Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 11.12.2017, Az.: 3 A 186/17
Abschiebungsandrohung; Abschiebungsverbot; Anerkannte Schutzberechtigte; Drittstaatenbescheid; Feststellungsinteresse; Feststellungsklage; Fortführungsentscheidung; Schutzstatus in Bulgarien; Unzulässigkeitsentscheidung; Verpflichtungsklage; Verpflichtungsklage auf Feststellung eines Abschiebungsverbotes
Bibliographie
- Gericht
- VG Göttingen
- Datum
- 11.12.2017
- Aktenzeichen
- 3 A 186/17
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2017, 54033
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 29 Abs 1 Nr 2 AsylVfG
- § 31 Abs 3 S 1 AsylVfG
- § 35 AsylVfG
- § 37 Abs 1 AsylVfG
- § 60 Abs 5 AufenthG
- Art 3 MRK
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit des Asylantrages nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG und die Abschiebungsandrohung werden unwirksam, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag
nach § 80 Abs. 5 VwGO gegen die Abschiebungsandrohung des Bundesamtes entspricht. Für eine teleologische Reduktion dieser Rechtsfolge des § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG ist aus Rechtsgründen kein Raum.
2. Anerkannten Schutzberechtigten droht in Bulgarien derzeit grundsätzlich eine Verletzung ihrer Rechte aus Art. 3 EMRK.
3. Im Falle der Unwirksamkeit der Unzulässigkeitsentscheidung und der Abschiebungsandrohung nach § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG kann das Begehren auf nationalen Abschiebungsschutz (§ 60 Abs. 5 bzw. 7 AufenthG) hinsichtlich des Zielstaates der Überstellung bzw. Abschiebung mit einer Verpflichtungsklage zur verwaltungsgerichtlichen Überprüfung gestellt werden.
Tatbestand:
Der Kläger wendet sich gegen seine Überstellung nach Bulgarien und begehrt die Feststellung von Abschiebungshindernissen hinsichtlich Bulgariens.
Der Kläger ist syrischer Staatsangehöriger. Nach seinen Angaben gegenüber dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) am 23.02.2016 reiste er nach dem Verlassen seiner Heimat zu Fuß über die Türkei nach Bulgarien, wo er sich ein halbes Jahr aufhielt und sodann am 08.08.2015 mit dem Flugzeug in die Bundesrepublik Deutschland einreiste und am 23.02.2016 einen Asylantrag stellte. Nach Auskunft der bulgarischen Behörden vom 29.03.2016 wurde dem Kläger dort am 28.05.2015 der internationale Flüchtlingsschutz („refugee status“) zuerkannt.
Mit Bescheid vom 20.02.2017 lehnte das Bundesamt den Asylantrag als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Aufenthaltsgesetz nicht vorliegen (Ziffer 2), forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen und drohte die Abschiebung nach Bulgarien oder einen anderen aufnahmebereiten oder -verpflichteten Staat an (Ziffer 3 Sätze 1 bis 3), gleichzeitig wurde die Feststellung getroffen, dass der Kläger nicht nach Syrien abgeschoben werden darf (Ziffer 3 Satz 4). Gleichzeitig verfügte das Bundesamt ein Einreise- und Aufenthaltsverbot gegenüber dem Kläger (Ziffer 4).
Der Kläger hat am 27.02.2017 Klage erhoben und gleichzeitig um die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht. Zur Begründung führte er an: Er dürfe nicht nach Bulgarien abgeschoben werden, da Abschiebungsverbote hinsichtlich Bulgariens vorlägen.
Mit Beschluss vom 09.03.2017 (3 B 187/17) hat das Gericht die aufschiebende Wirkung gegen die in Ziffer 3 des Bescheides vom 20.02.2017 enthaltene Abschiebungsandrohung angeordnet. Wegen der Einzelheiten der Begründung wird auf diesen Beschluss Bezug genommen.
Zunächst ging das Begehren des Klägers dahin, den Bescheid des Bundesamtes vom 20.02.2017 hinsichtlich der Ziffern 2. bis 4. aufzuheben. Nach einem richterlichen Hinweis an die Beteiligten u. a. auf die Rechtsfolge des § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG stellte der Kläger seine Anträge um.
Der Kläger beantragt nunmehr sinngemäß,
festzustellen, dass die Regelungen in Ziffer 1 und Ziffer 3 Satz 1 bis 3 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20.02.2017 nach § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG unwirksam geworden sind,
die Regelungen in Ziffer 2 und 4 des Bescheides des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 20.02.2017 aufzuheben,
sowie die Beklagte zu verpflichten, für den Kläger ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 Aufenthaltsgesetz hinsichtlich Bulgariens festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich zur Begründung auf die angefochtene Entscheidung.
Der Rechtsstreit ist mit Beschluss der Kammer vom 23.11.2017 auf den Berichterstatter als Einzelrichter zur Entscheidung übertragen worden.
Der Kläger hat mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 27.11.2017 auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet. Die Beklagte hat gegenüber dem Gericht durch allgemeine Prozesserklärung das Einverständnis mit dem Verzicht auf mündliche Verhandlung erklärt.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Beteiligten gewechselten Schriftsätze und den Inhalt der Gerichtsakte im Übrigen, die Verwaltungsvorgänge des Bundesamtes sowie die Ausländerakte Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Das Gericht entscheidet mit Einverständnis der Beteiligten gemäß § 101 Abs. 2 VwGO ohne mündliche Verhandlung.
Die Klage ist zulässig und begründet.
1. Dies gilt zunächst für den als Klageantrag zu 1. gestellten Feststellungsantrag.
Dieser ist zulässig. Er ist als Feststellungsantrag statthaft gemäß § 43 Abs. 1 VwGO (vgl. hierzu und zum Folgenden auch VG Braunschweig, Urteil vom 12.10.2017 - 3 A 149/17 -, UA, S. 3; VG Köln, Urteil vom 17.08.2017 - 20 K 2037/17 -, juris, Rn. 18; VG Düsseldorf, Urteil vom 08.06.2017 - 22 K 2442/17.A -, juris, Rn. 16). Ferner ist die Feststellungsklage nicht wegen des Vorrangs einer Anfechtungsklage unzulässig, § 43 Abs. 2 VwGO. Denn die mit einer Anfechtungsklage erreichbare Aufhebung der Regelungen, auf die sich der Feststellungsantrag bezieht, scheidet aus, nachdem diese - wie nachfolgend ausgeführt wird - bereits kraft Gesetzes nach § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG unwirksam geworden sind.
