Zeit kam B. unverrichteter Dinge zurück, da der Imbiß geschlossen hatte. Daraufhin schickte er B. zur Schwagerin A. M., damit diese gemeinsam mit B. in die nahegelegene Stadt A. fahren solle, um dort von einem Imbiß etwas zu besorgen. Während B. nach A. fuhr, forderte A. S. von seiner Ehefrau erneut eine warme Mahlzeit. Dabei sah er, daß auf dem Herd der Sonntagsbraten aufgesetzt war. Er verlangte ein Stück von dem Braten. Seine Ehefrau wies ihn daraufhin, daß der Braten noch nicht fertig sei und ohnehin B. etwas aus dem Imbiß holen werde. Darüber erregte sich der A. S. derart, daß er begann, Stühle zu zerschlagen und den Braten vom Herd zu reißen. Er forderte sodann seine Tochter S. auf, den von ihm angerichteten Dreck wegzumachen. Zuvor hatte er noch in die fettige Bratensoße eine Tüte Milch verschüttet, um sich abzureagieren. S. S. gelang es nicht, in der von ihrem Vater geforderten Schnelligkeit den Schaden aufzuwischen. A. S. schlug seine Tochter, um sie zur Eile anzutreiben. Er zog sie weiter an den Haaren, schubste sie zu Boden und schleifte sie an ihrem Schopf über den Küchenboden. Er geriet außer sich vor Wut. Er nahm das Stochereisen vom Ofen und ging ebenfalls auf seine Ehefrau los. Frau E. S. stemmte sich mit beiden Händen gegen ihn und wehrte sich, um nicht von dem Ehemann geschlagen zu werden. Daraufhin nahm dieser das Stochereisen und warf es durch die geschlossene Fensterscheibe. Diese ging dadurch zu Bruch. Die Zeugin E. S. hatte den Eindruck, gegen ihren Mann nichts weiter ausrichten zu können. Sie nahm ihre Tochter Jessica und rannte aus der Wohnung, um bei der Familie M. Hilfe zu suchen. A. S. aber wandte sich nunmehr seiner Tochter S. zu. Er warf ihr vor, daß sie an allem schuld sei. Er nahm ein Handtuch, drehte dieses zusammen und versuchte, S. zu würgen. Sie hatte Angst und schlug deshalb um sich. Dabei traf sie ungewollt den Bereich des Gliedes des A. S.. Er entschloß sich, diese Situation auszunutzen und seine Tochter sexuell zu mißbrauchen. Er verschloß die Tür vom Wohnzimmer, wo der Sohn R. fernsah. Er ging zurück zu S., drückte sie in das neben der Küche liegende Spielzimmer und forderte die Zeugin auf, die Hose herunterzuziehen. Sie wußte nicht, was A. S. vorhatte. Er hatte noch immer das Handtuch in der Hand, weshalb sie glaubte, er wolle sie auf den entblößten Körper schlagen. Sie kam seiner Aufforderung nicht nach. Das veranlaßte A. S., sie an die Wand zu drücken und ihr die Kehle zuzudrücken. Er forderte sie erneut dabei auf, die Hose herunterzuziehen. Da sie auch diesmal der Aufforderung nicht nachkam, half A. S. dabei, die Hose herunterzustreifen. Er zog die Hose derart herunter, daß sie teilweise über die Schuhe ging. Nachdem er der Zeugin weiter den Schlüpfer heruntergezogen hatte, warf er sie auf ein auf dem Boden des Spielzimmers liegendes Wohnwagenkissen. Er verlangte von ihr, daß sie so liegenbleiben solle, was sie nicht wollte. A. S. öffnete daraufhin seine eigene Hose. Er lockerte dabei den Griff, so daß es der Zeugin gelang, zu versuchen, die eigene Hose wieder hochzuziehen. Dieses ging aber nicht, weil die Hose über die Schuhe gestreift War. Nachdem A. S. seine eigene Hose heruntergezogen hatte, versuchte er die Beine der Zeugin auseinanderzudrücken. Er Legte sich dann auf sie. Die Zeugin versuchte wiederum, sich zu wehren und flehte den A. S. an, daß sie alles machen wolle. Er solle sie doch jetzt in Ruhe lassen. A. S. antwortete daraufhin nur, sie solle "ihre Schnauze halten". Er drückte ihr die Kehle zu und die Beine auseinander. Sein inzwischen steifes Glied führte er in die Scheide des Mädchens ein und bewegte es in der Scheide hin und her und zwar erst langsam und dann schneller. Als A. S. mit seinem Glied in ihre Scheide eindrang, verspürte sie heftige Schmerzen. Sie beschrieb das Gefühl so, als ob Messerstiche in sie eindringen würden. Währenddessen biß A. S. in die Schulter der Zeugin. Er bewegte sein Glied so lange in der Scheide der Zeugin hin und her, bis er einen Samenerguß hatte. Den Samen ließ er auf den Bauch der Zeugin spritzen. Er forderte sie dann auf, den Samen wegzuwischen.

2. Der nächste Vorfall geschah ca. 1 Jahr nach dem sogenannten Hahnenschlachten. S. war in ihrem Zimmer. B. war ausgegangen. A. S. war sehr ungehalten über seine Tochter B.. Er behauptete von ihr, sie würde nur herumhuren. E. S. fand den Ton des Ehemannes unangemessen und ging mit den beiden Kleinen zur Großmutter zum Kaffee. A. S. war mit S. S. somit alleine im Hause. Er war durch die vorgenannten Redensarten sexuell erregt. Er entschloß sich, mit seiner inzwischen 13 Jahre alten Tochter sexuelle Handlungen auszuüben. Im Zimmer der Zeugin herrschte A. S. sie in barschem Ton an, sie dürfe nirgendswo hingehen. Er forderte die Zeugin auf, die Hose herunterzuziehen. Da die Zeugin der Forderung nicht unverzüglich nachkam, ging er näher an sie heran und preßte die Zeugin an die Wand, wobei er ihr mit einer Hand die Kehle zudrückte. Mit der anderen Hand riß er die Hose der Zeugin herunter, die diese zuvor selbst geöffnet hatte. A. S. riß der Zeugin den Schlüpfer vom Leib. Er zog sie danach von der Wand und warf sie aufs Bett. Dabei lag sie quer zum Bett. Ihre Beine baumelten zum Fußboden hin. A. S. zog sich nun selbst die Hose herunter. Er warf die Zeugin, die sich zwischenzeitlich aufgerichtet hatte, zurück und preßte gleichzeitig ihre Beine auseinander. Mit einer Hand rieb er währenddessen an seinem Glied, bis dieses steif war. Dann führte er das Glied in die Scheide des Mädchens ein. Er führte innerhalb der Scheide den Geschlechtsverkehr durch, bis er zum Samenerguß kam. Kurz zuvor zog er das Glied aus der Scheide und spritzte den Samen der Zeugin auf den Bauch.

3. Im Sommer 1990 reparierte A. S. in der Garage ein Fahrrad. S. S. stand mit ihrer Freundin am Zaun des Gartens und unterhielt sich dort. A. S. forderte S. auf, ins Büro zu gehen und eine Kombizange aus dem Werkzeugschrank zu holen. S. kam der Rufforderung nach, fand aber im Büroraum nicht die geforderte Zange, weil sie aus einer Vielzahl verschiedener Zangen nicht wußte, welche sie nehmen sollte. Sie wollte gerade zurück zu A. S., um ihn zu fragen, welche Zange sie bringen solle. Als sie sich umdrehte, stand A. S. bereits in der Tür. Er fragte sie, was sie solange machen würde. Sie äußerte, sie suche die Kombizange. Daraufhin erklärte A. S. ihr, sie solle mal in seiner Hose nachsehen. Er hatte die Absicht, diese Gelegenheit zu nutzen und mit seiner Tochter den Geschlechtsverkehr auszuüben; Er trat einen Schritt auf sie zu und schubste sie mit erheblicher Kraft auf den Boden. Dabei stieß sich S. den Kopf an dem im Zimmer stehenden Tisch. Am Boden liegend forderte der Vater der Geschädigten sie auf, sich die Hose auszuziehen. Da die Geschädigte Angst vor Würgen oder vor Schlägen hatte, kam sie der Aufforderung nach und zog teilweise selbst, teilweise mit Hilfe des Vaters die Hose herunter. Sie wollte sich zwar zur Wehr setzen, sie war aber in ihrer Abwehrbereitschaft durch die bereits aus früheren Vorfällen erkannte Aussichtslosigkeit der Gegenwehr gehemmt. A. S. zog sich selbst die Hose herunter, streifte die Unterhose bis zu den Knien und drang in die Scheide der Zeugin ein, nachdem er zuvor mit Anwendung einfacher körperlicher Gewalt und durch das Gewicht seines Körpers die Zeugin auf den Boden gepreßt und die Beine auseinandergedrückt hatte. In diesem Vorfall gelang es A. S. nur mit Schwierigkeiten, sein Glied in die Scheide einzuführen, da die Hose der Zeugin nicht weit genug heruntergestreift war. Dadurch war es nicht so einfach, die Beine auseinanderzupressen. Innerhalb der Scheide bewegte sich der Vater der Zeugin hin und her, wiederum zunächst langsam, dann schneller. Auch dieses Mal zog A. S. vor dem Samenerguß das Glied aus der Scheide des Mädchens heraus und spritzte den Samen auf den Bauch der Zeugin.

4. Vor diesem Vorfall, es war Weihnachtszeit, hatte die Geschädigte S. S. Hausarrest erhalten, da sie von dem Weihnachtsteller der Eltern genascht hatte. S. S. befand sich in ihrem Zimmer und räumte die Weihnachtsgeschenke weg. Ihr Vater A. S. betrat ihr Zimmer in der Absicht, mit seiner Tochter gegebenenfalls gegen ihren Willen den Geschlechtsverkehr auszuüben. A. S. forderte die Zeugin auf, die Hose auszuziehen, als er das Zimmer betrat. Damit die sexuellen Handlungen möglichst schnell an ihr vorübergingen, kam die Zeugin der Aufforderung des Vaters nach. Mit einfacher körperlicher Gewalt schubste der Vater die Geschädigte auf das Bett derart, daß sie quer zum Bett mehr in eine sitzende als liegende Position gelangte. Danach zog er sich selbst die Hose herunter. Er drückte dann den Oberkörper der Geschädigten vollständig auf das Bett. Er legte sich auf sie und zwängte mit der Kraft seiner Beine und unter Zuhilfenahme einer Hand die Beine der Zeugin auseinander, die diese krampfhaft zusammenzudrücken versuchte. Währenddessen forderte er die Zeugin mehrfach auf, ihre Beine breit zu machen. Da sie weiteren Widerstand als zwecklos ansah, gab sie der Kraftentfaltung ihres Vaters nach und Ließ es zu, daß er mit seinem inzwischen erigierten Glied in ihre Scheide eindringen konnte. Der Vater bewegte sich wieder innerhalb der Scheide hin und her. Ob es bei diesem Vorfall zu einem Samenerguß gekommen ist, vermochte die Kammer nicht sicher festzustellen.

5. Der nächste Vorfall ereignete sich kurz nach dem 15. Geburtstag der Zeugin. Bei diesem Vorfall war die Zeugin dabei, ihre Geburtstagsgeschenke in ihrem Zimmer wegzuräumen. Der Vater der Zeugin betrat das Zimmer und forderte sie sofort auf, sich die Hosen herunterzuziehen. Da sie wußte, was A. S. von ihr verlangte, und da sie ernsthaften Widerstand für zwecklos erachtete, zog sie sich selbst die Hose bis auf die Füße herunter. A. S. nahm sie dann und stieß sie mit einfacher körperlicher Gewalt auf das Bett. An diesem Tag war A. S. besonders nervös. Das bemerkte die Zeugin daran, daß die Stimme des Vaters sich überschlug und er gereizt wirkte. Darüber hinaus bellte draußen der Hund. A. S. bemerkte das ebenfalls und forderte die Zeugin zur Eile auf. Er riß dann die Decke weg und streifte sich selbst rasch die Hose herunter. Danach drängte er wieder mit einer Hand und seinen Beinen die Beine der Zeugin auseinander, die diese versuchte, zusammenzupressen. Darüber hinaus wollte A. S. über sein Glied ein Kondom stülpen, was aber nicht gelang. Nachdem die Zeugin bemerkte, daß gegen die körperliche Übermacht ihres Vaters keine Gegenwehr möglich war, ließ sie die Beine erschlaffen, so daß es A. S. gelang, sie auseinanderzudrücken. Er führte dann sein steifes Glied in die Scheide ein. Diesmal bewegte er sich schnell hin und her und zog das Glied vor dem Samenerguß aus der Scheide heraus. Er ließ den Samen auf den Bauch des Mädchens spritzen.

6. Ein weiterer Vorfall geschah im Herbst/Winter 1991. An diesem Tag war A. S. sehr wütend über seine Ehefrau. Er hatte die Vermutung, daß seine Ehefrau mit ihrem Schwager ein Verhältnis habe. Dieses äußerte er gegenüber seiner Tochter S. wie folgt: "Deine Alte treibt es mit dem Sitzriesen" - so nannte er den Schwager, "für den kann sie die Beine breit machen, für mich nicht". Dieses äußerte er auch zweimal seiner Ehefrau gegenüber, wodurch ein heftiger Streit zwischen den Eheleuten entstand. Die geschädigte Zeugin war während dieses Streits in ihr Zimmer gegangen und hörte Musik. Als sie bemerkte, daß es im Hause ruhiger geworden war, wollte sie ihr Zimmer und das Haus verlassen. Es gelang ihr aber nicht, da A. S. ihr Zimmer betreten hatte. Er wirkte leicht alkoholisiert. Er erklärte S., daß seine Ehefrau ihn betrüge. Er hätte einen Zeugen, der seine Frau mit dem Schwager beobachtet hätte. A. S. forderte in der Absicht, mit seiner Tochter den Geschlechtsverkehr auszuüben, diese auf, die Hose herunterzuziehen. S. weigerte sich zunächst. Sie hoffte, daß ihre ältere Schwester in das Zimmer kommen würde. B. war aber nicht mehr im Hause. A. S. duldete das Zögern seiner Tochter nicht und schubste sie mit einem heftigen Ruck gegen das Bett, so, daß sie auf dem Bett zu liegen kam. S. traute sich nicht, ihren Vater anzusehen. Sie drängte sich in eine Ecke und starrte vom Vater abgewandt gegen die Wand. A. S. drehte S. um, zog sich selbst die Hose herunter und forderte S. auf, sich die Hose herunterzuziehen. Seine Forderung unterstrich A. S. dadurch, daß er sie heftig auf die Brust schlug. S. befürchtete, daß ihr Vater auf sie nunmehr keine Rücksicht nehmen werde. Sie gab deshalb jeglichen Widerstand auf. Der Angeklagte konnte daraufhin sein inzwischen erigiertes Glied in die Scheide der Zeugin einführen. Er bewegte sein Glied hin und her. Ein Samenerguß war nicht sicher feststellbar.

7. Der sogenannte Kleiderbügelfall.

Die Kammer hat in dem Verfahren gegen A. S. hinsichtlich dieses Vorfalles folgende Feststellungen getroffen: "Der letzte der Zeugin genau erinnerliche Vorfall geschah Mitte 1993. Die Zeugin war gerade damit beschäftigt, ihre Sachen in den Kleiderschrank zu räumen und aufzuhängen. Sie hatte gerade das Zimmer gewechselt. Ihre Schwester B. war nämlich in eine eigene Wohnung gezogen, so daß dieses Zimmer nun für S. zur Verfügung stand. Auf dem Bett lagen ihre Kleider teilweise auf Kleiderbügeln gehängt, teilweise lagen die Bügel lose herum. Der Angeklagte - A. S. - betrat das Zimmer der Zeugin und fragte, weshalb sie über einen längeren Zeitraum die Regeltablette nicht mehr von ihm abgefordert hätte. Die Zeugin erklärte dem Angeklagten, daß sie längere Zeit ihre Regel überhaupt nicht mehr gehabt habe. Der Angeklagte war darüber überrascht und erregt. Er hakte nach und fragte sie, wie lange sie denn ihre Regel nicht mehr gehabt hätte und wieso das gekommen sei. Die Zeugin erklärte dem Angeklagten wahrheitswidrig, daß es bereits 5 Monate seien, daß sie ihre Regel nicht mehr gehabt habe. Ziel war es, dem Angeklagten Angst einzujagen, daß sie möglicherweise schwanger sein könnte. Sie hoffte, daß er weiter von ihr ablassen würde. Der Angeklagte wurde darüber wütend. Er warf ihr vor, sie hätte einen Freund, sie würde sich herumtreiben. Die Zeugin erwiderte dem Angeklagten, daß sie überhaupt nicht mit einem Freund zusammen sein könne, weil der Angeklagte sie mißbrauche. Sie dachte, daß der Angeklagte glauben würde, er könne der Vater des vermeintlichen Kindes sein. Der Angeklagte begriff die Andeutung seiner Tochter. Er hatte Angst, daß aus der Verbindung zwischen ihm und ihr tatsächlich ein Kind hervorgegangen sein könnte. Er schaute im Zimmer herum, um einen Gegenstand zu finden, mit dem er eine Abtreibung versuchen könne. Der Angeklagte sah einen Kleiderbügel, der ohne ein Kleidungsstück im Zimmer lag. Er ergriff den Kleiderbügel und warf seine Tochter auf das Bett. Ihm war klar, daß seine Tochter damit nicht einverstanden war. Dennoch zog er ihr die Hose herunter, nahm den Bügel und drang mit dem Holzteil des Kleiderbügels tief in ihre Scheide ein und stocherte damit herum. Dabei rief er, das Mistschwein werde er schon herausholen. Die Behandlung durch den Kleiderbügel verursachte erhebliche Schmerzen in der Scheide der Zeugin. Sie konnte die Schmerzen fast nicht mehr aushalten. Sie spürte, daß sie durch die Behandlung verletzt wurde. Blut lief ihr die Oberschenkel herunter. Sie lag nur da, regte sich nicht und guckte weg. Nach einiger Zeit hörte der Angeklagte, der bemerkte, daß seine Tochter blutete, auf. Er ging davon aus, daß sein Vorhaben geglückt sei. Wortlos nahm er unter ihrem Körper das Bettlaken vom Bett, auf das Blut getropft war, und ging aus dem Zimmer. S. S. blieb regungslos auf ihrem Bett liegen. Sie hatte erhebliche Schmerzen und war über die Vorgehensweise des Angeklagten schockiert. Als sie dort lag, ließen die Blutungen nach. Kurze Zeit später betrat der Angeklagte erneut das Zimmer. Er hatte ein frisches Bettlaken in der Hand, das er seiner Tochter zuwarf. Er forderte sie dabei auf, "die Fresse" zu halten. Das Bettlaken sollte dazu dienen, das Bett frisch zu beziehen. S. wagte nicht, einen Arzt aufzusuchen."

In der Folgezeit kam es noch zu verschiedenen Auseinandersetzungen zwischen A. S. und seiner Tochter. Es kam auch zu weiteren massiven übergriffen, die schließlich dazu führten, daß S. S. am 18.3.1994 nach einer tätlichen Auseinandersetzung mit ihrem Vater, in der sie massiv verprügelt wurde, aus dem Haus lief und im Hause ihrer Großeltern Zuflucht suchte.

B. Feststellungen zu den eigentlichen Tatvorwürfen und den damit im Zusammenhang stehenden besonderen Ereignissen in den Familien S./M. sowie Feststellungen zur Anzeigesituation

I.

Die Zeugin S. S. hatte am 18.3.1994 ihr Elternhaus verlassen und im Hause der Großmutter Zuflucht gesucht. Die Großeltern bewohnten ein geräumiges Einfamilienhaus in ... In diesem Haus leben die Großeltern Wilhelm M. und seine Ehefrau, der Angeklagte B. M. sowie die Zeugin A. M., eine Schwester des Angeklagten. Die Wohnräume der Zeugin A. M. befinden sich in dem Gebäude im Erdgeschoß und zwar im Giebelbereich. Dahinter ist ein Wohnzimmer, die Küche und ein kleiner Flur, in dem eine schmale Holztreppe in das Obergeschoß führt. Das Obergeschoß ist vollständig mit einem Holzfußboden ausgestattet. Die Dielen sind beweglich und geben beim Betreten teilweise knarrende Geräusche von sich. Rechtsseitig der Treppe befindet sich eine Holztür, die den Zutritt zu einem Schlafzimmer, welches als Gästezimmer genutzt wird, bietet. In diesem Zimmer stehen zwei Betten sowie ein Kleiderschrank. Gegenüber der Tür befindet sich ein Fenster, das im Giebel des Hauses liegt. Neben diesem Zimmer befindet sich das Zimmer des Angeklagten, das nur durch das Gästezimmer zu betreten ist. Den Zugang schafft eine weiße Holztür, die vom Inneren des Zimmers des Angeklagten mit einem einfachen Riegel zu verschließen ist. In diesem Zimmer befindet sich unter anderem ein Kleiderschrank aus Holz, in dem der Angeklagte überwiegend seine Bekleidung aufbewahrt und ein normal gebautes Bett.

Nachdem S. S. bei den Großeltern Zuflucht gesucht hatte, wies die Großmutter ihr das Zimmer des Angeklagten als Schlafzimmer zu. Der Angeklagte befand sich zu dieser Zeit an seinem Arbeitsplatz, so daß das Zimmer nur vorübergehend genutzt wurde. Es war aber nicht unüblich in der Familie M., daß der Angeklagte nicht immer sein im Obergeschoß liegendes Zimmer benutzte, er schlief auch gelegentlich in dem kleinen Wohnzimmer im Erdgeschoß auf dem dort befindlichen Sofa. Ab und zu nächtigte er auch in dem von ihm mitgebrachten Wohnwagen, der ihm ohnehin Unterkunft während der Arbeitszeit auf Baustellen an Land bot.

Mit den in diesem Stadium von der Zeugin als sexuelle übergriffe des Angeklagten empfundenen Handlungen fing es an, nachdem die Zeugin von zu Hause ausgezogen war. Der Vater der Zeugin - A. S. - hatte an diesem Tag die Geschwister der Zeugin aufgefordert, sie zur Rückkehr zu bewegen. Er hatte auch im Laufe des Tages mit der Polizei gedroht. Zum Abend wurden die Drohungen schlimmer. A. S. erklärte, er werde unter Einsatz einer Axt die Zeugin schon zurückholen. Die Großmutter befürchtete Schlimmstes. Sie hatte schreckliche Angst, daß der Vater der Zeugin wieder ausflippen werde. Sie versuchte deshalb, Hilfe zu holen. Insofern ist es möglich, daß sie den Angeklagten anrief, doch zur Nacht herüberzukommen, es ist aber auch denkbar, daß der Angeklagte an diesem Abend bereits von sich aus sein Elternhaus aufsuchte. Genau ließ sich dieses durch die Kammer nicht feststellen.

S. befand sich in dem Zimmer des Angeklagten. Sie räumte gerade ihre Sachen auf, als der Angeklagte etwa gegen 22.00 Uhr kam. Er blieb zunächst in der Tür stehen. Er sagte, daß er es gut fände, daß die Zeugin von zu Hause weggelaufen sei. Dabei machte er einen Schritt auf die Zeugin zu und nahm sie in den Arm. Die Zeugin wich zur Wand zurück. Der Angeklagte folgte ihr mit der Umarmung. Er gab der Zeugin einen Kuß auf die Wange, den die Zeugin dieses Mal anders empfand als die sonstigen, freundschaftlichen Wangenküsse. Dieses Gefühl drängte sich ihr auf, weil der Angeklagte danach erklärte, es werde schon alles gut. Dabei hatte die Zeugin den Eindruck, daß er sie mit einem eigenartigen, grinsenden Blick ansah.

Ob dieser Vorfall Sexualbezug hatte, oder ob das Empfinden der Zeugin nach der Flucht aus dem Elternhaus in diesem Falle besonders sensibilisiert war, konnte die Zeugin selbst nicht sicher angeben. Dieser Vorfall liegt weder der Anklage noch der strafrechtlichen Wertung zugrunde. Er ist aber für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin zu berücksichtigen.

1. Der nächste der Zeugin erinnerliche Vorfall ereignete sich Anfang April 1994 entweder Gründonnerstag oder Karfreitag. Zu diesem Osterfest wurden der Bruder G. M. mit seiner Familie aus Stuttgart erwartet. Zum Zeitpunkt des Vorfalles war entweder G. M. mit seiner Familie bereits anwesend oder sie sollten noch anreisen. Auch dieses ließ sich nicht sicher feststellen. Während G. M. mit seiner Frau im Gästezimmer schlafen sollte, wohnte die Tochter der Eheleute während der Osterfeiertage bei der Tante A. B. und deren Tochter L..

S. hatte von der Großmutter den Auftrag erhalten, auf die Rückkehr des Angeklagten von seiner Arbeitsstelle zu warten, weil die Großeltern und auch die Schwester A. nicht zu Hause waren. Sie tätigten wahrscheinlich einen Besuch. Sicher feststellen läßt sich dieses jedoch nicht. S. wartete im Wohnzimmer vor dem Fernseher auf den Angeklagten. Zu welchem Zeitpunkt er schließlich kam, ist ebenfalls nicht sicher feststellbar. Als er jedenfalls nach Hause kam, fragte er die Zeugin, ob sie ihm beim Aufräumen des Wohnwagens helfen wolle. Der Angeklagte hatte an diesem Abend von seiner Arbeitsstelle den Wohnwagen mit nach Hause gebracht und in der Einfahrt zum Hause seiner Eltern aufgestellt. Die Zeugin ging mit den Angeklagten in den neben dem Haus stehenden Wohnwagen. Der Angeklagte folgte der Zeugin. Nachdem der Wohnwagen betreten war, zog er die Tür zum Wohnwagen zu, ohne diese zu verschließen. Er sagte der Zeugin, sie solle es sich gemütlich machen. Sie setzte sich auf das Sofa - die dort vorhandene gepolsterte Sitzmöglichkeit. Der Angeklagte setzte sich links neben sie. Dabei legte er den rechten Arm um ihre Schultern und berührte dabei mit der linken Hand die Brust der Zeugin oberhalb der Kleidung. Die Zeugin war über diese Art der Handlung überrascht. Sie befürchtete, daß der Angeklagte ähnliche Handlungen verüben würde, wie sie sie durch ihren Vater hatte erdulden müssen. Dieses wollte sie auf keinen Fall, denn sie hatte das Haus der Großeltern auch deswegen aufgesucht, um nicht nur den tätlichen Angriffen des Vaters auszuweichen, sondern um ihm keine Möglichkeit zu schaffen, sexuelle übergriffe gegen sie zu verüben. Die Zeugin überlegte in diesem Augenblick, ob sie dem Angeklagten über die Vorfälle mit ihrem Vater berichten solle. Sie hattte die Hoffnung, daß der Angeklagte dann von vornherein sie nicht mehr belästigen werde. Sie traute sich aber nicht, von sich aus über diese Dinge zu reden. Sie überlegte sich vielmehr, daß sie dem Angeklagten durch ein anderes Verhalten klar machen könne, daß sie mit seinem Vorgehen nicht einverstanden sei. Sie stand spontan auf und lief aus dem Wohnwagen in das Haus, woran sie der Angeklagte nicht hinderte.

Soweit dieser Vorfall durch die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Osnabrück in der Anklage vom 18.7.1995 als sexuelle Nötigung gewertet worden ist, hat die Kammer den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freigesprochen. Die Kammer konnte nicht sicher feststellen, ob die sexuelle Handlung, nämlich die Berührung der Brust oberhalb der Kleidung mit der linken Hand eher zufällig oder bewußt geschehen war. Zwar spricht der Beginn des Vorfalles eher dafür, daß der Angeklagte sich mit entsprechenden Absichten zu der Zeugin setzte. Aber sicher feststellbar war dieses auch aus Sicht der Zeugin nicht. Hinzukommt, daß die Zeugin in diesem Vorfall keine Gewalthandlungen geschildert hat, so daß auch schon aus diesem Grunde der Tatbestand des § 178 StGB nicht erfüllt ist.

