Arbeitsgericht Hannover
Urt. v. 25.11.1998, Az.: 2 Ca 431/98
Vollstreckung aus einem gerichtlichen Vergleich; Übergang des Anspruchs auf Zahlung einer Abfindung auf den Sozialhilfeträger
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Hannover
- Datum
- 25.11.1998
- Aktenzeichen
- 2 Ca 431/98
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 16521
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGHAN:1998:1125.2CA431.98.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- ArbG Hannover - 26.06.1998 - AZ: 2 Ca 267/98
Rechtsgrundlagen
- § 90 BSHG
- § 115 SGB X
Verfahrensgegenstand
Forderung
In dem Rechtsstreit
hat das Arbeitsgericht in Hannover
auf die mündliche Verhandlung vom 25.11.1998
durch
die Richterin am Arbeitsgericht ... als Vorsitzende und
die ehrenamtlichen Richter ... und ... als Beisitzer
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Der Streitwert wird auf 800,00 DM festgesetzt
Die Berufung wird zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten um die Vollstreckung aus einem gerichtlichen Vergleich.
Die 1967 geborene Beklagte war bei der Klägerin seit dem 05.08.1997 als Verkäuferin beschäftigt. Über die Wirksamkeit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 30.04.1998 führten die Parteien unter dem Aktenzeichen ... einen Kündigungsschutzprozeß mit umgekehrtem Rubrum. In der Güteverhandlung vom 26.06.1998 jenes Verfahrens schlossen die Parteien einen Vergleich mit folgendem Wortlaut:
Vergleich:
1.
Die Parteien sind sich darüber einig, daß das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund fristgerechter, betriebsbedingter Kündigung der Beklagten vom 17.04.1998 mit dem 31.05.1998 beendet wurde.2.
Die Parteien sind sich darüber einig, daß restliche Urlaubsansprüche nicht mehr bestehen, sondern bereits in natura gewährt wurden.3.
Die Beklagte zahlt an die Klägerin in entsprechender Anwendung der §§ 9 und 10 KSchG für den Verlust des Arbeitsplatzes eine Abfindung in Höhe von 800,00 DM brutto = netto. Hierin ist weder Urlaubsabgeltung noch Arbeitsentgelt enthalten.4.
Damit sind der vorliegende Rechtsstreit und alle finanziellen Ansprüche der Parteien erledigt.5.
Die Klägerin behält sich den Widerruf schriftlich bei Gericht eingehend vor bis zum 01. Juli 1998.
Der Vergleich wurde rechtskräftig. Die Beklagte hat daraufhin die Vergütung für Mai 1998 erhalten. Mit Schreiben vom 04.06.1998 (Bl. 6 d.A.) hatte zuvor die Stadt Garbsen der Klägerin des vorliegenden Verfahrens unter der Überschrift "Anmeldung eines Erstattungsanspruches für die Arbeitnehmerin Ina Große" u. a. folgendes mitgeteilt:
Sehr geehrte Damen und Herren,
Frau Große erhält von mir seit dem 01.06.1998 Hilfe zum Lebensunterhalt nach dem Bundessozialhilfegesetz (BSHG), da nach ihren Angaben eine Kündigung nicht rechtmäßig ausgesprochen wurde und somit eventuelle Lohnzahlungen Ihrerseits noch nicht erfolgten.
Nach § 115 Sozialgesetzbuch - Zehntes Buch - (SGB X) geht der Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber bis zur Höhe der erbrachten Sozialleistungen auf den Sozialleistungsträger über, soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb Sozialleistungen erbracht werden.
Von diesem Forderungsübergang setze ich Sie hiermit in Kenntnis. Den Anspruch Ihrer Arbeitnehmerin auf Zahlung des Arbeitsentgeltes leite ich nach § 115 SGB X bis zur Höhe der gezahlten Sozialhilfe auf den Landkreis Hannover als örtlich zuständigen Sozialhilfeträger, in dessen Auftrag ich handele, über. Dieser Forderungsübergang hat zur Folge, daß Sie Lohnzahlungen mit befreiender Wirkung nur noch an mich leisten können, wenn ich mich nicht mit einer anderen Regelung einverstanden erkläre.
Hilfsweise zeige ich Ihnen hiermit den Übergang der Absprüche nach § 90 Abs. 1 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) bis zur Höhe meiner Aufwendungen an.
Die Gesamthöhe meiner Zahlungen bitte ich nach einer Entscheidung des Arbeitsgerichts bzw. anderer Einigung vor Auszahlung an Frau Keil bei mir zu erfragen.
