Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Urt. v. 13.04.2022, Az.: L 7 BK 7/20
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 13.04.2022
- Aktenzeichen
- L 7 BK 7/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 68213
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
In dem Rechtsstreit
A.
- Klägerin und Berufungsklägerin -
Prozessbevollmächtigte:
SSR Rechtsanwälte B.
gegen
Bundesagentur für Arbeit, Agentur für Arbeit Hannover,
Familienkasse Niedersachsen-Bremen,
Vahrenwalder Straße 269 b, 30179 Hannover
- Beklagte und Berufungsbeklagte -
hat der 7. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen ohne mündliche Verhandlung am 13.04.2022 in Celle durch die Vizepräsidentin des Landessozialgerichts C., den Richter am Landessozialgericht Dr. D. und den Richter am Landessozialgericht Dr. E. sowie die ehrenamtliche Richterin F. und die ehrenamtliche Richterin G.
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Berufung wird als unzulässig verworfen.
Kosten sind nicht zu erstatten.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Klägerin begehrt die Gewährung eines Kinderzuschlags nach § 6a Bundeskindergeldgesetz (BKGG).
Die am 31. Januar 1985 geborene Klägerin ist lettische Staatsangehörige. Gemeinsam mit ihrem 1980 geborenen Ehemann (H.) hat sie vier Töchter, nämlich I., geboren am 11. September 2007, J., geboren am 9. Dezember 2010, K., geboren am 22. September 2013 und L., geboren am 6. April 2019. Am 28. Juni 2019 beantragte die Klägerin bei der Beklagten die Gewährung eines Kinderzuschlags. Sie legte den Mietvertrag vom 30. Mai 2013 über das von ihr ab 1. Juli 2013 gemietete Haus M., N., mit einer Wohnfläche von 164 qm und einer Bruttokaltmiete in Höhe von 765 € monatlich, den Bewilligungsbescheid der Stadt N. vom 23. Mai 2019 über Elterngeld ab dem 6. Mai 2019 in Höhe von 805,35 € monatlich, zu zahlen bis zum 5. April 2020, eine Verdienstbescheinigung des Arbeitgebers ihres Ehemannes über das in den Monaten April bis Juni 2019 verdiente Arbeitsentgelt sowie Gehaltsauszüge der Monate Januar, Februar und Juni 2019, eine Verdienstbescheinigung ihres eigenen Arbeitgebers für die Monate Januar bis Juni 2019 mit Kontoauszügen zum Nachweis des Zuflusses, einen Ratenplan der SEAT-Bank für einen PKW Seat Alhambra vom 15. November 2018, eine Heizöl-Rechnung vom 18. Dezember 2018 über 1.080,50 € sowie eine weitere Heizöl-Rechnung vom 1. Oktober 2018 über 1.200,23 €, die Jahresrechnung für Wasser und Abwasser vom 11. Oktober 2018, einen Nachweis über im Jahr 2019 zu entrichtende Abfallgebühren, Bescheinigungen über verschiedene Versicherungsbei- träge, Wohngeldbewilligungen für die Monate Juni 2019 bis März 2020 und eine Bescheinigung ihrer Krankenkasse über die Gewährung des Mutterschaftsgeldes für die im April 2019 geborene Tochter L. vor.