Die weiteren Geschehnisse sind nicht nur wegen des besseren Verständnisses, sondern auch wegen der besonderen Problematik der Zeugin S. S. in die in der Familie M. und S. geschehenen Ereignisse einzubetten.

2. Die erste Vergewaltigung

Am 4.5.1994 feierte die Zeugin S. S. ihren 18. Geburtstag. Sie hatte eigentlich anläßlich der Volljährigkeit eine Fete machen wollen, aber da der Geburtstag auf einen Mittwoch fiel, hatte sie die Fete auf das folgende Wochenende verschoben. Dabei hatte sie auf den Wunsch von B., ihrer älteren Schwester, Rücksicht genommen, die Fete nicht während des Maimarktes in P. zu feiern, der am Samstag und Sonntag stattfinden sollte. Sie entschloß sich, ihre Fete am folgenden Freitag, dem 6.5.1994, zu begehen. Sie hatte bereits in der Woche zuvor ihren Freundinnen angedeutet, daß sie ihre ganze Klasse aus der Sozialpflegeschule einladen wolle. Zu einer tatsächlichen Einladung kam es aber nicht. Außer den Geschwistern N. und Sandra Belling hatte die Zeugin niemanden aus der Klasse angesprochen. Da aber sicher war, daß S. eine Fete feiern wollte, hatte sie gemeinsam mit ihrer Tante A. entweder am Dienstag oder an ihrem eigentlichen Geburtstag verschiedene Getränkekisten wie Bier und Coca-Cola gekauft. Die Getränke wurden von A. M. bezahlt, denn zu diesem Zeitpunkt verfügte die Zeugin über kein ausreichendes Geld. Am Tag ihres Geburtstags hatte sich die Zeugin nachmittags darüber hinaus mit ihren Angehörigen getroffen. Man trank Kaffee und aß Kuchen, fluch insoweit hatte A. M. gemeinsam mit S. eingekauft. Die Großmutter von S. S. konnte nicht mitfeiern, da sie im Krankenhaus lag.

Am Tag nach dem 18. Geburtstag der Zeugin, Donnerstag, dem 5.5.1994, hatte die Zeugin einen Vorstellungstermin zur Ausbildung als Krankenschwester in der Ruhrklinik in Essen. Da die Mutter der Zeugin, E. S., von A. S. nicht die Erlaubnis hatte, S. nach Essen zu fahren, empfahl Frau E. S. S., sie möge den Angeklagten bitten, ob dieser sie nicht fahren könne. Der Angeklagte war gern bereit, das zu tun. Er hatte zu diesem Zeitpunkt mehrere Tage Freischicht.

Am 5.5.1994 fuhr der Angeklagte etwa gegen 8.00 Uhr mit der Zeugin los. Er hatte als Fahrzeug seinen VW-Bulli genommen, der in dem hinteren Teilbereich keine Sitzbänke hatte, so daß die gesamte, hinter den Vordersitzen liegende Fläche als Ladefläche angesehen werden konnte. Die Zeugin hatte vor der Abreise morgens in der Küche auf den Angeklagten gewartet und dabei beobachtet, daß der Angeklagte mehrere Wolldecken in seinen Bulli packte. Sie fand für diese Verhaltensweise keine Erklärung.

Der Hinweg verlief ohne Besonderheiten. An einer Tankstelle fragte der Angeklagte nach dem Weg zu dem Krankenhaus, welches anschließend mühelos gefunden wurde. Zunächst war geplant, daß der Angeklagte während des Vorstellungsgespräches in einem Cafe auf S. warten solle. Er entschloß sich aber, dies nicht zu tun, sondern auf dem Flur auf S. zu warten, von dem das Zimmer, in dem das Vorstellungsgespräch stattfand, abging. Das Gespräch dauerte ca. eine halbe Stunde. Nachdem S. das Zimmer verlassen hatte und sich nunmehr gemeinsam mit dem Angeklagten auf dem Weg zum Parkplatz befand, fragte der Angeklagte die Zeugin, wie denn das Gespräch verlaufen sei. Zu diesem Zeitpunkt regnete es draußen stark, so daß der Angeklagte und S. den Weg zum Bulli laufen mußten. Beide stiegen in den Bulli ein. Der Angeklagte fuhr noch nicht los, er wollte vielmehr von S. alles genau über das Vorstellungsgespräch wissen. Nachdem die Zeugin ihren Eindruck berichtet hatte, saßen sie weiter erst einmal eine kurze Zeit stillschweigend nebeneinander. Die Zeugin überlegte, ob sie den Angeklagten fragen solle, wann er denn endlich losfahren würde. Sie tat es aber nicht. Sie traute sich ohnehin nicht, ihre eigenen Vorstellungen und Wünsche kund zu tun.

Plötzlich sagte der Angeklagte, daß er noch etwas machen müsse. Er hatte innerlich die Vorstellung, daß er die Gelegenheit nutzen könnte, um mit S. sexuelle Handlungen auszuführen. Er stieg aus und ging um den Bulli herum. Währenddessen sah die Zeugin nach draußen. Es hatte aufgehört zu regnen. Sie nahm sich die Straßenkarte und sah sich darauf den Weg nach Hause an.

Währenddessen war der Angeklagte durch die Seitentür in den Bulli geklettert. Im Bulli selbst stieg er hin und her, wodurch für die Zeugin der Eindruck entstand, daß der Bulli wackeln würde. Der Angeklagte war dabei, die mitgebrachten Wolldecken auszufalten. Er äußerte dabei einige Flüche, weil er die Decken nicht faltenfrei legen konnte. Für ihn stand fest, mit der Zeugin sexuelle Handlungen, gegebenenfalls den Geschlechtsverkehr auch gegen den Willen der Zeugin mit Gewalt durchzuführen. Zu diesem Zwecke hatte er die Decken mitgenommen. Er erhoffte sich aber, daß er die Zeugin mit dem Versprechen, ihr Geld für die von der Zeugin für den nächsten Tag in Aussicht genommene Geburtstagsparty zur Verfügung zu stellen, zur freiwilligen Hingabe werde bewegen können.

Der Angeklagte fragte die Zeugin, ob sie nicht nach hinten kommen könne, um ihm zu helfen. S. S. faltete die Karte zusammen und stieg aus dem Wagen aus. In der Entfernung etwa der Länge eines Fußballfeldes sah die Zeugin noch eine Gruppe Jugendlicher mit ihren Fahrrädern stehen. Sie ging dann nach hinten, stieg in den Bulli ein und hielt die Decken fest, nachdem der Angeklagte von innen die Türe geschlossen hatte. Danach sagte er, sie solle es sich gemütlich machen. Die Zeugin hockte sich dann im Schneidersitz hin. Der Angeklagte kniete sich derweil vor die Zeugin. Er fragte sie, ob sie eine Fete zu ihrem Geburtstag machen wolle.

Sie äußerte, daß sie schon gerne die größere Fete machen wolle. Der Angeklagte kniete noch immer vor der Zeugin. Er fragte, ob sie Geld für die Fete hätte. Sie verneinte das. Er fragte sie, wieviel sie denn brauchen könne. Sie sagte so etwa 150,-- bis 200,-- DM. Der Angeklagte erwiderte, er müsse nachher mal nachsehen. S. fragte: "Wieso nachher?" Der Angeklagte sah die Zeugin - nach ihrem Eindruck - merkwürdig an und stieg aus. Er ging wieder um den Bulli und kam mit seinem Portemonaie in der Hand wieder. Aus dem Portemonaie nahm er einen 500,-- DM-Schein, den er in der Hand hielt, als er einstieg. Er hielt den Schein S. hin, ohne ein Wort zu sagen. S. verstand es so, als ob der Angeklagte ihr 500,-- DM geben wolle. Sie sagte, daß sie so viel nicht annehmen könne. Daraufhin drückte der Angeklagte ihr das Geld in die Hand und sagte: "Du willst doch eine Fete, mach doch was Schönes davon". Währenddessen streichelte der Angeklagte die Brust der Zeugin. Die Zeugin war überrascht und schockiert. Sie wandte sich ein wenig ab, nahm den 500,-- DM-Schein und steckte ihm den Schein in die Hemdentasche, wobei sie laut und deutlich sagte: "Unter solchen Umständen nicht!". Andererseits wollte die Zeugin gerne eine Fete machen. Über das Ansinnen des Angeklagten, das sie so verstand, daß der Angeklagte beabsichtigte, ihr das Geld für die Fete gegen Gewährung von sexuellen Kontakten zu schenken, war sie derart erregt, daß sie ausrastete. Sie stand auf, zog sich die Schuhe aus und streifte sich die Hose und Unterhose herunter. Sie schrie den Angeklagten an, er solle "es" doch endlich machen. Der Angeklagte sah die Zeugin an und zog ebenfalls seine Hose und Unterhose herunter. S. setzte sich wieder hin, wollte aber sogleich wieder aufstehen, da sie auf einmal über ihr eigenes Verhalten entsetzt war. Sie wollte wegrennen. Es gelang ihr nur, wieder auf die Knie zu kommen .

Der Angeklagte erkannte die zwiespältige Stimmung der Zeugin. Ihm war klar, daß das bei S. auf freiwillige Duldung hindeutende Verhalten nicht ernst gemeint war, und sie in Wirklichkeit keineswegs zu sexuellen Handlungen bereit war. Er sagte, die spinnt wohl. Er hielt sie an dem Arm zurück und stieß sie auf den Platz. Sodann riß er der Zeugin die Knopfleiste der Bluse auf und schob das die Brust noch bedeckende T-Shirt hoch. Dann griff er den Kopf der Zeugin mit beiden Händen und zog ihn zu sich zu seinem Geschlechtsteil herunter. Die Zeugin äußerte Ekel. Sie rief: "Bäh, bäh!". Sie wollte erneut weglaufen. Der Angeklagte zog sie aber mit einer Hand zurück, so daß sie ihm nicht entfliehen konnte.

Inzwischen begann das Glied des Angeklagten steif zu werden. Darüber hinaus forderte der Angeklagte die Zeugin auf, mit ihrer Hand sein Glied weiter zu erregen, wobei der Angeklagte den Arm der Zeugin festhielt. Die Zeugin sah in dieser Situation den Widerstand als zwecklos an. Sie versuchte nicht mehr, wegzulaufen. Aber sie versuchte, ihre Beine zusammenzupressen. Auch dieses gelang der Zeugin nicht, weil der Angeklagte sie inzwischen zurückgestoßen hatte und sich auf sie legte. Mit der einen Hand hielt der Angeklagte sein Glied. Er drückte mit seinen Beinen die Beine der Zeugin auseinander und drang dann mit seinem Glied in ihre Scheide ein. Er bewegte anschließend sein Glied in der Scheide des Mädchens hin und her, bis er zum Samenerguß kam. Vor dem Samenerguß zog der Angeklagte das Glied aus der Scheide heraus und ließ den Samen auf die Decke laufen. Während des Geschlechtsverkehrs stöhnte der Angeklagte. Weitere Äußerungen gab er nicht von sich.

Kurz zuvor oder gerade während des Geschlechtsverkehrs bemerkte die Zeugin, daß sich einige der Jugendlichen dem Wagen genähert hatten und durch die Scheibe, die leicht beschlagen war, schauten. Weil ihr die Situation peinlich war, schloß die Zeugin die Augen. In der Ferne hörte sie eine Sirene. Sie glaubte, jemand hätte Hilfe geholt. Es war aber offensichtlich nur ein Krankenhauseinsatz, der für die Zeugin keine Hilfe bedeutete, so daß sie enttäuscht alles weitere über sich ergehen ließ.

Nachdem der Angeklagte fertig war, zogen sich beide an. Der Angeklagte gab der Zeugin den 500,-- DM-Schein wieder. Anschließend fuhren sie nach Hause, wobei der Angeklagte zwei- bis dreimal eine Pause einlegte, in der er etwas Kaffee zu sich nahm. Zu Hause berichtete die Zeugin nichts über den Vorfall. Sie beantwortete lediglich die Fragen nach dem Vorstellungsgespräch.

- Feststellungen hinsichtlich des Einkaufs und der Geburtstagsfete.

Am Freitag feierte dann die Zeugin ihre Geburtstagsfete. Der Angeklagte hatte von sich aus die Diele des Hauses der Großeltern geschmückt. Er hatte Girlanden und Wandschmuck angehängt. Die Musikananlage hatte er aufgebaut. Währenddessen besuchte die Zeugin S. an diesem Tag die Schule in P.. Sie war gemeinsam mit ihrer Freundin T. N., die ebenfalls in P. die Schule besuchte, mit dem Fahrrad nach P. gefahren. Da S. noch nach der Schule für die abendliche Fete einiges einkaufen wollte und es darüber hinaus einen sehr starken Schauer gab, hatte sie zu Hause angerufen, damit sie und T. abgeholt werden würden. Der Großvater war am Telefon. Er sagte, daß er dem Angeklagten Bescheid sagen würde. Zwar hatte S. eigentlich gedacht, daß ihre Tante A. sie abholen werde. Aber es war ihr recht, daß es der Angeklagte übernahm, da sie ohnehin nicht alleine mit ihm sein würde. Außendem paßten die Fahrräder besser in den Bulli. Nach einiger Zeit rief die Zeugin erneut beim Großvater an. Sie erfuhr, daß der Angeklagte bereits losgefahren sei. Gemeinsam mit T. N. packte sie dann, als der Angeklagte erschien, die Räder in den Bulli und fuhr noch einmal zum Combi-Markt. Dort wollte S. noch einige Flaschen hochprozentigen Alkohol kaufen. Sie hatte etwa 60,-- DM zu bezahlen. Als Geld hatte sie den 500,-- DM-Schein ihres Onkels. Sie traute sich nicht, den Schein an der Kasse vorzulegen, da sie noch nie zuvor einen so großen Schein in der Hand gehabt hatte. Sie bat deshalb ihre Freundin T., für sie zu bezahlen. T. erwiderte, es sei doch nicht so schlimm. Sie könne doch ruhig mit dem Schein bezahlen. Sie, T., dürfe gar nicht bezahlen, da sie noch nicht 18 Jahre alt sei. Daraufhin bezahlte S. mit dem Schein.

Noch am selben Tag ging S. kurz vor der Fete noch einmal mit Tante A. einkaufen. Sie besuchten den Aldi, um dort Knabberzeug und Baileys-Likör zu erwerben. Darüber hinaus fertigte S. an diesem Tage verschiedene Salate, wozu sie Zutaten eingekauft hatte, die sie zuvor möglicherweise mit A. B. gemeinsam angeschafft hatte. Ganz sicher vermochte die Kammer dieses nicht festzustellen.

Die Fete verlief zunächst ohne besondere Vorkommnisse. Die Schwester der Zeugin, B., hatte, nachdem S. selbst kaum Leute eingeladen hatte, einige ihrer Freunde gebeten. So waren unter anderem die Zeugen Grobelnick, Husmann und auch J. R. zur Feier gekommen. Darüber hinaus hatte sie Sandra Belling, die N.-Mädchen und ihre Verwandten eingeladen. Insgesamt nahmen an der Fete etwa 20 Personen teil. Im Laufe des Abends verfiel die Zeugin S. S. in eine schlechte Stimmung. Sie hatte mit J. R., mit dem sie gerne eine Beziehung entwickeln wollte, ärger gehabt. Außerdem hatte sie einiges an Alkohol getrunken. Hinzukam, daß sie über ihre Situation nachdachte. Sie sah insbesondere die Probleme, die ihr Vater verursacht hatte. Der zwei Tage zuvor erfolgte übergriff durch den Onkel machten ihr deutlich, daß das Leben eigentlich ohne eine wesentliche Veränderung weiterging. Sie überlegte, sich das Leben nehmen zu wollen. Ihrer Mutter, die zusammen mit ihrem Onkel an einem Tisch saß, äußerte sie gegenüber, daß sie sich das Leben nehmen werde. Auf die Frage der Mutter, wieso denn, antwortete S.: "Wegen Papa und "dem" da". Dabei zeigte sie auf den Angeklagten. Die Zeugin E. S. äußerte dazu nichts. Sie nahm nur ihr Glas und wandte sich dem Angeklagten zu. Ob es daraufhin zwischen dem Angeklagten und der Zeugin E. S. zu einer verbalen Auseinandersetzung kam, wie die Zeugin S. S. es meinte, oder ob diese Auseinandersetzung nicht stattfand, vermochte die Kammer nicht sicher festzustellen. Sicher ist aber, daß den anderen Gästen der Fete zu diesem Zeitpunkt ein Streit zwischen, dem Angeklagten und seiner Schwester nicht aufgefallen ist.

Nach diesem für die Zeugin S. S. nicht besonders tröstlichem Gespräch nahm sich die Zeugin eine Flasche "Roten" und ging nach draußen. Sie hatte den Eindruck, daß der Angeklagte schreien würde. Eine ihrer Freundinnen sagte zu ihr, daß er die ganze Fete verderben würde. Sie kümmerte sich aber nicht weiter darum.

Vor dem Haus sah sie in einiger Entfernung wider allen Erwartens ihren Vater, der an dem Gartenzaun wartete. Die Zeugin wollte weder mit dem Vater noch im gegenwärtigen Augenblick mit anderen zusammentreffen. Deshalb versteckte sie sich am Feld und wartete erst einmal eine gewisse Zeit ab. Nach einer Weile holten ihre Freundinnen sie zurück.

Die gesamte Situation erschien für S. S. recht aussichtslos. Sie Lief nach oben in das von ihr genutzte Zimmer, wobei sie währenddessen J. R., der hinzugekommen war, zurief, daß sie das alles nicht mehr ertragen könne. Aus ihrem Zimmer holte sie eine Menge von ihr gehorteter Tabletten, die sie dort aufbewahrte. Es handelte sich um eine Reihe von Schmerz- und Blutdrucktabletten, die in der Menge geeignet gewesen wären, bei einer Einnahme zumindest schwere körperliche Schäden herbeizuführen. J. R., B. und T. N. waren der Zeugin gefolgt. Sie sahen die in einem Gefrierbeutel verpackte Menge von Tabletten. Sie schlossen daraus, daß S. sich tatsächlich etwas antun wollte. J. R. nahm S. die Tabletten ab und gab sie der Zeugin T. N.. Dieses bekam S. S. jedoch nicht mehr mit. Sie ging davon aus, daß J. R. die Tabletten ihrer Mutter gegeben hatte. T. N. nahm die Tabletten und warf sie anschließend in die Toilette. Dort spülte sie sie weg. Am nächsten Tag fragte die Zeugin E. S. ihre Tochter, ob sie sich tatsächlich habe umbringen wollen. Nähere Ausführungen machte S. dazu nicht.

Am folgenden Tag räumte der Angeklagte die Diele wieder auf.

3. Der Dachkammervorfall

Nachdem die Zeugin nun 18 Jahre alt war, wollte sie wissen, wie das sei, als Volljährige alles machen zu dürfen. Sie wollte länger als bis 24.00 Uhr aufbleiben. Das hatte ihr Vater ihr früher immer verboten.

In den Abendstunden des 14.5.1994 fuhr die Zeugin S. S. mit dem Fahrrad nach A. in eine Gaststätte, die in der Nähe des Sportplatzes an der Emdener Straße liegt. Für die Wegstrecke von H. nach A. benötigte die Zeugin ca. 20 Minuten. Sie traf so gegen 21.30 Uhr dort ein. In der Gaststätte trank sie in erheblichem Maße Alkohol. Den ganzen Abend saß die Zeugin dort und unterhielt sich mit verschiedenen Gästen, insbesondere mit einem älteren Herrn. An diesem Abend gab die Zeugin ungefähr 80,-- DM für Getränke aus, wobei sie auch einige Getränke für andere Gäste bezahlte. Sie selbst gibt an, ca. 15 Gläser eines Cola/Fruchtschnapsgemisches getrunken zu haben. Etwa gegen halb fünf Uhr morgens machte sich die Zeugin auf den Heimweg, für den sie aufgrund ihrer Alkoholbeeinflussung wesentlich länger brauchte als zuvor. Sie ging nämlich weite Strecken zu Fuß, wobei sie sich an ihrem Fahrrad festhielt, da sie sich nicht in der Lage sah, zu Beginn des Heimweges schon das Fahrrad zu benutzen. Später, als sie das Gefühl hatte, wieder nüchterner zu werden, fuhr sie einige Streckenabschnitte. Etwa gegen halb sieben Uhr will die Zeugin zu Hause bei der Großmutter eingetroffen sein.

Zu diesem Zeitpunkt befand sich der Angeklagte zu Hause. Bei ihm war die Zeugin S. K., die an diesem Wochenende den Angeklagten nach einem Kurzurlaub an der Nordsee besuchte und am Samstagabend wieder zur Familie M. zurückgekommen war. Die Mutter des Angeklagten befand sich zu diesem Zeitpunkt noch immer im Krankenhaus, A. M. war ebenfalls nicht zu Hause. Sie war auf einer Fortbildungsveranstaltung in Regensburg. Deshalb konnte der Angeklagte gemeinsam mit S. K. das Zimmer von A. benutzen. Der Angeklagte und S. K. schliefen dort zusammen. Geschlechtsverkehr hatten sie nicht. S. wurde in regelmäßigen Abständen wach, weil der Angeklagte recht laut schnarchte. Sonntagnachmittags hatte sich die Zeugin noch einmal eine Stunde gegen 14.00 Uhr hingelegt. Sie wollte den fehlenden Schlaf nachholen. Ob es zu irgendeinem Zeitpunkt an diesem Sonntag zu einer Begegnung zwischen S. K. und S. S. gekommen ist, war nicht sicher feststellbar.

Als die Zeugin S. S. am frühen Morgen nach Hause kam, fühlte sie sich schon etwas wohler. Sie hatte den Alkohol zuvor gespürt, aber übergeben mußte sie sich nicht. Sie war klarer, aber müde. Wie sie in das Haus der Großeltern gelangte, ist ihr nicht erinnerlich. Es ist möglich, daß eine Tür auf war, es ist aber auch denkbar, daß sie einen Schlüssel hatte. Sie schlich sich jedenfalls in das Obergeschoß, damit sie keinen aufweckte. In ihrem Zimmer zog sie sich aus und ihr Nachthemd an. Dann legte sie sich in das Bett. Das Licht ließ sie brennen. Möglicherweise war es zu dieser Zeit noch dämmrig, möglicherweise war es bereits hell. Sie schlief nicht gern im Dunkeln, wenn sie alleine in ihrem Zimmer war.

Kurz nachdem sie sich hingelegt hatte, hörte sie Schritte. Sie überlegte noch, ob sie aufstehen solle, um den Riegel der Tür vorzuschieben. Bevor sie insoweit eine Entscheidung treffen konnte, stand schon der Angeklagte in der Tür. Er führte sich auf wie ihr Vater. Er warf ihr vor, was sie sich einbilden würde, so spät nach Hause zu kommen. Sie würde nur die Oma ausnutzen. Schließlich solle sie auf seine Gefühle Rücksicht nehmen.

Die Zeugin reagierte auf die Beschimpfungen dadurch, daß sie sich zur Wand drehte. Sie wollte dem Angeklagten damit zu verstehen geben, daß sie das alles nicht interessierte, was er sagte.

Darüber war wiederum der Angeklagte verärgert. Er trat an ihr Bett, riß die Decke zurück und forderte sie auf, daß sie sich ausziehen solle. Er nahm diese Gelegenheit zum Anlaß, seinen sexuellen Bedürfnissen, die mit S. K. nicht befriedigt wurden, nachzugehen. Er hatte die Absicht, mit S. S. gegebenenfalls auch gegen deren Willen den Geschlechtsverkehr auszuüben.

Die Zeugin erwiderte, der Angeklagte würde wohl "spinnen". Der Angeklagte ging zurück zur Tür, schob nun selbst den Riegel vor und öffnete dann den Schrank. Aus dem Schrank nahm der Angeklagte ein Kondom, das er sich über sein Glied streifte. Die Zeugin traute sich nicht, die Decke wieder über sich zu ziehen. Sie kam aber nicht der Aufforderung nach, sich auszuziehen. Sie überlegte, was sie machen sollte. Sie dachte daran zu schreien, damit die Tante A., die sie unter ihrem Zimmer schlafend glaubte, aufmerksam werden würde. Dabei übersah sie, daß A. nicht anwesend war.

Der Angeklagte kam auf die Zeugin zu. Sie sagte zu ihm, daß sie das nicht wolle. Der Angeklagte kümmerte sich nicht um den Einwand der Zeugin. Er zog einfach ihre Hose herunter und seine Hose und Unterhose ebenfalls. In diesem Augenblick wollte die Zeugin die Decke zurückziehen. Doch dieses gelang ihr nicht mehr. Der Angeklagte war schon dabei, das Nachthemd der Zeugin hochzuschieben. Danach berührte er ihre Brust. Er legte sich dann auf die Zeugin und mit der Kraft seines Körpers und seinen Knien drückte er die Beine der Zeugin auseinander, die diese krampfhaft zusammenzupressen versuchte. Mit der Hand hielt er sein inzwischen erigiertes Glied und führte dieses in die Scheide des Mädchens ein. Während dieses Vorgangs versuchte die Zeugin ihn mit beiden Händen von ihrem Körper zu stemmen, was ihr nicht gelang. Dabei lag der Angeklagte derart auf der Zeugin, daß ein Bein außerhalb des Bettes den Boden berührte, das andere aber die Beine der Zeugin auseinanderdrückte. Während des Geschlechtsverkehrs bewegte sich der Angeklagte hin und her. Er wollte stöhnen, versuchte aber dieses zu unterdrücken. Ob der Angeklagte einen Samenerguß hatte, vermochte die Kammer nicht sicher festzustellen. Wohl infolge des Kondoms hat die Zeugin diesen nicht bemerkt, Sie sah aber, daß der Angeklagte anschließend das Kondom mitnahm.

Nachdem der Angeklagte gegangen war, blieb die Zeugin eine Weile einfach liegen. Sie überlegte, was sie tun solle. Sie trank ein wenig von dem Fernet Branca, den der Angeklagte auf der Fensterbank stehen hatte. Sie trank wenig aus der Flasche. Dann legte sie sich wieder ins Bett und dachte nach, bis sie schließlich einschlief. Nach einiger Zeit wachte die Zeugin wieder auf. Es mögen in der Zwischenzeit 1 bis 2 Stunden verstrichen gewesen sein. Der Angeklagte war an ihrem Bett und streichelte die Zeugin. Er schimpfte auch ein wenig mit ihr, weil sie seinen Alkohol getrunken hatte. Schemenhaft hat sie in Erinnerung, daß er erneut mit ihr schlief. Gewehrt hat sie sich in ihrem Halbschlaf nicht gegen ihn.

Dieser zweite Vorfall an diesem Tag ist der strafrechtlichen Wertung nicht zugrunde gelegt worden. Wie dieser Vorfall beendet wurde, ist der Zeugin nicht erinnerlich. Sie ist jedenfalls wieder eingeschlafen und erst gegen halb drei bis drei Uhr nachmittags aufgewacht.

- Ende Mai 1994 in der Zeit vom 27. bis zum 29. wurde in A. das sogenannte Schießfest gefeiert. Die Zeugin B. S. fragte ihre Schwester, ob sie nicht mit zum Schießfest fahren wolle. S. S. hatte daran wohl Interesse. Sie hatte aber kein Geld, weil sie alles bisherige ausgegeben hatte.