Die Stadt Garbsen hat der Beklagten Hilfe zum Lebensunterhalt in Höhe von mindestens 800,00 DM geleistet. Mit Schreiben vom 10.07.1998 bestätigte die Stadt Garbsen bezüglich der Beklagten den Bezug von Leistungen nach dem BSHG seit dem 01.04.1998 (Bl. 7 d.A.). Die Abfindung aus dem Vergleich vom 26.06.1998 hat die Klägerin in voller Höhe an die Stadt Garbsen abgeführt. Die Beklagte begehrt die Auszahlung der vereinbarten Abfindung. Um die Zulässigkeit der Vollstreckung des Vergleichs vom 26.06.1998, der von Anwalt zu Anwalt zugestellt wurde, streiten die Parteien.
Die Klägerin ist der Auffassung, der Anspruch der Beklagten auf Zahlung der Abfindung von 800,00 DM sei gemäß Schreiben der Stadt Garbsen vom 04.06.1998 wirksam auf diese übergeleitet und mit der Zahlung an die Stadt Garbsen erfüllt worden. Die Klägerin ist der Auffassung, bei der Abfindung handele es sich um Entgelt im Sinne des Sozialgesetzbuches IV. Zudem sei auch ein Anspruchsübergang nach § 90 BSHG gegeben.
Die Klägerin beantragt,
die Zwangsvollstreckung aus dem vollstreckbaren Vergleich, dieser abgeschlossen vor dem Arbeitsgericht Hannover zu Aktenzeichen 2 Ca 267/98 und datierend vom 26.06.1998, wird für unzulässig erklärt.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, eine Abfindung sei kein Arbeitsentgelt im Sinne des SGB IV, die Abfindung stelle auch kein Einkommen dar, sei vielmehr Vermögen und im vorliegenden Fall dem Schonvermögen zuzurechnen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien und ihrer diesbezüglichen Rechtsansichten wird auf die zwischen ihnen gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren sowie auf das Sitzungsprotokoll vom 25.11.1998 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet.
Die Zwangsvollstreckung aus dem arbeitsgerichtlichen Vergleich vom 26.06.1998 zu Aktenzeichen 2 Ca 267/98 ist zulässig, denn dieser Vergleich stellt einen vollstreckbaren Titel im Sinne von § 794 Abs. 1 Nr. 1 ZPO dar und Einwendungen gegen den Anspruch bestehen im Sinne von § 767 ZPO nicht.
Die Klägerin hat den Anspruch der Beklagten auf Zahlung einer Abfindung gemäß Ziff. 3 des Vergleichs vom 26.06.1998 nicht durch Zahlung an die Stadt Garbsen erfüllt, das Schuldverhältnis ist mithin nicht erloschen, § 362 BGB.
Der Anspruch der Beklagten auf Zahlung der zugesagten Abfindung ist weder aufgrund eines gesetzlichen Forderungsübergangs gemäß § 115 SGB X auf die Stadt Garbsen als Sozialhilfeträger übergegangen (a), noch hat die hilfsweise erklärte Überleitung gemäß § 90 BSHG zu einem Gläubigerwechsel geführt (b). Dabei kann dahinstehen, ob die Beklagte Sozialhilfe bereits seit dem 01.06.1998 (wie im Schreiben der Stadt Garbsen vom 04.06.1998, (Bl. 6 d.A.) angegeben und von der Beklagten im Schriftsatz vom 29.09.1998 (Bl. 23 d.A.) bestätigt) oder schon seit dem 01.04.1998 (wie im Schreiben der Stadt Garbsen vom 10.07.1998 (Bl. 7 d.A.) angezeigt) erhält.
a)
Gemäß § 115 Abs. 1 SGB X geht der Anspruch des Arbeitnehmers gegenüber dem Arbeitgeber auf den Leistungsträger bis zur Höhe der (von diesem) erbrachten Sozialleistungen nur über, soweit der Arbeitgeber den Anspruch des Arbeitnehmers auf Arbeitsentgelt nicht erfüllt und deshalb ein Leistungsträger Sozialhilfe erbracht hat.