Der Kläger hat schließlich auch ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Denn das Bundesamt hat auf den gerichtlichen Hinweis vom 23.11.2017 auf die Rechtsfolgen des § 37 Abs. 1 AsylG sowie die Aufforderung, dem Gericht mitzuteilen, ob der streitgegenständliche Bescheid aufgehoben wird, nicht reagiert. Bei dieser Sachlage muss der Kläger davon ausgehen, dass die Beklagte an dem Bescheid in vollem Umfang festhält.
Die Klage ist mit dem Klageantrag zu 1. auch begründet. Die Regelungen in den Ziffern 1 und 3 Satz 1 bis 3 des Bescheides des Bundesamtes vom20.02.2017 sind zu dem gemäß § 77 Abs. 1 Halbsatz 2 AsylG maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung unwirksam. Maßgeblich für die rechtliche Beurteilung der erhobenen Klage ist das Asylgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 02.09.2008 (BGBl. I S. 1798), das zuletzt durch Artikel 2 des Gesetzes vom 20.07.2017 (BGBl. I S. 2780) geändert worden ist.
§ 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG bestimmt ausdrücklich, dass die Entscheidung des Bundesamtes über die Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG und die Abschiebungs-androhung unwirksam werden, wenn das Verwaltungsgericht dem Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht. Diese Voraussetzungen liegen vor, da das Gericht mit Beschluss vom 09.03.2017 (3 B 187/17) dem Antrag des Klägers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung entsprochen hat.
Auf die Gründe für die Stattgabe des Eilantrags kommt es nicht an. Ob das Gericht ernstliche Zweifel an der Unzulässigkeit des Asylantrags nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 und 4 AsylG oder am Vorliegen einer der sonstigen Voraussetzungen der Abschiebungsandrohung - hier das Fehlen von Abschiebungsverboten - hat, ist für den Eintritt der Rechtsfolgen des § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG unbeachtlich (vgl. VG Oldenburg, Urteil vom 17.07.2017 - 12 A 1375/17 -, UA S. 4; Urteil vom 19.07.2017 - 12 A 2396/17 -, UA S. 4; VG Köln, a.a.O., Rn. 22; VG Trier, Beschluss vom 16.03.2017 - 5 L 1846/17.TR -, juris, Rn. 14 f.; Pietzsch, in: Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 01.08.2017, § 34 Rn. 3.1; Bergmann, in: Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 11. Auflage 2016, § 37 Rn. 6; Marx, AsylG, 9. Aufl. 2017, § 37 Rn. 3; vgl. auch zum alten Recht GK-AsylVfG/Funke-Kaiser, § 37 AsylVfG, § 37 Rn. 7 m. w. N.). Dafür spricht der klare Wortlaut des § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG, der eine entsprechende Differenzierung nicht vorsieht.
Der Auffassung, § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG sei im Wege der teleologischen Reduktion auf jene Fälle zu beschränken, in denen auch die Unzulässigkeitsentscheidung selbst durchgreifenden rechtlichen Zweifeln begegne (so VG Lüneburg, Urteil vom 13.12.2016 - 8 A 175/16 -, juris), ist nicht zu folgen. Gegen diese Auffassung spricht zunächst die Systematik der Norm. Denn angesichts der Ausnahmeregelung in § 37 Abs. 3 AsylG, wonach Absatz 1 nicht gilt, wenn aufgrund der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die Abschiebung in einen der in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Staat vollziehbar wird, erscheint es fernliegend, eine weitere über diese gesetzliche Ausnahmeregelung hinausgehende Ausnahme zu schaffen (vgl. dazu VG Oldenburg, Urteil vom 19.07.2017, a.a.O.). Nach der Auffassung des Verwaltungsgerichts Lüneburg im genannten Urteil (a.a.O., Rn. 55) macht die Anordnung der Fortführung des Asylverfahrens nach § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG keinen Sinn, da sich aus § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG weiterhin ergebe, dass der Asylantrag unzulässig sei. Deshalb sei es nicht möglich, dass das fortzuführende Asylverfahren mit einem anderen Ergebnis enden könne als zuvor, da nach wie vor feststehe, dass ein anderer Mitgliedstaat bereits Schutz gewährt habe und diese Schutzgewährung Rechtswirkungen entfalte. Dies ist nur insoweit zutreffend, als diese sich aus § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG ergebende Rechtsfolge durch die Regelung in § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG nicht berührt wird (vgl. dazu aber auch BVerwG, Vorlagebeschluss an den EuGH vom 02.08.2017 - 1 C 2.17 -, juris). Dies betrifft jedoch lediglich die in § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG angeordnete Fortführung des Asylverfahrens, in welchem weiterhin § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG zu berücksichtigen ist. Diese Anordnung erfasst aber nicht die in § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG geregelte Rechtsfolge der Entscheidung des Gerichts nach § 80 Abs. 5 VwGO (vgl. dazu insgesamt VG Oldenburg, Urteil vom 17.07.2017, a.a.O., S. 4 ff.; Urteil vom 19.07.2017, a.a.O., S. 4 f.).
