Landessozialgericht Niedersachsen
Urt. v. 24.11.1998, Az.: L 7 AL 392/97
Ruhen eines Anspruchs auf Arbeitslosengeld wegen des Eintritts einer Sperrzeit; Drohende Insolvenz des Arbeitgebers als wichtiger Grund für die Lösung eines Beschäftigungsverhältnisses; Annahme eines außerordentlichen Kündigungsgrunds i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB; Herabsetzung der Sperrzeit wegen Irrtums
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen
- Datum
- 24.11.1998
- Aktenzeichen
- L 7 AL 392/97
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 31955
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LSGNIHB:1998:1124.L7AL392.97.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Hannover - 02.10.1997 - AZ: S 26 Ar 954/95
Rechtsgrundlagen
- § 119 Abs. 1 S. 1 AFG
- § 119 Abs. 2 S. 1 AFG
- § 119a Nr. 1 AFG
- § 626 Abs. 1 BGB
Der 7. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen in Celle hat
...
auf die mündliche Verhandlung vom 24. November 1998
durch
den Vorsitzenden Richter am Landessozialgericht S.-W.,
den Richter am Landessozialgericht W.,
den Richter am Landessozialgericht B. sowie
die ehrenamtlichen Richter S. und S.
für Recht erkannt:
Tenor:
Das Urteil des Sozialgerichts Hannover vom 2. Oktober 1997 wird aufgehoben.
Die Klage wird abgewiesen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Der Rechtsstreit betrifft die Frage, ob ein Anspruch des Klägers auf Arbeitslosengeld (Alg) wegen des Eintritts einer Sperrzeit von 12 Wochen ruht, weil der Kläger sein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund im Sinne des §119 Abs. 1 Satz 1 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) gelöst hat.
Der im Jahre 1971 geborene Kläger ist ein in der Zeit vom 1. Juli 1991 bis 31. Januar 1994 ausgebildeter Gas- und Wasserinstallateur. Als Geselle arbeitete er vom 1. Februar 1994 bis 31. Dezember 1994. Das Beschäftigungsverhältnis endete durch Kündigung des Arbeitgebers. Seit dem 1. Januar 1995 war er bei der Firma K.-H.K., Gebäude- und Versorgungstechnik in H., als Gas- und Wasserinstallateur beschäftigt. Am 11. Januar 1995 kündigte er das Arbeitsverhältnis im Einvernehmen mit seinem Arbeitgeber fristlos. Am 13. Januar 1995 meldete er sich arbeitslos und beantragte Alg. Am 6. Februar 1995 nahm er eine neue beitragspflichtige Beschäftigung auf.
Mit Bescheid vom 24. August 1995 stellte die Beklagte für die Zeit vom 12. Januar 1995 bis zum 5. April 1995 (12 Wochen) das Ruhen des Anspruchs auf Alg wegen Eintritts einer Sperrzeit und die Reduzierung der Anspruchsdauer um 78 Tage nach §110 Satz 1 Nr. 2 AFG fest, weil der Kläger durch freiwillige Lösung des Arbeitsverhältnisses ohne wichtigen Grund grob fahrlässig seine Arbeitslosigkeit verursacht habe.
Die von dem Kläger zum Zeitpunkt der Kündigung vermuteten Zahlungsschwierigkeiten des damaligen Arbeitgebers seien mangels Zahlungsverzugs gegenüber dem Kläger nicht ausreichend.
Der Widerspruch, den der Kläger u.a. damit begründete, seine Befürchtungen hätten sich ausweislich eines mangels Masse abgelehnten Konkursantrages bei Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses realisiert, blieb erfolglos (Widerspruchsbescheid vom 25. Oktober 1995).
Den am 31. Oktober 1995 zugestellten Widerspruchsbescheid hat der Kläger mit der am 9. November 1995 eingegangenen Klage bekämpft.
Er hat angegeben, seine früheren Arbeitskollegen hätten ihm während seiner Beschäftigung bei der Firma K. mitgeteilt, daß ihr gemeinsamer Arbeitgeber ihnen schon seit geraumer Zeit Vergütung schulde. Auch habe dieser ihm gegenüber Zahlungsschwierigkeiten eingeräumt.
Das Sozialgericht Hannover (SG) hat mit Urteil vom 2. Oktober 1997 die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte verurteilt, dem Kläger ab Antragstellung Alg in gesetzlicher Höhe zu bewilligen.
In den Entscheidungsgründen, auf die wegen der Einzelheiten Bezug genommen wird, hat es ausgeführt, eine Sperrzeit sei nicht eingetreten, weil der Kläger sein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund im Sinne des §119 Abs. 1 Satz 1 AFG gelöst habe.
Der Kläger habe begründete Zweifel an der Zahlungsfähigkeit des Arbeitgebers gehabt, die sich später durch dessen erfolglosen Konkursantrag realisiert hätten. Er habe sich nicht dem Risiko aussetzen müssen, auf Lohn zu verzichten. Sein Irrtum über den Zeitpunkt der Zahlungsunfähigkeit des Arbeitgebers sei unbeachtlich.