Die Beklagte gewährte einen Kinderzuschlag für den Monat Juni 2019 mit Bescheid vom 15. August 2019 in Höhe von 450 €. Mit weiterem Bescheid vom 15. August 2019 teilte sie der Klägerin mit, dass dem Antrag "ab Juli 2019" nicht entsprochen werden könne. Das zu berücksichtigende Einkommen aus den Monaten Januar bis Juni 2019 übersteige den Gesamtbedarf. Die Klägerin erhob am 14. September 2019 Widerspruch. Die tatsächlichen Einnahmen seien ab dem Monat Juni 2019 aufgrund ihrer Elternzeit stark gesunken. Es sei falsch, für die Berechnung des Anspruchs auf das Durchschnittseinkommen der davorliegenden sechs Monate zurückzugreifen. Die Beklagte wies den Widerspruch mit Widerspruchsbescheid vom 23. September 2019 zurück. Mit Wirkung vom 1. Juli 2019 sei das Starke-Familien-Gesetz in Kraft getreten, das im Bereich der Gewährung des Kinderzuschlags nach § 6a BKGG zu einigen Veränderungen geführt habe. So sei ab 1. Juli 2019 der Gesamtkinderzuschlag grundsätzlich für sechs Monate zu bewilligen. Im Gegensatz zum früheren Verfahren sei ein fester Bemessungszeitraum eingeführt worden. Deshalb sei das Einkommen der sechs Monate vor Beginn des Anspruchs zu ermitteln gewesen. Das insgesamt anrechenbare Durchschnittseinkommen beider Elternteile im Bemessungszeitraum errechne sich auf 1.991,38 € und sei höher als der Gesamtbedarf der Bedarfsgemeinschaft von 1.838 €. Daher scheide ein Anspruch auf Kinderzuschlag für den Monat Juli 2019 aus. Wörtlich heißt es weiter:
"Die Ablehnung wirkt nur für den Antragsmonat Juli 2019. Ein neuer Antrag auf Kinderzuschlag ist jederzeit möglich. Ein unverzüglich nach Ablehnung gestellter Antrag ist als Antrag für den auf die Ablehnung folgenden Monat anzusehen, so dass im Fall einer Bewilligung kein Anspruchsmonat verloren geht."
Die Klägerin hat am 23. Oktober 2019 Klage zum Sozialgericht (SG) Osnabrück erhoben. Diese hat sie damit begründet, dass die Beklagte im Rahmen des Bedarfs der Kosten für Unterkunft und Heizung die Heizkosten (Anschaffungskosten für Heizöl) nicht monatlich durchschnittlich in Ansatz gebracht habe. Außerdem dürfe festzustellen sein, dass die Bereinigung des Erwerbs-einkommens ebenfalls unzutreffend sei. Ferner sei nicht zu erkennen, warum die Ablehnung nur für den Antragsmonat Juli 2019 wirke. Die Beklagte hat hinsichtlich der Heizkosten auf § 6a Abs. 8 S. 2 BKGG hingewiesen. Diese fielen nur in bestimmten Monaten, aber eben nicht regelmäßig monatlich an.
Das SG hat die Klage mit Gerichtsbescheid vom 23. Juli 2020 abgewiesen. Als Streitgegenstand des Verfahrens hat es die Ablehnung der Leistungen für den Monat Juli 2019 bezeichnet. Zwar hätte die Klägerin, wenn die Anspruchsvoraussetzungen für den Monat Juli 2019 erfüllt gewesen wären, einen Anspruch auf Bewilligung von Leistungen für sechs Monate gehabt (§ 6a Abs. 7 S. 1 BKGG). Die von der Beklagten lediglich für einen Monat getroffene Entscheidung ermögliche es der Klägerin, bereits im Folgemonat einen neuen Antrag zu stellen. Dieses Vorgehen sei rechtmäßig. Es ergebe sich zwar nicht unmittelbar aus dem Gesetz, aber aus der Gesetzesbegründung (BT- Drs 19/7504, S. 36), in der klargestellt worden sei, dass eine vollständige Ablehnung nur für den ersten Monat gelte. Die Voraussetzungen für einen Kinderzuschlag seien nach § 6a BKGG in der damals geltenden Fassung für den Monat Juli 2019 nicht erfüllt gewesen. Die Beklagte habe zutreffend das Durchschnittseinkommen der Klägerin und ihres Ehemannes aus den Monaten Januar bis Juni 2019 dem Bedarf im Monat Juli 2019 gegenübergestellt. Die Anschaffungskosten für Heizöl seien nicht zu berücksichtigen gewesen, weil diese nach der Vorschrift des § 22 Zweites Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) im Fälligkeits-monat als Bedarf anzuerkennen seien (BSG, Urteil vom 8. Mai 2019 - B 14 AS 20/18 R -). Das SG hat die Berufung ungeachtet der eigenen Bestimmung des Streitgegenstandes als zulässig erachtet, weil die Klägerin Leistungen für sechs Monate beantragt habe.