Auch aus den Materialien zum Integrationsgesetz vom 31.07.2016 (BGBl. I S. 1939; Gesetzentwurf vom 31.05.2016 in BT-Drucksache 18/8615) lässt sich kein abweichender Wille des Gesetzgebers entnehmen. Vielmehr legen diese Materialien nahe, dass es sich bei der Neuregelung des § 37 AsylG lediglich um eine redaktionelle Anpassung an die Neuregelung des § 29 AsylG handelte, indem schlicht der Begriff „unbeachtlich“ durch "unzulässig" ersetzt wurde, ggf. unter versehentlicher Außerachtlassung der inhaltlichen Neugestaltung des § 29 AsylG (vgl. dazu VG Köln, a.a.O., Rn. 22). Die jetzige Regelung des § 37 Abs. 1 AsylG ist daher durchaus ungewöhnlich und möglicherweise waren die Folgen so vom Gesetzgeber auch nicht beabsichtigt oder vorhergesehen. Angesichts des klaren Wortlauts der Vorschrift einerseits und des Fehlens jeglicher konkreten Anhaltspunkte für ein davon abweichendes Ziel oder einen abweichenden bestimmbaren Willen des Gesetzgebers scheidet eine Auslegung entgegen dem Wortlaut der Bestimmung, etwa durch teleologische Reduktion, zur Überzeugung des Gerichts aus (vgl. so auch VG Braunschweig, a.a.O.; VG Köln, a.a.O., Rn. 21 ff.; VG Oldenburg, Urteil vom 17.07.2017, a.a.O. und Urteil vom 19.07.2017, a.a.O.; VG Göttingen, Urteil vom 05.04.2017 - 2 A 386/16 -, UA S. 7 f.; VG Trier, a.a.O.; jedenfalls im Ergebnis auch VG Ansbach, Beschluss vom 11.08.2017 - AN 14 S 17.50857 -, juris, Rn. 34; VG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 16 ff.; VG Würzburg, Urteil vom 26.05.2017 - W 2 K 17.30868 -, juris, Rn. 19; VG München, Beschluss vom 03.05.2017 - M 2 K 17.34076 -, juris, Rn. 5 f.; VG Augsburg, Urteil vom 03.01.2017 - Au 7 K 16.32192 -, juris, Rn. 22 f.). Denn Voraussetzung für eine teleologische Reduktion ist, dass die vom Wortlaut umfassten Fälle der inneren Zielsetzung des Gesetzes widersprechen. Dafür müsste aber eine entsprechende - engere - Zielsetzung des Gesetzes erkennbar sein, was hier nicht der Fall ist. Auch das Bundesverwaltungsgericht hätte in seinem Urteil vom 14.12.2016 (1 C 4.16, juris) Anlass gehabt, sich zu einer einschränkenden Auslegung des § 37 Abs. 1 AsylG zu äußern; dies hat es indes nicht getan (vgl. dazu VG Göttingen, a.a.O.).
2. Auch der zulässige Anfechtungsantrag in Bezug auf Ziffer 2 und 4 des angegriffenen Bescheides ist begründet. Diese Teile des Bescheids werden nicht automatisch nach § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG unwirksam. Vielmehr liegen die tatbestandlichen Voraussetzungen für den Erlass der Ziffern 2 und 4 nicht (mehr) vor, nachdem die Regelungen in den Ziffern 1 und 3 Satz 1 bis 3 des Bescheides unwirksam geworden sind (vgl. dazu und zum Nachfolgenden auch VG Düsseldorf, a.a.O., Rn. 24 ff).
Denn die in Ziffer 2 des Bescheides getroffene Feststellung, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen, findet keine Rechtsgrundlage (mehr) in § 31 Abs. 3 Satz 1 AsylG. Nach dieser Vorschrift ist in den Fällen des § 31 Abs. 2 AsylG und in Entscheidungen über unzulässige Asylanträge festzustellen, ob die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG vorliegen. Ein solcher Fall ist hier nicht (mehr) gegeben. Die allein in Betracht kommende Variante eines unzulässigen Asylantrages liegt nicht vor, nachdem die entsprechende Entscheidung des Bundesamtes in Ziffer 1 des streitgegenständlichen Bescheides unwirksam geworden ist.
Auch die Befristung des gesetzlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 1 AufenthG in Ziffer 4 des angefochtenen Bescheides ist aufzuheben. Das Bundesamt ist für diese Entscheidung gemäß § 75 Nr. 12 AufenthG nur in Fällen einer Abschiebungsandrohung oder -anordnung nach dem AsylG zuständig. An einer solchen fehlt es jedoch, nachdem die in Ziffer 3 des Bescheides verfügte Abschiebungsandrohung unwirksam geworden ist.
3. Darüber hinaus hat der Kläger einen Anspruch auf Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG bezogen auf den Zielstaat der Überstellung bzw. Abschiebung (hier: Bulgarien), § 113 Abs. 5 VwGO.
Der zusätzliche Verpflichtungsantrag konnte zulässigerweise gestellt werden, da es sich jedenfalls um eine sachdienliche Klageänderung gemäß § 91 Abs. 1, 2. Alt. VwGO in Form der Klageerweiterung handelt. Denn die geänderte Klage ist geeignet, der endgültigen Ausräumung des Streitstoffes zwischen den Parteien im laufenden Verfahren zu dienen, und der Streitstoff ist dabei im Wesentlichen derselbe (vgl. BVerwG, Urteil vom 18.08.2005 - 4 C 13.04 -, juris, Rn. 22 m. w. N.). Nur durch einen entsprechenden, der Rechtskraft fähigen, Verpflichtungsausspruch des Gerichts ist das Bundesamt bei seiner Fortführungsentscheidung nach § 37 Abs. 1 Satz 2 AsylG entsprechend rechtlich gebunden. Dadurch kann ein weiteres Verfahren vermieden werden, da das Bundesamt ansonsten die Möglichkeit hätte, einen gleichlautenden Bescheid nochmals zu erlassen. Es könnte wegen der Rechtsfolge des § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG nie zu einer endgültigen verwaltungsgerichtlichen Klärung der Frage kommen, ob ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Bulgariens vorliegt.
Der Antrag ist auch zulässig, insbesondere statthaft. Denn in Fällen, in denen das Bundesamt die Unzulässigkeitsentscheidung nach § 29 Abs. 1 Nr. 2 AsylG mit der Feststellung verbunden hat, dass die Voraussetzungen des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG nicht vorliegen, kann der Kläger zusätzlich zu der gegen die Unzulässigkeitsentscheidung gerichteten Anfechtungsklage das Begehren auf nationalen Abschiebungsschutz hinsichtlich des in Rede stehenden Zielstaates der Überstellung bzw. Abschiebung hilfsweise mit der Verpflichtungsklage zur verwaltungsgerichtlichen Prüfung stellen (im gleichen Sinne BVerwG, Urteil vom 14.12.2016 - 1 C 4.16 -, juris, Rn. 20 - zur Unzulässigkeitsentscheidung gem. § 29 Abs. 1 Nr. 5 AsylG). Dabei ist der Antrag in der vorliegenden Situation als Hauptantrag statthaft, da nach der verwaltungsgerichtlichen Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung im Hinblick auf die Wirkung des § 37 Abs. 1 Satz 1 AsylG die etwaige Bedingung bereits qua Gesetz eingetreten ist (vgl. die Statthaftigkeit in dieser Situation ebenfalls bejahend VG Oldenburg, Urteil vom 17.07.2017, a.a.O., S. 6 und Urteil vom 19.07.2017, a.a.O., S. 5). Zudem besteht aus dem soeben zur Sachdienlichkeit der Klageänderung beschriebenen Grund für den Kläger ein Rechtschutzinteresse am Verpflichtungsantrag.
