Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 04.08.1983, Az.: 4 A 104/83

Rechtsverhältnis wegen Zugehörigkeit zum gemeinschaftlichen und eigenen Bezirk; Mitwirkungs- und Mitspracherechte wegen Mitgliedschaft zu einer Jagdgenossenschaft; Ausschluss des Eigentümers von Grund- und Wegeflächen; Verbot der Ausübung wegen Störung der öffentlichen Ruhe, Ordnung oder Sicherheit oder Gefährdung des Lebens von Menschen

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
04.08.1983
Aktenzeichen
4 A 104/83
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1983, 14024
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:1983:0804.4A104.83.0A

Verfahrensgegenstand

Feststellung

Prozessführer

Jagdgenossenschaft ...,
vertreten durch den Vorstand Herrn ... wohnhaft in ...

Prozessgegner

Gemeinde Jameln,
vertreten durch den Bürgermeister, 3139 Jameln

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Das Verbot der Jagdausübung nach § 20 BJagdG betrifft Jagdflächen, auf denen die Jagd nach den Umständen des einzelnen Falles u. a. das Leben von Menschen gefährden würde. Das Verbot nimmt damit schlechthin alle Flächen von der Jagdausübung aus, somit auch alle Grundflächen, auf denen die Jagd nach den Umständen des einzelnen Falles eine Störung darstellt.

  2. 2.

    Es entspricht aber nicht dem gesetzlichen Willen, dass alle Eigentümer der zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehörenden Flächen von einer Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft ausgeschlossen sind. Die eine Mitgliedschaft ausschliessende Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 2 BJagdG ist eng auszulegen und dahin zu verstehen, dass die Jagdausübung auf der ganzen Grundfläche dauernd nicht ausgeübt werden darf.

  3. 3.

    Wesentlicher Inhalt aller Jagdrechtsvorschriften ist die Regelung der Jagdausübung; d. h. das eigene Jagdrecht durch Mehrheitsbeschluss der Jagdgenossen zu verwirklichen. Mitgliedschaftsrechte in der Jagdgenossenschaft geben daher nur bejagbare Flächen. Nur diese bilden den Jagdbezirk. Dort aber, wo die Jagd nicht ausgeübt werden darf, bedarf es weder eines Jagdbezirks noch einer Jagdgenossenschaft oder einer Mitgliedschaft in einer solchen, weil die Ausübung des Jagdrechts nicht zu verwirklichen ist.

In der Verwaltungsrechtssache
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Stade
aufgrund der mündlichen Verhandlung
vom 4. August 1983,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht Runge,
Richter am Verwaltungsgericht v. Bierbrauer zu Brennstein, Richter am Verwaltungsgericht Dr. Beyer,
Ehrenamtlicher Richter...und ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin ist eine Jagdgenossenschaft, welche auf dem Gebiet der früheren Gemeinde ... noch heute besteht. Sie bestreitet der beklagten Gemeinde die Zugehörigkeit zur Jagdgenossenschaft.

2

In dem Zivilrechtstreit vor dem Amtsgericht Dannenberg über die Auszahlung des Jagdgeldes für die Jahre 1977 bis 1981 in Höhe von 699,- DM wurde die Klägerin durch rechtskräftiges Urteil vom 4. März 1983 (1 C 518/82) antragsgemäß verurteilt.

3

Das Amtsgericht Dannenberg hat die Klägerin zur Zahlung verurteilt, weil es die gemeindeeigenen Wegeflächen kraft Gesetzes als zum Jagdbezirk gehörig ansah, die auch nicht durch einen Versammlungsbeschluß "abgetrennt worden sind". Die Frage der Mitgliedschaft der Gemeinde bei der Jagdgenossenschaft konnte nach Ansicht des Amtsgerichtes nicht streitig sein. Der eingeklagte Anspruch auf Jagdgeld ergebe sich aus § 10 der Satzung.