Hieran scheitert ein Anspruchsübergang auf den Sozialhilfeträger, denn die Abfindung im Sinne von §§ 9, 10 KSchG stellt kein Arbeitsentgelt im Sinne von § 115 Abs. 1 SGB X i.V.m. § 14 Abs. 1 SGB IV dar. Sie stellt keine Vergütung, auch keine Leistung für eine in einem bestimmten Zeitraum unterbliebene Vergütung dar. Die von der Klägerin an die Beklagte zu zahlende Abfindung in entsprechender Anwendung der §§ 9 und 10 KSchG stellt vielmehr einen Ausgleich für den Verlust des Arbeitsplatzes dar, ohne daß eine Entscheidung über das Vorliegen einer sozialwidrigen Kündigung ergeht. Die Abfindung soll also ein vermögensrechtliches Äquivalent für die Aufgabe des Arbeitsplatzes und den sozialen Besitzstand bzw. für den Verzicht auf Überprüfung der sozialen Rechtfertigkeit der Kündigung sein und hat somit im hier vorliegenden Fall eine Abgeltungs- und Entschädigungsfunktion, keineswegs Entgeltcharakter, wie die Klägerin meint. Zwar ist auch der Fall denkbar, daß eine Abfindung Entgeltcharakter haben kann, was dann der Fall ist, wenn die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu einem früheren Zeitpunkt als zum Ablauf der Kündigungsfrist erfolgt. Ein derartiger Fall ist vorliegend jedoch nicht gegeben. Nach dem Inhalt des Vergleichs vom 26.06.1998 endet das Arbeitsverhältnis aufgrund fristgerechter, betriebsbedingter Kündigung des Arbeitgebers vom 17.04.1998 mit dem 31.05.1998. Die Beklagte hat für diesen Zeitraum der Kündigungsfrist auch die vertragliche Vergütung ausgezahlt erhalten. Da von der Klägerin auch keine sonstigen Ansprüche mit Entgeltcharakter als Bestandteile der Abfindungssumme behauptet werden, hat die Abfindung vorliegend ausschließlich Entschädigungsfunktion und unterfällt nicht dem Begriff des Arbeitsentgelts im Sinne von §§ 115 Abs. 1 SGB X, 14 Abs. 1 SGB IV.
b)
Der Abfindungsanspruch der Beklagten ist auch nicht gemäß § 90 BSHG auf die Stadt Garbsen übergeleitet worden.
Zweifelhaft ist schon, ob der übergeleitete Anspruch hinreichend bestimmt (bezeichnet) ist, denn zum Zeitpunkt der Überleitungsanzeige (Schreiben vom 04.06.1998) gab es einen Anspruch der Beklagten auf Zahlung einer Abfindung noch nicht, er wurde vielmehr erst am 26.06.1998 zudem aufschiebend bedingt (wenn kein Widerruf bis zum 03.07.1998 erfolgt) begründet. Selbst wenn jedoch mit Schreiben der Stadt Garbsen vom 04.06.1998 zukünftig entstehende Ansprüche hinreichend bestimmt (bezeichnet) sind, scheitert eine wirksame Überleitung des Abfindungsanspruchs daran, daß jedenfalls keine Zweckidentität zwischen Sozialhilfe und Abfindung besteht, mithin der Tatbestand des Einkommens nicht erfüllt ist, § 76 BSHG.
Die Zahlung der Abfindung läßt sich schon zeitlich schwerlich bestimmten Perioden zuordnen. Sie ist zwar als Äquivalent für den verlorenen Arbeitsplatz auf die Zukunft ausgerichtet (wenn auch aus Bemessungsfaktoren der Vergangenheit berechnet), läßt sich aber zukünftigen konkreten Monaten nicht zurechnen. Die Abfindung erfüllt vor allem nicht den selben Zweck wie eine Sozialhilfeleistung, erstere ist vielmehr Entschädigungsleistung für einen verlorenen Besitzstand des Arbeitnehmers, sie soll nicht eine existentielle Grundsicherung des Arbeitnehmers für die Zukunft darstellen.
Da eine erforderliche Bedarfsidentität (Zeitraumidentität und Zweckidentität) nicht gegeben ist (vgl. BSHG, Lehr- und Praxiskommentar, 4. Aufl., 1994, Anm. 5 und 10 zu § 76 mit Hinweisen auf die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts), stellt sich die Abfindung dem Grunde nach lediglich als Vermögen im Sinne von § 88 BSHG dar.
Vorliegend führt jedoch auch unter dem Gesichtspunkt des Vermögens die der Beklagten zustehende Abfindung in Höhe von 800,00 DM nicht zu einem Anspruchsübergang gemäß § 90 BSHG, denn gemäß § 88 Abs. 2 Nr. 8 BSHG i.V.m. § 1 Abs. 1 Nr. 1 a der diesbezüglichen Durchführungsverordnung vom 11.02.1988 (BGBl. I S. 150) darf die Sozialhilfe nicht vom Einsatz kleinerer Barbeträge, die 2.500,00 DM nicht übersteigen, abhängig gemacht werden. Die von der Klägerin der Beklagten geschuldete Abfindung in Höhe von 800,00 DM übersteigt diesen Betrag nicht. Die Beklagte ist mithin unbeschadet der Überleitungsanzeige vom 04.06.1998 weiterhin Gläubigerin des Abfindungsanspruchs.
Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben und war mit der Kostenfolge des § 91 ZPO abzuweisen.
Der Wert des Streitgegenstandes wurde gemäß den §§ 61 Abs. 1 ArbGG und 3 ZPO festgesetzt.
Die Berufung wurde gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG zugelassen.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird auf 800,00 DM festgesetzt
Der Wert des Streitgegenstandes wurde gemäß den §§ 61 Abs. 1 ArbGG und 3 ZPO festgesetzt.