Zu einer nicht mehr näher feststellbaren Gelegenheit kam es zu einer Begegnung mit dem Onkel. Sie entschloß sich, ihren Onkel darum zu bitten, ihr Geld für das Schießfest zu geben. Er selbst sprach die Zeugin an, mit dem Hinweis, daß er mit ihr reden müsse. S. S. dachte sich dabei, daß er sich vielleicht bei ihr entschuldigen wolle. Gemeinsam fuhren beide im Auto von dem Haus der Großeltern weg. Nach kurzer Zeit hielt der Angeklagte an. Er gab der Zeugin entsprechend viel Geld dann gurtete er sich ab. Er beugte sich zu der Zeugin herüber und faßte sie an ihre Brust. Die Zeugin stieg aus und lief weg, weil sie diese Zudringlichkeit nicht wollte. Der Angeklagte startete erneut das Auto und verfolgte sie. Er bat die Zeugin, doch wieder einzusteigen. Er versprach, sie nach Hause zu bringen. Er äußerte, daß es ihm leid täte. Bei diesen Äußerungen war er bewegt. Er weinte.

Gemeinsam mit ihren Freunden und mit ihrer Schwester ging S. S. zu dem Schießfest. Sie hatte an dem ersten Tag des Festes reichlich Alkohol getrunken. Sie war nicht nur mit ihrer Schwester, deren Freund, sondern auch mit J. R. zusammen. Es war so, daß alle nach dem Fest zur Gaststätte ... fuhren. S. war recht ausgelassen aufgrund des Alkoholkonsums. Sie hatte auch möglicherweise die Absicht, mit J. R. auf freiwilliger Basis den Geschlechtsverkehr auszuüben. Sie wollte wissen, wie es sei, freiwillig mit einem Mann zu schlafen. In der Gaststätte ... forderte S. den Zeugen J. R. auf, doch aus einem Automaten in der Herrentoilette Kondome zu ziehen. Sie gab J. R. das nötige Kleingeld dafür, der dann auch die Kondome zog. Während J. in die Herrentoilette ging, blieb S. mit den anderen an der Theke der Gaststätte sitzen. Von der Theke aus konnte man nicht in die Herrentoilette hineinsehen. Es konnte auch nicht beobachtet werden, wie der Zeuge J. R. die Kondome aus dem Automaten erwarb.

Nach dem Besuch der Gaststätte gingen alle aus der Gruppe um B. und S. S. in die Wohnung der Zeugin B. S.. Dort schmusten S. S. und J. R. zusammen. Beide lagen sie gemeinsam auf dem Sofa im Wohnzimmer. Zu einem Geschlechtsverkehr kam es nicht, weil unter anderem J. R. das nicht wollte. Darüber hinaus wurde er kurze Zeit später von seinem Vater, der durch B. S. benachrichtigt worden war, abgeholt.

- Zwei Tage später, am 29.5.1994, unternahm die Zeugin S. S. den ersten Selbstmordversuch, der zu einer Einweisung in das Marienkrankenhaus in P. führte. Sie wurde dort stationär aufgenommen und zunächst auf der Intensivstation, kurze Zeit später auf der normalen Inneren Station für Frauen und wieder einige Zeit später in die Abteilung der Kinder - und Jugendpsychiatrie verlegt. In dieser Abteilung wurde sie von der Psychologin Frau L. als Therapeutin und von dem Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie Dr. C. sowie im wesentlichen von der Krankenschwester S. M. betreut und behandelt.

Dr. C. diagnostizierte bei der Zeugin eine schwere emotionale Belastungsreaktion mit starker Ich-Schwäche. So zeigte sich auch in der folgenden Behandlungsphase recht bald sehr deutlich, daß die Zeugin ein außerordentlich großes Problem belastete. Infolge der Therapie, durch die sie sich auf das eigene Ich bezogen hat, wurde der Zeugin selbst klarer, daß sie über ihre Probleme sprechen müsse. Es kam zu einem Gespräch mit Dr. C., in dem sie über die Vorwürfe, die sie gegen ihren Vater erhoben hat, berichtete. Die inzwischen mit dem Angeklagten erlebte Vergewaltigung wurde von der Zeugin nicht angesprochen. Hierüber zu sprechen war für die Zeugin ein besonders großes Problem. Denn der Angeklagte bekleidete in der gesamten Familie eine besondere Position. Auch für Dr. C. wurde erst im Nachhinein der Stellenwert des Angeklagten deutlich.

Während der folgenden Wochen und Monate wurde die Zeugin S. S. sowohl durch Dr. C., durch Frau L. als auch durch die Krankenschwester S. M. ausführlich und umfassend beobachtet. In dem täglichen Kontakt mit der Zeugin S. S. waren für keinen der behandelnden Mitarbeiter des Krankenhauses etwa das Vorliegen von wahnhaften Ideen erkennbar. S. S.es Verhalten war insoweit völlig unauffällig. Erkennbar waren allerdings Symptome, die sich bei Patienten, bei denen eine Belastungsreaktion vorliegt, allgemein vorfinden lassen. So ist zunächst einmal für solche Patienten festzuhalten, daß sie an einer sehr starken Ich-Schwäche leiden. Ihnen fällt es schwer, ihre eigenen Wünsche zu artikulieren und sie auch entsprechend durchzusetzen. Weiter ist vielfach bei solchen Patienten anzutreffen, daß sie Selbstverletzungen vornehmen. Häufig werden dabei die Körperteile besonderer Verletzung unterzogen, die in irgendeiner Weise mit dem inkriminierenden Geschehen zu tun hatten. Bei der Zeugin S. S. fanden sich vielfach Selbstverletzungen an der rechten Hand und an dem rechten Arm. Dabei fügte sie sich beispielsweise erhebliche Schnittverletzungen zu, die teilweise chirurgisch behandelt werden mußten. Sie schlug aber auch mit der Hand oder der Faust gegen harte Gegenstände, wodurch Hämatome an der Hand entstanden.

Auf der Station war sehr schnell erkennbar, daß die Familie auf die Zeugin S. S. psychischen Druck ausübte. Dies geschah teilweise konkret dadurch, daß sie aufgefordert wurde, doch wieder nach Hause zu kommen, teilweise aber auch unbewußt, indem S. einfach durch viele Besuche von Familienangehörigen in eine derartige psychische Zwangslage geführt wurde, aus der sie sich nur sehr schwer befreien konnte. So war für sie klar, daß zwar die Belastung des Vaters innerhalb der Familie M. akzeptiert werden konnte, weil ihr Vater A. S. auch den übrigen Familienangehörigen der Familie M. als äußerst brutal und aggressiv aufgefallen war. Andererseits war ihr bewußt, daß die Familie M. als solche in sehr engem Maße zusammenhing, so daß die Belastung eines dieser Familienmitglieder für sie unweigerlich den Verlust der gesamten Familie zur Folge gehabt hätte. Diesen Konflikt spürte die Zeugin, sie konnte ihn aber nicht verbalisieren.

Deshalb kam es bei weiteren Gesprächen im Rahmen der Offenbarung der Vorfälle, die die Zeugin ihrem Vater vorgeworfen hat, erstmals im August 1994 zu Andeutungen, daß es noch eine weitere Vergewaltigungshandlung gegeben habe. Sie benannte dabei den Angeklagten als den Täter nicht. Sie sprach lediglich von einem "Unbekannten", der sie am 16.4.1994 vergewaltigt hätte. Wer der Unbekannte war, blieb offen.

In der Folgezeit bekam die Zeugin häufiger Besuch von dem Angeklagten, der viel mit ihr redete, insbesondere über Gott. Er schenkte ihr auch religiöse Bücher. Die Zeugin empfand die vielen Besuche des Angeklagten als sehr aufdringlich. Sie äußerte dazu, daß der Angeklagte sie regelrecht "belagert" habe.

Zu einem nicht mehr feststellbaren Zeitpunkt, der aber nach der Offenbarung der behaupteten Taten des Vaters lag, hatte die Zeugin ein Gespräch mit Frau L.. Während dieses Gesprächs hielt sich der Angeklagte mit der Zeugin E. S. in dem Zimmer der Zeugin S. S. auf. Sowohl der Angeklagte als auch die Zeugin E. S. hatten zunächst vorgehabt, an dem Gespräch zwischen Frau L. und S. S. teilzunehmen. Dieses lehnte aber S. ab. Während der Abwesenheit der Zeugin durchsuchte der Angeklagte die Sachen der Zeugin in ihrem Zimmer. Unter anderem fand er eine Liste, die die Zeugin im Auftrage von Frau L. angefertigt hatte. Ruf dieser Liste hatte sie in einer Reihenfolge die Personen benannt, die sie am leichtesten, bzw. die sie am schwersten verlieren könnte. Sie hatte darauf notiert, daß sie ihren Onkel, den Angeklagten, am leichtesten, ihre Mutter aber am schwersten verlieren könne.

Im November 1994 führten die schließlich in die Wege geleiteten Ermittlungen zur Festnahme des A. S.. Innerhalb der Familien M. und S. waren die behaupteten Vorwürfe Gesprächsthema. In den Familien S. und M. war man der Auffassung, daß die von S. S. erhobenen Vorwürfe der Gewaltanwendung durch den Vater sicher zutreffend waren, über den Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs waren die Familienangehörigen überrascht. Ganz allgemein war es aber so, daß alle Familienmitglieder der Familie M. der Schwester bzw. Schwägerin mit Rat und Tat zur Seite standen. Insbesondere der Angeklagte versuchte seine Schwester auch in dieser Situation finanziell zu unterstützen.

Die Festnahme des Vaters und die damit verbundene Offenbarung der durch den Vater verübten Taten hatte zu einer Verbesserung des Gesundheitszustandes der Zeugin geführt. Ersichtlich war, daß der eigenständige Schritt der Zeugin zur Strafanzeige ihre Selbständigkeit und ihr Selbstbewußtsein gestärkt hatte. Ihre Befindlichkeit besserte sich dadurch.

Dieser Zustand änderte sich aber im Dezember 1994 wohl im Zusammenhang mit der nachfolgend geschilderten Tat des Angeklagten. S. S. machte Andeutungen über ihren Onkel. Sie wollte nicht mehr, daß er sie abholte. Sie hoffte, ihn zu Hause nicht anzutreffen. Sie war häufiger wütend auf ihn. Außerdem äußerte die Zeugin S. S. Frau L. gegenüber, daß sie keinen Besuch mehr von ihrem Onkel wünsche. Sie sprach auch davon, daß sie Männer hasse. Der Angeklagte wurde dann von Seiten der Klinik gebeten, S. S. nicht mehr zu besuchen. Er hielt sich an diese Aufforderung.

4. Der Nikolausvorfall

Der nächste strafrechtlich relevante Vorfall ereignete sich am Mittwoch, dem 7.12.1994 - dem Tag nach Nikolaus. Der Angeklagte hatte in dieser Zeit wiederum Freischicht bzw. möglicherweise hatte er Urlaub. Er war jedenfalls in H.. An diesem Nachmittag hatte die Zeugin aus der Klinik Ausgang. Sie hatte zuvor bei ihrer Mutter angerufen und gefragt, ob sie sie abholen könnte. Die Mutter erwiderte, daß sie S. nicht abholen könne, da sie arbeiten müsse. Ob dieses zutraf, war aber für die Kammer nicht sicher feststellbar. Sicher war aber, daß zu diesem Zeitpunkt der Vater in Untersuchungshaft einsaß.

Der Angeklagte holte daraufhin die Zeugin von der Klinik ab. Als sie losfuhren, sagte er, daß er noch etwas in L. zu besorgen hätte. Er müsse dort erst vorbei. Die Zeugin war darüber sehr enttäuscht, denn sie hatte nur 3 Stunden Ausgang. Sie mußte um 18.00 Uhr wieder in P. sein, da dann das Abendbrot wartete. Der Angeklagte fuhr weiter. Er sagte, er wolle noch etwas mir ihr bereden und er müsse noch etwas aus L. besorgen. Sie dachte noch daran, daß es doch dumm sei, mitzufahren, weil ihr die Zeit ja davonlaufen würde. Ehe sie dieses aber äußern konnte, war der Angeklagte schon an dem Elternhaus der Zeugin vorbeigefahren. In einem Waldstück hielt der Angeklagte den Bulli an. Er hatte die Absicht, mit der Zeugin sexuelle Handlungen gegebenenfalls den Geschlechtsverkehr auch gegen ihren Willen unter Anwendung von Gewalt auszuüben. Deshalb hatte er den Vorwand benutzt, eine Besorgung in L. zu erledigen. Er stieg aus und ging zur hinteren Bullitür.

Der Zeugin war inzwischen bewußt, was der Angeklagte mit ihr vorhatte. Sie wartete schon auf die Frage, ob sie ihm hinten im Bulli helfen könne. So geschah es dann auch. Dabei sagte der Angeklagte: "Bitte, bitte". Die Zeugin ging nach hinten und stellte sich demonstrativ gebeugt vor ihn hin. Sie wollte ihm damit zeigen, daß sie das nicht wollte. Sie verschränkte dabei die Arme.

Der Angeklagte sah ihre Reaktion wohl. Er versuchte sie zum Einlenken dadurch zu bewegen, daß er sagte, es würde nur an ihr liegen, wieviel Zeit vergehen würde. Er hätte schon so viel für sie getan. Er zog dann seine Hose herunter. Weil die Zeugin möglichst schnell nach Hause wollte, hat sie dann mit Hilfe des Angeklagten ebenfalls ihre Hose heruntergezogen. Dabei machte die Zeugin selbst den Hosenknopf und den Reißverschluß auf. Dann legte sich die Zeugin hin, hielt aber die Beine fest verschlossen. Der Angeklagte, der bemerkte, daß die Zeugin mit seiner Vorgehensweise nicht einverstanden war, legte sich auf die Zeugin und durchbrach mit der einfachen Kraft seines Körpers den Widerstand der Zeugin. So gelang es ihm, ihre Beine auseinanderzudrücken. Die Zeugin konnte noch beobachten, wie sich der Angeklagte ein Kondom überstreifte. Dann führte er sein steifes Glied in die Scheide des Mädchens ein. Ob es zum Samenerguß gekommen ist, vermochte die Zeugin nicht sicher anzugeben. Nachdem der Angeklagte fertig war, sagte er noch einmal, daß er so viel für die Zeugin getan habe. Sodann brachte er sie nach Hause. Zu Hause traf die Zeugin ihre beiden kleinen Geschwister an. Die Mutter kam später.

5. Der Weihnachtsvorfall

Der nächste Vorfall, der der Zeugin in Erinnerung geblieben ist, geschah anläßlich des Weihnachtsfestes 1994.

A. S. war noch immer in Untersuchungshaft. Deshalb feierte die Mutter mit den kleinen Geschwistern der Zeugin zunächst Heiligabend zu Hause. Danach gingen sie zu den Großeltern. Dort gab es noch eine Auseinandersetzung zwischen dem Großvater und R. S.. R. hatte mit dem dem Großvater geschenkten Schaukelstuhl geschaukelt und dabei dem Hund die Pfote eingeklemmt. Der Großvater schrie daraufhin den R. derart an, so daß dieser aus dem Haus lief und sich eine Weile außerhalb versteckte. Während dieses Abends hatte die Zeugin S. S. längere Zeit den Eindruck, daß der Angeklagte sie "mit Blicken durchlöcherte". S. war das unangenehm. Strafrechtlich relevante Ereignisse knüpften sich daran jedoch nicht an.

Am 2. Weihnachtstag besuchte die Familie S. wieder die Großeltern, diesmal zum Kaffeetrinken. Es hatte schon Mißbehagen ausgelöst, daß die Mitglieder der Familie S. recht spät zum Kaffee kamen. S. S. fühlte sich an diesem Tag nicht besonders gut. Deshalb ging sie eher als die anderen wieder nach Hause. Wie sie zu diesem Zeitpunkt in das Haus S. gelangte, ist nicht sicher feststellbar. Wahrscheinlich hatte sie den Schlüssel von R. mitgenommen. Sie selbst hatte keinen eigenen Schlüssel, da die Schlüssel nach der Festnahme des Vaters ausgetauscht worden waren. S. S. befand sich zu diesem Zeitpunkt noch stationär in der Klinik. Sie hatte zu den Weihnachtsfeiertagen nur Urlaub. Als S. S. gerade zu Hause war, kam zufällig der Zeuge Starke vorbei. Er hatte der Familie S. frohe Weihnachten wünschen wollen. Diese Gelegenheit nutzte S., den Zeugen zu bitten, sich ein defektes Radio anzusehen. Der Zeuge Starke versuchte, den Fehler an dem Radio zu finden. Zu diesem Zeitpunkt wollte S. S. eine Freundin anrufen, die sie in der Klinik kennengelernt hatte. S. fühlte sich an diesem Tag besonders unruhig. Sie hatte Ängste, daß irgendetwas mit ihr geschehen könne, was sie nicht wolle. Auch deshalb suchte sie das Gespräch mit der Freundin. Ob sie den Anruf tätigte, während der Zeuge Starke sich noch um das defekte Radio kümmerte, oder erst danach, war nicht sicher feststellbar. Jedenfalls geschah der Anruf. Die Freundin, die aus der Stimme der Zeugin S. S. und aus den Worten erkannte, daß die Zeugin Angst hatte, fragte, ob sie für S. den Notdienst des Krankenhauses anrufen solle. S. äußerte ihr gegenüber, daß sie sich selbst nicht trauen würde. Deshalb versprach die Freundin, für S. im Krankenhaus anzurufen.

So geschah es auch. Schwester A. O. hatte zu diesem Zeitpunkt im Krankenhaus Dienst. Ihr Dienst endete gegen 20.00 Uhr. Sie erfuhr um ca. 18.30 Uhr von der Freundin von S. S., daß S. S. sich unwohl fühlte. Daraufhin rief A. O. sofort bei S. S. zu Hause an. Dieses Gespräch fand wenige Minuten nach 18.30 Uhr statt. S. S. berichtete Schwester O., daß sie ängstlich sei, daß sie vor allen Dingen aber Angst vor ihrem Onkel habe. Während des Telefonats mit Schwester A. O. kam der Angeklagte in das Haus S.. Er war S. gefolgt. Wie er zur Tür hereingelangte, vermochte die Kammer nicht aufzuklären. Jedenfalls betrat er das Büro, wo S. gerade telefonierte. Er ging auf S. zu und stellte sich ganz nahe an sie heran. Er fragte, mit wem sie denn telefonieren wurde. Dabei schob er sein Knie zwischen die Beine von S.. Er umarmte auch die Zeugin dabei und berührte ihre Brust. Als der Angeklagte das Büro betrat, veränderte S. ihre Sprechweise, was sofort der Zeugin O. am anderen Ende der Leitung auffiel. Sie spürte, daß S. plötzlich gehemmt war. Schwester A. O. fragte, ob der Onkel denn in ihrer Nähe sei, was S. mit "ich weiß nicht" beantwortete. A. O. verstand dieses "ich weiß nicht" als ja, zumal die Zeugin sagte, daß sie jetzt Schluß machen müsse. A. O. bot der Zeugin an, daß sie mit einem Taxi zur Klinik zurückfahren könne. Das wollte aber die Zeugin nicht, da sie befürchtete, daß ihre Mutter das nicht verstehen würde. Inzwischen kam der Zeuge R. S. nach Hause. Dieses hörte der Angeklagte und ließ von der Geschädigten ab. Er verließ das Haus S. und begab sich zurück zu seinen Eltern. S. S. setzte sich indessen mit R. in die Küche und hörte Musik.

Soweit dieser Vorfall von der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Osnabrück als sexuelle Nötigung bewertet wurde, mußte die Kammer den Angeklagten aus tatsächlichen Gründen freisprechen. Die Kammer konnte in diesem Vorfall nicht feststellen, daß der Angeklagte durch Gewaltanwendung oder durch Drohung mit Gewalt sexuelle Handlungen an der Zeugin vorgenommen hätte. Das Berühren der Zeugin mit dem Knie und auch mit der Hand stellt insofern keine Gewaltanwendung dar, wenngleich es eine sexuelle Handlung beinhaltet.

- Nach diesem Vorfall wandte sich die Zeugin S. S. am 28.12.1994 erstmals an ihre Vertrauensperson S. M. im Krankenhaus. Sie berichtete davon, daß ihr Onkel sie vergewaltigt hätte. Sie erzählte von zwei Vergewaltigungen. Die erste sei am 16.04.1994 gewesen, die zweite Tat läge erst einige Wochen zurück. In der Folgezeit berichtete S. S. mehrere Vorfälle. Insgesamt war zu diesem Zeitpunkt wie auch bereits im August das Datum der ersten Vergewaltigung mit dem 16.04.1994 bezeichnet worden. Dieses Datum war objektiv falsch, wie die Zeugin S. S. auch wußte. Dennoch erwähnte sie dieses falsche Datum, weil sie glaubte, daß der Angeklagte nur dann zur Verantwortung gezogen werden könnte, wenn er sie als noch nicht 18jährige vergewaltigt hätte. Da ihr aber daran lag, daß auch die Taten des Angeklagten nicht als "Kavaliersdelikte" angesehen werden würden, erwähnte sie dieses Datum bewußt falsch. Später berichtigte sie gegenüber S. M. den Tatzeitpunkt der ersten Vergewaltigung. Sie hatte zu starke Gewissensbisse, insoweit falsche Angaben aufrechtzuerhalten.

Wann sie gegenüber S. M. den Tatzeitpunkt berichtigte, war für die Kammer nicht sicher feststellbar.

Auch der Zeugin Frau L. erzählte die Zeugin S. S. kurz nach dem 29.12.1994 - bis zu diesem Tage hatte die Zeugin L. Urlaub - von den Vorfällen mit dem Angeklagten. Frau L. hatte ohnehin bemerkt, daß die Zeugin S. S. im Dezember 1994 sich zunehmend, autodestruktiv verhielt. S. S. fügte sich Schnittverletzungeh an den Oberschenkeln, Armen, Bauch etc. mit Rasierklingen zu. Sie äußerte wieder massive Ängste vor Männern. Sie erklärte, "er" werde sie psychisch fertig machen. "Er" sei körperlich überlegen, was könne sie tun, wenn er die Türe abschließe. Sie berichtete Frau L. von zwei Erlebnissen mit dem Onkel. Einmal schilderte sie die Tat an dem Mittwoch nach Nikolaus und zum anderen schilderte sie die Vergewaltigung, die sie auf den 16.04.1994 datierte. Im Februar 1995 beschrieb sie noch weitere Einzelheiten der Vorfälle.

6. Der Vorfall anläßlich der Discofahrt nach Tange

Am 11.02.1995 hatte die Mutter der Zeugin S. S. Geburtstag. Bei dieser Gelegenheit sprach S. mit ihrer Mutter darüber, daß sie Angst vor Männern habe. Frau S. sagte, sie müsse den Umgang mit Männern lernen, da sie später auch nicht davor weglaufen könne. Das Gespräch fand entweder an dem Geburtstagswochenende oder eine Woche später statt. Am 18.02.1995 rief S. daraufhin ihre Freundin E. N. an und fragte sie, ob sie mit in die Disco gehen wolle. E. war einverstanden. Frau S. wollte, daß der Angeklagte mitfahren solle. Der Angeklagte war ebenfalls damit einverstanden. Mit dem Fahrzeug der Zeugin E. N. fuhr man gemeinsam zur Disco nach Tange. Mit im Fahrzeug saßen T. N., S. S. und man hatte den Freund von E. N. zuvor abgeholt. In der Disco hat sich der Angeklagte weitgehend ohne die anderen unterhalten, während T., E. und ihr Freund sowie S. zusammen saßen. Alle tanzten, S. auch. Teilweise tanzte sie alleine, teilweise tanzte sie mit ihren Freundinnen. Mit Jungen tanzte sie nicht. Etwa gegen 2.30 Uhr morgens sagte T., daß sie gerne zurückfahren wollte. Auf dem Rückweg fuhr der Angeklagte das Fahrzeug von E. N.. Dieses war auch verabredet, da der Angeklagte einen vermeintlichen Defekt am Fahrzeug von E. erkennen und dann später ausbessern sollte. Zunächst brachten alle den Freund von E. weg, dann fuhr man zum Haus der N.-Mädchen. Dort stiegen alle aus. Der Angeklagte und die Zeugin S. S. begaben sich auf den kurzen Fußweg von ca. 2 Minuten zum Hause S.. S. selbst hatte keinen Hausschlüssel. Sie versuchte zunächst mit Steinchen, die sie an die Fensterscheiben der Fenster der Geschwister warf, diese aufzuwecken. Es gelang ihr aber nicht. Der Angeklagte versuchte daraufhin, an der Jalousie des Fensters der Mutter zu rütteln. Aber auch dort rührte sich nichts. Der Angeklagte meinte daraufhin, daß die Mutter sich möglicherweise bei der Tante A. B. aufhalten würde. Sowohl der Angeklagte als auch S. S. gingen daraufhin zum Haus der Großeltern. Die Zeugin setzte sich in das Wohnzimmer, der Angeklagte in die Küche. Der Angeklagte rief dann bei der Tante A. B. an und stellte fest, daß die Mutter von S. S. dort war. Ob die Mutter auch mit dem Angeklagten am Telefon sprach oder nur die Tante, war nicht sicher feststellbar. Jedenfalls sagte der Angeklagte, daß er Frau S. abholen wolle. Der Angeklagte wollte zunächst seinen VW-Bulli nehmen, nahm aber dann den Wagen der Tante A., einen Toyota-Corolla, der etwa so groß wie ein VW-Golf ist. Dies war unter den Geschwistern M. nicht unüblich, daß man sich mit den jeweiligen Fahrzeugen aushalf. Der Angeklagte hatte auch einen Schlüssel für das Fahrzeug.

Der Angeklagte fuhr daraufhin mit S. S. in Richtung des Hauses der Tante A. B.. Er hielt aber zunächst das Fahrzeug in der gegenüberliegenden Straße an, gurtete sich ab und beugte sich zu der Zeugin herüber. Er hatte vor, sexuelle Handlungen bis zum Geschlechtsverkehr gegebenenfalls auch gegen den Willen der Zeugin an ihr auszuüben. Er berührte in Ausführung seines Planes die Brust der Zeugin oberhalb der Kleidung. Dieses wollte die Zeugin nicht. Infolge der therapeutischen Bemühungen im Krankenhaus einerseits und infolge des Umstandes, daß die Zeugin ihren Therapeutinnen bereits über übergriffe des Angeklagten berichtet hatte, andererseits hatte sie genügend innere Sicherheit gefunden, sich nunmehr heftiger gegen den Angeklagten zur Wehr zu setzen. Erstmals zu diesem Zeitpunkt drohte sie dem Angeklagten damit, eine Strafanzeige gegen ihn erstatten zu wollen.

Über dieses Ansinnen wurde der Angeklagte sehr wütend. Er schlug mehrfach mit den Fäusten auf die Brust und gegen die Oberarme der Zeugin. Durch eine solche Drohung wollte sich der Angeklagte von seinem Vorhaben, die Zeugin sexuell zu mißbrauchen und gegebenenfalls den Geschlechtsverkehr mit ihr auszuüben, nicht abbringen lassen. Andererseits war er über das Selbstbewußtsein der Zeugin, ihm jetzt mit einer Anzeige zu drohen, überrascht. Unter Ausnutzung der vorangegangenen Gewalt - Schläge gegen den Körper der Zeugin - veranlaßte er die Zeugin sich nun die Hose zu öffnen, so daß er sie an der Scheide berühren konnte. Die Zeugin kam aus Angst der Forderung des Angeklagten nach. Die Schläge waren heftig gewesen und hatten Schmerzen verursacht. Sie befürchtete sowieso seine Kraft und Übermacht. Deshalb versagte in ihr der Mut, sich gegen ihn durchzusetzen und zu wehren, weshalb sie die Hose öffnete und sich herunterzog. Der Angeklagte öffnete ebenfalls seine Hose. S. hoffte durch den Hinweis, die Mutter würde auf ihn warten, den Angeklagten von weiteren Handlungen abzubringen. Er erwiderte, daß die Mutter sowieso nicht alles mitkriegen würde. Die Zeugin ließ das Weitere recht teilnahmslos über sich ergehen. Der Angeklagte berührte die Zeugin mit der Hand an ihrem Geschlechtsteil. Währenddessen schaute sie aus dem Fenster, um sich abzulenken. Dabei knetete und quetschte er mit der Hand auch die Innenseite der Oberschenkel der Zeugin im Schrittbereich. Kurze Zeit später hörte der Angeklagte von seinem Vorhaben auf. Welche Motive ihn dazu bewegten, vermochte die Kammer nicht sicher festzustellen. Der Angeklagte schloß seine Hose, forderte die Zeugin auf, das ebenfalls zu tun und setzte das Fahrzeug daraufhin wieder in Bewegung.

