Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 18.11.1999, Az.: 1 A 2087/98

Kostenerstattung von Sozialhilfeleistungen nach einem Umzug des Sozialhilfeberechtigten; Zuständigkeit bei Ausländern mit räumlich beschränkter Aufenthaltsbefugnis

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
18.11.1999
Aktenzeichen
1 A 2087/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 20141
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:1999:1118.1A2087.98.0A

Verfahrensgegenstand

Sozialhilferecht (Kostenerstattung bei Umzug)

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Stade - 1. Kammer -
ohne mündliche Verhandlung
am 18. November 1999
durch
den Präsidenten des Verwaltungsgerichts Schmidt,
den Richter am Verwaltungsgericht Steffen
und den Richter am Verwaltungsgericht Wermes
sowie die ehrenamtlichen Richter Frau von ... und Herrn ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt die Verpflichtung des Beklagten zur Erstattung von Sozialhilfeleistungen, die sie für die türkische Angehörige ... seit dem 08. August 1997 aufgewendet hat.

2

Frau ..., zuvor ..., wurde am 04. Juni 1996 von der Bezirksregierung, ... als Asylsuchende der Stadt ..., Kreis ..., zugewiesen. Am 19. März 1997 erhielt sie von der Klägerin eine Aufenthaltsbefugnis bis zum 19. Juni 1999. Am 22. Mai 1997 beantragte Frau ... bei der für den Beklagten handelnden Gemeinde ... die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt. Sie sei vor 3 Monaten mit ihrem Freund nach ... gekommen. Aus ... habe sie "abhauen müssen", weil ihr Vater sie habe mit einem anderen Mann verheiraten wollen. Die Gemeinde ... lehnte die Bewilligung der Sozialhilfe mit der Begründung ab, dass Frau ... einen Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt ausschließlich in dem Land ... habe, wo ihr die Aufenthaltsbefugnis erteilt worden sei. Nach ihrer Eheschließung mit Herrn ... am 04. Juni 1997 beantragte Frau ... am 28. Juli 1997 wiederum bei der Gemeinde ... die für die Rückkehr nach ... unabweisbar gebotene Hilfe in Form von Fahrtkosten. Die Gemeinde ... bewilligte daraufhin die Fahrtkosten in Höhe von 58,- DM.

3

Mit Schreiben vom 29. September 1997 beantragte die Klägerin bei der Gemeinde ... die Erstattung der nunmehr an Frau ... von ihr erbrachten Sozialhilfeleistungen und bat um Zusendung eines Kostenanerkenntnisses. Dies lehnte die Gemeinde ... ab, weil an Frau ... nur die unabweisbar gebotene Hilfe in Form der Fahrtkosten in den Bereich des zuständigen Sozialleistungsträger gewährt werden durften.

4

Am 11. Dezember 1998 hat die Klägerin Klage erhoben. Ihr Kostenerstattungsanspruch ergebe sich u.a. auch daraus, dass der Aufenthalt der Frau ... bei ihren Verwandten in ... nicht nur ein vorübergehender, sondern vielmehr ein gewöhnlicher Aufenthalt gewesen sei. Dies ergebe sich bereits aus der Verweildauer von fast 5 Monaten, zum anderen aber auch aus den nahen Beziehungen zu den Personen, bei denen sie in ... untergekommen sei. Eine Anspruchsbeschränkung, die sich aus § 120 Abs. 5 BSHG ergibt, habe keine Auswirkungen auf den Kostenerstattungsanspruch nach § 107 BSHG.

5

Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,

den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin die in ... innerhalb eines Monats nach dem Wechsel des Aufenthaltsortes der Frau ... erforderlich gewordene Hilfe zu erstatten.

6

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Er ist der Auffassung, einem Kostenerstattungsanspruch stehe im vorliegenden Fall die eindeutige Regelung des § 120 Abs. 5 BSHG entgegen. § 120 habe insbesondere dem Zweck dienen sollen, Sozialhilfeträger nicht mit Kosten für Ausländer zu belasten, die nicht ihrem Bereich zugewiesen wurden. Zugleich sollte mit der Regelung die ausländerrechtliche Aufenthaltsbeschränkung unterstützt werden. Eine Binnenwanderung sollte weitgehend vermieden werden. Mit diesem Zweck wäre ein Kostenerstattungsanspruch eines Sozialhilfeträgers aus demjenigen Bundesland, in dem die nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis erteilt wurde, unvereinbar. Der Gesetzgeber habe damit geregelt, dass ausschließlich dasjenige Bundesland, dem ein Ausländer zugewiesen wurde, die für diesen anfallenden Sozialhilfekosten zu tragen hat.

8

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie der Verwaltungsvorgänge des Beklagten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

9

Die zulässige Klage hat keinen Erfolg, weil die Klägerin keinen Anspruch gegen den Beklagten auf Kostenerstattung für die an Frau ... nach dem Umzug nach ... geleistete Hilfe zum Lebensunterhalt hat.