4

Mit der Feststellungsklage vom 14. April 1983 begehrt die Jagdgenossenschaft vor dem erkennenden Gericht die Feststellung, daß die Gemeinde nicht Jagdgenossin im gemeinschaftlichen Jagdbezirk der Klägerin sei. Die beklagte Gemeinde sei zwar Rechtsnachfolgerin der früheren Gemeinde ... und Eigentümerin der Wegeparzellen, die den Bezirk der Jagdgenossenschaft durchziehen, wie sie im Mahnschreiben vom 24. Februar 1981 (Bl. 13 der Beiakten A) aufgeführt worden seien.

5

Die Streitigkeit sei aus der Gebietsreform entstanden. Durch die Gebietsreform sei die frühere selbständige Gemeinde ... aufgelöst worden. ... sei jetzt ein Ortsteil der Gemeinde Jameln, der Beklagten.

6

Die Gemeinde ... habe früher darauf verzichtet, Jagdgenossin mit ihren Wegeparzellen zu werden, weil es sich bei diesen offensichtlich um Flächen handele, auf denen gem. § 20 BJagdG nicht gejagd werden dürfe. Der gemeinschaftliche Jagdbezirk sei verpachtet. Der Pachtzins sei entsprechend der bejagdbaren Fläche berechnet worden. Die Wegeflächen seien nicht Inhalt des Pachtvertrages geworden und damit nicht an den Verpächter verpachtet. Durch das Verhalten der Beklagten werde letztlich erreicht, daß die Jagdgenossen der bejagdbaren Fläche ein geringeres Pachtgeld erhielten. Die Beklagte könne durch Aufnahmeantrag an die Klägerin Jagdgenossin und Anspruchsberechtigte werden. Die Klägerin beantragt,

festzustellen, daß die Gemeinde Jameln nicht Jagdgenossin bei ihr sei.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

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Sie meint, daß § 9 Abs. 1 BJagdG die Mitgliedschaft beschreibe. Sie sei als Eigentümerin der Wegeparzellen Mitglied der Jagdgenossenschaft. Das sei unstreitig. Wege seien keine befriedeten Bezirke. Für die Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft bedürfe es keiner Willenserklärung, da diese kraft Gesetzes aufgrund der Eigentümerstellung der räumlich zum Jagdbezirk gehörenden Flächen entstehe.

9

Zur weiteren Sachdarstellung wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien sowie die Sitzungsniederschrift vom 4. August 1983 Bezug genommen. Dem Gericht haben die zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemachten Gerichtsakten des Amtsgerichts Dannenberg (1 C 518/82, Beiakte A) sowie die Verwaltungsvorgänge des Landkreises Lüchow-Dannenberg betreffend die Satzung und den Pachtvertrag in der Gemeinde Jameln, Ortsteil ... vorgelegen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage hat keinen Erfolg.

11

I.

Das Feststellungsbegehren der Klägerin ist gem. § 43 VwGO zulässig. Bei der Zugehörigkeit der Beklagten zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk ... handelt es sich um ein Rechtsverhältnis i.S.d. § 43 Abs. 1 VwGO. Die Klägerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung des Bestehens dieses Rechtsverhältnisses, denn die Rechtsstellung eines Mitgliedes in der Jagdgenossenschaft ist durch die bestehenden Mitwirkungs- und Mitspracherechte sowie letztlich auch durch den Anspruch auf Jagdgeld günstiger als die eines Eigentümers, dessen Grundflächen zu keinem Jagdbezirk gehören, weil auf diesem die Jagd nicht ausgeübt werden darf.

12

II.

Die Feststellungsklage ist jedoch unbegründet, weil die Grundflächen der Beklagten zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk der Klägerin gehören und die Beklagte als Eigentümerin dieser Flächen nicht von der Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft ausgeschlossen ist.

13

1.