Gegen den ihrem Prozessbevollmächtigten am 30. Juli 2020 zugestellten Gerichtsbescheid hat die Klägerin am 31. August 2020, einem Montag, Berufung eingelegt. Mit dieser wiederholt und vertieft sie ihre Begründung insbesondere hinsichtlich der ihrer Ansicht nach monatlich durchschnittlich anzusetzenden Heizölanschaffungskosten. Ohne Berücksichtigung der Heizölanschaffungskosten bestehe ein ungedeckter Bedarf. Hinsichtlich des Streitgegenstandes des Verfahrens vertritt sie die Auffassung, dass die Beklagte über Juli 2019 hinweg bis zum Zeitpunkt der erstmaligen Bewilligung entschieden habe. Der ursprüngliche Antrag sei unstreitig für den Zeitraum "ab Juli 2019" gestellt worden. Eine zeitliche Beschränkung des Antrags sei nur für die antragstellende Partei möglich, nicht aber durch die Behörde.
Die Klägerin beantragt schriftsätzlich,
den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Osnabrück vom 23. Juli 2020 aufzuheben und die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 15. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2019 zu verurteilen, ihr Kinderzuschlag in gesetzlicher Höhe zu gewähren.
Die Beklagte beantragt schriftsätzlich,
die Berufung zurückzuweisen.
Sie weist darauf hin, dass sich die Berechnung des Kinderzuschlags unmittelbar aus dem Gesetz (§ 6a Abs. 8 S. 1, S. 2 BKGG) ergebe. Mit dem Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides sei eindeutig nur über den Monat Juli 2019 entschieden worden. Sofern die Klägerin im gerichtlichen Verfahren unterliege, habe sie die Möglichkeit, erneut einen Antrag für August 2019 zu stellen.
Auf Nachfrage der Berichterstatterin hat die Beklagte mitgeteilt, dass der Klägerin mit Bescheiden vom 11. Oktober 2019 sowie vom 8. November 2019 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 30. Dezember 2019 Kinderzuschlag ab September 2019 in Höhe von 440 € monatlich, ab Oktober 2019 bis Dezember 2019 in Höhe von 489 € monatlich und ab Januar 2020 bis April 2020 in Höhe von 514 € monatlich bewilligt worden ist.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die Verwaltungsakten der Beklagten verwiesen. Diese haben vorgelegen und sind Gegenstand von Verhandlung und Beratung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Berufung ist nicht statthaft und deshalb als unzulässig zu verwerfen gemäß § 158 Abs. 2 Sozialgerichtsgesetz (SGG).
Zulässiger Streitgegenstand des Klage- und Berufungsverfahrens ist der Anspruch der Klägerin auf Kinderzuschlag nach § 6a BKGG in der Fassung des Gesetzes vom 29. April 2019 (BGBl. I, S. 530) - a.F. - allein für den Monat Juli 2019. Allein für diesen Monat hat die Beklagte ausweislich des Bescheides vom 15. August 2019 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 23. September 2019 Leistungen abgelehnt. Maßgeblich für den Gegenstand eines Klageverfahrens ist der angefochtene Bescheid in der Gestalt, die er durch den Widerspruchsbescheid gefunden hat (§ 95 SGG). Der ursprüngliche Verwaltungsakt und der Widerspruchsbescheid bilden eine prozessuale Einheit im Sinne einer einheitlichen rechtlichen Regelung (B. Schmidt in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer/Schmidt, SGG, 13. Auflage 2020, § 95 Rn. 2).
Streitgegenstand einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage, der ein zuvor ergangener Verwaltungsakt zugrunde liegt, ist die Behauptung des Klägers, dass dieser Bescheid (die Leistungsablehnung) rechtswidrig ist und ihn in seinen Rechten verletzt (§ 54 Abs. 1 S. 2 SGG). Der Streitgegenstand bezieht sich daher darauf, welche Leistung mit dem angefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides abgelehnt worden ist. Dies ist vorliegend ausweislich des eindeutigen Wortlauts des Widerspruchsbescheides allein die Ablehnung für den Monat Juli 2019. Eine Ablehnung einer Leistung stellt keinen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung nach § 48 Zehntes Buch Sozialgesetzbuch (SGB X) dar, so dass bereits im nächsten Monat ein neuer Antrag gestellt werden kann, für dessen Bearbeitung dann die Verhältnisse vor bzw. im neuen Antragsmonat maßgeblich sind (Seewald, Kindergeldrecht, Kommentar, Stand Oktober 2019, § 6a BKGG Rn. 132). Dementsprechend hat die Beklagte auch auf weitere Anträge der Klägerin für den Zeitraum ab September 2019 bereits neue Leistungsbewilligungen erlassen, die nicht Gegenstand des hiesigen Verfahrens geworden sind, weil sie den hier an-gefochtenen Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheides weder abändern noch er-setzen (§ 96 SGG).