Der Antrag ist auch begründet. Denn es besteht ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK in Bezug auf den in der Abschiebungsandrohung bezeichneten Zielstaat Bulgarien.
Gemäß § 60 Abs. 5 AufenthG darf ein Ausländer nicht abgeschoben werden, soweit sich aus der Anwendung der Konvention vom 04.11.1950 zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) ergibt, dass die Abschiebung unzulässig ist. Das ist derzeit im Hinblick auf eine Abschiebung des Klägers nach Bulgarien der Fall. Denn nach einer Gesamtwürdigung der aktuellen Erkenntnislage zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. AsylG) ergibt sich, dass aufgrund der allgemeinen Lebensbedingungen von anerkannten Schutzberechtigten in Bulgarien für den Kläger die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK besteht.
a. Grundsätzlich gilt zwar, dass ein Flüchtling in jedem Mitgliedstaat der Europäischen Union gemäß den Anforderungen der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (ABl. C 83/389 vom 30.03.2010), des Abkommens über die Rechtsstellung der Flüchtlinge vom 28.07.1951 (BGBl. II 1953, S. 559) sowie der Europäischen Konvention der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 04.11.1950 (BGBl. II 1952, S. 685, ber. S. 953, in der Fassung der Bekanntmachung vom 22.10.2010 [BGBl. II S. 1198]) behandelt wird. Bulgarien unterliegt als Mitgliedstaat der Europäischen Union dem Unionsrecht und ist den Grundsätzen einer gemeinsamen Asylpolitik sowie den Mindeststandards eines gemeinsamen Asylsystems verpflichtet. Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris, Rn. 180 f.) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris, Rn. 79 ff.) gilt daher die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber dort - wie in jedem anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union - den Erfordernissen der EU-Grundrechtecharta sowie der Genfer Flüchtlingskonvention (GK) und der EMRK entspricht und dass das bulgarische Asylrecht im Allgemeinen in Einklang mit den internationalen und europäischen Standards steht sowie die wichtigsten Garantien einhält. Insoweit wird zunächst vermutet, dass die Lebensbedingungen für anerkannte Flüchtlinge in Bulgarien nicht gegen Art. 3 EMRK verstoßen. Diese Vermutung kann allerdings widerlegt werden, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Asylsystem in der Praxis auf größere Funktionsstörungen in einem bestimmten Mitgliedstaat stößt (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 81).
Nach Art. 3 EMRK darf niemand einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung unterworfen werden. Eine Behandlung ist unmenschlich im Sinne von Art. 3 EMRK, wenn sie absichtlich und über eine gewisse Dauer hinweg erfolgt und dabei entweder eine Körperverletzung oder zumindest intensives psychisches oder physisches Leid verursacht. Die Behandlung eines Menschen ist als erniedrigend anzusehen, wenn sie erkennen lässt, dass es an der Achtung der Menschenwürde fehlt, diese unmittelbar angreift oder Gefühle von Angst, Schmerz oder Unterlegenheit erweckt, die geeignet sind, den moralischen oder körperlichen Widerstand einer Person zu brechen (vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 21.01.2011 - Nr. 30696/09 - M.S.S. / Belgien u. Griechenland, NVwZ 2011, 413, Rn. 220).
Nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte können auch die staatlich zu verantwortenden allgemeinen Lebensbedingungen eine unmenschliche oder erniedrigende Behandlung darstellen. Der EGMR hat die dabei bestehenden staatlichen Gewährleistungspflichten im Einzelnen folgendermaßen konkretisiert. Art. 3 EMRK kann nach dessen Rechtsprechung (vgl. EGMR, Große Kammer, Urteil vom 21.01.2011, a.a.O., S. 415 ff.; Urteil vom 04.11.2014 - Nr. 29217/12 -, Tarakhel / Schweiz, NVwZ 2015, 127, 129 ff.) zwar nicht dahingehend ausgelegt werden, dass er die Mitgliedstaaten verpflichtet, jede auf ihrem Hoheitsgebiet befindliche Person mit einer Unterkunft zu versorgen. Auch enthalte Art. 3 EMRK keine generelle Verpflichtung, Flüchtlingen finanzielle Unterstützung zu gewähren, um ihnen einen bestimmten Lebensstandard zu ermöglichen. Es sei jedoch nicht ausgeschlossen, dass die Verantwortlichkeit eines Staates unter Art. 3 EMRK gegeben sein könne, wenn ein völlig von staatlicher Unterstützung abhängiger Flüchtling - trotz ausdrücklich im nationalen Recht verankerter Rechte - mit Gleichgültigkeit seitens des Staates konfrontiert sei, während er sich in einer mit der Menschenwürde unvereinbaren Situation ernster Bedürftigkeit befinde (vgl. EGMR, Urteil vom 21.01.2011, a.a.O., Rn. 253; EGMR, Urteil vom 04.11.2014, a.a.O., Rn. 98; vgl. hierzu auch Meyer-Ladewig/Lehnert, in: Meyer-Ladewig, EMRK, 4. Aufl. 2017, Art. 3 Rn. 81). Eine Verletzung von Art. 3 sei anzunehmen, wenn der Asylsuchende obdachlos sei, keinerlei Zugang zu sanitären Einrichtungen und allgemeinen sozialen Unterstützungen habe und überdies keine Möglichkeit und Perspektive bestehe, dass der Betroffene seine Grundbedürfnisse befriedigen könne (vgl. EGMR, Urteil vom 21.01.2011 a. a. O, Rn. 263 f.; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 08.05.2017 - 2 BvR 157/17 -, juris, Rn. 15). Daher sind in Art. 20 ff. Richtlinie 2011/95/EU (sog. Qualifikationsrichtlinie) Minimalstandards für alle Mitgliedstaaten der Europäischen Union verbindlich vorgegeben, was deren Asylsystem zu leisten im Stande sein muss. Allerdings führt nicht bereits jeder Verstoß gegen Art. 20 ff. Richtlinie 2011/95/EU zu einem Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 AufenthG i. V. m. Art. 3 EMRK (vgl. EuGH, Urteil vom 21.12.2011 - C-411/10 und C-493/10 -, juris, Rn. 84; OVG Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 07.07.2016 - 13 A 2132/15.A -, juris, Rn. 43). Bei der Prüfung eines Verstoßes gegen Art. 3 EMRK ist auch zu berücksichtigen, dass das Unionsrecht den Betroffenen lediglich Inländergleichbehandlung (vgl. etwa Art. 26, 27, 28 Abs. 1, 29, 30 der Richtlinie 2011/95/EU) oder Gleichbehandlung mit anderen sich rechtmäßig aufhaltenden Drittstaatsangehörigen (vgl. etwa Art. 32 und 33 der Richtlinie 2011/95/EU) gewährt. Jedoch ist es erforderlich, dass die dort gewährleisteten Rechte praktisch sowie effektiv und nicht nur theoretisch und illusorisch zur Verfügung stehen (vgl. EGMR, Urteil vom 13.12.2016 - Nr. 41738/10, Paposhvili / Belgien, juris, Rn. 189 ff.). Dies gilt insbesondere dann, wenn die von Art. 34 Richtlinie 2011/95/EU vorgeschriebenen Integrationsmaßnahmen nicht existieren (vgl. BVerfG, Beschluss vom 08.05.2017 - 2 BvR 157/17 -, juris, Rn. 20).Auch ist zu berücksichtigen, dass Asylbewerber wegen ihrer traumatischen Fluchterlebnisse eine besonders verletzliche und hilfsbedürftige Gruppe darstellen (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014, a.a.O., Rn. 118 und vom 21.01.2011, a.a.O. - insoweit in NVwZ 2011, 413, nicht abgedruckt).