Die Grundflächen der Beklagten gehören zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk ... § 8 Abs. 1 des Bundesjagdgesetzes - BJagdG - i.d.F. vom 29. September 1976 (BGBl. I S. 2849) bestimmt, daß alle Grundflächen einer Gemeinde oder abgesonderten Gemarkung, die nicht zu einem eigenen Jagdbezirk gehören, einen gemeinschaftlichen Jagdbezirk bilden, wenn sie im Zusammenhang mindestens 150 ha umfassen. Bei der Beurteilung der Zugehörigkeit zum Jagdbezirk ist hier allein streitig, ob die Wegeflächen zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehören. Nach dem Wortlaut des § 8 Abs. 1 BJagdG gehören alle Grundflächen, das sind auch die Wegeflächen, zum Jagdbezirk. Diese Wegeflächen bilden auch nicht etwa einen Eigenjagdbezirk, da dieses nach § 5 Abs. 2 BJagdG ausgeschlossen ist. Die hier umstrittenen Flächen sind darüberhinaus auch ersichtlich keinem anderen Jagdbezirk angegliedert.

14

2.

Die Gemeinde ist Mitglied der Jagdgenossenschaft.

15

Die Mitgliedschaft zur Jagdgenossenschaft regelt § 9 BJagdG. Danach bilden die Jagdgenossenschaft die Grundstückseigentümer, die zu einem gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehören. Diese Voraussetzung erfüllt die beklagte Gemeinde, denn sie ist unstreitig Eigentümerin der umstrittenen Grundflächen, die - wie ausgeführt - zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehören.

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Nun schließt zwar § 9 Abs. 1 Satz 2 BJagdG diejenigen Eigentümer von Grundflächen von der Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft aus, auf deren Grundflächen die Jagd nicht ausgeübt werden darf. Das trifft für die Grundflächen der Beklagten nicht zu. Die Jagd kann nämlich auf den umstrittenen Grundflächen generell ausgeübt werden.

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a)

Nach gesetzlichen Regelungen ist die Jagdausübung lediglich auf den Grundflächen ausgeschlossen, die zu keinem Jagdbezirk gehören (Umkehrschluß aus § 4 BJagdG). Auf befriedeten Bezirken ruht nach § 6 BJagdG die Jagd. Die umstrittenen Grundflächen der Beklagten gehören jedoch, wie unter 1. ausgeführt, zu dem gemeinschaftlichen Pachtbezirk der Klägerin. Die Grundflächen der Beklagten sind auch nicht befriedete Bezirke gem. Art. 8 Abs. 1 oder Art. 28 Abs. 1 Niedersächsisches Landesjagdgesetz (Nds.LJagdG). Deshalb ist auf ihnen die Jagd erlaubt, d.h. sie darf ausgeübt werden.

18

b)

Das Jagdverbot des § 20 BJagdG schließt, entgegen der Ansicht der Klägerin, die Mitgliedschaft der Beklagten in der Jagdgenossenschaft auch nicht aus, denn er verbietet die Jagd auf den Flächen der Beklagten nicht dauernd.

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Das Verbot der Jagdausübung nach § 20 BJagdG betrifft Jagdflächen, auf denen die Jagd nach den Umständen des einzelnen Falles die öffentliche Ruhe, Ordnung oder Sicherheit stört oder das Leben von Menschen gefährden würde. Mithin darf also z.B. auf einem öffentlichen Weg ein Schuß auf Wild abgegeben werden, sofern nur gefahrlos, ohne Störung anderer, geschossen wird. Das heißt aber auch, daß in Wald und Feld in der Nähe von Menschen die Jagd nicht ausgeübt werden darf, falls das Leben von Menschen gefährdet würde. Das Verbot nimmt damit schlechthin alle Flächen von der Jagdausübung aus, auf denen die Jagd "nach den Umständen des einzelnen Falles" eine Störung darstellt. Ein derartiges Verbot trifft damit alle Grundflächen. Es ist daher nicht vorstellbar, daß alle diese Flächen unter Zugrundelegung dieser Auffassung der Klägerin zwar einen Jagdbezirk ausmachen, deren Eigentümer Jedoch nicht Jagdgenossen werden sollen, weil nach § 20 BJagdG die Jagdausübung verboten ist. Damit wären alle Eigentümer der zum gemeinschaftlichen Jagdbezirk gehörenden Flächen von einer Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft ausgeschlossen. Das entspricht jedoch nicht dem gesetzlichen Willen, der gerade von Mitgliedern in der Jagdgenossenschaft ausgeht. Mit Recht weist Schäfer in Mitzschke/Schäfer, BJagdG, Komm. 4. Aufl. 1982, § 9 Rdnr. 11 darauf hin, daß die eine Mitgliedschaft ausschließende Vorschrift des § 9 Abs. 1 Satz 2 BJagdG dahin zu verstehen ist, daß die Jagdausübung auf der ganzen Grundfläche "dauernd" nicht ausgeübt werden darf. Der Relativsatz des § 9 Abs. 1 Satz 2 BJagdG als Ausnahmeregelung ist also eng auszulegen.