Er fuhr zu dem Haus der Tante A. B.. Frau S. und Frau B. hatten diesen Abend gemeinsam verbracht und alkoholische Getränke in nicht näher bestimmbarer Menge zu sich genommen. Vor dem Haus angekommen, machten sich der Angeklagte und S. bemerkbar. Frau S. wirkte auf S. stark angetrunken. Als sie vor die Tür trat, umarmte sie den Angeklagten und äußerte, was sie doch für einen lieben Bruder hätte. Sie erwähnte, daß sie gar nicht wüßte, was sie ohne ihn machen sollte. Sie sagte auch, daß sie ihn sehr gern hätte. Die Zeugin S. S. empfand diese Äußerungen ihrer Mutter als falsch. Sie dachte nur, wie kannst du nur so reden. Frau S. stieg dann in das Auto ein und gemeinsam fuhren alle nach Hause.

Am nächsten Tag schlief die Mutter und auch die Zeugin bis nachmittags.

Anschließend fuhr sie in die Klinik zurück.

Durch die Schläge und die Quetschungen erlitt die Zeugin an der Brust und an der Innenseite der Oberschenkel starke Hämatome.

- Am 01.03.1995 stand die Zeugin in der Klinik in der Tür zum Badezimmer. Sie hatte zufälligerweise nur ein T-Shirt an, das den Blick auf die nackten Arme freigab. Schwester A. O. sah ebenfalls zufällig bei dieser Gelegenheit, daß sich an dem linken Oberarm ein Hämatom befand. Sie fragte S., wo denn das Hämatom herstamme. Es war aus Sicht der Schwester O. ungewöhnlich, daß die Zeugin stärkere blaue Flecken aufwies. Die Verletzungen, die sich die Zeugin häufiger zufügte, sahen in der Regel anders aus. Im wesentlichen handelte es sich um Schnittverletzungen aller Art. Darüberhinaus hatte sie mit der rechten Hand häufiger gegen Wände geschlagen. Die Oberarme waren bei diesen Verletzungen regelmäßig ausgespart gewesen. Deswegen wunderte sich die Zeugin Schwester A. O.. S. S. wollte die Frage zunächst nicht beantworten. Auch die Frage, ob sie noch mehr Flecke habe, vermied sie zu beantworten. Zögernd erzählte sie dann aber doch, was am 18.02.1995 vorgefallen war. Sie zeigte dann auch die Hämatome an der linken Brust und an den Oberschenkeln. S. wurde dann überredet, die Verletzungen fotografieren zu lassen. Den ersten Versuch unternahm Schwester A.-O. mit einer Polaroid-Kamera. Die Fotos gelangen nicht. Am nächsten Tag stellte Dr. C. seine Kamera zur Verfügung. Zu diesem Zeitpunkt fertigte Schwester Margret Nordmann sechs Bilder. Insbesondere an der linken Brust zeigten diese Lichtbilder starke Verfärbungen. An der Innenseite des linken Armes befand sich oberhalb des Ellenbogens eine deutlich sichtbare Verfärbung, die in Brauntönen auf den Lichtbildern Lichtbild Nr. 1 abgebildet war. Lichtbild Nr. 2 zeigt im wesentlichen die linke Brust der Geschädigten, die oberhalb des Warzenhofes ein etwa 2 Fünfmarkstück großes Hämatom von bräunlich-gelblicher Verfärbung erkennen läßt. An der rechten Brust sind deutliche Verfärbungen nicht sichtbar. Insgesamt wirken die Bilder leicht zu stark ausgeleuchtet. Bild Nr. 3 zeigt die vordere Seite des linken Oberschenkels am Hosenbeinrand des Schlüpfers, wo sich eine stärkere, ebenfalls über Fünfmarkstück große Verfärbung gelb-bräunlicher Art befindet. Innerhalb dieser Verfärbung sind Kratzspuren erkennbar. An der Innenseite des Oberschenkels oberhalb des Knies sind ebenfalls Kratzspuren ersichtlich. Bild Nr. 4 zeigt den Schrittbereich und den linken sowie rechten Oberschenkel. Am rechten Oberschenkel ist in der Innenseite ein deutlich großer bräunlich-blau-rot-gelb verfärbter Fleck erkennbar, der ebenfalls Kratzspuren beinhalten könnte. Im übrigen sind auf dem rechten Oberschenkel zum Knie hin weitere Kratzspuren ersichtlich. Die Lichtbilder Nr. 5 und Nr. 6 zeigen Kratzspuren am Hosenbund an der Seite des Bauches. Darüberhinaus befindet sich dort ebenfalls ein Hämatom.

An der rechten Brust waren zu diesem Zeitpunkt keine Verfärbungen erkennbar. Es befand sich auch kein Hämatom oberhalb des Warzenhofes.

Zu diesem Zeitpunkt - der Prozeß gegen den Vater der Zeugin sollte am 27.03.1995 beginnen - wurde in der Klinik mit S. erörtert, ob sie möglicherweise den Angeklagten anzeigen solle. Sie wollte eine solche Anzeige nicht. Sie traute sich nicht, weil sie befürchtete, man würde ihr nicht glauben. Sie äußerte aber den Schwestern gegenüber, daß sie den Versuch einer weiteren Vergewaltigung noch einmal über sich ergehen lassen würde, um schließlich objektive Beweise gegen den Onkel zu haben.

7. Der letzte Vorfall

Am folgenden Wochenende - dem Wochenende am Samstag/Sonntag, den 04./05. März 1995 - hatte S. S. wiederum Wochenendurlaub zu Hause. Auch an diesem Wochenende wurde erneut erörtert, ob man nicht wieder zu einer Disco fahren solle. Frau E. S. schlug vor, daß der Angeklagte mitfahren solle. Er war an diesem Tag bei seinem Bruder und der Schwägerin in P.. Der Angeklagte erfuhr davon und wollte gerne mit. Bis der Angeklagte zurückgekehrt war, wartete die Zeugin S. S. bei ihrer Freundin E. N.. Irgendwie kam das Gespräch bei E. N. auf die blauen Flecke, die die Zeugin S. S. E. auch zeigte. Noch immer waren nämlich Reste der Hämatome erkennbar. E. N. fragte S. S., woher die Flecken seien. Ob sie bei dieser Frage auf den Angeklagten Bezug nahm oder sie ganz allgemein stellte, vermochte die Kammer nicht sicher festzustellen. Sicher war aber, daß in der Fragestellung E. N. davon ausging, daß diese Hämatome durch eine Begegnung mit einer Person entstanden waren. S. S. traute sich E. gegenüber nicht, den wahren Verursacher der Hämatome zu benennen. Sie berichtete etwas in der Art, daß sie ausgerissen und im Park einem Mann begegnet sei, der sie festgehalten habe. Bevor jedoch dieses Gespräch zur weiteren Klärung des wahren Sachverhaltes führen konnte, betrat T. N. das Zimmer und berichtete, daß der Angeklagte eingetroffen sei. Man ließ den Angeklagten noch ein wenig warten, weil eine CD auf eine Musikcassette überspielt werden sollte und dieses noch nicht vollständig geschehen war. Nach der Aufnahme fuhren dann alle im Toyota Corolla der Zeugin A. M. los, welcher vom Angeklagten gelenkt wurde.

Auf dem Weg zur Diskothek hielt der Angeklagte noch an einem Imbiß, McDonalds, wo E. etwas aß, der Angeklagte Kaffee trank und S. ein Erfrischungsgetränk zu sich nahm. Danach fuhren sie weiter nach Haren zur Diskothek. Während der Fahrt und insbesondere in der Diskothek unterhielt sich der Angeklagte überwiegend mit E. N.. Insbesondere war der mögliche dicke Bauch der Zeugin E. Gesprächsthema, was E. N. eigentlich auf die Nerven ging. Nach dem Besuch der Diskothek kehrten alle noch einmal kurz in der Gaststätte ... ein. Hier hielt man sich ca. 15 Minuten auf. Von dort aus fuhren sie direkt zu E. N. zurück. Nachdem der Angeklagte die Freundin der Zeugin S. S. abgesetzt hatte, drehte er auf der Bundesstraße und fuhr an dem Haus der Tante vorbei in einen Feldweg. Dort hielt er an. Er hatte die Absicht, erneut mit S. S. sexuelle Befriedigung zu suchen. Er wollte gegebenenfalls gegen den Willen der Geschädigten und gegebenenfalls mit Gewaltanwendung den Geschlechtsverkehr mit ihr ausüben.

Der Angeklagte löste den Sicherheitsgurt und beugte sich zu S. S. herüber. Sie bemerkte in seinem Gesicht ein "komisches" lachen. S. befürchtete, daß ein erneuter sexueller übergriff bevorstand. Obwohl sie ursprünglich die Absicht hatte, sich erneut vergewaltigen zu lassen, um Beweise gegen ihren Onkel zu haben, wollte sie doch in der konkreten Situation versuchen, diesen übergriff abzuwenden. Sie drohte dem Angeklagten für den Fall, daß er sie anfassen würde, endgültig mit einer Anzeige.

Das brachte den Angeklagten in Rage. Er wurde wieder sehr wütend. Er Lachte wieder und sagte: "Das tust Du ja sowieso nicht." Dabei schlug der Angeklagte auf die Zeugin ein. S. empfand die Schläge, die wieder die Brust trafen, im Verhältnis zu den Ereignissen vor 14 Tagen als härter. Ob sie tatsächlich kräftiger geführt wurden oder ob sie nur mehr schmerzten, weil sie bereits infolge der früheren Schläge empfindlichere Teile des Körpers trafen, vermochte die Kammer nicht sicher festzustellen. Es ist auch möglich, daß die Tatsache des Schlagens für S. so demütigend war, daß sie aus diesem Grund die Behandlung gravierender als das erste Mal empfand.

Die Zeugin hatte jedenfalls große fingst, was der Rngeklagte bemerkte und was er auch bezweckte. Er wollte sich diese Situation nun endgültig wieder zu Nutze machen und mit der Zeugin gegen ihren erkennbaren Willen den Geschlechtsverkehr ausüben. Er hatte bemerkt, daß seine Schläge die Zeugin stark beeindruckt hatten.

Die Zeugin hatte aus der für sie ausweglos erscheinenden Situation das Gefühl, der Angeklagte werde sie umbringen, wenn sie seinen Wünschen nicht nachkomme. Deshalb zog sie ohne größere Aufforderung durch den Angeklagten selbst ihre Hose aus und legte sie auf die Rückbank. Der Angeklagte kletterte zu ihr auf den Beifahrersitz, was zwar schwierig, aber nicht unmöglich war. Dabei klappte er die Rückenlehnen nicht zurück. Der besonderen Schwierigkeit dieses Unterfangens gab er dadurch Ausdruck, daß er wegen der Enge fluchte. Er hatte seine Hose geöffnet und sein Glied, das bereits steif war, herausgeholt. Seine Position war eine knieende vor dem Sitz der Zeugin. S. S. saß weit mit dem Oberkörper in ihrem Sitz. Deshalb zog der Angeklagte sie näher zu sich heran, damit er mit seinem Glied in die Scheide des Mädchens eindringen konnte. Zuvor hatte sich der Angeklagte ein Kondom über sein Glied gestreift. Er drang dann in die Scheide der Zeugin ein und vollzog so den Beischlaf. Während des Geschlechtsverkehrs sah die Zeugin zur Ablenkung aus dem Fenster. Ob es bei dem Angeklagten zum Samenerguß gekommen ist, war nicht sicher feststellbar. Nachdem der Angeklagte fertig war, ließ er sich S. wieder anziehen. Er brachte sie dann nach Hause. Unterwegs drohte er der Zeugin damit, daß dann, wenn sie etwas sagen werde, sich ihre Mutter umbringen würde. Der Angeklagte wußte dabei, daß diese Behauptung für S. eine ernstzunehmende Drohung war, denn sie hing in besonderem Maße an ihrer Mutter.

Durch die Schläge entstanden weitere Hämatome, bzw. es wurden bereits bestehende Hämatome in ihre Verfärbung verstärkt.

Nachdem S. S. am Sonntagabend zurück in die Klinik kam, wurde sie von der Krankenschwester Margarete Nordmann in Empfang genommen. S. wirkte auf die Krankenschwester sehr bedrückt. Sie erzählte, daß der Angeklagte sie unter Druck setzen würde. Er würde behaupten, daß die Sache zwischen der Zeugin und ihrem Vater nicht geschehen wäre, wenn S. tatsächlich ihn, den Angeklagten, anzeigen würde. Da die Zeugin sehr belastet wirkte, fragte die Schwester Margarete Nordmann nicht weiter nach. Deshalb berichtete S. S. auch ihr gegenüber nicht davon, daß der Angeklagte sie am Abend zuvor anläßlich des Diskothekenbesuchs vergewaltigt hatte. Am nächsten Morgen erzählte aber S. S. der an diesem Vormittag diensthabenden Schwester Ilona Sinningen von dem Vorfall. Sie berichtete dabei auch, daß der Angeklagte ein Kondom benutzt habe. Eine kurze Zusammenfassung der Schilderung von S. S. wurde in den Krankenakten vermerkt.

Am Nachmittag untersuchte Dr. K. die Zeugin gynäkologisch. Der sachverständige Zeuge erhob folgenden Befund:

"Gynäkologischer Untersuchungsbefund:

Im Bereich beider Mamme finden sich fast symetrische Hämatome, auch auf der Oberschenkelinnenseite etwa handflächengroßes Hämatom. Im Bereich der Oberschenkel keine frischen Verletzungen. Das äußere Genitale erscheint unauffällig. Der Hymenalsaum ist ringförmig angelegt, keine frischen Verletzungszeichen. Das innere Genitale ist palpatorisch frei. Bei der Untersuchung des Sekrets sind keine Spermien nachweisbar.

Erst als dieses der Patientin mitgeteilt wird, gibt sie an, der Täter habe ein Kondom benutzt.

Bei der anschließenden Sonographie werden die Eierstöcke beurteilt, ob eine Ovulation möglich war oder ist. Nach dieser Untersuchung besteht kein Bedarf zu einer zusätzlichen Antikonzeption. Zusammenfassung und Beurteilung:

Nach der gynäkologischen Untersuchung ist Sexualverkehr möglich gewesen, aber nicht nachzuweisen. Insbesondere die Frage nach Veränderungen zum Vorbefund muß verneint werden.

Unterschrift Dr. K., Oberarzt"

Nach der Untersuchung durch Dr. K. fertigte Schwester Margarete Nordmann weitere 6 Lichtbilder von den zu diesem Zeitpunkt sichtbaren Hämatomen. Die Lichtbilder sind mit Ziffer 5 - 10 in der Lichtbildmappe bezeichnet. Auf Bild 5 und 6 sind Hämatome und Kratzspuren auf dem Bauch oberhalb des Hosenbundes abgelichtet. Das Hämatom weist eine bräunlich-gelbe tendenziell rötliche Verfärbung auf. Die Kratzspuren dürften auf Selbstverletzungen zurückzuführen sein. Bild Nr. 7 zeigt ein Hämatom an der vorderen Seite des linken Oberschenkels in Höhe des Hosenbeinrandes des Schlüpfers. Dieses Hämatom könnte identisch mit dem auf Bild Nr. 3 abgelichteten Hämatom sein. Die Verfärbung zum Zeitpunkt den Fotografie des Bild Nr. 7 ist gelblich-bräunlich, in der Mitte des Hämatoms teilweise etwas rötlich. Bild Nr. 8 zeigt den rechten Oberschenkel mehr zur Innenseite hin unmittelbar am Hosenbeinrand. Dort befindet sich ebenfalls ein Hämatom von einer Größe von mindestens zwei 5,00 DM-Stücken, welches teilweise in den äußeren Randbezirken gelblich-bräunlich verfärbt erscheint, im Zentrum aber eine starke dunkelrot-blaue Verfärbung aufweist. Daneben sind auf dem Lichtbild tiefer gelegen seitwärts Kratzspuren erkennbar. Bild Nr. 9 zeigt die rechte Brust, die ein heftiges Hämatom oberhalb des Warzenhofes erkennen läßt. Der äußere Rand des Hämatoms ist gelblich-bräunlich verfärbt. Der Bereich zur Brustwarze hin ist dunkelblau-rot-grünlich verfärbt. Bild 10 zeigt die linke Brust. Dort befindet sich oberhalb des Warzenhofes ein etwa ebenfalls zwei 5,00 DM-Stück großes Hämatom, welches in den äußeren Bereichen stark gelb verfärbt ist. Zum Warzenhof hin allerdings weist dieses Hämatom rötliche Einfärbungen auf. Sowohl Schwester O. als auch Schwester Sinningen hatten die Hämatome am 06.03. gesehen. Sie hatten darüber hinaus die Hämatome am 02.03.1995 beobachtet. Beide Schwestern konnten deutliche Unterschiede zwischen den Hämatomen feststellen. Auf beide Schwestern wirkten die Hämatome am 06.03. verstärkt bzw. frisch. Insbesondere an der rechten Brust erschien dieses Hämatom den Schwestern neu zu sein.

II. Feststellungen zur Anzeigesituation

Am 27. März 1995 sollte der Prozeß gegen A. S., dem Vater der Zeugin S. S., vor der III. großen Strafkammer des Ländgerichts Osnabrück beginnen. Zu diesem Prozeß waren u. a. auch die Zeuginnen S. S. und S. M. geladen. S. M. war sich nicht ganz sicher, inwieweit sie in diesem Prozeß als Zeugin über Umstände, die nicht das Geschehen mit dem Mater betrafen, die sie aber aus Behandlungsgesprächen mit der Zeugin S. S. erfahren hatte, berichten durfte. Um sich insoweit Klarheit über das Ausmaß ihrer Schweigepflicht zu verschaffen, rief diese Zeugin die Nebenklägervertreterin, Frau Rechtsanwältin W., an. Hier erkundigte sie sich, inwieweit sie darüber berichten müsse, daß S. nach ihren Angaben auch schon einmal "etwas" mit einem anderen Mann gehabt habe. In der Klinik war zu diesem Zeitpunkt bekannt, daß S. behauptete, der Angeklagte habe sie mißbraucht. Sie hatte am 28.12.1994 der Schwester S. M. darüber berichtet, daß sie von ihrem Onkel vergewaltigt würde. Auch Frau L. gegenüber hatte sie von Vorfällen erzählt.

Frau W. lud daraufhin die Zeuginnen zu einem Besprechungstermin am Montag oder Dienstag, dem 20. oder 21.03.1995, in ihre Kanzlei ein. Während dieses Gesprächs erörterte Frau W. mit den Zeuginnen S. S. und S. M. im wesentlichen den Verfahrensgang, wobei die Sache selbst nur am Rande besprochen wurde. Während dieser Erörterung fragte S. S., wie es sei, wenn sie gefragt werde, ob sie schon einmal mit einem anderen Mann Geschlechtsverkehr gehabt habe. Die Rechtsanwältin W. fragte daraufhin nach dem Hintergrund dieser Bemerkung. Da S. S. noch nicht in der Lage war, freimütig über die Vorfälle mit dem Angeklagten Auskunft zu erteilen, brachte sie nur in ein paar Sätzen hervor, daß ihr Onkel sie vergewaltigt habe. Sie erwähnte dabei auch, daß sie Angst vor einer Konfrontation mit dem Onkel habe.

Frau W. erörterte mit den Zeuginnen die Frage einer Anzeige des Onkels. Die Rechtsanwältin empfahl eine solche wegen der Prozeßsituation. Die Zeugin verabschiedete sich mit der Vereinbarung, daß S. S. am Donnerstag der gleichen Woche ihre Entschließung hinsichtlich einer Anzeige mitteilen solle.

Am Dienstag, dem 21.03.1995 traf die Kriminalbeamtin Frau J. zufällig S. S. in der Stadt P.. S. war aus dem Krankenhaus abgängig. Sie wurde mit der Situation nicht fertig, eine Entscheidung hinsichtlich einer möglichen Belastung des Onkels zu treffen. Sie hatte deshalb den Weg der Flucht gewählt, weil sie auch aufgrund ihrer Belastungsreaktion noch nicht in der Lage war, sich in Krisensituationen an einen Vertrauten zu wenden.

Frau J. fragte, wie es ihr denn gehe. S. berichtete, daß sie aus dem Krankenhaus "abgehauen" sei. Als Grund gab sie an, daß sie noch ein Problem habe, über das sie nicht reden könne. Sie wisse nicht, was sie machen solle, zumal in der folgenden Woche der Prozeß gegen ihren Vater beginne. Im weiteren Verlauf des Gesprächs gab sie an, daß das Problem mit ihrem Onkel Dutsche zu tun habe. Aus Sorge um ihre Mutter könne sie nicht darüber reden. Sie habe Angst, daß sich ihre Mutter etwas antun könne. S. berichtete weiter, daß sie von ihrer Mutter erfahren habe, daß der Angeklagte ebenfalls als Zeuge zu dem Prozeß geladen worden sei. Er habe sich schon deswegen Urlaub genommen. Vor dem Termin wolle der Angeklagte unbedingt noch einmal mit S. darüber reden. Vor diesem Gespräch habe sie große Angst. Denn das Problem, daß sie beschäftige, habe mit Dutsche zu tun.

Frau J. bot S. an, sie in das Krankenhaus zurückzubringen, wohin die Zeugin abends bereits von sich aus zurückkehren wollte. Von Frau J. wollte sie sich nicht bringen lassen. Frau J. erklärte ihr dann aber, daß sie das Marienhospital von der Abwesenheit der Zeugin in Kenntnis setzen werde. Dieses tat die Kriminalbeamte abends in einem Telefonat mit Schwester S. M..

Angeregt durch die Gespräche mit Frau W. und auch durch die zufällige Begegnung mit Frau Jansen entschloß sich S. S. am folgenden Tag, mit der Polizei über das Problem "Onkel Dutsche" zu sprechen. Gemeinsam mit S. M. suchte sie Frau Jansen auf und bat um ein Gespräch. Während dieses Gespräches, das zunächst nicht im Rahmen einer formellen Vernehmung geführt wurde, erklärte die Zeugin stockend, daß sie mehrfach von dem Angeklagten - ihrem Onkel Dutsche - vergewaltigt worden sei. Auffallend bei dem Gespräch war die emotionale Beteiligung der Zeugin, die sich auch in psychosomatischen Störungen zeigte. Die Zeugin mußte mehrfach die Toilette aufsuchen. Sie war ganz blaß und schließlich berührte sie ständig die Verletzungen, die sie sich selbst beigefügt hatte, so daß diese teilweise wieder zu bluten anfingen. Frau J. vertrat deshalb die Auffassung, daß in dieser besonderen Belastungssituation der Zeugin eine ausführliche polizeiliche Vernehmung neben einer möglichen richterlichen eine Überforderung der Zeugin bewirken könne. Deshalb berichtete sie telefonisch dem zuständigen Staatsanwalt über die Lage, der dann die richterliche Vernehmung beantragte. Frau J. vereinbarte sogleich eine Termin mit dem zuständigen Richter in P., der dann anschließend die Vernehmung durchführte.

Die Vernehmung zur Sache gestaltete sich schwierig. Die Zeugin mußte immer wieder "angeschoben" werden; über Vorfälle zu berichten. Sie war sehr zurückhaltend und wirkte sehr in sich zurückgezogen. Es fiel ihr ersichtlich schwer, über die Dinge zu sprechen. Im Rahmen dieser Vernehmung berichtete sie über den Vorfall anläßlich des Aufräumens im Wohnwagen. Diesen Vorfall datierte sie auf Anfang April 1994. Der nächste Vorfall solle sich etwa 2 Wochen später in dem Dachzimmer, das sie in dem Hause ihrer Großeltern bewohnte, ereignet haben. Geschildert hat sie hier inhaltlich den sogenannten Dachkammervorfall (Fall 3). Zeitlich hat sie ihn bewußt falsch datiert. Sie hat den Vorfall vor ihren 18. Geburtstag vorverlegt. Sie schilderte hier den Geschlechtsverkehr, sie berichtete weiter, daß der Angeklagte sie an diesem Morgen ein zweites Mal aufgesucht habe. Auch sei es bei dieser Begegnung wiederum zum Geschlechtsverkehr gekommen, gegen den sie sich aber aufgrund ihrer wegen des vorangegangenen Vorfalls schweren Depression überhaupt nicht habe wehren können. Weiter berichtete sie über den Vorfall anläßlich des Nikolausfestes (Fall 4). Schon hier schilderte sie, daß der Angeklagte mit ihr in einem Waldstück und L. gefahren sei. Er habe den Geschlechtsverkehr von ihr gewollt und sie zur Aufgabe des Widerstandes dadurch bewegen wollen, daß er gesagt habe, er würde anderenfalls im Ermittlungsverfahren gegen ihren Vater sagen, ihr Vater habe ihr nichts getan. Bei dieser Gelegenheit gab die Zeugin an, daß der Angeklagte erklärt habe: Das Ganze wäre für sie schöner, wenn sie ihm etwas entgegenkäme. Als weiteren Vorfall schilderte sie den Fall am 2. Weihnachtstag. Schließlich berichtete sie über die Vorfälle im Februar und im März. Inhaltlich schilderte sie knapp den Ablauf der Ereignisse in der Form, wie sie es später in der Hauptverhandlung vor der Kammer getan hat. Sie berichtete aber zunächst nicht über die Schläge, die sie von dem Angeklagten erhalten hatte. Diese erwähnte sie zum Schluß der Vernehmung auf Frage des Richters. Dabei berichtete sie auch, daß von den Hämatomen Lichtbilder im Krankenhaus gefertigt worden seien.

Den Vorfall anläßlich des Vorstellungsgesprächs in der Klinik in Essen schilderte die Zeugin nicht.

Im Anschluß an die Sachvernehmungen erklärte die Zeugin, warum sie nicht gleich bei den Ermittlungen gegen ihren Vater über die bereits geschehenen Taten des Angeklagten berichtet habe. Als Motiv gab sie in dieser Vernehmung an, daß sie Angst um ihre Mutter gehabt hätte. Sie habe befürchtet, sie werde sich etwas antun, wenn die Vorfälle offenbart würden. Im übrigen sei sie der Meinung, daß ihre Mutter finanziell gerade in der Situation von dem Onkel abhängig gewesen sei.