Das am 5. November 1997 zugestellte Urteil greift die Beklagte mit am 2. Dezember 1997 eingegangener Berufung an: Ein wichtiger Grund im Sinne des §119 Abs. 1 Satz 1 AFG habe jedenfalls im Zeitpunkt der Lösung des Beschäftigungsverhältnisses nicht vorgelegen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des SG Hannover vom 2. Oktober 1997 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Der Kläger hält das angefochtene Urteil für zutreffend.
Neben den Gerichtsakten beider Rechtszüge haben die den Kläger betreffenden Leistungsakten des Arbeitsamts H. (Stamm-Nr: ...) vorgelegen und sind Gegenstand der Entscheidung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die nach den §§143, 144 Abs. 1, 151 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte und zulässige Berufung ist begründet.
Der Kläger hat für die Zeit vom 13. Januar 1995 bis 4. Februar 1995 (Beginn der neuen Beschäftigung am 6. Februar 1995) keinen Zahlungsanspruch, weil der Anspruch auf Alg wegen des Eintritts einer Sperrzeit ruhte. Die Dauer des Anspruchs ist nach §110 Satz 1 Nr. 2 AFG um 78 Tage gemindert:
Nach §119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG in Verbindung mit §119 a Nr. 1 AFG tritt eine Sperrzeit von 12 Wochen ein, wenn der Arbeitslose das Beschäftigungsverhältnis gelöst oder durch ein arbeitsvertragswidriges Verhalten Anlaß für die Lösung des Beschäftigungsverhältnisses gegeben hat und dadurch vorsätzlich oder grob fahrlässig die Arbeitslosigkeit herbeigeführt hat, ohne für sein Verhalten einen wichtigen Grund zu haben. Der Eintritt einer Sperrzeit hat gemäß §119 Abs. 1 Satz 3 AFG das Ruhen des Anspruchs auf Alg zur Folge.
Der Kläger hat durch fristlose Kündigung seines Arbeitsvertrages am 11. Januar 1995 sein Beschäftigungsverhältnis im Sinne des §119 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AFG gelöst. Da er zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses konkrete Aussichten auf einen Anschlußarbeitsplatz nicht hatte (vgl. BSG SozR 4100 §119 Nr. 2, S. 2), hat er seine Arbeitslosigkeit auch zumindest grob fahrlässig herbeigeführt.
Für die fristlose, außerordentliche Kündigung seines Arbeitsverhältnisses bestand nicht ein wichtiger Grund i.S.d.§119 Abs. 1 Satz 1 AFG. Dabei ist im Gesetz nicht näher bestimmt, was als wichtiger Grund im Sinne dieser Sperrzeitvorschrift anzusehen ist. Nach den Vorstellungen des Gesetzgebers soll eine Sperrzeit allgemein nur dann eintreten, wenn dem Arbeitnehmer unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung seiner Interessen mit den Interessen der Versichertengemeinschaft ein anderes Verhalten zugemutet werden kann. Ein wichtiger Grund ist nach der Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) zu §119 Abs. 1 Nr. 1 AFG dann gegeben, wenn Umstände vorliegen, die nach verständigem Ermessen dem Arbeitslosen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar erscheinen lassen, weil sonst das Interesse des Kündigenden in unbilliger Weise geschädigt würde (BSGE 21, 205, 206; BSG SozR 4100 §119 Nr. 2).
Ein wichtiger Grund ist jedenfalls immer dann gegeben, wenn der Arbeitnehmer nach arbeitsrechtlichen Grundsätzen zur fristlosen Kündigung gemäß §626 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) berechtigt wäre (vgl. Niesel, AFG-Kommentar, 2. Auflage, 1997, §119, Rdnr 67).
Entgegen der Ansicht des Klägers und des SG stellte die drohende Insolvenz des damaligen Arbeitgebers des Klägers jedoch einen außerordentlichen Kündigungsgrund im Sinne des §626 Abs. 1 BGB nicht dar. Eine solche außerordentliche Kündigung ist möglich, wenn ein Sachverhalt vorliegt, der an sich geeignet ist, einen wichtigen Grund zur Kündigung darzustellen und die Abwägung der Interessen des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers mit Rücksicht auf alle Umstände des Einzelfalles, zu denen auch die Dauer einer Kündigungsfrist zählt, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar erscheinen lassen (vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch 8. Aufl. 1996, §125 V d, §125 VIII Vorbemerkung).
Diese Voraussetzungen liegen nicht vor. Der Kläger hatte keinen Grund für eine fristlose Kündigung. Es käme hier die Befürchtung in Betracht, seine vertraglich geschuldete Leistung zu erbringen, ohne die Gegenleistung zu erhalten.
Diese rechtfertigte die fristlose Kündigung indes nicht. Zwar kann eine drohende Insolvenz und damit verbundende Nachteile oder im Konkursfall das Ausbleiben der Zahlung des Arbeitsentgeltes ein wichtiger Grund i.S.d. §119 AFG sein (vgl. Gagel-Winkler, AFG, §119 Rdnr 169), insbesondere, wenn zu gegenwärtigen ist, daß Lohnansprüche eines Arbeitnehmers nicht mehr befriedigt werden (vgl. Schaub a.a.O.§125 VII Nr. 20). Indes hat ein solcher Sachverhalt hier nicht vorgelegen.