Ferner müssen ernsthafte und durch Tatsachen bestätigte Gründe für die Annahme vorliegen, dass ein Ausländer Gefahr läuft, einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK ausgesetzt zu werden. Eine Prüfung solcher ausnahmsweise vorliegenden Hinderungsgründe kann der Ausländer nur erreichen, wenn es sich aufgrund bestimmter Tatsachen aufdrängt, dass er von einem in dem Konzept nicht berücksichtigten Sonderfall betroffen ist. An diese Darlegung sind strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG, Urteil vom 14.05.1996 - 2 BvR 1938/93, 2 BvR 2315/93 -, juris, Rn. 189 f.; vgl. auch EuGH, Urteil vom 21.12.2011, a.a.O., Rn. 88 bis 94 und 106; BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014 - 10 B 6/14 -, juris, Rn. 9; Nds. OVG, Beschluss vom 20.12.2016 - 8 LB 184/15 -, juris, Rn. 32 f.). Es gilt der Maßstab der beachtlichen, d. h. überwiegenden Wahrscheinlichkeit (vgl. BVerwG, Beschluss vom 19.03.2014, a.a.O.). Maßgebend ist dabei die tatsächliche Gefahr einer Menschenrechtsverletzung, ohne dass es darauf ankommt, ob systemische Mängel vorliegen (vgl. EGMR, Urteil vom 04.11.2014, a.a.O.; Nds. OVG, Urteil vom 25.06.2015 - 11 LB 248/14 -, juris, Rn. 55 f. zur Überstellung nach den Dublin-Regeln).
b. Gemessen an diesem strengen Maßstab ergibt sich nach einer Gesamtwürdigung der aktuellen Erkenntnislage zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (vgl. § 77 Abs. 1 Satz 1, 2. Hs. AsylG), dass aufgrund der allgemeinen Lebensbedingungen von anerkannten Schutzberechtigten in Bulgarien für den Kläger - ohne eine hier fehlende konkret-individuelle Zusicherung seitens der bulgarischen Behörden - die konkrete Gefahr einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK besteht (vgl. ebenso Hess. VGH, Urteil vom 04.11.2016 - 3 A 1292/16.A -, juris, Rn. 34 ff., wobei dort sogar systemische Mängel angenommen werden; VG Oldenburg, Urteil vom 10.10.2017 - 12 A 6239/17 -, UA S. 4 ff; Urteil vom 17.01.2017 - 12 A 3971/16 -, juris, Rn. 27 ff.; VG Göttingen, Beschluss vom 04.05.2017 - 3 B 306/17; Beschluss vom 03.11.2016 - 2 B 361/16 -, juris, Rn. 5 ff.; VG Aachen, Beschluss vom 28.03.2017 - 8 L 382/17.A -, juris, Rn. 8 ff.; VG Stade, Beschluss vom 27.03.2017 - 10 B 834/17 -, BA S. 5 ff.; VG Würzburg, Urteil vom 19.01.2017 - W 2 K 15.30138 -, juris, Rn. 20 ff. jedenfalls für vulnerablen Kläger; VG Lüneburg, Urteil vom 21.12.2016 - 8 A 170/16 -, juris, Rn. 56 ff.; VG Braunschweig, Urteil vom 07.12.2016 - 9 A 121/16 -, UA S. 4 ff.; VG Gelsenkirchen, Urteil vom 19.02.2016 - 2a K 2466/15.A -, juris, Rn. 53 ff.; differenzierend OVG Saarland, Urteil vom 10.01.2017 - 2 A 330/16 -, juris, Rn. 30, welches eine individuelle Zusicherung für die Gewährung einer Anlaufadresse für angemessene Zeit verlangt).
Unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und nach einer Gesamtwürdigung der aktuellen Erkenntnislage droht dem Kläger im Falle einer Abschiebung nach Bulgarien die Gefahr, einer solchen Situation ausgesetzt zu sein, in der er nach seiner Ankunft über einen längeren Zeitraum keinen effektiven Zugang zu Obdach, Nahrungsmitteln und sanitären Einrichtungen haben und damit „auf der Straße“ sich selbst überlassen sein wird. Dabei stützt das Gericht seine Einschätzung maßgeblich auf den Bericht von Frau Dr. Ilareva zur Lage anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien vom 07.04.2017 („Expertise zu der aktuellen rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen Situation anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien“, Antwort an OVG Niedersachsen, Übersetzung aus der englischen Sprache vom 14.07.2017, im Folgenden: Bericht Dr. Ilareva) sowie auf den aktuellen Bericht des Auswärtigen Amtes zur Situation anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien vom 18.07.2017 („Situation anerkannter Schutzberechtigter in Bulgarien“, Antwort an OVG Niedersachsen auf dessen Schreiben vom 10.03.2017 - Az.: 2 LB 212/16, im Folgenden: Bericht Auswärtiges Amt).