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Diese Auffassung wird auch noch dadurch gerechtfertigt, wie das erkennende Gericht in dem rechtskräftigen Urteil vom 26.4.1982 (4 VG A 130/80 in Rdl. 1982, 298 = Jagdrechtliche Entscheidungen Bd. 3 II Nr. 45) ausgeführt hat, daß wesentlicher Inhalt aller Jagdrechtsvorschriften die Regelung der Jagdausübung ist, hier also das eigene Jagdrecht (§ 3 Abs. 1 BJagdG) durch Mehrheitsbeschluß der Jagdgenossen nach § 8 Abs. 5 i.V.m. § 10 BJagdG zu verwirklichen ("Ausübung"). Mitgliedschaftsrechte in der Jagdgenossenschaft geben daher nur bejagbare Flächen (vgl. VG Münster, Urteil vom 27.7.1968 - 1 K 559/67 in RdL 1968, 30). Nur diese bilden den Jagdbezirk (VG Stade vom 26.4.1982 a.a.O.). Dort aber, wo die Jagd nicht ausgeübt werden darf, bedarf es weder eines Jagdbezirks noch einer Jagdgenossenschaft oder einer Mitgliedschaft in einer solchen, weil die Ausübung des Jagdrechts nicht zu verwirklichen ist.

21

Unter der Anwendung dieser Grundsätze ist nicht ersichtlich, daß die Jagdausübung auf den umstrittenen Wegeflächen der Beklagten dauernd rechtlich ausgeschlossen ist. Da für öffentliche Wege in Niedersachsen auch nicht etwa ein Betretungsverbot für Fußgänger besteht, schließt das situationsbedingte Jagdausübungsverbot des § 20 Abs. 1 BJagdG die Mitgliedschaft des Wegeeigentümers in die Jagdgenossenschaft nicht aus.

22

c)

Schließlich steht dem Mitgliedsrecht der Beklagten auch nicht die Genossenschaftssatzung vom 30. November 1963 entgegen. Nach § 2 Abs. 1 der Satzung sind Jagdgenossen:

"1.
Die Eigentümer der zum Gebiet der Gemeinde gehörigen Grundstücke, mit Ausnahme der Grundstücke, die nach Artikel 5 Abs. 1 und 2 des Niedersächsischen Landesjagdgesetzes befriedet sind, oder die zu einem Eigenjagdbezirk gehören.

2.
die Eigentümer weiterer dem gemeinschaftlichen Jagdbezirk durch Vertrag oder Verfügung angegliederter Grundstücke."

23

Die Beklagte gehört dazu. Davon macht § 2 der Satzung keine Ausnahme, wenn dem Jagdvorstand die Pflicht zum Führen des Jagdkatasters auferlegt wird, da diese Pflicht nicht das Recht begründet, durch Nichtaufzeichnung der Grundflächen im Verzeichnis die Mitgliedschaft auszuschließen.

24

d)

Ebensowenig kann die Klägerin die Beklagte durch einen Beschluß aus der gesetzlichen Mitgliedschaft in der Jagdgenossenschaft entlassen oder die Beklagte oder deren Rechtsvorgängerin auf ihre gesetzliche Mitgliedschaft verzichten. Solches ist nämlich im Gesetz nicht vorgesehen und darüber hinaus dem hier herrschenden Zwangsverbandsrecht auch fremd.

25

III.

Die Klage blieb erfolglos, so daß der Klägerin nach § 154 Abs. 1 die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen sind. Die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11 ZPO.

Runge
von Bierbrauer zu Brennstein
Dr. Beyer