Unmittelbar nach der richterlichen Vernehmung der Zeugin wurde die Kammer, die das Verfahren gegen A. S. zu verhandeln hatte, darüber informiert, daß S. S. ihren Onkel ebenfalls der Vergewaltigung bezichtige. Da diese neue Sachlage für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin S. S. im damaligen Verfahren gegen A. S. Bedeutung hatte, bat die Kammer die Sachverständige Frau M., die in dem Verfahren A. S. mit der Erstattung eines Gutachtens über die Glaubhaftigkeit der Angaben der Zeugin S. S. beauftragt war, die Tatsache der Erhebung der neuen Vorwürfe in ihr Gutachten mit einzubeziehen. Frau M. hielt es dazu für erforderlich, mit der Zeugin S. S. bezüglich dieser Vorfälle ein Explorationsgespräch zu führen. Dieses geschah am 24.03.1995. In diesem Explorationsgespräch berichtete die Zeugin zunächst darüber, wie die Aufdeckungssituation gewesen ist. Sie schilderte, daß sie bereits vor Weihnachten Schwester S. M. von Vorfällen berichtete und auch um Weihnachten herum Frau L. und Dr. C. informierte. Weiter schilderte sie die Anzeigesituation und die zuvor geführten Gespräche. Sodann berichtete sie von dem Fall 1 (Wohnwagenvorfall). Sie schilderte diesen Vorfall inhaltlich so, wie er festgestellt wurde. Als nächstes berichtete sie über den Dachkammervorfall, den sie zeitlich für Mitte April einordnete. Inhaltlich schilderte sie ihn so, wie er in den Feststellungen niedergelegt ist. Weiter schilderte sie den sogenannten Nikolausfall auch inhaltlich so, wie er in den Feststellungen niedergelegt ist. Sie erwähnte den Vorfall anläßlich des zweiten Weihnachtsfeiertages. Weiter berichtete sie von dem Vorfall anläßlich des Diskothekenbesuches in Tange. Sie erzählte vom letzten Vorfall und berichtete auch über die Hämatome. Den Vorfall anläßlich der Vorstellung in Essen schilderte sie nicht.

Am 27.04.1995 meldete sich die Zeugin S. S. erneut bei der Kriminalbeamtin Frau J. und bat um eine Nachvernehmung, da sie einiges richtig zu stellen habe.

In dieser Nachvernehmung vom 27.04.1995 teilte S. S. Frau J. mit, daß sie bei ihren ersten Angaben nicht die ganze Wahrheit gesagt habe. Sie habe etwas weggelassen und ein Datum verändert. Auch die Sache mit dem fremden Mann im Park habe sie falsch angegeben. Sie wolle ihre Aussage jetzt richtig richtigstellen, weil sowohl ihre Vertrauenspersonen als auch Frau J. selbst mehrfach ihr gegenüber erklärt hätten, sie müsse die Wahrheit sagen. Die Zeugin berichtete weiter, daß grundsätzlich ihre Aussage gegen ihren Onkel richtig sei. Er habe sie gegen ihren Willen mehrfach vergewaltigt. Sie schilderte auch die ersten beiden Vorfälle in ihrem Zimmer, wo er sie abends "so komisch angesehen habe". Sie schilderte den Wohnwagenvorfall. Dann berichtete sie weiter, daß die erste Vergewaltigung nicht Mitte April gewesen sei, sondern einen Tag nach ihrem 18. Geburtstag. Die Zeugin schilderte dann den Vorfall, der auf der Fahrt nach Essen zu dem Vorstellungsgespräch geschehen ist. Inhaltlich schilderte sie diesen Vorfall so, wie er in den Feststellungen niedergelegt ist. In dieser Schilderung erwähnte sie die Gruppe von Jugendlichen, die in einer Entfernung der Länge eines Fußballfeldes mit ihren Fahrrädern standen. Sie schilderte die Szene, daß der Angeklagte ihr gegenüber erklärte, er müsse nachher nachsehen, wieviel Geld er dabei habe. Sie berichtete über den Fünfhundertmarkschein. Sie schilderte, daß sie ausgerastet sei. Sie erwähnte dann den Ablauf des Geschlechtsverkehrs so, wie er in den Feststellungen niedergelegt ist. Sie berichtete weiter, daß sie eine Sirene gehört habe und hoffte, daß jemand ihr zur Hilfe eilen würde. Die Beendigung dieses Vorfalles schilderte sie ebenso, wie es in den Feststellungen niedergelegt ist.

Bei dieser Vernehmung schilderte sie weiter, daß der Vorfall, den sie bisher auf den 16.04. datiert hatte, der Vorfall gewesen sei, der im Anschluß an den Kneipenbesuch in A. geschehen ist. Sie schilderte diesen Vorfall ebenfalls so, wie er unter 3. als Dachkammervorfall in den Feststellungen niedergelegt ist. Schließlich erklärt sie in dieser Vernehmung auch das Motiv, weshalb sie diese genannten Angaben in den früheren Vernehmungen falsch vorgetragen hat. Sie gab an, daß sie die erste Vergewaltigung auf den 16.04.1994 verlegt habe, weil sie zu diesem Zeitpunkt noch nicht volljährig gewesen sei. Sie habe geglaubt, daß er nicht bestraft würde für Vergewaltigungen, die er an einer Volljährigen begangen hätte. Sie habe auch Angst gehabt, daß er bis zur Gerichtsverhandlung freikomme und ihr etwas antun könne.

Diese Vernehmung wurde noch am gleichen Tage richterlich bestätigt. In dieser richterlichen Vernehmung machte sie die gleichen Angaben, wie sie sie bereits am selben Tage Frau Jansen gegenüber gemacht hatte.

In der Folgezeit wurde die Zeugin zweimal durch die Sachverständige Frau M. exploriert. Ein Gespräch fand am 26.05.1995, ein weiteres am 30.06.-1995 statt. In dem ersten Gespräch berichtete S. über die Vorfälle, wie sie in den Feststellungen enthalten sind. Sie schilderte den ersten Vorfall in ihrem Zimmer, den Wohnwagenvorfall und als erste Vergewaltigung den Vorfall anläßlich des Vorstellungsgespräches in Essen. Bei diesem Vorfall berichtete sie davon, daß der Angeklagte eine lange Unterhose getragen habe, was sie bereits bei der Vernehmung am 27.04.1995 geschildert hatte. Sie hat dann der Gutachterin gegenüber berichtet, wie sie am folgenden Tag von dem Geld, was sie in Essen von ihm erhalten hatte, einkaufte. Sie berichtete von den Ereignissen auf der Fete. Sie schilderte der Gutachterin gegenüber, wie es zur Richtigstellung der Ereignisse der ersten Vergewaltigung gekommen ist. Weiter berichtete sie den Dachkammervorfall. Sie schilderte, wie es dazu kam, daß sie einen Suizidversuch unternahm. Sie berichtete über die Ereignisse in der Klinik. Und schließlich erzählte sie der Sachverständigen die beiden Vorfälle anläßlich der Diskothekenbesuche. Auch den Nikolausvorfall und den Weihnachtsvorfall schilderte sie. Insgesamt beschrieb sie die Ereignisse so, wie sie in den Feststellungen niedergelegt sind. Soweit einzelne Varianten vorkamen, wird darauf in der Beweiswürdigung noch eingegangen werden. In dem Gespräch vom 30.06.1995 wurden die Dinge noch einmal vertieft.

III.

In den Sommermonaten des Jahres 1995 - der Prozeß gegen den Vater der Geschädigten, A. S., war abgeschlossen - verbesserte sich der Gesundheitszustand der Zeugin zunehmend. Es konnte gewagt werden, sie aus der Klinik in P. zu entlassen. Gleichzeitig wurde versucht, für die Zeugin einen Ausbildungsplatz zu beschaffen. Deshalb zog die Zeugin Anfang August 1995 nach Osnabrück, wo sie zunächst als Praktikantin im Bereich MTA tätig war. Sie war in einer Wohngruppe des betreuten Wohnens untergebracht, lebte aber im wesentlichen selbständig.

Gegen den Angeklagten war durch die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Osnabrück am 18.07.1995 Anklage erhoben und das Verfahren war durch die Kammer am 14.08.1995 eröffnet worden. Die Hauptverhandlung sollte am 29.08.1995 vor der Jugendkammer stattfinden. Zu diesem Termin war die Zeugin S. S. geladen. In der Hauptverhandlung am 29.08.1995 hat die Zeugin umfangreiche Angaben gemacht. Sie hat die Vorfälle ausführlich geschildert, und zwar so, wie sie in den Feststellungen niedergelegt sind. Lediglich hinsichtlich des Vorfalles in Essen hat die Zeugin angegeben, daß der Angeklagte lange Unterhosen getragen habe. Diese Angabe war zu diesem Zeitpunkt von der Zeugin bewußt falsch. Sie hatte sich erinnert, daß sie einem Irrtum erlegen war, als sie bereits am 27.04.1995 und später bei Frau M. davon gesprochen hatte, der Angeklagte habe bei diesem Vorfall lange Unterhosen getragen. Ihr fiel das wieder ein, daß das nicht zutreffend war, traute sich aber nicht, zu diesem Zeitpunkt ihre falsche Angabe gegenüber der Kriminalpolizei, der Richterin und der Sachverständigen zu korrigieren. Sie befürchtete, wenn sie diese Angabe korrigieren müßte, würde man ihr nicht glauben.

Nachdem in diesem Verfahren die Kammer im wesentlichen die Beweisaufnahme durchgeführt hatte, kam es zwischen dem ursprünglichen Verteidiger des Angeklagten und dem Angeklagten zu einem Vertrauensbruch, der dazu führte, daß die Hauptverhandlung zunächst unterbrochen werden mußte. Dem Angeklagten wurde Gelegenheit gegeben, seinen jetzigen Verteidiger zu beauftragen. Der neue Verteidiger stellte den Antrag, die Hauptverhandlung auszusetzen, um ihm Gelegenheit zur Einarbeitung in das umfangreiche Material und vor allem das Gutachten der Sachverständigen zu geben. Diesem Antrag hat die Kammer stattgegeben und neuen Termin zur Hauptverhandlung auf den 28.11.1995 anberaumt, wobei von vornherein weitere Fortsetzungstermine ins Auge gefaßt wurden.

Der Abbruch der Hauptverhandlung und die damit verbundene Gewißheit, daß die Zeugin erneut vorgeladen werden würde, führte bei S. S. zu einem psychischen Zusammenbruch. Sie mußte erneut stationär psychiatrisch behandelt werden. Die Zeugin wurde in das Landeskrankenhaus Osnabrück eingeliefert, wo sie zum S.e ihrer Person zunächst auf der geschlossenen Abteilung behandelt wurde. Behandelnder Arzt war Dr. Witte, der die Zeugin von Anfang September über die Hauptverhandlungstermine hinaus bis zum gegenwartigen Zeitpunkt behandelte. Dr. Witte hat bei der Zeugin eine schwere posttraumatische Belastungsstörung mit einer erheblichen Störung der Gefühlswelt diagnostiziert. Andere, während der Hauptverhandldung diskutierte Erkrankungen waren für Dr. Witte nach den von ihm durchgeführten Untersuchungen und nach den lang andauernden Beobachtungen im Landeskrankenhaus nicht feststellbar. So zeigte die Zeugin gegenüber den behandelnden Ärzten im Landeskrankenhaus keinerlei Wahnsymptome. Es lag auch keine Borderlinestörung vor. Sie berichtete nie über Störungen, die in den Bereich der Wahnsymptomatik und der Halluzinationen einzuordnen sind. So hat sie nie davon gesprochen, daß sie etwa Stimmen höre, daß nachts auf sie eingeredet werde oder daß sie irgendwelche Aufträge von fremden Mächten erhalte. Alle diese Symptome sind zu erwarten, wenn eine Patientin an einer solchen Erkrankung leidet. Während der Beobachtungsdauer ist nie ein Zweifel daran aufgekommen, daß es sich bei der Zeugin um eine beständige, ehrliche Patientin handelt, die nie unter hysterischen Persönlichkeitsstörungen litt.

C. Beweiswürdigung.

I.

Der Angeklagte hat sich am Ende der Beweisaufnahme zur Sache eingelassen, nachdem er zunächst von seinem Russageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hat. Er hat zunächst grundsätzlich bestritten, daß es je zu sexuellen Handlungen an seiner Nichte gekommen sei. Ihm seien die Vorwürfe unerklärlich. Zutreffend sei, daß S. ihm beim Wohnwagen aufräumen geholfen habe. Es sei möglich gewesen, daß er mit dem Handrücken während dieser Tätigkeit eher zufällig an die Brust der geschädigten Zeugin gelangt sei. Es sei immerhin sehr eng im Wohnwagen gewesen. Die Fahrt nach Essen habe stattgefunden. Die Schilderungen von S. dazu verstehe er nicht. S. habe nach dem Auszug aus dem Elternhaus in seinem Zimmer geschlafen. Aber der von S. geschilderte Dachkammervorfall habe nicht stattgefunden. Im übrigen halte er auch nichts davon, Alkohol zu trinken. Für ihn sei Alkohol Gefühlsbeschleuniger. Es sei nach seiner Erinnerung so gewesen, daß sie anläßlich des Schießfestes erheblich Alkohol konsumierte und sich dann auf J. Rohr geworfen habe. Der Alkohol habe ganz offensichtlich enthemmend gewirkt. Es sei im übrigen nur alles ihre Aussage. Richtig sei, daß er sie einmal von dem Krankenhaus abgeholt habe. Er könne sich auch nicht vorstellen, wie der Vorfall anläßlich des Weihnachtsfestes stattgefunden haben soll. Hinsichtlich des Vorfalles anläßlich des Diskothekenbesuches in Tange hätte die Zeit gar nicht ausgereicht, S. zu vergewaltigen. Er habe nach wenigen Minuten nach dem Telefonat seine Schwester E. abgeholt. Es sei richtig, daß er S. mehrfach im Krankenhaus besucht habe. Er habe häufiger mit ihr Gespräche über Gott und über Religion geführt. Er habe ihr auch angeboten, mit ihr über die Vorfälle bezüglich A. S. zu sprechen, nachdem dieser verhaftet worden war. Er könne sich daran erinnern, daß sie im Krankenhaus eine Tabelle geschrieben habe, auf der sie die Personen benennen solle, die ihr am liebsten und die, die ihr am wenigsten gefielen. Es sei richtig, daß ihr Vater und er selbst den untersten Rang eingenommen, hätten. Er könne sich das nur so erklären, daß sie schlechte Erfahrungen gemacht habe, weil er, der Angeklagte, wohl der einzige aus der Familie war, der sie besuchte. Es sei richtig, daß er von seiner Schwester erfahren habe, daß S. Angst vor Männern habe. Es sei auch zutreffend, daß er vom Krankenhaus gebeten worden sei, S. nicht mehr zu besuchen. Er sei dann auch weggeblieben. Die äußeren Umstände, die S. geschildert habe, seien alle zutreffend. Nur seien die Taten nicht geschehen. Es sei auch richtig, daß er der S. einen Fünfhundertmarkschein zur Finanzierung der Geburtstagsfete überlassen habe. Er wisse nur nicht mehr genau; wann er ihr den Schein überreicht habe. Er habe sich nichts vorzuwerfen. Er habe stets S. S. beschützt, vor allen Dingen immer dann, wenn A. S. brutal war.

II.

Die Kammer stützt die Feststellungen auf die Aussage der Zeugin S. S.. Sie hat in umfangreichen Vernehmungen und in der Hauptverhandlung den Sachverhalt so geschildert, wie er in den Feststellungen niedergelegt ist. Diese Aussage ist auch glaubhaft.

1.

Die Kammer ist bei der Bewertung der Aussage der Zeugin gerade wegen der Besonderheit dieses Falles, nämlich der Belastung zweier Familienangehöriger, mit besonderer Vorsicht an die Prüfung des gesamten Beweisergebnisses herangegangen.

Die Kammer hat zunächst versucht, Fehler in der Aussage herauszuarbeiten, deren Vorliegen derartige Zweifel an der Gesamtaussage hätten begründen können, daß schon aus diesem Grunde die Angaben der Zeugin nicht tragfähig gewesen waren.

S. hat zunächst einmal Falschaussagen im Rahmen der verschiedenen Vernehmungen eingeräumt. Zu nennen sind in diesem Zusammenhang

- die falsche Angabe des ersten Geschlechtsverkehrs am 16.04.1995;

- der fremde Mann;

- das Weglassen des Vorfalles anläßlich des Vorstellungsgespräches;

- die bewußte Lüge hinsichtlich der langen Unterhose.

In diesen Aussageteilen hat die Zeugin eingestanden, falsch ausgesagt zu haben. Dieses wiegt für sich genommen sehr schwer. Andererseits hat die Zeugin durch die "Richtigstellung" ihrer falschen Angaben eigenes Fehlverhalten eingeräumt. Sie hat das generell damit begründet, daß sie ein schlechtes Gewissen gehabt habe und wirklich nur habe die Wahrheit sagen wollen. Darüberhinaus hat sie hinsichtlich jedes einzelnen Falschaussagekomplexes ihre Motivation dargetan.

Die Kammer hat sich zunächst die Frage gestellt, welche Wertigkeit die Richtigstellung der Aussage der Zeugin für die Zeugin hatte. Hier ist festzuhalten, daß die Korrekturen der Angaben der Zeugin im wesentlichen von dieser spontan getätigt wurden. Es ist nicht so, daß die Zeugin aufgrund eines endrückenden, gegenteiligen Beweisergebnisses veranlaßt wurde, ihre Aussage zu verändern. Sie ist am 27.04.1995 von sich aus zur Kriminalpolizei gegangen und hat die Fehler offenbart. Der äußere Anlaß für dieses Ereignis war, wie sie selber eingeräumt hat, daß sie auf ihre Wahrheitspflicht mehrfach hingewiesen worden ist. Es ist also nicht so, daß die Zeugin aufgrund der durch die Polizei getätigten Ermittlungen zur Korrektur der Angaben "gezwungen" worden wäre. Dies gilt auch im Hinblick auf die Angaben bezüglich der langen Unterhosen des Angeklagten. Zwar ist im Termin vom 29.08.1995 das Problem der langen Unterhosen erörtert worden. Es sind auch damals Zeugen dazu gehört worden. Die Frage stand aber nach wie vor noch im Raum. Die Zeugin hat in der Hauptverhandlung vor der Kammer von sich aus sofort bei der Vernehmung zu diesem Komplex kundgetan, daß sie am 29.08. in diesem Punkt bewußt falsche Angaben gemacht hat. Dieses Eingeständnis war zu diesem Zeitpunkt nicht zwingend. Erkennbar war der Wunsch der Zeugin, tatsächlich nur wahrheitsgemäße Angaben zu machen.

Hinsichtlich der einzelnen falschen Darstellungen hat die Zeugin Gründe vorgetragen, warum sie sich so und nicht anders verhalten hat. Diese von ihr vorgetragenen Gründe sind aus der besonderen Situation der Zeugin heraus nachvollziehbar. Die Angabe des falschen Datums des ersten Geschlechtsverkehrs hat sie damit begründet, daß sie irrtümlich der Auffassung gewesen sei, eine Vergewaltigung eines volljährigen Mädchens sei nicht bzw. nur geringfügig strafbar. Deshalb habe sie die erste Tat vor ihrem 18. Geburtstag eingeordnet. Die insoweit vorgetragene Begründung zeigt zwar, daß die Zeugin ein Interesse daran hat, den Angeklagten strafrechtlich zur Verantwortung gezogen zu wissen. Dieses spricht nicht für ihre Neutralität. Andererseits ist aber aus ihrer Situation heraus verständlich, daß sie sich so verhält. Die Zeugin ist durch ihren Vater und in der Folgezeit durch den Angeklagten schwerst gedemütigt worden. Sie hatte bei ihrer Großmutter Zuflucht gesucht vor den übergriffen des Vaters. Die Unterkunft bei den Großeltern schützte sie zwar vor ihrem eigenen Vater, aber anstelle des Vaters trat nun eine andere Person, nämlich der Angeklagte, der die Taten des Vaters durch eigene Taten - unterstellt in diesem Zusammenhang, die Taten sind geschehen - fortsetzte. Daß die Zeugin unter diesen Umständen verzweifelte und deshalb auch bemüht war, den Angeklagten zur Verantwortung ziehen zu lassen, ist verständlich.

Auch die Erklärung, mit einem fremden Mann sei etwas gewesen, ist nachvollziehbar. Diese Erklärung ist abgegeben worden im Hinblick auf die übergriffe des Vaters. Als die Zeugin das erste Mal darüber sprach, daß mit einem "fremden" Mann etwas gewesen sei, hatte sie den Angeklagten noch nicht angezeigt. Diese ersten Äußerungen tat sie im Rahmen von Gesprächen mit S. M., in denen die Ereignisse mit dem Vater erörtert wurden. Sie wiederholte dann bei anderen Personen wie Frau L. und Dr. C. und schließlich auch Frau W. diese Angaben. Falsch an diesen Äußerungen war, daß die Zeugin den Mann, der etwas mit ihr gehabt habe, als fremd bezeichnete. Dieses ist aber zu dem Zeitpunkt, als die Äußerung getätigt wurde, nachvollziehbar. Sie hatte den Angeklagten noch nicht als Täter offenbart. Sie hatte Angst davor, dieses zu tun. Der Angeklagte war der Beschützer der Familie und half insbesondere in der Situation nach der Verhaftung des Vaters, der Mutter auch bei finanziellen Dingen. Der Angeklagte war der Liebling der gesamten Familie und hatte auch für die Zeugin in dem gesamten Beziehungsgeflecht der Familie M. einen hohen Stellenwert. Ihr war zu diesem Zeitpunkt bewußt, daß sie bei einer Anzeige des Angeklagten ihre Familie verlieren würde. Sprechen konnte sie darüber aber noch nicht. Unter Berücksichtigung dieses Aspektes ist nachvollziehbar, daß sie von den Taten des Angeklagten als Taten eines fremden Mannes sprach.

Auch der Umstand, daß die Zeugin den tatsächlichen ersten Vergewaltigungsvorfall anläßlich der ersten richterlichen Vernehmung weggelassen hat, ist aus der Situation der Zeugin und ihrer Darstellung heraus schlüssig. Die Zeugin hatte stets als ersten Vorfall den sogenannten Dachkammervorfall zeitlich vordatiert. Sie war davon ausgegangen, daß eine Vergewaltigung einer Volljährigen nicht in dem Maße strafbar sei, wie die Vergewaltigung einer Minderjährigen. Konsequenterweise ließ sie diesen Vorfall, der einen Tag nach ihrem Geburtstag zur Volljährigkeit geschah, weg.

Hinsichtlich der Falschaussage bezüglich der langen Unterhose hat die Zeugin angegeben, daß sie sich ursprünglich bei der Vernehmung am 27.04. und bei dem Explorationsgespräch bei Frau M. am 26.05.1995 schlicht geirrt habe. In der Hauptverhandlung vom 29.08. sei ihr dieser Irrtum bewußt gewesen. Sie habe aber geglaubt, wenn sie diesen Irrtum einräume, daß man ihr die Vorfälle insgesamt nicht mehr glauben würde. Deshalb sei sie bei dieser Darstellung geblieben, fluch diese Erklärung ist nachvollziehbar. Zunächst einmal ist es immer möglich, sich zu irren. Die daraus von der Zeugin gezogene Konsequenz ist ebenfalls aus der Laiensphäre verständlich. Die Zeugin selbst kennt die Vorgänge und Überlegungen nicht, die angestellt werden, um eine Aussage zu beurteilen. Sie weiß daher auch nicht, daß ein Irrtum in einem einzelnen Punkt und ein entsprechender Hinweis auf den Irrtum die Glaubhaftigkeit einer Aussage nicht generell in Zweifel zieht, sondern nur dann Zweifel geboten sind, wenn noch besondere Umstände hinzukommen.

Insgesamt läßt sich mithin feststellen, daß die von der Zeugin eingeräumten falschen Angaben erklärbar sind und deshalb nicht geeignet sind, die Aussage für sich genommen als ungeeignet zu qualifizieren. Die Umstände dieser falschen Angaben haben aber möglicherweise noch Bedeutung im Hinblick auf die Erörterung einer möglichen krankheitsbedingten Falschbelastung. Insoweit wird darauf noch einmal zurückzukommen sein.

2.

Die Kammer hat weiter geprüft, ob die im übrigen durchgeführte Beweisaufnahme objektive Kriterien erheben hat, die die Aussage der Zeugin S. S. widerlegen. Zu denken ist in diesem Zusammenhang an

- die Einkaufssituation anläßlich der von S. gefeierten Geburtstagsfete;

- die Geschehnisse anläßlich der Geburtstagsfeier und des Schießfestes;

- die Frage, sind die fotografisch gesicherten blauen Flecken von Lage, Ausmaß und Verfärbung mit der von S. als Ursache angegebenen Darstellung vereinbar.

a) S. S. hat angegeben, anläßlich des Vorfalles in Essen von ihrem Onkel einen Fünfhundertmarkschein zur Finanzierung der Geburtstagsfete, die am folgenden Tag gefeiert werden sollte, erhalten zu haben. Wenn nun hätte bewiesen werden können, daß S. diesen Fünfhundertmarkschein bereits vor der Fahrt nach Essen erhalten hätte, dann wäre die Aussage der Zeugin S. S. in einem wesentlichen Punkt über die bereits festgestellten Falschangaben hinaus mangelhaft. Die daraus resultierenden Zweifel hätten massive Auswirkung auf die Glaubhaftigkeit der restlichen Angaben haben könne. Deshalb hat die Kammer sich ausführlich durch die Vernehmung verschiedener Zeugen mit der Einkaufssituation beschäftigt.

Nach der Darstellung von S. hat sie vor dem 04.05.1994 vor allem mit A. M. Getränke eingekauft. Diese Getränkekisten wurden dann in dem Zimmer von A. M. gelagert. Diese Darstellung hat A. M. bestätigt. Hinzu kommt, daß A. M. die Getränke bezahlt hat. Sie wußte zu diesem Zeitpunkt noch nicht, daß der Angeklagte die Fete finanzieren würde.

S. selbst vermochte sich in den verschiedenen Befragungen zur Einkaufssituation nicht mehr genau zu erinnern. Sicher aber war sie sich, daß sie am Freitag mit T. N. einkaufen war und vom Combimarkt einige Flaschen hochprozentigen Alkohols besorgt hatte. Sie schilderte die Situation so, wie sie in den Feststellungen niedergelegt ist. Zu dieser Frage hat die Kammer T. N. gehört. T. N. hat bestätigt, daß sie gemeinsam mit S. von der Schule abgeholt worden sei und von dort aus nach P. zum Combi gefahren sei. Abgeholt worden seien sie von dem Onkel.

T. N. wurde dann befragt, wann dieses Ereignis denn stattgefunden habe. T. wußte von sich aus nicht sicher zu sagen, an welchem Tag eingekauft wurde. Sie meinte, daß sei ein paar Tage vor der Fete gewesen. Die Fete sei an einem Freitag gewesen, der Geburtstag sei am 04.05., einem Mittwoch gewesen. T. N. überlegte dann kurz und erklärte, daß sie wohl am Donnerstag einkaufen gewesen seien. T. wurde dann vorgehalten, daß S. S. am Donnerstag in Essen zum Vorstellungsgespräch gewesen sei und infolgedessen gar nicht vormittags die Schule besucht habe. Daraufhin ergänzte T. N. ihre Aussage, daß sie sich erinnere, daß S., bevor sie Geburtstag gehabt hätte, ihr erzählt hätte, daß sie 500,00 DM von dem Onkel bekommen würde, um davon ihre Fete zu finanzieren. Sie erklärte dann, daß dann wohl der Einkauf auf ihrem Geburtstag gewesen sei. An dem Freitag könne es auf keinen Fall gewesen sein, weil sie an dem Tag nicht abgeholt worden seien. Freitag wisse sie ganz genau, weil es nicht geregnet habe. Sie habe nämlich noch nachts Freundinnen auf der Fete verabschiedet, da sei die Straße trocken gewesen. Im übrigen habe Sandra Belling ihr auch gesagt, daß sie gehört hätte, daß S. bereits vor der Geburtstagsfeier von 500,00 DM gesprochen habe. Zutreffend sei aber, daß S. sich nicht getraut habe, den Fünfhundertmarkschein an der Kasse vorzulegen.