Unter Auswertung derselben - aktuellsten - Erkenntnismittel führt das Verwaltungsgericht Braunschweig aus (Urteil vom 11.10.2017 - 9 A 359/17 -, UA, S. 18 - 22):
„Entgegen seiner Verpflichtung aus Art. 34 Richtlinie 2011/95/EU gewährleistet Bulgarien nicht den Zugang zu Integrationsprogrammen. Denn sowohl Frau Dr. Ilareva als auch das Auswärtige Amt beschreiben, dass in Bulgarien derzeit kein staatlicher Integrationsplan und auch kein vergleichbares staatliches Programm für anerkannte Schutzberechtigte existiere (Bericht Dr. Ilareva, S. 2 f.; Bericht Auswärtiges Amt, S. 2 ff.). Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die fehlenden staatlichen Integrationsprogramme durch die Maßnahmen der Nichtregierungsorganisationen kompensiert werden. Denn soweit das Bulgarische Rote Kreuz im Auftrag des UNHCR Integrationsmaßnahmen durchführe, seien - nach dem aktuellen Stand - hiervon lediglich 40 Personen betroffen (Bericht Dr. Ilareva, S. 4; Bericht Auswärtiges Amt, S. 4). Im Rahmen des von der Internationalen Organisation für Migration durchgeführten Projektes „Aus- und Weiterbildung von Drittstaatlern und internationalen Schutzberechtigten“ hätten zwar 120 Personen an einer bulgarischen Sprachausbildung teilgenommen. Allerdings sei dieses Projekt zum April 2017 ausgelaufen (Bericht Dr. Ilareva, S. 4). Daneben betreibe der Caritas Verband in Sofia ein Zentrum für die Integration von Flüchtlingen und Migranten. Dort hätten im Jahr 2016 ca. 287 Personen (Asylbewerber und anerkannte Schutzberechtigte) diverse Unterstützungsleistungen wie beispielsweise bulgarische Sprachkurse und Hilfe bei der Suche von Unterkunft und Arbeit erhalten (Bericht Dr. Ilareva, S. 5; Bericht Auswärtiges Amt, S. 5). Die Teilnehmerzahl erscheint im Verhältnis zu der voraussichtlichen Anzahl der in Bulgarien lebenden anerkannten Schutzberechtigten, die sich nach Schätzungen auf zwischen einigen Hunderten und 5.000 Personen belaufen würden (Auswärtiges Amt, S. 2), relativ gering.
Daneben erscheint es auch sehr zweifelhaft, dass anerkannte Schutzberechtigte in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft in den Genuss der Unterstützungsleistungen der Nichtregierungsorganisationen kommen. Denn dies setzt eine entsprechende Kenntnis von den spezifischen Nichtregierungsorganisationen voraus. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes würden Rückkehrer von Nichtregierungsorganisationen nur ausnahmsweise dann am Flughafen in Empfang genommen werden, wenn sie von anderen Organisationen oder staatlichen Behörden des Landes, das den Schutzberechtigten zurückschickt, auf die betreffende Person aufmerksam gemacht werden (Auswärtiges Amt, S. 5).
Vorliegend droht dem Kläger im Falle der Abschiebung nach Bulgarien zumindest in der ersten Zeit nach seiner Ankunft über einen langen Zeitraum die Gefahr der Obdachlosigkeit. So beschreiben sowohl Frau Dr. Ilareva als auch das Auswärtige Amt, dass für aus dem Ausland zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte nach wie vor keine staatlichen Unterkünfte bereitgehalten werden würden. Insbesondere werde die Praxis, dass anerkannte Schutzberechtigte für bis zu sechs Monate nach Anerkennung ihres Schutzstatuses in den Aufnahmezentren leben dürfen, nicht auf Rückkehrer aus dem Ausland angewandt (Bericht Dr. Ilareva, S. 8; Bericht Auswärtiges Amt, S. 8). Hingegen steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass anerkannte Schutzberechtigte zum maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung in einem der zwölf „Zentren für temporäre Unterbringung“ eine Unterkunft für maximal drei Monate in Anspruch nehmen könnten (so das Bundesamt im angegriffenen Bescheid). Zum einen stammen die angegebenen Erkenntnisquellen aus dem Jahr 2001 (National Legislative Bodies/ National Authorities) bzw. 2016 (Auskunft der Agentur für soziale Unterstützung an das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl [in bulgar. Sprache]). Es bestehen daher erhebliche Zweifel, ob die angegebenen Erkenntnisquellen noch allgemeine Gültigkeit zum jetzigen Zeitpunkt beanspruchen können. Zum anderen ist die angegebene Webseite http://www.asp.government.bg/ASP_Client/ClientServlet?cmd=add_content&lng=1§id=24&s1=23&selid=23 nicht mehr aufrufbar. Ferner gibt das Auswärtige Amts an, dass es zwar eine sehr begrenzte Anzahl an preiswerten Sozialwohnungen gebe (Bericht Auswärtiges Amt, S. 8). Allerdings setze die Vergabe einer solchen Sozialwohnung beispielsweise in Sofia voraus, dass wenigstens ein Familienmitglied die bulgarische Staatsangehörigkeit habe sowie seinen festen Wohnsitz mindestens zehn Jahre ohne Unterbrechung in Sofia gehabt hätte (Bericht Dr. Ilareva, S. 9). Daneben sei die eigenständige Suche der anerkannten Schutzberechtigten nach einer Wohnung auf dem freien Markt schwierig, da Sprachbarrieren bestünden sowie Vermieter diverse Vorbehalte gegenüber Migranten muslimischen Glaubens hätten bzw. fremdenfeindlich seien (Bericht Dr. Ilareva, S. 9; Bericht Auswärtiges Amt, S. 9).