Der Arbeitgeber war mit der Zahlung des Arbeitsentgeltes gegenüber dem Kläger noch nicht in Verzug geraten. Vielmehr war der Kläger erst 9 Tage beschäftigt und hatte sich dementsprechend vergleichsweise geringfügige und noch nicht fällige Arbeitsentgeltansprüche erworben. Ein wichtiger Grund zur Kündigung bei Lohnrückstand wird jedoch nur anerkannt (vgl. BAG AP Nr. 1 zu§448 ZPO), wenn der Arbeitgeber erhebliche Zeit oder mit einem erheblichen Betrag in Rückstand geraten ist und der Arbeitnehmer ihn vor der Kündigung zur Zahlung aufgefordert hat (Schaub a.a.O.§125 VIII Nr. 8 m.w.N.). Selbst wenn man die von der Beklagten bestrittene Behauptung des Klägers als zutreffend unterstellt, der Arbeitgeber habe ihm gegenüber vor der Kündigung Zahlungsschwierigkeiten eingeräumt und ihm freigestellt zu gehen, liegt darin nicht schon die Ankündigung des Arbeitgebers, dem Kläger den - später - fälligen Lohn nicht zu zahlen. Dem Kläger wäre angesichts der Kürze der Dauer des Arbeitsverhältnisses zumutbar gewesen, die ordentliche Kündigungsfrist nach §622 Abs. 1 BGB von vier Wochen zum 15. oder Ende eines Monats einzuhalten und in dieser Zeit eine andere Arbeitsstelle zu suchen. Hätte der Kläger fristgemäß gekündigt, wäre nach dem tatsächlichen Gang der Dinge Arbeitslosigkeit nicht eingetreten.
Selbst wenn der Arbeitgeber dem Kläger freigestellt hätte zu gehen und demgemäß im Hinblick auf §626 BGB eine - an sich erforderliche - Interessenabwägung unterbleiben könnte, stellte dies einen wichtigen Grund i.S. des §119 AFG nicht dar. Auch eine fristlose Kündigung kann die Sperrzeit auslösen, wenn der Grund nur die Kündigung unter Einhaltung einer längeren Kündigungsfrist gerechtfertigt hätte (vgl. Gagel-Winkler, AFG,§119 Rdnr 161). So lagen indes, wie oben ausgeführt, die Dinge hier.
Der wichtige Grund im Sinne des §119 Abs. 1 Satz 1 AFG muß auch den Zeitpunkt der Auflösung des Arbeitsverhältnisses - sowohl infolge ordentlicher als auch infolge fristloser Kündigung - decken, das heißt, der Arbeitslose muß einen wichtigen Grund dafür haben, daß er das Arbeitsverhältnis zu dem bestimmten, von ihm gewählten Zeitpunkt auflöst (vgl. BSG SozR 4100 §119 Nr. 2; SozR 4100 §119 Nr. 28, SozR 4100 §119 Nr. 17,).
Eine andere Betrachtung ergibt sich auch nicht dadurch, daß der Kläger aus seiner Sicht das Vorliegen eines außerordentlichen Kündigungsgrundes angenommen hat. Denn für die Annahme eines wichtigen Grundes reicht es nicht aus, wenn die tatsächlich richtig erkannten Umstände fehlerhaft als wichtiger Grund bewertet wurden (BSG SozR 4100 §119 Nr. 36, S. 190), es sei denn, eine fachkundige Stelle habe hierzu beigetragen. Daß dies hier der Fall gewesen wäre, ist nicht ersichtlich.
Da der Kläger am 11. Januar 1995 das Arbeitsverhältnis beendet hat, beginnt die Sperrzeit am 12. Januar 1995 §119 Abs. 1 Satz 2 AFG.
Auch ihr zeitlicher Umfang von 12 Wochen bedeutet nach den für ihren Eintritt maßgebenden Tatsachen keine besondere Härte. Eine Verkürzung der Sperrzeit auf 6 Wochen gemäß §§119 Abs. 2 Satz 1, 119 a Nr. 1 AFG kommt daher nicht in Betracht. Auch wenn man davon ausgeht, daß der Kläger irrtümlich vom Vorliegen eines wichtigen Grundes ausging, der ihn zur außerordentlichen Kündigung berechtigte, mag es sich zwar um persönliche Umstände handeln, die zu den für den Eintritt der Sperrzeit maßgebenden Tatsachen gehören bzw sich auf sie zwangsläufig auswirken. Dennoch rechtfertigt dies hier keine Herabsetzung der Sperrzeit. Dies gilt auch im Hinblick auf die kurze Zeit der Arbeitslosigkeit. Denn dies stand nicht von vornherein fest, sondern ist erst nachträglich eingetreten.
Die Kostenentscheidung folgt aus §193 SGG.
Ein gesetzlicher Grund, die Revision zuzulassen, besteht nicht, §160 Abs. 2 SGG.