Die Kammer konnte die Aussage von T. N. nicht den Feststellungen zugrundelegen, da sie nicht auf einer konkreten Erinnerung beruhte. Erkennbar war ihr Bemühen, festzuhalten, daß S. das Geld vor der Fahrt nach Essen bereits von ihrem Onkel erhalten haben müßte.

Die Zeugin hat sicher erinnert, daß S. S. mit einem Fünfhundertmarkschein die hochprozentigen Alkoholgetränke bezahlen mußte. Sie erinnerte auch, daß S. sich nicht traute, den Fünfhundertmarkschein vorzulegen. Sie wußte aber nicht mehr, zu welchem Zeitpunkt dieser Einkauf stattgefunden hatte. Sie versuchte durch Rekonstruktionen, den Einkauf einige Tage vor die Fete zu verlegen. Diese Rekonstruktion erwies sich aber als ungeeignet, denn sicher war, daß T. N. und S. S. an dem eigentlichen Geburtstag nicht von der Schule abgeholt wurden und nachmittags einkaufen waren. S. S. hat an diesem Nachmittag im Hause ihrer Großeltern ihren eigentlichen Geburtstag mit ihrer Mutter und den übrigen Angehörigen bei Kaffee und Kuchen nachmittags gefeiert. Donnerstags konnte S. nicht gemeinsam mit T. N. von der Schule abgeholt werden, weil sie wegen des Vorstellungsgespräches vormittags die Schule nicht besuchte. Anhaltspunkte dafür, daß dieser Einkauf sich vor dem 04.05. ereignet haben könnte, sind nicht ersichtlich. Keiner der Zeugen hat dieses angegeben. Selbst T. N. sprach nicht davon, daß sie vor dem 04.05.-1994 gemeinsam mit S. S. einkaufen war. Sie berichtete lediglich davon, daß sie vor dem 04.05. gehört haben will, daß S. angeblich 500,00 DM zur Finanzierung der Fete von ihrem Onkel erhalten werde. Es bleibt also der Freitag, den S. S. so, wie er in den Feststellungen niedergelegt ist, geschildert hat. Es war auch möglich, denn die Aussage von T. N., am Freitag habe es in P. nicht geregnet, ist nicht zutreffend. Abgesehen davon, daß eine Aussage darüber, ob es tagsüber geregnet hat, nicht darauf gegründet werden kann, daß nachts die Straßen trocken sind, hat die vom Verteidiger eingeholte Stellungnahme des Deutschen Wetterdienstes ergeben, daß es durchaus in den Mittagsstunden auch im P.er Raum Schauer gegeben haben kann. Im einzelnen heißt es in dem Gutachten des Deutschen Wetterdienstes vom 13.12.1995:

"Gutachten über Niederschlagsverhältnisse im Raum P. vom 02.05. bis 07.05.1995./Ihr Schreiben vom 06.12., 12.12. und 13.12.1995.

Sehr geehrte Frau M.,

anhand der aus P. und seiner Umgebung vorliegenden Beobachtungsunterlagen und der Wetterkarten des Deutschen Wetterdienstes erteilen wir Ihnen das folgende amtliche Gutachten:

Am 02. Mai 1994 lag Niedersachsen im Einfluß eines von der Nordsee langsam ostwärts wandernden Hochdruckgebietes. Nach den Aufzeichnungen der Niederschlagsstation des Deutschen Wetterdienstes in P. blieb es den ganzen Tag über trocken.

Am 03.05.1994 schwächte sich die jetzt mit ihrem Schwerpunkt über dem Ostseeraum liegende Hochdruckzone allmählich ab. Es trat aber im Raum P. noch kein Niederschlag auf.

In der Nacht zum 04.05.1994 griffen dann die Fronten eines Tiefs bei Schottland von Westen her auf Niedersachsen über und überquerten das Gebiet ostwärts. Die Niederschlagsstation P. meldete vormittags und abends, allerdings ohne genauere Zeitangabe, leichten Regen oder Sprühregen. Der Zeitbegriff "vormittags" bezieht sich auf den Zeitraum von 07.30 Uhr bis 12.00 Uhr; der Zeitbegriff "abends" entspricht der Zeit von 18.00 Uhr bis 22.30 Uhr. Bitte beachten Sie, daß an unseren Niederschlagsstationen nur einmal täglich und zwar jeweils um 07.30 Uhr morgens, die Niederschlagsmengen der vergangenen 24 Stunden festgestellt werden. So wurde am 05.05.1994 an der Station P. eine Niederschlagsmenge von 2,5 mm gemessen. Diese Menge ist im Zeitraum von 07.30 Uhr am 04.05. bis 07.30 Uhr am 05.05.1994 aufgetreten. Ein Millimeter Niederschlag entspricht einer Wassermenge von 1 l/qm.

Im Laufe des 05.05.1994 setzte sich vorübergehend leichter Zwischenhocheinfluß durch. Dabei blieb es den Beobachtungen der Niederschlagsstation P. zufolge trocken. Allerdings meldete die nächstgelegene Klimastation D., an der dreimal täglich Niederschlagsmessungen durchgeführt werden, über Mittag einen mäßigen Regenschauer. Der Zeitbegriff "Mittag" bezieht sich auf die Zeit von 12.00 Uhr bis 15.30 Uhr. Zum Meßtermin um 15.30 Uhr wurde in D. immerhin eine Niederschlagsmenge von 0,6 mm ermittelt.

Bitte beachten Sie, daß Schauerniederschläge eine ausgeprägte räumliche und zeitliche Variabilität aufweisen können und so von unserem relativ weitmaschigen Meßnetz nicht immer erfaßt werden. Bei der gegebenen Wettersituation ist nicht völlig auszuschließen, daß auch im Raum P., insbesondere in den Mittagsstunden, noch vereinzelte Regenschauer auftraten. Ob dies tatsächlich der Fall war und um welche Niederschlagsintensitäten es sich genau handelte, läßt sich jedoch nicht mehr rekonstruieren.

Am 06.05.1995 zogen dann die Ausläufer eines Tiefs bei Island über Norddeutschland hinweg. Die Station P. registrierte nachmittags und abends Regen. Der Zeitbegriff "nachmittags" umfaßt den Zeitraum von 15.30 Uhr bis 18.00 Uhr. Am Morgen des 07.05.1994 zum Meßtermin um 07.30 Uhr wurde hier eine 24-stündige Niederschlagsmenge von 6,8 mm gemessen.

Detailliertere Niederschlagsmessungen sind von der nächstgelegenen Klimastation D. vorhanden. Hier regnete es am frühen Vormittag bis in den späten Abend hinein. Für den Meßzeitraum von 08.30 Uhr bis 15.30 Uhr am 06.05.1994 kamen in D. 3,7 mm, im Meßzeitraum von 15.30 Uhr bis 22.00 Uhr dann nochmals 3,6 mm Regen zusammen. In der Nacht von 22.00 Uhr am 06.05.1994 bis 08.30 Uhr am 07.05.-1994 blieb es dann trocken. Für den 24-stündigen Zeitraum von 08.30 Uhr am 06.05.1994 bis 08.30 Uhr am 07.05.1994 fielen an der Klimastation D. 7,8 mm Regen. Aufgrund der Wetterlage können wir nicht ausschließen, daß es im Raum P. auch am Vormittag des 06.05.1994 zumindest örtlich, zeitweise geregnet hat. Eine genauere zeitliche Aufschlüsselung des Niederschlagsverlaufes ist mit den vorhandenen Informationen allerdings nicht mehr möglich."

Aus diesen Informationen des Deutschen Wetterdienstes läßt sich nicht schließen, daß die Aussage der Zeugin S. S., am Freitag habe es zur fraglichen Zeit des Schulschlusses einen heftigen Schauer gegeben, widerlegt ist. Es spricht also einiges dafür, daß die Angaben von S. S. hinsichtlich des Einkaufsverhaltens zutreffend sind. Hinzukommt, daß sich A. M., die sich zunächst dahingehend geäußert hatte, daß sie am Freitagnachmittag mit S. kurz nach Dienstschluß gegen 15.30 Uhr Einkaufen gewesen sei, verbessern mußte, dahingehend, daß sie bis 17.00 Uhr gearbeitet habe. Dieses habe sie an der Stempelkarte festgestellt. Das bedeutet, daß A. M. erst am Freitag nach 17.00 Uhr mit S. S. zusammen noch einmal einkaufen konnte. S. selbst konnte sich an den Einkauf am Freitagabend mit A. nicht erinnern. Sie glaubte, sie hätte Salate zubereitet.

Weiter hat die Kammer die Zeugin Sandra Belling gehört. Sandra Belling besuchte eine Parallelklasse von S. S. in der Realschule. In der Sozialpflegeschule war sie in der Klasse von S.. Sandra Belling war von S. S. zur Feier eingeladen worden. Sie gab an, daß sie zu keinem Zeitpunkt gehört habe, wie die Feier finanziert werden solle. So wisse sie auch nicht, daß der Onkel Geld für die Feier zur Verfügung gestellt habe. Daraus ergibt sich, daß Sandra Belling T. N. nicht erzählt hat, sie hätte von S. vor dem Geburtstag gehört, sie bekäme vom Onkel 500,-- DM.

Schließlich hat die Kammer noch A. B. gehört, die angegeben hat, daß sie zusammen am Donnerstagabend mit S. versucht habe, Salate und Chips zu kaufen. Sie habe dann S. aber empfohlen, am nächsten Tag diese Dinge zumindest teilweise bei Aldi zu kaufen, da sie dort günstiger seien.

Unter Beachtung der Angaben der zu diesem Komplex vernommenen Zeugen ergibt sich für die Kammer nicht, daß die Angaben von S. S. hinsichtlich des Einkaufsverhaltens widerlegt worden sind. Es ergibt sich vor allen Dingen nicht, daß S. S. vor der Fahrt nach Essen über Geld von dem Angeklagten, insbesondere über einen 500,-- DM-Schein, verfügte. Es ergibt sich auch nicht, daß S. S. ihren Freundinnen gegenüber von einer solchen Summe vor der Fahrt nach Essen gesprochen hat.

b) Die Kammer hat weiter geprüft, ob sich Anhaltspunkte dafür erkennen lassen, daß die von S. geschilderten Ereignisse auf der Fete sich anders abgespielt haben. S. S. berichtete, sie sei schlechter Stimmung sowohl wegen J. als auch wegen ihrer Gesamtsituation gewesen. Sie habe sich entschlossen, ihrem Leben ein Ende zu machen und darüber auch ihre Mutter informiert. Diese habe gefragt, weshalb sie das tun wolle. Sie habe darauf geantwortet: "wegen Papa und 'dem' da." Sie habe dabei auf den Angeklagten gezeigt. Es sei danach zu einer verbalen Auseinandersetzung zwischen ihrer Mutter und dem Angeklagten gekommen, die schließlich dazu geführt habe, daß einige ihrer Freundinnen erklärt hätten, der Angeklagte würde die ganze Fete verderben.

Zu diesem Komplex ist die Zeugin E. S. vernommen worden. Sie hat vor der Kammer erklärt; daß sie sich nicht erinnern könne, daß S. ihr gegenüber von Selbstmord gesprochen hat. Die Aussage der Zeugin E. S. ist nicht geeignet, diesen Teilaspekt der Aussage der S. S. als widerlegt anzusehen. E. S. sprach davon, daß sie sich nicht erinnere, mit S. über dieses Problem gesprochen zu haben. Sie hat nicht angefügt, daß es aus ihrer Sicht ausgeschlossen sei, daß S. so etwas gesagt habe. Die Kammer hatte bei E. S. den Eindruck, daß sie sich in einer äußerst schwierigen Situation befand. Einerseits war sie bemüht, ihrem Bruder zu helfen. Andererseits sah sie durchaus, mit welchen Problemen S. zu kämpfen hatte, nachdem sich die Familie von ihr vollständig abgewendet hatte. Es war zu spüren, daß der Zeugin E. S. es in dieser Situation gelegen kam, sich nicht an dieses Gespräch erinnern zu können.

Obwohl alle Zeugen von einem Streit zwischen E. S. und dem Angeklagten nicht bemerkt haben, war die Gesamtsituation dennoch auffallend. Dies ergibt sich daraus, daß S. sich mit einer Flasche Fruchtschnaps nach draußen begab, woraufhin ihr die Freundinnen erklärten, daß der Angeklagte durch sein Verhalten die Feier stören würde. Weiter kam es dazu, daß die Zeugin tatsächlich in den nachfolgenden Minuten ihr Zimmer aufsuchte, Tabletten an sich nahm und versuchte, sich damit das Leben zu nehmen. J. R. und B. waren der Zeugin gefolgt, wie J. R. geschildert hat. Sie haben bemerkt, daß die Zeugin Tabletten in einem Gefrierbeutel gehortet hatte. Diese hat schließlich J. R. S. weggenommen hat. T. N. hat die Tabletten dann in die Toilette geworfen. Der Ablauf der Ereignisse ist von T. N. und J. R. bestätigt worden.

Demgegenüber hat die Zeugin B. S. angegeben, von dem Selbstmordversuch nichts mitbekommen zu haben. Diese Aussage widerspricht den Angaben von J. R. und T. N.. Die Kammer ist der Auffassung, daß in diesem Punkt den Angaben von J. R. und T. N. eher Glauben zu schenken ist, als den Angaben von B. S.. B. S. war bemüht, den Angeklagten zu entlasten. Das tat sie dadurch, daß sie in vielfältiger Weise das Verhalten von S. S. als "unmöglich" darstellte. Sie sei hinter Männern her gewesen und habe mit aller Gewalt mit J. R. den Geschlechtsverkehr ausüben wollen. Sie nimmt diese Beobachtungen zum Anlaß, S. in ihrer Integrität abzuwerten und daraus die Lügenhaftigkeit der Angaben von S. zu beweisen. So hat sie vor allen Dingen die Ereignisse auf dem Schießfest in drastischer Weise zu übertreiben versucht. Sie schilderte zum Beispiel, daß S. S. die ganze Zeit in der Gaststätte ... über den Kauf von Kondomen geredet habe. S. sei dann selbst in die Herrentoilette gegangen, um ein Kondom zu ziehen. Das habe sie beobachtet, weil die Tür zur Herrentoilette offen gestanden habe. Richtig an der Aussage der Zeugin B. S. ist in diesem Punkt, daß S. S. in der Gaststätte ... J. R. aufforderte, aus dem Automaten in der Herrentoilette Kondome zu ziehen. Richtig ist auch, daß S. S. J. R. das nötige Kleingeld dazu gab. Falsch ist aber, daß S. mit in die Herrentoilette gegangen ist und die Kondome selbst gezogen hat. Hierzu hat J. R. klar und eindeutig geschildert, daß S. an der Theke sitzen geblieben ist, während er in der Toilette die Kondome aus dem Automaten zog. Er hat auch angegeben, daß während des gesamten Vorganges die Herrentoilettentür geschlossen gewesen sei. Die Darstellung von J. R. ist in sich schlüssig und entspricht auch eher der Lebenserfahrung. Sicher ist zutreffend, daß S. J. R. animiert hat, Kondome zu kaufen. Es ist auch so, daß S. ihm das Geld dafür gegeben hat. Die Darstellung von B. S. weicht in diesem Punkt gravierend ab, was einen Hinweis darauf zuläßt, daß sie ihre Schwester als "mannstoll" darstellen will. Dieses läßt insgesamt ein schlechtes Licht auf S. werfen.

Ebenso ist es bei der Darstellung von S. S. anläßlich des von S. begangenen Selbstmordversuchs. Auch hier will B. einen die emotionale Situation von S. S. beschreibenden Aspekt nicht erinnern.

Es ergibt sich mithin, daß die von S. S. anläßlich der Geburtstagsfete beschriebenen Ereignisse von ihr zutreffend dargestellt wurden. Die dazu vernommenen Zeugen haben keine wesentliche andere Darstellung abgeben können, als S. S. es bereits geschildert hat.

c) Schließlich hat die Kammer intensiv die Frage erörtert, ob die Darstellung von S. S. hinsichtlich der Ursachen der an ihrem Körper befindlichen Hämatome, die fotografisch gesichert wurden, aus rechtsmedizinischer Sicht nachvollziehbar ist, oder ob die Hämatome, so wie sie in den Abbildungen erkennbar sind, die Darstellung von S. S. hinsichtlich ihrer Ursache widerlegen können. Die Kammer hat für die Beurteilung diese" Frage den sachverständigen Rechtsmediziner Dr. R. hinzugezogen. Dr. R. hat als Beurteilungsgrundlage die Lichtbilder eingesehen, die den Lichtbildern zugrundeliegenden Diaaufnahmen begutachtet und die zur Frage der Beschaffenheit der Hämatome gehörten Zeugenaussagen und die von S. S. berücksichtigt. Er hat in seinem zunächst erstatteten Gutachten die Auffassung vertreten, daß die am 2.3.1995 fotografierten Lichtbilder nicht Hämatome zeigen könnten, die am 18.2.1995 entstanden seien. Diese Hämatome hätten am 2.3.1995 nicht mehr sichtbar sein dürfen. Weiter erklärte Dr. R., daß die am 6.3.1995 abgelichteten Hämatome zu starke Gelb- und Braunverfärbungen gehabt hätten, als daß sie tatsächlich von einem Vorfall vom 4./5.3.1995 hätten herrühren können. Dieses Erstgutachten von Dr. R. war nicht nachvollziehbar. Es wirkte auf die Kammer widersprüchlich.

Durch die Vernehmung der Krankenschwestern und der Kriminalbeamtin stand fest, daß die ersten Lichtbilder am 02.03.1995 und die Serie der 2. Lichtbilder am 06.03.1995 gefertigt wurden.

Am 02.03.1995 waren Hämatome abgebildet. Dr. R. meinte nun, daß diese Hämatome ihrer Farbe auf den Fotos nach nicht 14 Tage alt gewesen sein könnten. Sie wären aber auf jeden Fall älter als 6 Tage.

Sichtbare Hämatome von einem Alter von 14 Tagen und mehr gäbe es bei normaler Konstitution eines Körpers nicht. Nur wenn Besonderheiten wie Fettleibigkeit oder Stoffwechselerkrankungen vorlägen, könne das anders sein. Anhaltspunkte dafür gäbe es bei der Zeugin nicht.

Die am 06.03.1995 fotografierten Hämatome zeigten ebenfalls Verletzungen, die ein höheres Alter hätten; sie wären nicht frisch, d.h. nicht nur 2 Tage alt. Ein Alter von mehr als 6 Tagen sei wahrscheinlich.

Dieses Gutachtenergebnis war in sich widersprüchlich. Auf allen Lichtbildern waren teilweise dieselben Körperteile abgelichtet. Wenn also die Hämatome von den am 06.03.1995 fotografierten Körperteilen älter als 6 Tage waren, dann hätten sie bereits am 02.03.1995 vorhanden sein müssen. Sie hätten sich dann in Form und Ausprägung am 02.03.1995 als eher frische Hämatome zeigen müssen.

Dies war aber an den Bildern nicht zu sehen. Insbesondere zeigte die rechte Brust am 02.03.1995 keine Verletzungsanzeichen.

Um in diesen Punkten Klarheit zu schaffen, hat die Kammer die Zeuginnen S. und O. ergänzend dazu vernommen. Diese Zeuginnen haben ihre Aufzeichnungen in der Krankenakte zur Auffrischung des Gedächtnisses herangezogen. Sie bestätigten trotz insistierender Frage von Dr. R., daß am 02.03.1395 kein Hämatom an der rechten Brust erkennbar war.

Nach der erneuten Vernehmung mußte der Sachverständige sein Gutachten revidieren. Er mußte feststellen, daß die Bilder 1-4 Hämatome abbildeten, die Verletzungen zeigen, die vor 8-15 Tagen der Person zugefügt wurden. Die Bilder 5-10 zeigten danach Verletzungen, die eher neu waren und höchstens ein Alter von 2-6 Tagen hatten.

Das deckt sich im übrigen mit den Bewertungen durch die Zeugen Sinningen und O. sowie durch den Zeugen Dr. K.. Dr. K. hat S. S. am 6.3.1995 gynäkologisch untersucht und die Hämatome insbesondere auf der Brust in Augenschein genommen. Nach seiner Beurteilung waren die Hämatome frisch. Die insoweit auf den Lichtbildern erkennbaren Gelb- und Braunverfärbungen in den Randbereichen der Hämatome hängen nach Meinung von Dr. K. unter Umständen damit zusammen, daß es entweder Reste der - abgesehen von der Abbildung der rechten Brust - bereits vorhandenen Hämatome waren, die durch die neuen Verletzungshandlungen wieder stärker eingeblutet sind. Es kann auch die Ausblutung in den Randbereichen der jeweiligen Hämatome eher dünn gewesen sein, so daß schon nach kurzer Zeit eine Gelb- bzw. Braunverfärbung eingetreten ist.

Insgesamt ergibt sich aus der Begutachtung des Sachverständigen Dr. R., daß die gefertigten Lichtbilder Verletzungen zeigen, die nicht den von S. S. geschilderten Ursachen widersprechen. Sie sind mit der Darstellung der Zeugin in Einklang zu bringen. Eine weitergehende Aussage dahingehend, daß die Verletzungen auf Selbstbeschädigungen zurückzuführen sein können, wie der Sachverständige Dr. R. als Meinung vertrat, war durch die Lichtbilder nicht weiter zu begründen. Diese Möglichkeit hat aber die Kammer bei der Bewertung der Gesamtaussage und der möglichen krankheitsbedingten Falschbelastung mitberücksichtigt.

d) Auch der von Dr. K. erhobene gynäkologische Befund widerspricht nicht der Einlassung der Zeugin. Aus dem erhobenen Befund läßt sich weder der Nachweis führen, daß die Zeugin Geschlechtsverkehr hatte, noch liegt der sichere Beweis vor, daß die Zeugin keinen Geschlechtsverkehr erdulden mußte. Die Beschaffenheit des Hymens ließ die Feststellung zu, daß die Zeugin hätte Geschlechtsverkehr haben können. Die Kammer hat darüberhinaus mit Dr. K. einerseits und dem Sachverständigen Dr. R. andererseits die Frage erörtert, ob der von der Zeugin in dem Verfahren gegen A. S. geschilderte Kleiderbügelfall nicht hätte Narben oder sonstige erkennbare Verletzungen an der Scheide hinterlassen müssen. Diese Frage haben beide Ärzte verneint. Nach ihren Ausführungen ist die Beschaffenheit der Schleimhäute der Scheide derart, daß Verletzungen, die durch einen harten Gegenstand wie einen Kleiderbügel in der geschilderten Weise verursacht werden, narbenlos verheilen können. Der erhobene Befund ließ auch nicht insoweit die Feststellung zu, daß dieser Vorfall sich nicht hat ereignen können. Er widersprach den Angaben der Zeugin nicht.

e) Hinsichtlich des Dachkammervorfalles ist die Zeugin K. gehört worden. Sie hat darüber berichtet, daß sie gemeinsam mit dem Angeklagten das Bett von A. M. benutzt habe. Sie sei verschiedentlich wach geworden, weil der Angeklagte laut geschnarcht habe. Sie habe aber sonst nichts bemerkt. Ob sie S. wahrgenommen habe, könne sie nicht erinnern. Diese Aussage schließt den Vorfall nicht aus. Die Zeugin war nicht ständig wach. Sie hat auch gelegentlich geschlafen, so daß sich der Angeklagte unbemerkt entfernen konnte. Von daher ist die Aussage von S. auch nicht in diesem Punkt widerlegt.

Die Prüfung der erhobenen Beweise hat also nicht dazu geführt, daß die Angaben der Zeugin S. S. schon insofern hätten als widerlegt angesehen werden können.

3. Die Kammer hatte sich mithin mit der Persönlichkeit der Zeugin einerseits und der Analyse der Aussage andererseits auseinanderzusetzen. Es war also die Frage zu stellen, ob es Anhaltspunkte in der Persönlichkeit der Zeugin gibt, die die Zeugentauglichkeit in Frage stellen. Darüberhinaus war zu prüfen, ob die Zeugin eine bewußte Falschaussage abgegeben hat oder ob sie möglicherweise Dinge schildert, die sie subjektiv als real empfindet aber die objektiv nie geschehen sind. Schließlich war zu berücksichtigen, ob die Zeugin Erlebnisse, die sie mit ihrem Vater gehabt hat, auf den Angeklagten überträgt oder ob es krankheitsbedingte Fehlinterprätationen von alltäglichen Situationen gegeben hat, die von der Zeugin dann mit sexuellem Inhalt unterlegt werden.

a) Zur Beurteilung dieser Fragen hat sich die Kammer zunächst einmal mit der Aussagetüchtigkeit der Zeugin auseinandergesetzt.

Die Kammer hat die Zeugin im Laufe der mehrtägigen Hauptverhandlung an mehreren Tagen vernommen. Sie hatte Gelegenheit, die Zeugin dabei zu beobachten. Die gezeigten Reaktionen auf Fragen der Nebenklage und der Verteidigung waren dabei zu berücksichtigen ebenso wie die von den Sachverständigen Frau L. und Dr. C. sowie Dr. Witte abgegebenen Beurteilungen des Krankheitsbildes.

Bevor die Zeugin zur Sache vernommen wurde, hat die Kammer die Betreuerin der Zeugin, die Diplompsychologin Ulrike K., zu dem psychischen Zustand der Zeugin S. S. befragt. Diese Befragung ergab, daß S. S. durch den Prozeß einer starken Belastung ausgesetzt war. Sie mußte deshalb in dem Landeskrankenhaus wieder auf der geschlossenen Abteilung behandelt werden, um S. S. vor sich selbst zu schützen. Bei dieser Sachlage erwartete die Kammer eine stark belastete, psychisch labile Zeugin. Dieses zeigte sich auch insbesondere zu Beginn der Vernehmung der Zeugin. Die Zeugin saß in sich zurückgezogen am Tisch und traute sich nicht, die Verfahrensbeteiligten anzublicken. Ersichtlich war, daß sie unter starkem Streß stand und es ihr infolgedessen nur schwer gelang, sich auf die gestellten Fragen zu konzentrieren. Die Kammer fragte daraufhin die Zeugin, ob die allgemeine Prozeßsituation ihre starke Anspannung begründe oder ob andere Einflüsse vorgelegen haben, die sie derart beunruhigt hätten. Es stellte sich dann durch Erklärung der Nebenklägervertreterin heraus, daß die Zeugin vor dem Sitzungssaal zufälligerweise den Geschwistern des Angeklagten begegnet war. Obwohl es bei dieser Begegnung zu keinen gegenseitigen Äußerungen gekommen war, hatte doch allein die visuelle Konfrontation mit den Angehörigen des Angeklagten die Zeugin derart schockiert, daß sie zunächst einen gewissen Zeitraum benötigte, um die Fassung wiederzugewinnen. In der Folgezeit wurde dieser besonderen psychischen Belastung der Zeugin dadurch entgegengetreten, daß die Angehörigen des Angeklagten von sich aus eine Begegnung mit der Zeugin vermieden. Für alle Verfahrensbeteiligten war die emotionale Beteiligung der Zeugin aufgrund dieser flüchtigen Begegnung beeindruckend.

Nachdem sich die Zeugin wieder gefaßt hatte, war ihr Aussageverhalten konzentriert, sachlich und überlegt. Die Zeugin war erkennbar bemüht, nur das zu sagen, was sie wirklich erinnerte. Soweit sie einzelne Begebenheiten oder die Reihenfolge der Ereignisse nicht mehr genau wußte, machte sie dieses deutlich.