Daneben droht dem Kläger im Falle der Abschiebung nach Bulgarien die Gefahr, dass er mangels Unterkunft in eine existenzielle Notlage geraten würde. Zwar hätten anerkannte Schutzberechtigte unter denselben Bedingungen wie bulgarische Staatsangehörige einen Anspruch auf Sozialhilfe. Allerdings würden die Hindernisse für den tatsächlichen Zugang zu Sozialhilfe nach wie vor fortbestehen (Bericht Dr. Ilareva, S. 7; Bericht Auswärtiges Amt, S. 7). So beschreibt Frau Dr. Ilareva auf Seite 3 ff. in ihrem vorangegangenen Bericht vom 27. August 2015 („Bericht über die derzeitige rechtliche, wirtschaftliche und soziale Lage anerkannter Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigter in Bulgarien“, Antwort an VGH Baden-Württemberg) die Situation wie folgt: Dreh- und Angelpunkt“ sei für die anerkannten Schutzberechtigten in Bulgarien das Erreichen einer Meldeadresse („Meldebestätigung“), die eine Unterkunft voraussetze. Die Meldebestätigung sei erforderlich, um ein bulgarisches Ausweisdokument beantragen zu können. Die Vorlage eines solchen Ausweisdokumentes werde insbesondere benötigt, um sich beim Jobcenter der Agentur für Arbeit als arbeitssuchend zu melden. Die Registrierung beim Jobcenter sei - neben dem Ausweisdokument - wiederum eine der Voraussetzungen für das Stellen eines Antrags auf Sozialhilfe. Daneben hätten anerkannte Schutzberechtigte zwar das Recht, sich eine Arbeit auf dem freien Arbeitsmarkt zu suchen. Aufgrund der fehlenden Kenntnis der Landessprache seien es bisher aber nur wenige Schutzberechtigte, die eine Arbeit gefunden hätten (Bericht Dr. Ilareva, S. 6; Bericht Auswärtiges Amt, S. 6).
Soweit das Bundesamt im angegriffenen Bescheid vorträgt, dass anerkannte Schutzberechtigte den gleichen rechtlichen Anspruch auf staatliche Familienbeihilfe sowie Beihilfe für bedürftige Familien (Sozialhilfe) wie Einheimische hätten, kann daraus noch nicht geschlussfolgert werden, dass dieser Anspruch in der Praxis auch effektiv umgesetzt werden kann. Denn Anspruchsinhaber sind - ausweislich der von der Beklagten angegebenen Erkenntnisquelle - bulgarische Einwohner (vgl. https://www.ssa.gov/policy/docs/progdesc/ssptw/2016-2017/europe/bulgaria.pdf, S. 63 „Coverage: All residents of Bulgaria.“). Es ist daher davon auszugehen, dass sich die Ausführungen von Frau Dr. Ilareva zur Beantragung von Sozialhilfe auf die Beantragung von staatlicher Familienbeihilfe übertragen lassen. Insofern setzt der Leistungsbezug voraus, dass der Einwohnerstatus im Wege der Vorlage eines bulgarischen Ausweisdokumentes bzw. einer Meldebestätigung nachgewiesen wird. Ebenso kann der Kläger aller Voraussicht nach in Bulgarien keine Arbeitslosenhilfe beziehen. Denn bereits nach den Ausführungen der Beklagten setzt die Gewährung von Arbeitslosenhilfe voraus, dass der Betroffene innerhalb von 15 Monaten vor Beendigung des letzten Arbeitsverhältnisses mindestens 9 Monate lang Beiträge in die Arbeitslosenversicherung eingezahlt haben muss. […]
Die zumindest in der Anfangszeit nach der Rückkehr bestehende Gefahr der Obdachlosigkeit sowie die daran anknüpfende Gefahr, in eine existenzielle Notlage zu geraten, ist zwar ausnahmsweise dann ausgeschlossen, wenn die Beklagte sichergestellt hat - zum Beispiel durch individuelle Zusicherungen bulgarischer Behörden -, dass dem Kläger eine Unterkunft in Bulgarien für einen angemessenen Zeitraum gestellt wird (vgl. OVG Saarland, Urteil vom 13.12.2016 – 2 A 260/16 –, Rn. 28 und 32, juris). Allerdings ist im vorliegenden Einzelfall eine solche Sicherstellung weder dem angegriffenen Bescheid noch dem beigezogenen Verwaltungsvorgang zu entnehmen.
Insoweit kann es dahinstehen, ob der Zugang zur Gesundheitsversorgung der anerkannten Schutzberechtigten in Bulgarien in ausreichendem Maße gewährleistet ist. Nach der Auskunft des Auswärtigen Amtes sei der Zugang zum Gesundheitssystem zumindest hinsichtlich der Notfallversorgung sichergestellt und kostenlos (Bericht Auswärtiges Amt, S. 10). Im Übrigen müssten sich anerkannte Schutzberechtigte wie bulgarische Staatsbürger selbstständig versichern und die monatlichen Beiträge für ihre Krankenversicherung selbst zahlen (Bericht Dr. Ilareva, S. 10; Bericht Auswärtiges Amt, S. 9).
Nach einer Gesamtwürdigung der aktuellen Erkenntnislage ist das hiesige Gericht davon überzeugt, dass dem Kläger im Falle der Abschiebung nach Bulgarien zumindest in der ersten Zeit nach seiner Ankunft über einen langen Zeitraum die Gefahr der Obdachlosigkeit sowie die daran anknüpfende Gefahr, in eine existenzielle Notlage zu geraten, droht. Denn faktisch dürfte der Kläger in Bulgarien aus den beschriebenen Gründen wohl keinen Zugang zu einer baldigen Unterkunft haben. Insbesondere wird die Erlangung einer Sozialwohnung voraussichtlich an den geschilderten hohen Hürden (zum Beispiel bulgarische Staatsangehörigkeit eines Familienmitgliedes) scheitern. Da die Gewährung von Sozialhilfe eine Meldebestätigung voraussetzt und der Zugang zum Arbeitsmarkt äußerst erschwert ist, wird es für den Kläger voraussichtlich schwierig sein, die entsprechende Miete für eine Unterkunft zu zahlen. Insbesondere vertritt das hiesige Gericht nicht die Auffassung, dass anerkannte Schutzberechtigte darauf verwiesen werden können, den für die Meldebestätigung erforderlichen Nachweis für eine Unterkunft durch eine „gekaufte Adresse“ zu führen. Selbst wenn der Kläger die entsprechende Miete für eine Unterkunft aus seinen Ersparnissen aufbringen könnte, um sich eine Wohnung anzumieten und damit (auf legaler Weise) eine Meldebestätigung zu erlangen, so stehen einer erfolgreichen Wohnungssuche aller Voraussicht nach die beschriebenen Schwierigkeiten - insbesondere die Fremdenfeindlichkeit und die Sprachbarriere - entgegen. Es ist daher damit zu rechnen, dass der Kläger bei einer Rückkehr nach Bulgarien längerfristiger Obdachlosigkeit ausgesetzt wäre, die gegebenenfalls über Monate oder länger fortbestehen könnte. Ferner ist zu berücksichtigen, dass sich die Lage des Klägers grundlegend von der Lebenssituation der bulgarischen Bevölkerung unterscheidet. Denn er hat keine sozialen Kontakte, kann nicht auf wirksame familiäre oder nachbarschaftliche Hilfe zurückgreifen und ist weitestgehend auf sich allein gestellt. Daneben bestehen Verständigungsprobleme, da er die bulgarische Sprache nicht (ausreichend) beherrscht. Insoweit hat er nicht dieselbe Fähigkeit und Konstitution für ein „Sich-Durchschlagen-Können“ wie die übrige bulgarische Bevölkerung.