10

Gemäß § 107 Abs. 1 BSHG ist der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes verpflichtete, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe die dort erforderlich werdende Hilfe außerhalb von Einrichtungen i.S.d. § 97 Abs. 2 S. 1 BSHG zu erstatten, wenn die Person vom Ort ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts umgezogen ist und innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe bedarf. Danach hat der durch den Umzug zuständig gewordene Sozialhilfeträger des tatsächlichen Aufenthaltsort regelmäßig einen Erstattungsanspruch an den Sozialhilfeträger des bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts, ohne dass es dabei auf die Gründe des Umzuges ankommt. Durch die Neuregelung der Kostenerstattungsvorschriften durch Artikel 7 des FKPG, das am 27. Juni 1993 in Kraft getreten ist, kommt es für eine Kostenerstattung nur noch darauf an, dass ein Umzug erfolgt ist, durch den eine Zuständigkeitsänderung eingetreten ist. Das ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Zwar ist Frau ... Anfang August 1997 von der Gemeinde ... nach ... umgezogen. Sie hatte nämlich, worauf die Klägerin zu Recht hinweist, in ... ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Der gewöhnliche Aufenthalt wird gem. § 30 Abs. 3 S. 2 SGB I dort begründet, wo sich jemand unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Diese Voraussetzungen lagen bei Frau ... vor. Zwar hatte sie ihr Elternhaus nach ihren Angaben verlassen, weil der Vater sie verheiraten wollte, was dafür sprechen könnte, dass es ihr nicht darum ging, in ... einen gewöhnlichen Aufenthalt zu begründen. Andererseits ist Frau ... in ... über einen Zeitraum von fast 5 Monaten geblieben und war dort zusammen mit Personen, zu denen sie nahe Beziehungen gepflegt hat und die bereit waren, sie für längere Zeit aufzunehmen, was sogar dazu führte, dass sie in ... ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfe über diesen Zeitraum leben konnte. Die Klägerin hat daher einen Umzug i.S.d. § 107 BSHG vorgenommen. Auf die Frage, ob sie tatsächlich in dem bisherigen Ort Sozialhilfe in Anspruch genommen hat, kommt es für die Entstehung eines Kostenerstattungsanspruches gem. § 107 Abs. 1 BSHG nicht an (vgl. z.B. Hinweise zur Sozialhilfe 107.1.1 letzter Absatz; Lehr- und Praxiskommentar § 107 Anm. 19). Es muss sich jedoch nach dem Wortlaut des § 107 Abs. 1 BSHG um einen Umzug handeln, der zu einem sozialhilferechtlichen Zuständigkeitswechsel geführt hat. Dies ergibt sich unzweideutig aus dem Wortlaut "dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe". Ein derartiger Zuständigkeitswechsel i.S.d. § 107 Abs. 1 BSHG hat vorliegend jedoch nicht stattgefunden. Nach § 97 Abs. 1 ist grundsätzlich für die Sozialhilfe örtlich zuständig der Träger der Sozialhilfe, in dessen Bereich sich der Hilfeempfänger tatsächlich aufhält. Diese Zuständigkeitsregel wird durch § 120 Abs. 5 BSHG insoweit modifiziert, als Ausländern, die eine räumlich nicht beschränkte Aufenthaltsbefugnis besitzen, wenn sie sich außerhalb des Landes aufhalten, in dem die Aufenthaltsbefugnis erteilt worden ist, nur die nach den Umständen unabweisbar gebotene Hilfe geleistet werden darf. Für die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt kann jeweils nur ein Träger der Sozialhilfe zuständig sein, in dessen Land die Aufenthaltsbefugnis erteilt wurde. Danach war der Beklagte zu keinem Zeitpunkt für die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt an Frau ... zuständig geworden, obwohl diese in seinem Bereich einen gewöhnlichen Aufenthalt hatte. Vielmehr war die Klägerin ohne Unterbrechung für die Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt an Frau ... zuständig geblieben. Eine Änderung hätte insoweit allein durch einen Umzug innerhalb des Landes ... eintreten können, der jedoch nicht erfolgt ist. Ein Zuständigkeitswechsel konnte auch nicht darin gesehen werden, dass der Beklagte jedenfalls für die Gewährung der sich aus § 120 Abs. 5 BSHG ergebenden Hilfe zuständig geworden war. Bei dieser Hilfe handelt es sich im Regelfall nicht um eine eine Kostenerstattungspflicht auslösende Hilfe zum Lebensunterhalt, weil stets nur die Hilfe in einem Umfang geleistet wird, die es dem Hilfesuchenden ermöglicht, an den Ort des Trägers der Sozialhilfe zurückzukehren, der für die Gewährung der regelmäßigen Hilfe zum Lebensunterhalt zuständig ist. Die hier aus dem Wortlaut des § 107 Abs. 1 BSHG gefundene Auslegung entspricht auch dem Sinn der gesetzlichen Neuregelung, weil es geradezu Ziel der Neuregelung war, finanzielle Belastungen unter den Sozialhilfeträgern gerecht aufzuteilen, indem die Gewährung von Sozialhilfe an die Orte gebunden wird, denen der Ausländer ausländerrechtlich zugewiesen wird. Dieses Ziel würde durch die von der Klägerin vorgenommene Auslegung unterlaufen werden. Es wäre mit dem Zweck der Regelung unvereinbar, wollte man einem Sozialhilfeträger einen Kostenerstattungsanspruch einräumen, der aufgrund des § 120 Abs. 5 allein für die voll umfängliche Gewährung von Hilfe zum Lebensunterhalt zuständig ist. Dieser Gedanke wird auch gestützt durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 17. September 1997, ZFF 1998, S. 206 f).

11

Die Klage konnte daher keinen Erfolg haben und musste mit der sich § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abgewiesen werden. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben.

Schmidt
Steffen
Wermes