Bemerkenswert war die Diktion der Zeugin. Sie schilderte die Ereignisse in weiten Passagen fast wortwörtlich so, wie sie die Darstellung bei der Sachverständigen abgegeben hatte. Auf diesen Umstand wurde die Zeugin durch den Verteidiger hingewiesen. Sie beantwortete die Frage des Verteidigers des Angeklagten, wieso sie fast wörtlich genau die Ereignisse wiedergeben könne, mit der einfachen Bemerkung: "Ich habe es so in Erinnerung".

Während der mehrstündig andauernden Vernehmung wurden der Zeugin viele Fragen gestellt, die bewußt keinen Zusammenhang mit den gerade von der Zeugin geschilderten Ereignissen hatten. Bei solchen Situationen war die Zeugin stets sachlich und zeitlich orientiert. Sie war immer in der Lage, Gedankensprüngen zu folgen und adäquat und angemessen zu antworten. Dieses Aussageverhalten läßt keinen Hinweis darauf erkennen, daß eine krankheitsbedingte Störung die Auffassungsgabe und die Reproduktionsmöglichkeit der Zeugin in irgendeiner Weise beeinflußt hätte.

Dieses ergibt sich auch aus den Angaben der zu diesem Punkt gehörten sachverständigen Ärzten Dr. C. und Dr. Witte sowie den darüber hinaus gehörten sachverständigen Psychologinnen Frau L. und Frau K.. Alle 4 Sachverständige haben über längere Zeiträume die Zeugin kritisch beobachtet. Sie haben zu keinem Zeitpunkt im Krankheitsbild der Zeugin Anhaltspunkte gefunden, die auch nur im Ansatz die Wahrnehmungsfähigkeit und Reproduktionsfähigkeit der Zeugin beeinträchtigen würden. Dieser Bewertung, die letztlich auch durch die Sachverständige Frau M. geteilt wird, schließt sich die Kammer an. Es sind insoweit innerhalb der lang andauernden Vernehmung keine erkennbaren Anzeichen für eine solche Beeinträchtigung hervorgetreten.

b) Nach Prüfung der von der Zeugin selbst eingeräumten Falschaussagen, nach Prüfung der von den übrigen Zeugen getätigten Aussagen und nach Prüfung der Aussagetüchtigkeit der Zeugin hatte die Kammer eine Analyse der Aussage vorzunehmen.

(1) Für die Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Zeugenaussage ist die Entstehung der Erstaussage generell von außerordentlicher Bedeutung. Im vorliegenden Fall muß sich zunächst die Frage gestellt werden, wie kommt es dazu, daß S. S. einige Tage vor dem Prozeß gegen ihren Vater Anzeige gegen ihren Onkel erstattet. Es wäre denkbar gewesen, daß die Zeugin bereits nach den ersten Vorfällen gleichzeitig mit der Anzeige gegen ihren Vater den Angeklagten beschuldigt. Dieses tat sie jedoch öffentlich nicht. Sie machte aber schon zu einem frühen Zeitpunkt Andeutungen.

Die Entwicklungsgeschichte der Erstaussage zeigt, daß die Zeugin einen langen Zeitraum brauchte, um den Konflikt der Offenbarung der Taten des Onkels zu lösen. In dem Zusammenhang spielt die Stellung des Onkels einerseits und die des Vaters andererseits eine Rolle. Der Vater war gegenüber den Familienangehörigen ohnehin eine suspekte Person. Er wirkte auf alle Beteiligten gewalttätig. Er war aggressiv und vielfach gemein. Er wurde in der Familie M. nur wenig akzeptiert. Alle hatten Angst vor ihm. In dieser Situation war auch für die Angehörigen der S. S. eine Anzeige gegen ihren Vater verständlich. Sie wurde in der Folgezeit in der Klinik auch von allen Angehörigen unterstützt. Demgegenüber besaß der Angeklagte in der Familie M. eine besondere Position. Er war der Beschützer insbesondere der Mitglieder der Familie S.. Er kümmerte sich um alle Familienangehörigen. Er unterstützte sie finanziell und auch gelegentlich tatkräftig, wenn A. S. tätlich gegen seine Kinder und seine Ehefrau vorging. B. M. hatte in der Familie einen hohen Stellenwert inne. Der Zeugin war diese Position, die der Angeklagte bekleidete, bewußt. Ihr war klar, daß eine Belastung des Angeklagten von der Familie nicht verstanden worden wäre. Sie wußte auch, daß ihre Mutter in sehr enger Beziehung zu ihren Familienangehörigen stand. Für sie war klar, daß der Verlust des Ehemannes durch eine längere Haftstrafe von den Familienangehörigen letztlich mitgetragen werden würde. E. S. hätte also, wie S. S. klar war, Geborgenheit innerhalb der Familie M. gefunden. Für sie war wichtig, daß die Mutter diesen S. nicht verlieren würde. Sie befürchtete, daß im Falle einer gleichzeitig getätigten Anzeige gegen B. M. die Mutter sich etwas antun könne. Das dieses nicht geschehen würde, war für S. S. sehr wichtig. Diese Überlegungen führten schließlich dazu, daß die Zeugin zum Zeitpunkt der Anzeige gegen den Vater die mit dem Angeklagten erlebten Vorfälle nicht konkret erwähnte. In den weiteren Offenbarungsgesprächen berichtete aber S. S. bereits im August 1994 davon, daß ein "Unbekannter" sie am 16.4.1994 vergewaltigt hätte. Dieses war der erste Hinweis auf weitere Vorfälle.

Weiter ist in diesem Zusammenhang zu berücksichtigen, daß S. S. nach der Verhaftung ihres Vaters zunächst innerhalb der Klinik einen gelösteren Eindruck hinterließ. Den Betreuern und behandelnden Ärzten schien es, als wenn S. von einer Last befreit sei. Dieses änderte sich aber im Dezember 1994. Anlaß dafür dürfte der Vorfall mit dem Angeklagten anläßlich des Nikolausfestes gewesen sein. Sie veränderte ihr Verhalten, sie wirkte bedrückter. Sie äußerte Frau L. gegenüber, daß sie keinen Besuch mehr von ihrem Onkel wünsche. Und schließlich gab sie an, daß sie allgemein Männer hassen würde. Dieser Vorfall zeigte der Zeugin, daß der Angeklagte trotz der Inhaftierung ihres Vaters und trotz der für ihn damit bewußt gewordenen Konsequenzen solcher Taten weitermachte. Sie fühlte sich innerlich verfolgt. Diesen Zustand haben die Zeugen L. und M. beschrieben. Er wurde aus medizinischer Sicht von Dr. C. bestätigt.

Erstmals äußerte die Zeugin konkret Mißbrauchshandlungen des Angeklagten nach dem Weihnachtsvorfall am 28.12. gegenüber S. M. und am 29.12.1994 gegenüber Frau L.. Dabei erwähnte sie, daß der Angeklagte sie vergewaltigt hätte und diese Tat bereits am 16.4.1994 geschehen war. Sie verband jetzt die Tat des Unbekannten mit einer konkreten Person. Obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits erörtert wurde, gegebenenfalls den Angeklagten anzuzeigen, konnte S. sich dazu noch nicht durchringen. Diese Entscheidung wurde ihr quasi durch Zufall abgerungen, als sie mit Frau W. und S. M. einen Besprechungstermin anläßlich des bevorstehenden Prozesses gegen ihren Vater wahrnahm. Die im Anschluß an dieses Gespräch stattfindende zufällige Begegnung mit der Kriminalbeamtin Frau J. führte schließlich dazu, daß die Zeugin sich zur Anzeige entschloß.

Diese gesamte Entwicklung zeigt, daß die Entscheidung, die Taten des Angeklagten öffentlich zu machen, durch umfassende Entscheidungsprozesse in der Person der Zeugin S. S. vorbereitet worden ist. Die Konflikte, die die Zeugin dabei durchlebte, waren nach außen hin erkennbar. Sie wurden entsprechend von den behandelnden Personen diagnostiziert. Dieses spricht für eine Erlebnisbegründetheit des Entstehungsprozesses der Erstaussage. Ein solches komplexes Verhalten wäre bei einer Falschbezichtigung, sei sie bewußt oder unbewußt geschehen, nicht zu erwarten.

(2) Die Kammer hat weiter die Aussage selbst analysiert und mit Hilfe der allgemein in solchen Verfahren üblichen sogenannten Glaubwürdigkeitskriterien überprüft.

Die Aussage zeigt, abgesehen von den bereits erörterten Falschangaben nur geringe Mängel. Die in einzelnen Punkten feststellbaren Widersprüche zu früheren Aussagen sind im Ergebnis nicht so gravierend, daß sie die Zuverlässigkeit der Gesamtaussage beeinflussen könnten. So läßt sich in dem unter B., I., 1 geschilderten Vorfall feststellen, daß der Inhalt zwar im wesentlichen in allen Vernehmung (insgesamt 5 Vernehmungen) gleich geschildert worden ist, die Intention des Angeklagten wurde in der Darstellung lediglich entdramatisiert. Widersprüchlich mag vordergründig das Datum dieser Tat erscheinen. Dazu konnte aber S. S. keine konkreten Angaben machen. Sie wußte nicht sicher, ob dieser Vorfall am Gründonnerstag oder Karfreitag passierte.

Hinsichtlich des zweiten Vorfalles anläßlich der Vorstellung in Essen hat die Zeugin in der Vernehmung vom 29.08. die Reihenfolge des Aufreißens der Knopfleiste und des Ziehens des Kopfes an das Geschlechtsteil anders dargestellt als in der Vernehmung vor der Kammer am 29.11.. Die Darstellung, die sie diesbezüglich am 29.11.1995 abgegeben hat, deckt sich aber mit den früheren Vernehmungen. Hinsichtlich der Vorfälle auf der Fete hat die Zeugin innerhalb der verschiedenen Vernehmungen die Ereignisse anläßlich ihrer Erklärung, sie wolle sich das Leben nehmen, zwar im wesentlichen gleich geschildert, aber am 29.11.1995 hat sie dieser Situation eine gewisse Dramatik hinzugefügt. Diese Ergänzung ist aber nachvollziehbar, denn in der Hauptverhandlung war erkennbar, daß die Zeugin die Situation erneut durchlebte. Deshalb ist es auch verständlich, daß die von ihr vorgetragene Wertung insofern den Vorfall als gravierender erscheinen ließ. Hinsichtlich des Dachkammervorfalls hat die Zeugin in den verschiedenen Vernehmungen die Verwendung des Kondoms unterschiedlich geschildert. Am 30.06. sprach sie davon, daß der Angeklagte erst ein Kondom genommen und dann die Decke weggerissen habe. Am 29.11. sagte sie, daß sie vermutet habe, der Angeklagte habe sich ein Kondom geholt. Am 29.08. beschrieb sie den Vorfall so, daß sie das Kondom gesehen hätte. Widersprüchlich ist allerdings in diesem Vorfall in der Schilderung, daß die Zeugin einerseits das Licht angehabt haben will, andererseits aber gegenüber ihrer Freundin in einem Brief beklagte, daß ihre Mitpatientin immer das Licht anlassen würde, so daß sie nicht schlafen könne. Dieses ist nur vordergründig ein Widerspruch, denn die Zeugin hat insoweit erklärt, daß sie alleine lieber bei Licht schlafe. Wenn mehrere zusammen seien, sei es ihr lieber, daß Dunkelheit herrsche.

Hinsichtlich des Vorfalles anläßlich der Nikolausfeier ist die Zeugin ebenfalls fünf Mal befragt worden. Sie hat in den einzelnen Vernehmungen unterschiedlich dargestellt, wie sie sich der Kleidung entledigte, flrn 24.-03. beschrieb sie, daß der Angeklagte sie ausgezogen habe, sie selbst aber den Knopf geöffnet hätte. Am 29.08.1995 geschilderte sie, daß sie zugelassen habe, daß er die Hose ihr herunterstreife. Am 29.11. berichtete sie, daß der Angeklagte die Hose geöffnet und sie sie sich heruntergezogen habe. Ruch diese Widersprüche in den einzelnen Vernehmungen sind nicht derart gravierend, daß sie das gesamte Gebäude zum Wanken bringen könnten. Allen Darstellungen ist gemein, daß sowohl sie als auch der Angeklagte beim Ausziehen der Hose aktiv waren. Die beiden ersten Darstellungen unterscheiden sich nur geringfügig. Es ist eine andere Bewertung des selben Sachverhaltes. Am 24.03. hat sie geschildert, daß der Angeklagte sie ausgezogen hat. Dasselbe hat sie am 29.08. gesagt. Sie hat es nur dadurch ergänzt, daß sie zugelassen habe, daß der Angeklagte die Hose heruntergezogen hat. Am 29.11. hat sie wiederum geschildert, daß sie den Knopf geöffnet und er, der Angeklagte, die Hose heruntergezogen habe. Die Unterscheidungen sind äußerst geringfügig.

Hinsichtlich der Darstellungen des Vorfalles anläßlich des Diskobesuches in Tange sind keine wesentlichen Widersprüche in den verschiedenen Angaben feststellbar.

In den Berichten zu dem letzten Vorfall unterscheiden sich die einzelnen Aussagen lediglich hinsichtlich der Beurteilung, ob der Angeklagte ein Kondom benutzte. Diesen Punkt schildert die Zeugin am 26.05. bejahend. Am 30.06. sagte sie dazu, daß er ein Kondom benutzt habe. Dieses habe sie aber nicht gesehen. Am 29.08. schildert sie, daß sie nichts bemerkt habe und schließlich am 29.11. sagt sie, daß sie es nicht genau weiß. Auch die insoweit festzustellenden Widersprüche sind von der Qualität geringfügig. Zu berücksichtigen ist nämlich, daß die Zeugin am 29.11. diesen Vorfall schilderte, als sie bereits mehrere Stunden über die Ereignisse berichtet hatte. Es ist nachvollziehbar, daß sie diesen Umstand nach einer umfangreichen Äußerung zur Sache, die zu einer leichten Ermüdung führte, nicht mehr erinnerte. Das heißt aber nicht, daß die zu anderem Zeitpunkt geschilderte Erinnerung falsch war.

Insgesamt läßt sich feststellen, daß die Mängel der Aussage derart unwesentlich sind, daß von daher die Aussage nicht als nicht glaubhaft eingestuft werden kann.

(3) Demgegenüber weist die Aussage eine Reihe von Qualitätsmerkmalen auf, die regelmäßig nur in wahren Darstellungen zu finden sind. Die Aussage ist in vielen Punkten detailreich. Die Zeugin schildert eine Reihe verschiedener Begebenheiten. Sie schildert originelles und komplexes Geschehen. In diesem Zusammenhang sei besonders auf den Vorfall anläßlich des Vorstellungsgespräches verwiesen. Die Zeugin beschreibt in einer Fülle von Details den Ablauf der Ereignisse kurz vor der Vergewaltigung. Sie schildert z.B., daß der Angeklagte und sie wegen des Regens zum Auto haben laufen müssen. Sie berichtet, daß sie dem Angeklagten alles über das Vorstellungsgespräch habe erzählen müssen. Man habe danach eine Zeitlang schweigend nebeneinander gesessen. Der Angeklagte sei dann ausgestiegen und nach hinten in den Bully gegangen. Sie habe eine Straßenkarte gelesen. Der Angeklagte habe sie zum Umsteigen aufgefordert. Ihr seien in einiger Entfernung eine Gruppe Jugendlicher aufgefallen. Von diesen Jugendlichen habe zumindest eine Person während des eigentlichen Vorfalls in den Wagen geschaut. Sie schilderte dann weiter, wie sie selbst reagierte. Sie zeigte Selbstbelastungen. Sie schilderte nämlich, wie sie ausgeflippt sei und sich die Hose ausgezogen habe. Sie berichtete anschließend von ihrem danach erlittenen Schock über ihr eigenes Verhalten. Sie berichtete dann über eine Flucht, die ihr nicht gelang. In dem Zusammenhang ist auch zu nennen, daß die Zeugin nach der Tat eine Sirene gehört hatte, die in ihr die Hoffnung aufkeimen ließ, es könne Hilfe kommen. Diese Schilderung der besonderen psychischen Befindlichkeit spricht für Erlebnisbegründetheit. Auch die zwischen ihr und dem Angeklagten stattgefundene Interaktion ist originell und detailreich. Dabei beschreibt sie in ihrer Schilderung, daß sie diese Bilder immer noch vor Augen habe und es anhand eines vor ihrem Gedächtnis ablaufenden Filmes beschreiben könne. Daraus ergibt sich die Anschaulichkeit der Darstellung.

All dieses spricht für Erlebnisbezogenheit und nicht für eine erfundene Darstellung, fluch der Dachkammervorfall zeigt eine Reihe von Qualitätsmerkmalen in Form von Detailreichtum, Originalität und Darstellung ihrer psychischen Befindlichkeit. So beschreibt die Zeugin zunächst einmal ihre Motivation, weshalb sie die Nacht über ausgeblieben ist. Sie schildert originell, wie sie vorsichtig die Räumlichkeiten im Obergeschoß des Hauses der Großeltern aufgesucht hat. Sie beschreibt ihre Überlegungen, als sie den Angeklagten heraufkommen hörte. Sie schildert ihre Enttäuschung, daß es ihr zeitlich nicht mehr gelungen war, die Tür von innen zu verriegeln. Sie beschreibt ihre Empfindung, als der Angeklagte ihr Vorwürfe macht, daß sie zu Spät nach Hause gekommen sei. Auch der Ablauf der Tat ist anders dargestellt, als beispielsweise der zuvor genannte Vorfall. Im übrigen unterscheiden sich die einzelnen Darstellungen der genannten Vorfälle gravierend. Der Ablauf der sexuellen Handlungen wird verschieden beschrieben. Die Interaktion beider Partner ist in keinem Fall gleich. Das zeigt, daß die Zeugin nicht stereotype Belastungen erhebt. Es spricht dafür, daß die Zeugin sich an Erlebtem orientiert, fluch in dem sogenannten Nikolausfall lassen sich die vorgenannten Qualitätsmerkmale finden. Die Empfindungen der Zeugin, der Angeklagte möge sie hoffentlich nicht abholen, sind plastisch und anschaulich dargestellt. Das zeigt, daß die Zeugin Befürchtungen hegte, es könne ihre etwas zustoßen. Die Begründung des Angeklagten, er habe noch etwas zu besorgen und müsse deshalb am Elternhaus vorbeifahren, ist ebenfalls originell. Auch die Tatsache, daß der Angeklagte ihr gegenüber sagt, es läge nur an ihr, wie schnell sie nach Haus kommen könne, ist ebenfalls hier einzuordnen. Der Vorfall anläßlich des zweiten Weihnachtsfeiertages ist objektiviert worden durch die Aussagen der Zeugin A. O., die bestätigt, daß die Freundin von S. S. sie anrief im Krankenhaus und berichtete, daß S. S. Probleme habe. Schwester O. berichtete dann weiter, daß die Zeugin S. S. von ihr angerufen wurde und daß sie, Schwester O., S. fragte, ob der Onkel in der Nähe sei. Die Reaktion von S. war eindeutig. Die weiteren zwei Vorfälle anläßlich der Diskothekenbesuche sind ebenfalls in besonderer Weise originell geschildert. Die Anläße für die Diskothekenbesuche sind von den im übrigen vernommenen Zeugen bestätigt worden. Diskussionspunkt war in der Familie, daß S. S. Angst vor Männern hatte und diese durch Diskothekenbesuche abbauen sollte.

Die Darstellung des anläßlich des ersten Diskothekenbesuches erfolgten Vorfalles enthält Berichte über Komplikationen. Der Angeklagte reagiert nach der Beschreibung von S. S. nachhaltig wütend auf die Androhung, daß auch er angezeigt werden würde, falls er nicht von ihr ablasse. Die Beschreibung der Schläge und der Verletzungshandlungen im übrigen ist differenziert. S. S. berichtet in allen Vernehmungen von Faustschlägen auf die Brust und drücken und quetschen an den Oberschenkeln. Sie schildert in diesem Vorfall ihre psychische Befindlichkeit. Sie berichtet darüber, daß sie infolge der gegen sie gerichteten Schläge der Mut verlassen habe, sich weiter gegen den Angeklagten zu wehren. Auch der letzte Vorfall berichtet von Komplikationen. Der Angeklagte beschwert sich über die Enge im Auto und flucht mehrfach. Bei der Gesamtbetrachtung läßt S. S. erhebliche Selbstbelastung einfließen. Sie wirft sich selbst vor, sich nicht genügend gegen den Angeklagten gewehrt zu haben. Sie sieht sozusagen in ihrem eigenen Verhalten eine gewisse Mitschuld an den Ereignissen. Alle geschilderten Vorfälle passen sich gut in die Lebensumstände der Beteiligten ein, was in der Regel ebenfalls ein Qualitätsmerkmal für glaubhafte Aussagen ist. Schließlich ist festzuhalten, daß in insgesamt 5 Vernehmungen die Zeugin außerordentlich konstante Angaben hinsichtlich der einzelnen Vorfälle gemacht hat. Die bereits erörterten Widersprüche sind im Verhältnis zu der gezeigten Übereinstimmung zu vernachlässigen. Diese Konstanz ist insofern zu beachten, als es in der Regel lügenden Zeugen sehr schwer fallen wird, erfundene und nicht erlebte Ereignisse stets gleichlautend wiederzugeben.

Unter Berücksichtigung der allgemein zu erörternden Qualitätsmerkmale spricht die gesamte Aussage dafür, daß sie erlebnisbegründet ist. Insgesamt kann gesagt werden, daß die Darstellung von S. S. zu allen Ereignissen strukturiert und chronologisch vorgetragen wurde. Sie enthält keine wesentlichen Widersprüche. S. zeigte eine ungewöhnliche Bereitschaft, sich den Fragen und teilweise der mitverknüpften Vorwürfen zu stellen und diese Fragen zu beantworten. Die Art und Weise, wie sie reagierte, wie sie bei allen Vernehmungen die Vorfälle schilderte, wie die psychische Befindlichkeit in der Mimik der Zeugin wieder zum Ausdruck kam, spricht dafür, daß die Schilderungen erlebnisbezogen sind.

4) Nachdem sich aus der Analyse der Aussage der Schluß ziehen läßt, daß die Darstellung erlebnisbezogen ist, hatte die Kammer zu prüfen, ob es sich bei der Aussage um eine sogenannte intentionale Falschaussage oder um eine Aussage handelt, wo die Zeugin subjektiv als real empfundene Vorfälle schildert, die aber objektiv nicht gegeben sind. Zu denken wäre in dem Zusammenhang daran, daß Erlebnisse mit dem Vater vermischt werden oder daß krankheitsbedingt Fehlinterpretationen von Lebenssachverhalten vorgenommen werden.

a) Zunächst ist bei der Prüfung der Möglichkeit einer intentionalen Falschaussage auf die intellektuellen Fähigkeiten der Zeugin S. S. einzugehen. Nach dem eigenen Eindruck der Kammer, nach den Berichten der behandelnden Ärzte und psychologischen Betreuer sowie nach der Beurteilung durch die Sachverständige Frau M. besitzt S. S. genügend Intelligenz, eine Falschaussage zu konstruieren und eine solche dann vorzutragen. S. S. ist auch aufgrund ihrer intellektuellen Kapazität, in der Lage, eine so konstruierte Falschaussage über einen langen Zeitraum - auch über ein Jahr hindurch - aufrechtzuerhalten.

Ebenso sieht es der Verteidiger des Angeklagten, der gerade diese Tatsache durch Einholung eines zusätzlichen Sachverständigengutachtens hilfsweise unter Beweis gestellt hat.

Da die Kammer, wie bereits im Beschluß vom 29.01.1996 entschieden, diese Fähigkeit der Zeugin zuspricht, war dem Hilfsbeweisantrag nicht nachzugehen.

Mithin ist also festzuhalten, daß S. S. grundsätzlich auch über einen langen Zeitraum eine bewußte Falschaussage vortragen kann, nach Überzeugung der Kammer hat sie dieses aber nicht getan.

Zunächst einmal besteht für S. S. kein Motiv, den Angeklagten falsch zu belasten. Der Zeugin war und ist klar, daß sie durch die gegen den Angeklagten vorgebrachten Vorwürfe endgültig die Zuwendung der Familie verlieren wird. Dieses hat sich im Nachhinein auch herausgestellt, denn S. S. hat, obwohl sie es wünscht, keinen Kontakt mehr zur Mutter. Dabei ist zu berücksichtigen, daß für S. ihre Mutter eine große Rolle spielt. Sie hat diese Rolle bei vielen Gelegenheiten ihren Betreuern gegenüber geschildert. Sie hat in der Hauptverhandlung vor der Kammer immer wieder betont, wie schwer ihr der Verlust der Mutter fällt. Sie hat auch im Rahmen ihrer Vernehmung bei der Schilderung vieler Fälle darauf hingewiesen, daß sie aus fingst, ihrer Mutter könne etwas geschehen, bzw. die Mutter könne die Unterstützung des Onkels verlieren, Handlungen des Angeklagten geduldet habe. Wenn man also diese Situation berücksichtigt und dann unterstellt, die behaupteten Vorfälle seien nicht geschehen, so hätte S. S. sich selbst den Verlust ihrer Familie ohne Grund zugefügt. Dieses ist sehr unwahrscheinlich. Die damit verknüpfte Überlegung, daß S. S. neben der Konstruktion der Falschaussage auch ihre Empfindungen für ihre Familienangehörigen falsch darstellt, ist ebenso unwahrscheinlich und abwegig. Dem widersprechen eindeutig die Beurteilungen der behandelnden Ärzte und psychologischen Betreuer, die in beeindruckender Weise geschildert haben, welche inneren Konflikte im Hinblick auf die Familie die Zeugin während der Behandlungsdauer durchlebte.

Weiter wäre noch daran zu denken, daß die Zeugin etwa aus Eifersucht den Angeklagten falsch belastet hätte. Hierfür sind aber keinerlei Anhaltspunkte ersichtlich. Dafür bestand auch keine Veranlassung, denn der Zeugin stand der Angeklagte stets hilfreich zur Seite. Sie hätte also, wenn sie Unterstützung vom Angeklagten gebraucht hätte, jederzeit auf ihn zugreifen können. Es ist auch nicht ersichtlich, auf wen etwa die Zeugin hätte eifersüchtig sein wollen und können. Diese Überlegung muß deshalb vernachlässigt werden.

Weiter ist daran zu denken, daß aus einem allgemeinen Haß auf Männer, der von der Zeugin beschrieben worden ist, die Falschaussage motiviert sein könnte. Aber auch hierfür sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Richtig ist zwar, daß die Zeugin immer wieder ihrer Mutter gegenüber erklärt hat, daß sie Männer hasse. Dieser so verbalisierte Haß aber führte lediglich dazu, daß die Zeugin nicht gerne mit Männern ausging. So ist festzuhalten und von den im übrigen vernommenen Zeugen auch bestätigt worden, daß S. S. bei Diskothekenbesuchen immer nur mit ihrer Freundin bzw. alleine tanzte. Sie war also nicht bemüht, Kontakt zu anderen Männern zu knüpfen. Dem steht auch nicht entgegen, daß die Zeugin sehr gerne mit J. R. zusammengewesen wäre. Denn J. R. dürfte in diesem Zusammenhang noch nicht als "Mann" einzuordnen sein. Die Kammer hatte von J. R. einen eher jungenhaften, kindlichen Eindruck.