Diesem Ergebnis steht auch nicht der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. März 2017 (2 ME 63/17) entgegen, wonach ein nationales Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 AufenthG wegen generell gravierender Mängel in Bulgarien für international anerkannte Schutzberechtigte nach der zum damaligen Zeitpunkt bestehenden Erkenntnislage nicht festzustellen sei. Denn die der Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zugrunde gelegten Erkenntnisse stammten zum überwiegenden Teil aus den Jahren 2015 und 2016. Hingegen hat der aktualisierte Bericht von Frau Dr. Ilareva vom 7. April 2017 sowie der aktualisierte Bericht des Auswärtigen Amtes vom 18. Juli 2017 neue Erkenntnisse hervorgebracht, die der damaligen Entscheidung des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. März 2017 nicht zu Grunde lagen. So ging das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 10. März 2017 davon aus, dass auch aus dem Ausland zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte - wie der Kläger - für einen Zeitraum von maximal sechs Monaten in den für die Aufnahme von Asylsuchenden gedachten Zentren verbleiben dürfen. Sowohl Frau Dr. Ilareva als auch das Auswärtige Amt haben in ihren aktualisierten Auskünften klargestellt, dass diese Praxis nicht (mehr) besteht (Bericht Dr. Ilareva, S. 8; Bericht Auswärtiges Amt, S. 8). Diese Erkenntnis ist auch entscheidungserheblich für die Beurteilung, ob für anerkannte Schutzberechtigte zumindest in der ersten Zeit nach ihrer Ankunft über einen langen Zeitraum die Gefahr der Obdachlosigkeit besteht.“
Das Gericht folgt diesen Ausführungen nach eigener Prüfung und macht sie sich zu Eigen. Aus den herangezogenen - aktuellsten - Erkenntnismitteln ergibt sich, dass die nach der nationalen Gesetzeslage in Bulgarien bestehenden Ansprüche, die es den anerkannten Schutzberechtigten ermöglichen sollen, sich in Bulgarien ein Existenzminimum zu schaffen, faktisch nicht durchsetzbar sind, u. a. weil sie mangels Meldeadresse in eine Art „Teufelskreis“ geraten. Das erkennende Gericht ist davon überzeugt, dass der Kläger im Fall seiner Rückkehr nach Bulgarien obdachlos würde und seinen Lebensunterhalt nicht sicherstellen könnte. Er besitzt in Bulgarien keinen faktischen Zugang zu einer Wohnung, zu sozialen Geldleistungen oder Erwerbstätigkeit. Er würde deshalb im Fall einer Abschiebung nach Bulgarien mit überwiegender Wahrscheinlichkeit obdachlos werden und in eine existenzielle Notlage geraten, die er nicht aus eigener Kraft abwenden könnte. Hierin würde eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung im oben genannten Sinn liegen, die dem bulgarischen Staat zuzurechnen wäre. Angesichts der aktuellsten Erkenntnisse sind die abweichenden Einschätzungen (vgl. etwa OVG Sachsen-Anhalt, Beschluss vom 31.08.2016 - 3 L 94/16 -, juris; VG Hamburg, Urteil vom 09.01.2017 - 16 A 5546/14 -, juris) überholt. So stützen auch diese Gerichte ihre Entscheidungen darauf, dass aus dem Ausland zurückkehrende anerkannte Schutzberechtigte für einen substanziellen Zeitraum in den für die Aufnahme von Asylsuchenden gedachten Zentren verbleiben dürfen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, a.a.O., Rn. 12; VG Hamburg, a.a.O., Rn. 55 ff.), was nach der aktuellen Erkenntnislage jedoch nicht (mehr) der Fall ist. Darüber hinaus folgt das erkennende Gericht auch nicht der Argumentation des Verwaltungsgerichts Hamburg in der genannten Entscheidung, dass bei der Einschätzung, ob anerkannte Schutzberechtigte ihre Grundbedürfnisse zur Existenz in Bulgarien sichern können, zu berücksichtigen sei, dass nach nahezu allen Berichten und auch nach der Erfahrung des Gerichts die in Bulgarien Schutzberechtigten kaum jemals versucht hätten, sich unter den dortigen bescheidenen Möglichkeiten eine Existenz aufzubauen, weswegen schon keine tragfähigen Erkenntnisse zu etwaigen Problemfällen vorlägen (vgl. VG Hamburg, Urteil vom 09.01.2017 - 16 A 5546/14 -, juris, Rn. 59, 61). Denn selbst vor diesem Hintergrund ergibt sich keine Verbesserung des beschriebenen „Teufelskreises“ und der daraus abzuleitenden Gefährdung für anerkannte Schutzberechtigte. Im Übrigen ist die Argumentation für sich genommen nicht überzeugend. Denn es bleibt unklar, ob anerkannte Schutzberechtigte Bulgarien als „Transitland“ nutzen, weil sie von vornherein nur eine Durchreise planen, oder weil sie sich gerade wegen der oben beschriebenen aussichtlosen Lage zur Weiterreise veranlasst sehen.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO i. V. m. § 83b AsylG.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit stützt sich auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.