Daraus folgt, dass - entgegen der Ansicht des SG - die Berufung vorliegend nicht statthaft ist, sondern der Zulassung bedarf. Die Statthaftigkeit der Berufung bestimmt sich gemäß §§ 143, 144 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGG danach, dass der Wert des Beschwerdegegenstandes bei einer Klage, die u.a. eine Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt betrifft, 750 € übersteigt. In dem Fall bedarf sie nicht der Zulassung. Der Wert des Beschwerdegegenstandes ist danach zu bestimmen, was das SG dem Rechtsmittelkläger versagt hat und was dieser mit seinem Berufungsantrag (zulässigerweise) noch weiterverfolgen kann. Weil sich die Regelung in dem angefochtenen Verwaltungsakt allein auf den Monat Juli 2019 bezieht und das SG die dagegen gerichtete Klage abgewiesen hat, kann auch zulässiger Gegenstand eines Berufungsverfahrens allein die Frage sein, ob die Ablehnung für den Monat Juli 2019 rechtmäßig gewesen ist. Da der ungeminderte Kinderzuschlag für jedes der vier Kinder der Klägerin 185 € betrüge, könnten für den Monat Juli 2019 maximal 740 € streitig sein. Damit ist der erforderliche Berufungsbeschwerdewert nicht erreicht. Statthaftes Rechtsmittel wäre die Nichtzulassungsbeschwerde, die die Klägerin wegen der fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung des SG noch einlegen kann (§ 66 Abs. 2 S. 1 2. HS SGG).
Unabhängig davon hätte die Berufung der Klägerin aber auch in der Sache keinen Erfolg. Diesem stehen die eindeutigen gesetzlichen Regelungen entgegen. Gemäß § 6a Abs. 8 S. 1 BKGG ist für die Ermittlung des monatlich zu berücksichtigenden Einkommens der Durchschnitt des Einkommens aus den sechs Monaten vor Beginn des Bewilligungszeitraums maßgeblich. Diese gesetzliche Regelung hat die Beklagte bei der Ermittlung des Einkommens umgesetzt. Ein Abweichen davon ist nicht vorgesehen, so dass es auf die Einkommensverhältnisse nach Juni 2019 nicht ankommt. Ebenso verhält es sich mit dem Unterkunftsbedarf. Bei Personen, die den selbst genutzten Wohnraum mieten, sind als monatliche Bedarfe für Unterkunft und Heizung die laufenden Bedarfe für den ersten Monat des Bewilligungszeitraums zugrunde zu legen (§ 6a Abs. 8 S. 2 BKGG). Diese Vorschrift dient einem vereinfachten Verwaltungsverfahren, im Zuge dessen auf die Ermittlung der durchschnittlichen Kosten für Unterkunft und Heizung über mehrere Monate gerade verzichtet wird (Seewald, a.a.O., Rn. 145) Die Klägerin kann deshalb mit ihrem Begehren, entgegen der gesetzlichen Regelung nicht auf das Durchschnittseinkommen der sechs Monate vor Beginn des Bewilligungszeitraums und ebenso entgegen der gesetzlichen Regelung nicht auf den Bedarf für Unterkunft und Heizung im Juli 2019 abzustellen, sondern Heizölbeschaffungskosten aus dem Herbst/Winter 2018/2019 zu berücksichtigen, keinen Erfolg haben. Weitere, fundierte Einwendungen gegen die Berechnung der Beklagten hat die Klägerin im Einzelnen nicht erhoben, solche sind auch ansonsten nicht ersichtlich.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.
Ein Grund, die Revision zuzulassen, liegt nicht vor (§ 160 Abs. 2 SGG).