Schließlich kann als Motiv auch nicht herangezogen werden, daß die Zeugin den Angeklagten deswegen falsch belastet, um ihre Glaubwürdigkeit in dem Prozeß gegen ihren eigenen Vater zu erhöhen. Dem widerspricht einmal die Intelligenz der Zeugin, die sich dessen bewußt war, daß gerade die Behauptung mit einem "anderen Mann" sei noch etwas gewesen, zu Zweifeln an ihrer Glaubwürdigkeit Anlaß geben würde. Dieses war der Zeugin sehr wohl bewußt, wie das Gespräch mit den Betreuern und vor allen Dingen mit der Nebenklägervertreterin kurz vor dem Termin gegen den Vater der Zeugin beweist. Es hätte auch für die Zeugin wenig Sinn gemacht, wie ihr bewußt war, den Angeklagten durch eine Anzeige als Zeugen in dem Verfahren gegen A. S. auszuschalten. Denn auch das war der Zeugin klar, daß eine Belastung des Angeklagten nicht dazu führen würde, daß der Angeklagte nicht etwa als Zeuge vorgeladen worden wäre. Auch insoweit hatte sich die Zeugin Klarheit durch das Gespräch mit Frau W. verschafft.

Insgesamt also ist kein Motiv erkennbar, weshalb die Zeugin den Angeklagten bewußt falsch belasten sollte.

Gegen eine bewußte Falschaussage spricht im entscheidenden Maße die Homogenität der gesamten Aussage. Alle von der Zeugin geschilderten Episoden sind äußerlich und innerlich in die besonderen familiären Umstände eingebunden. Sie werden von anderen Zeugen bestätigt. Die geschilderten sexuellen Handlungen sind außerordentlich differenziert. Sie sind vor allen Dingen anders geschildert, als die Vorfälle, die sich mit dem Vater ereignet haben. Bei einer konstruierten Falschaussage wäre eine größere Vermischung mit A. S. vorgeworfenen Vorfällen zu erwarten gewesen. In diesem Zusammenhang erhalten die von der Zeugin tatsächlich als bewußte Falschaussagen eingeräumten Schilderungen besondere Bedeutung. Erkennbar ist, daß die Zeugin die von ihr vorgenommene Konstruktion nicht durchgehalten hat. Sie hat unter dem Druck des schlechten Gewissens ihre Aussage korrigiert.

Schließlich ist noch folgendes zu bedenken: Wenn die Zeugin den Angeklagten bewußt falsch belastet hätte, dann hätte sie über den Zeitraum von mindestens einem halben Jahr durch immer wieder konstruierte, gespielte Episoden die Falschaussage vorbereiten müssen. Insoweit sei auf die hierzu in den Feststellungen enthaltenen Details verwiesen, die sich mit der Offenbarungssituation befassen. Bereits im August 1994 sprach die Zeugin von einer Vergewaltigung durch einen fremden Mann am 16.04.1994. Im Dezember 1994 verschlechterte sich erkennbar für die Betreuer der psychische Zustand der Zeugin. In diesem Monat fand der sogenannte Nikolausvorfall statt. Anläßlich des zweiten Weihnachtsfeiertages führte die Zeugin mit Schwester O. ein Gespräch über ihre Ängste bei der Begegnung mit dem Angeklagten. Zuvor hatte sie mit ihrer Freundin über ihre Probleme telefoniert. Am 28.12. und am 29.12.1994 schilderte die Zeugin erstmals die Vergewaltigungshandlungen des Angeklagten gegenüber ihrer Betreuerin und der Psychologin Frau L.. Am 01.03.1995 entdeckte zufällig Schwester O. die blauen Flecken am Oberarm der Zeugin, als diese nur mit einem T-Shirt bekleidet in der Badezimmertür stand. Die Frage der Schwester O., woher die blauen Flecken stammen würden, beantwortete S. S. nur zögerlich. All diese Umstände hätte die Zeugin dann bewußt geplant im Hinblick darauf, daß sie irgendwann zu einem von ihr zu bestimmenden Zeitpunkt Beschuldigungen gegen den Angeklagten erhebt. Sie hätte auch z.B. auf die Anforderung von Frau L. die Tabelle mit den Personen, die ihr am liebsten bzw. weniger lieb seien, falsch führen müssen. Die Kammer hält es für ausgeschlossen, daß die Zeugin in einer derart vorausschauenden Weise unter Verwendung aller ihr möglichen schauspielerischen Kräfte so hätte handeln können. Für die Kammer ist damit bewiesen, daß eine bewußte Falschaussage nicht vorliegt.

b) Die Kammer hat weiter geprüft, ob die Zeugin möglicherweise reale Erlebnisse mit dem Onkel ohne sexuellen Hintergrund mit sexuellen Handlungen vermischt und dann als real wiedergibt. Dieses könnte aufgrund von Suggestion vorliegen. Es könnten Erlebnisse mit dem Vater zu solchen Verkennungen geführt haben. Schließlich könnte eine derartige Verfälschung des wahren Sachverhaltes krankheitsbedingt sein. Diese Problemkreise hat die Kammer sorgfältig geprüft. Bei der Zeugin S. S. sind sie nicht zum Tragen gekommen.

Grundsätzlich ist es bei kindlichen Zeugen möglich, durch immer wiederkehrende Suggestion in vielen Befragungssituationen reale Geschehnisse mit sexuellen Inhalten derart zu verknüpfen, daß die Kinder tatsächlich glauben, ihnen sei dieses widerfahren. Die Kammer kennt solche Phänomene. Sie hat in ihrer langjährigen Tätigkeit - die Kammermitglieder sind alle viele Jahre in der JugendS.kammer tätig - eine Reihe von Fällen gehabt, wo es aufgrund von Suggestion zu belastenden kindlichen Aussagen gekommen ist. Diese Fälle konnten aber in der Hauptverhandlung herausgearbeitet werden. Als Beispiel sei in diesem Zusammenhang auf das Verfahren 20 KLs (III 29/92) Landgericht Osnabrück verwiesen. Diesen Aussagen war immer gemein, daß die kindlichen Zeugen vor der Erstaussage bei der Polizei vielfachen Befragungssituationen durch ungeschulte Personen ausgesetzt waren. In diesen Befragungen wurde den Kindern vielfach, wenn auch mit guter Absicht, suggeriert, daß bestimmte Handlungen geschehen seien. Im vorliegenden Fall ist die Situation anders. Zunächst einmal handelt es sich bei der Zeugin nicht um eine kindliche Zeugin, sondern um eine junge Erwachsene. Zwar sind auch junge Erwachsene suggestibel, aber sie sind im Verhältnis zu kindlichen Zeugen doch kritischer.

Im vorliegenden Fall ist die Situation aber eine andere gewesen. S. S. ist zu keiner Zeit von sogenannten "aufdeckenden" Erwachsenen befragt worden. Wenn S. S. über Vorfälle berichtet hat, tat sie es aus eigenem Antrieb. Sie schilderte Vorfälle ohne daß Fragen bzw. Vorgaben durch die Gesprächspartner getätigt wurden. Dieses haben die Zeugen S. M., A. O., Frau L. und Dr. C. bestätigt. Die Zeugen schilderten weiter, daß die psychische Befindlichkeit der Zeugin S. S. in diesen Gesprächen immer der Thematik entsprach. Es waren weder hysterische Ausfälle noch emotionslose Verhaltensweisen der Zeugin erkennbar. Auch durch die Mitpatientin, die ähnliche Erfahrungen gemacht hatte, war es zu keinen suggestiven Befragungen gekommen. Bevor es dazu kommen konnte, war die Mitpatientin bereits entlassen. Auch die S. S. zur Verfügung gestellte Literatur - das Buch "Trotz allem" - ist nicht geeignet, suggestiv auf S. zu wirken. In diesem Buch werden keine Berichte von sexuell mißbrauchten Opfern geschildert, sondern das Buch wirft Fragen nach der psychischen Befindlichkeit auf, die der Leser für sich beantwortet. Die Lektüre dieses Buches führt nicht dazu, daß der Leser in die Lage versetzt wird, einzelne Episoden sexuellen Mißbrauchs zu schildern. Die Kammer hat sich durch ein Kammermitglied mit diesem Buch beschäftigt. In der Hauptverhandlung ist der Inhalt des Buches auch mit den sachverständigen Zeugen Dr. C. und Frau L. erörtert worden.

Es sind mithin keine Anhaltspunkte gegeben, daß durch Suggestion oder Induktion reale Erlebnisse ohne sexuellen Hintergrund mit sexuellem Verhalten verknüpft werden.

Auch eine Vermischung mit den Erlebnissen mit dem Vater und eine Übertragung dieser Erlebnisse auf den Onkel liegt nicht vor. Dazu unterscheiden sich die abgegebenen Schilderungen der Zeugin zu den einzelnen Vorfällen gravierend und deutlich. Die Darstellungen der sexuellen Handlungen mit dem Vater sind anders. Die Eigenbeteiligung der Zeugin in den sexuellen Handlungen mit dem Vater sind ebenfalls unterschiedlich dargestellt. Die Kommunikation mit dem Vater ist eine andere als die mit dem Onkel. Die Person des Onkels ist stets gegen die Person des Vaters abgegrenzt. Daraus läßt sich ebenfalls nicht der Schluß ziehen, daß eine Vermischung der Erlebnisse mit dem Vater realen Erlebnissen mit dem Onkel ohne sexuellen Hintergrund hinzugefügt werden, so daß diese Erlebnisse nun mit sexuellem Hintergrund geschildert werden können.

Schließlich ergibt sich auch keine krankheitsbedingte Realitätsverzerrung. Dem widerspricht zunächst die Diagnose von Dr. C. und Dr. Witte. Ebenso beurteilten Frau L. und Frau K. als psychologische Betreuer das Krankheitsbild der Zeugin. Alle behandelnden Ärzte und betreuenden Psychologinnen hatten einen langen Zeitraum, die Zeugin zu beobachten. Wichtig ist in dem Zusammenhang, daß die Zeugin in zwei Kliniken, deren Mitarbeiter ihre Beurteilung unabhängig voneinander abgegeben haben, behandelt wurde. In beiden Kliniken hat sich dasselbe Verhaltensbild der Zeugin gezeigt. Die Zeugin verhielt sich danach auf allen Stationen normal. Sie berichtete nie von Halluzinationen, sie schilderte nicht, daß sie Stimmen hören würde. Es war nie von ihr beschrieben worden, daß sie unter Verfolgung leiden könne. Sie wirkte auch nicht querulatorisch. Weder ein Größenwahn noch Eifersuchtswahn oder etwa die Vorstellung, daß ihr Körper deformiert sei, war von ihr behauptet worden. Es war auch keine Affektverflachung erkennbar.

Auch eine Borderlinestörung war von den behandelnden Ärzten ausgeschlossen worden. Eine solche Störung ist gekennzeichnet durch eine Neigung zu intensiven aber unbeständigen Beziehungen, überhaupt ist bei einem Borderlinetypus stets eine Distanzproblematik zu erkennen. Diese Symptomatik war bei der Zeugin S. S. aber zu keinem Zeitpunkt vorhanden. Alle behandelnden Personen haben sehr sorgfältig ihre Diagnose gestellt und der Kammer gegenüber vorgetragen. Die Kammer hat diese Erläuterungen nachvollzogen und sich zu eigen gemacht. Auch der persönliche Eindruck der Kammer von der Zeugin, der aus der mehrstündigen und mehrtätigen Vernehmung geschöpft werden konnte, deckt sich mit den Beurteilungen der Ärzte und Psychologinnen. Naturgemäß stand bei den behandelnden Ärzten und den Psychologinnen die Frage der Diagnose im Vordergrund, weil sich danach das Behandlungskonzept richtete. So war es z.B. für Frau L. unbedingt notwendig zu wissen, ob die Schilderungen von S. S. und ihr Verhalten auf Wahnideen oder auf Erlebnissen beruhten, weil je nach vorherrschender Diagnose die Gesprächstheapie unterschiedlich verlaufen muß. Weiter haben alle Behandlungspersonen bestätigt, daß sie im Verlaufe der Therapien nie erleben konnten, daß S. S. auf eventuelle Schlüsselhinweise Umstände in eine Realsituation etwa hineininterpretiert hätte. Es waren stets von ihr Situationen vorgetragen worden, die sich aus dem Zusammenhang entwickelten und die nachvollziehbar waren. Alle Ärzte und Psychologinnen haben übereinstimmend bei S. S. eine schwere Belastungsreaktion festgestellt. Die von ihr gezeigten Symptome lassen sich mit einer solchen Diagnose zwanglos in Einklang bringen. Auch die tatsächlich von S. S. gezeigten Selbstverletzungen sind typisch für eine Belastungsreaktion. Die Selbstverletzungen bestanden in der Regel in Kratz- und Schnittverletzungen. Sie schlug auch häufiger mit der rechten Hand bzw. mit der rechten Faust gegen die Wand. In dem Zusammenhang ist die theoretische Überlegung des Sachverständigen Dr. R. zu erörtern, daß die durch die Lichtbilder vom 02.03. und 06.03. nachgewiesenen Hämatome durch Selbstverletzungen zugefügt sein können. Diese abgebildeten Verletzungen unterscheiden sich gravierend von den von der Zeugin häufiger sich selbst zugefügten Verletzungen. So sind z.B. auch auf den Lichtbildern Selbstverletzungen erkennbar. Auf dem Lichtbild Nr. 9 ist eine Schnittverletzung bzw. Kratzverletzung mit einem spitzen scharfen Gegenstand auf dem Oberbauch erkennbar. Sie ist aber in Ort und Ausmaß völlig zu unterscheiden von den an den Brüsten gezeigten Hämatomen. Auch haben alle Betreuungspersonen davon gesprochen, daß S. S. sich in der Regel nur Schnitt- oder Kratzverletzungen zufügte. Die Schlagverletzungen waren lediglich an der rechten Hand bzw. Faust. Die Interpretation des Sachverständigen, die er daraus schloß, daß für ihn die Hämatome an den Oberschenkeln symmetrisch erschienen, ist eher unwahrscheinlich.

Die von S. S. eingeräumten Falschaussagen sind ebenfalls nicht Ausfluss ihrer Erkrankung. Sie haben nichts mit der diagnostizierten Belastungsreaktion zu tun. Die Aufdeckung der Falschaussagen von S. selbst zeigen vielmehr, daß sie nicht in der Lage ist, falsche Angaben konsequent durchzuziehen.

Durch die umfassenden Beurteilungshilfen der sachverständigen Ärzte und Psychologinnen wurde die Kammer in die Lage versetzt, selbst zu beurteilen, ob eine krankheitsbedingte Falschaussage - u.a. durch Wahnideen - in Betracht zu ziehen ist. Auch insoweit brauchte die Kammer, wie bereits am 29.01.1996 entschieden, nicht ein zusätzliches Sachverständigengutachten einzuholen.

Mithin ergibt auch die Überprüfung der Möglichkeit einer krankheitsbedingten Falschaussage keinen Hinweis darauf, daß die Angaben von S. S. nicht glaubhaft sein können.

D.

Der Angeklagte hat sich mithin wie im Tenor schuldig gemacht. Im Falle 1) der Anklage hat die Kammer den Angeklagten vom Vorwurf freigesprochen. Im Falle 2) hat sich der Angeklagte der Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 StGB schuldig gemacht. Im Falle 3) hat sich der Angeklagte ebenfalls der Vergewaltigung gemäß § 177 Abs. 1 StGB schuldig gemacht. Ebenso im Falle 4) der Anklage. Im Falle 5) hat die Kammer den Angeklagten vom Vorwurf freigesprochen. Im Falle 6) hat sich der Angeklagte der sexuellen Nötigung gemäß § 178 Abs. 1 StGB schuldig gemacht. Im Falle 7) hat der Angeklagte ebenfalls wieder die Zeugin vergewaltigt und sich gemäß § 177 Abs. 1 StGB schuldig gemacht.

Bei der Strafzumessung hat sich die Kammer im wesentlichen von folgenden Gesichtspunkten leiten lassen.

1. Im Fall 2) der Anklage hat die Kammer zunächst geprüft, ob die Voraussetzungen des minder schweren Falles gegeben sind. Biese Frage mußte die Kammer verneinen. Der Angeklagte hat die besondere Situation, in der die Zeugin ihm quasi ausgeliefert war, ausgenutzt. Er hat zunächst versucht, die Zeugin mit der Übergabe eines erheblichen Geldbetrages zur freiwilligen Hingabe zu bewegen. Er hat seine Nichte quasi als Prostituierte angesehen. Das Maß der Gewalt in diesem Fall war nicht unerheblich. Er hat die Zeugin zu sich gerissen, als diese weglaufen wollte. Er hat sie dabei festgehalten. Den Kopf der Zeugin hat er dann in beide Hände genommen und zu seinem Glied heruntergezogen. Er hat dann wiederum unter Kraftaufwand die Beine der Zeugin auseinandergedrückt und schließlich den Geschlechtsverkehr ausgeübt. Den Samenerguß hat er auf die Decke gespritzt. All diese Umstände sprechen gegen einen minder schweren Fall. Die Kammer hielt deshalb die Anwendung des Regelstrafrahmens für geboten. Bei der Strafzumessung im einzelnen hat die Kammer die gegen den minder schweren Fall sprechenden Umstände erneut berücksichtigt. Zugunsten des Angeklagten hat sich die lange Untersuchungshaft ausgewirkt. Die Kammer hat im übrigen die besondere Haftempfindlichkeit des Angeklagten gesehen. Der Angeklagte war auch durch die Verfahrensdauer in besonderem Maße beeindruckt. Die Kammer hielt eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren - das Mindestmaß - für geboten aber auch ausreichend.

Im Fall 3) hatte die Kammer wiederum zu prüfen, ob die Voraussetzungen eines minder schweren Falles vorliegen. Diese Frage hat die Kammer verneint. Auch in diesem Fall weicht das gesamte Tatbild einschließlich aller subjektiven Momente und der Täterpersönlichkeit nicht vom Durchschnitt der erfahrungsgemäß vorkommenden Fälle in einem solchen Maß ab, daß hier die Anwendung des minder schweren Falles geboten ist. In diesem Fall kam die Zeugin morgens früh angetrunken nach Hause. Der Angeklagte hörte sie und fühlte sich genötigt, ihr Vorhaltungen zu machen. Er verhielt sich quasi wie der Vater der Zeugin. Obwohl in dieser Nacht der Angeklagte gemeinsam mit S. K. schlief - zum Geschlechtsverkehr war es mit S. K. nicht gekommen - wandte er sich der Zeugin zu und entschloß sich, diese zu vergewaltigen. Das Maß der aufgewendeten Gewalt war zwar nicht besonders schwerwiegend, aber infolge des angetrunkenen Zustandes der Zeugin benötigte der Angeklagte auch nicht viel Gewalt zur Durchsetzung seiner Wünsche. Auch hier nutzte er wieder die besondere psychische Situation der Zeugin aus. Die Zeugin hatte im Hause der Großeltern Zuflucht gesucht aber von dem Angeklagten nicht erhalten. Unter Berücksichtigung dieser Umstände hielt die Kammer die Anwendung des § 177 Abs. 2 StGB minder schwerer Fall nicht für gerechtfertigt. Bei der Strafzumessung im einzelnen hat die Kammer erneut die dargestellten Umstände berücksichtigt.

Die Kammer hat weiter die subjektiven Umstände berücksichtigt, daß der Angeklagte Untersuchungshaft verbüßt hat. Die besondere Belastung des Verfahrens hat die Kammer auch in diesem Fall gesehen und mildernd berücksichtigt. Deshalb war wie im vorgenannten Fall die Verhängung der Mindeststrafe für ausreichend zu erachten. Die Kammer hielt eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren für tat- und schuldangemessen.

Im Fall 4 hat die Kammer wiederum geprüft, ob ein minder schwerer Fall angenommen werden kann. Diese Frage war zu verneinen. In diesem Fall war erschwerend zu berücksichtigen, daß der Angeklagte die Tat ausgeübt hat, obwohl S. S. inzwischen stationär wegen der psychischen Belastungen behandelt wurde und obwohl er wußte, daß der Vater der Zeugin bereits wegen ähnlicher Delikte in Untersuchungshaft saß. Gleichwohl hat er die Situation ausgenutzt, in der die Zeugin ihm wiederum ausgeliefert war. Deshalb verbietet sich die Anwendung des minder schweren Falles. Bei der Strafzumessung hatte die Kammer diese Umstände erneut zu berücksichtigen. Die erhöhte kriminelle Energie des Angeklagten war ebenfalls strafschärfend zu sehen. Der Angeklagte hat die Tat begangen, obwohl er wußte, daß A. S. wegen ähnlicher Vorwürfe in Untersuchungshaft saß. Die Kammer hat mildernd wiederum berücksichtigt die Untersuchungshaft und die Haftempfindlichkeit des Angeklagten. Unter Beachtung dieser Umstände hielt die Kammer eine Freiheitsstrafe von 2 Jahren und 9 Monaten für tat- und schuldangemessen.

Im Fall 5) hat die Kammer den Angeklagten freigesprochen.

Im Fall 6) hat der Angeklagte den Tatbestand des § 178 StGB verwirklicht. Zu einem Geschlechtsverkehr kam es nicht. Die. Kammer geht zugunsten des Angeklagten in diesem Fall davon aus, daß es deswegen nicht zu einem Geschlechtsverkehr kam, weil der Angeklagte nicht weitergehen wollte. Andererseits war auch bei diesem Fall die Frage zunächst zu erörtern, ob es sich um einen minder schweren Fall der sexuellen Nötigung gemäß § 178 Abs. 2 StGB handelte. Diese Frage hat die Kammer verneint. In besonders schwerwiegendem Maße muß berücksichtigt werden, daß der Angeklagte wiederum eine für die Zeugin ausweglose Situation ausnutzte. Die Zeugin wollte in ihr Elternhaus. Sie konnte nicht die Türe öffnen, weil sie keinen Schlüssel hatte. Die Mutter war nicht anwesend. Die Geschwister wurden nicht wach. Der Angeklagte nahm sie mit und auf dem Weg, die Mutter abzuholen, beging er die Tat. Hinzu kommt, daß der Angeklagte in diesem Fall in massiver Weise Gewalt gegen die Zeugin anwendete. Er war wütend über ihre Ankündigung, seine Taten ebenfalls anzuzeigen. Er schlug und quetschte die Zeugin, um sich abzureagieren und seine Wünsche durchzusetzen. Dadurch erlitt die Zeugin erhebliche Hämatome an den Oberschenkeln und an der Brust. Die Zeugin hat dadurch Schmerzen erlitten, die bei der Bewertung der Tat zu berücksichtigen sind. Unter Abwägung der objektiven Tatumstände und der subjektiven Gegebenheiten hielt die Kammer die Anwendung eines minder schweren Falls für nicht begründbar. Bei der Strafzumessung als solcher mußte die Kammer berücksichtigen, daß diese Tat von dem Angeklagten begangen wurde, obwohl der Prozeß gegen A. S. kurz bevorstand. Weiter war zu beachten, daß die Zeugin S. S. noch immer im Krankenhaus wegen der psychischen Belastungsreaktion behandelt wurde. Sie hatte an diesem Tag lediglich Urlaub, wie dem Angeklagten bewußt war. Das Maß der Gewalt war nicht unerheblich. Die Verletzungen waren für die Zeugin schmerzhaft. Insgesamt hielt die Kammer unter Beachtung der besonderen persönlichen Umstände des Angeklagten wie Untersuchungshaft und Haftempfindlichkeit eine Freiheitsstrafe von 1 Jahr und 9 Monaten für tat- und schuldangemessen.

Im Fall 7) hatte die Kammer wiederum zu prüfen, ob die Voraussetzungen des minder schweren Falles des § 177 Abs. 2 StGB gegeben sind. Diese Frage war zu verneinen. Zum einen spricht dagegen, daß der Angeklagte hier wiederum massive Gewalt anwendete. Er schlug die Zeugin gegen die Brust. Er quetschte die Innenseiten der Oberschenkel, so daß erhebliche Hämatome entstanden. Vor allem die rechte Brust wurde in Höhe des Warzenhofes stark verletzt. Er verübte die Tat in kurzer Abfolge zu Fall 6). Obwohl auch in diesem Fall die Zeugin den Angeklagten wieder darauf hinwies, daß sie ihn anzeigen werde, übte er die Tat aus. Dabei bedrohte er zusätzlich die Zeugin, daß dann, wenn sie etwas sage, die Mutter sich umbringen werde. Er schürte damit die Angst der Zeugin um ihre Mutter und nutzte diese für seine Zwecke aus.

Aufgrund dieser Umstände verbietet sich die Anwendung des § 177 Abs. 2 StGB. Bei der Strafzumessung hat die Kammer diese vorgenannten Umstände berücksichtigt und die besonderen persönlichen Umstände des Angeklagten gesehen. Die Kammer mußte berücksichtigen, daß der Angeklagte in kurzer Abfolge diese Tat beging. Das gegen A. S. gerichtete Verfahren stand bevor, was der Angeklagte auch nicht zum Anlaß nahm, von seiner Nichte abzulassen. Schließlich hat der Angeklagte wiederum das Vertrauensverhältnis im besonderen Maße mißbraucht, das die Zeugin ihm entgegengebracht hat. Sie hatte ja nur auf Bitten der Mutter, was der Angeklagte wußte, die Diskothekenfahrt mit ihm und ihrer Freundin unternommen. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände hielt die Kammer es bei diesem Fall für geboten, eine Einzelstrafe von 3 Jahren festzusetzen.

Bei der Gesamtstrafenbildung war diese für Fall 7) festzusetzende Einzelstrafe als Einsatzstrafe zu werten. Bei der Gesamtstrafenbildung hatte die Kammer die Einzelumstände der jeweiligen Taten erneut gewürdigt. Zu Lasten des Angeklagten war weiter zu berücksichtigen, daß die Zeugin zumindest durch die vom Angeklagten verursachte Verfahrensverlängerung einer besonderen psychischen Belastung ausgesetzt war. Der Angeklagte nämlich hatte es zu vertreten, daß das Verfahren wiederholt werden mußte. Er hatte sich von seinem damaligen Verteidiger abgewandt. Die dadurch entstandenen Folgen durch die erneute Vernehmung der Zeugin sind dem Angeklagten zuzurechnen. Im übrigen hat die Kammer das Ausmaß der Folgen für die Zeugin, die auf die Taten des Angeklagten zurückzuführen sind, nicht sicher feststellen können, so daß zugunsten des Angeklagten hier keine straferschwerende Gesichtspunkte gesehen werden dürfen. Andererseits war aber dem Angeklagten zuzurechnen, daß durch die Taten, die die Zeugin erleiden mußte und die sie zur Aufarbeitung der eigenen Problematik offenbaren mußte, die Zeugin ihre Familie verloren hat. Diesen Umstand kannte der Angeklagte, so daß insoweit die Folgen ihm zuzurechnen sind.

Mildernd hat die Kammer bei der Bemessung der Gesamtfreiheitsstrafe die besondere Haftempfindlichkeit des Angeklagten berücksichtigt. Er ist erstmals vor Gericht und verbüßt erstmals Untersuchungshaft bzw. dann Strafhaft. Ersichtlich hat die Haft auf den Angeklagten nachhaltig gewirkt. Der Angeklagte ist bisher auch straffrei durchs Leben gegangen, so daß sich dieser Umstand auch mildernd auswirkt. Auch ist im übrigen die Strafempfindlichkeit wegen des vorgeworfenen Deliktes erheblich, zumal der Angeklagte sich wegen dieser Taten nur sehr schwer in der JVA wird behaupten können. Dies ist zwar nicht zu dulden, es ist jedoch bei der Prüfung der Strafempfindlichkeit als Tatsache zu berücksichtigen. Unter Berücksichtigung der dem Angeklagten zuzurechnenden Folgen der Tat einerseits und unter Berücksichtigung seiner besonderen persönlichen Haftsituation andererseits hielt die Kammer eine Gesamtfreiheitsstrafe von 4 Jahren und 6 Monaten für tat- und schuldangemessen und für ausreichend.

E.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 465 i.V.m. § 472 StPO, soweit der Angeklagte verurteilt worden ist.

Soweit er freigesprochen wurde, beruht die Kostenentscheidung auf § 467 Abs. I StPO.

Klein
Havliza
Schindhelm