Amtsgericht Cuxhaven
Beschl. v. 01.12.2014, Az.: 3 XIV 2269B
Rechtswidrigkeit der Ingewahrsamnahme eines Asylbewerbers bis zu seiner Vorführung beim zuständigen Richter
Bibliographie
- Gericht
- AG Cuxhaven
- Datum
- 01.12.2014
- Aktenzeichen
- 3 XIV 2269B
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2014, 35578
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGCUXHA:2014:1201.3XIV2269B.0A
Rechtsgrundlagen
- § 62 Abs. 4 S. 2 AufenthG
- § 83 Abs. 2 FamFG
In der Abschiebehaftsache
betreffend
den kosovarischen Staatsangehörigen
- pp. -,
ohne festen Wohnsitz im Bundesgebiet,
zuletzt in Abschiebungshaft in der JVA , Abteilung ,
- Betroffener und Antragssteller -
Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt - pp. -,
weitere Verfahrensbeteiligte: , - Ausländerbehörde -,
- Antragsgegnerin -
hat das Amtsgericht xxx durch den Richter am Amtsgericht xxx am 01.12.2014
beschlossen:
Tenor:
Auf Antrag des Betroffenen vom 04.01.2013 wird festgestellt, dass seine Ingewahrsamnahme in der Zeit vom 06.11.2012, 15.45 Uhr bis zu seiner Vorführung beim zuständigen Richter des Amtsgerichts xxx am 07.11.2012 rechtswidrig war.
Gerichtskosten werden nicht erhoben. Die Antragsgegnerin trägt die notwendigen Auslagen des Betroffenen.
Der Beschluss des Amtsgerichts xxx vom 11.03.2014 -3 XIV 2153 B- wird deklaratorisch aufgehoben.
Gegenstandswert: 1.500 Euro.
Gründe
I.
Die Ausländerbehörde der xxx hat den Betroffenen am 09.12.2012 aus der Abschiebungshaft heraus in den Kosovo abgeschoben aufgrund seiner unbeschränkten Ausreisepflicht.
Der Betroffene ist kosovarischer Staatsangehöriger. Er reiste Mitte 2012 in das Bundesgebiet ein und lebte hier fortan ohne gültigen Aufenthaltstitel. Das BAMF lehnte seinen noch während der Abschiebungshaft am 20.11.2012 gestellten Asylantrag mit Bescheid vom 28.11.2012 als offensichtlich unbegründet ab.
Die Abschiebungsandrohung ist auch vollziehbar.
Am 06.11.2012 gegen 15.45 Uhr wurde der Betroffene von der Polizei in xxx im Zuge eines polizeilichen Ermittlungsverfahrens kontrolliert und vorläufig festgenommen. Es wurde ein Ermittlungsverfahren gegen ihn eingeleitet. Die polizeilichen Überprüfungen ergaben unter anderem, dass der Betroffene keinen gültigen Aufenthaltstitel besitzt.
Der Betroffene wurde sodann dem Polizeigewahrsam zugeführt, um die weiteren polizeilichen Ermittlungen sowie den Kontakt zur Ausländerbehörde am Folgetag vor einer Vorführung bei dem zuständigen Richter vornehmen zu können. Seitens der xxx ist zwar kein Eildienst für ausländer- und asylrechtliche Fragestellungen, insbesondere Abschiebungshaftanträge eingerichtet worden, allerdings hat die Polizeiinspektion xxx die Möglichkeit der Kontaktaufnahme zu den Mitarbeitern der Ausländerbehörde auch außerhalb des regulären Dienstbetriebs der Verwaltung. Jedenfalls am 06.11.2012 um 17.30 Uhr waren die polizeilichen Ermittlungen so weit vorangeschritten, dass von der zuständigen Staatsanwaltschaft xxx ein Antrag auf Erlass eines Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschlusses beim zuständigen Amtsgericht xxx gestellt werden konnte.
Die Antragsgegnerin holte daraufhin mündlich das Einvernehmen der Staatsanwaltschaft xxx ein und stellte am 07.11.2012 um 14.48 Uhr einen Antrag auf Anordnung von Abschiebungshaft beim Amtsgericht xxx. Wenn die Antragsgegnerin eher über die Festnahme des Betroffenen unterrichtet worden wäre, hätte der Haftantrag auch bereits am 06.11.2012 gestellt werden können.
Der Betroffene wurde sodann am 07.11.2012 nachmittags von dem zuständigen Richter persönlich angehört. Anschließend wurde gegen den Betroffenen mit Beschluss des Amtsgerichts xxx vom 07.11.2012 (Az. 3 XIV 2153 B) im Wege der einstweiligen Anordnung Abschiebungshaft - Sicherungshaft - für die Dauer von drei Monaten angeordnet. Der Beschluss wurde dem Betroffenen bekannt gegeben. Gegen diesen Beschluss legte der Betroffene Beschwerde ein, woraufhin das Landgericht xxx am 20.12.2012 (Az. 9 T 133/12) den Beschluss des Amtsgerichts xxx vom 07.11.2012 aufhob und seinerseits gegen den Betroffenen Sicherungshaft bis zum 09.01.2013 verhängte. Auf die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde des Betroffenen hin stellte der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 26.09.2013 fest, dass der Betroffene durch den Beschluss des Landgerichts xxx vom 20.12.2012 in seinen Rechten verletzt wurde, soweit es ihn Sicherungshaft bis zum 09.01.2013 angeordnet hat.
Mit Schriftsatz vom 04.01.2013 hat der Verfahrensbevollmächtigte für den Betroffenen beim Amtsgericht xxx beantragt festzustellen,
dass die Ingewahrsamnahme des Betroffenen in der Zeit vom 06.11.2012, 18.00 Uhr bis zum Erlass des Haftbeschlusses des Gerichts am 07.11.2012 rechtswidrig war. Zur Begründung hat er ausgeführt, dass die Vorführung des Betroffenen vor den Haftrichter nicht unverzüglich, sondern erst am 07.11.2012 erfolgt sei.
Der beteiligten Behörde ist Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben worden. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird auf die Ausführungen in der Stellungnahme vom 09.04.2014 Bezug genommen.
II.
Der gemäß § 428 Abs. 2 FamFG statthafte Antrag ist zulässig und in der Sache auch begründet.
Der Betroffene rügt zu Recht, dass seine Vorführung vor dem zuständigen Richter nach Maßgabe des Art. 104 Abs. 2 Satz 2 GG, § 428 Abs. 1 Satz 1 FamFG, § 62 Abs. 4 Satz 2 AufenthG nicht unverzüglich erfolgt ist.
Unverzüglich bedeutet ohne jede nicht aus sachlichen Gründen gerechtfertigte Verzögerung.
Nach der Festnahme des Betroffenen am 06.11.2012 gegen 15.45 Uhr und des Umstandes, dass bereits zu dieser Zeit seine Identität zweifelsfrei feststand, hätte die Polizei unverzüglich Kontakt mit der Ausländerbehörde der xxx oder eventuell mit der Ausländerbehörde der Landeshauptstadt Hannover (in Amtshilfe) aufnehmen müssen.
Es erscheint lebensnah, dass im Falle der frühzeitigeren Kenntnis der Antragsgegnerin von der Festnahme des Betroffenen der Abschiebungshaftantrag beim Amtsgericht xxx noch am 06.11.2012 oder jedenfalls am 07.11.2012 zu einer früheren Zeit hätte gestellt werden können und auch die nachfolgende Vorführung vor dem zuständigen Richter ohne zeitliche Verzögerung erfolgt wäre. Gerade für derartige Fälle wurde ein richterlicher Rufbereitschaftsdienst bis 21.00 Uhr beim Amtsgericht xxx eingerichtet. Die Verögerungen bis zur Vorführung des Betroffenen am 07.11.2012 sind nicht durch sachliche Gründe gerechtfertigt.
Die Grundsätze der Entscheidung des BVerfG, NJW 2002, 3161, [BVerfG 15.05.2002 - 2 BvR 2292/0] wonach der Staat zur Tageszeit im Sinne des § 104 Abs. 3 StPO die Überprüfung der Inhaftierung durch einen Richter gewährleisten muss, gelten sinngemäß für die Verwaltung, sofern nicht nach § 63 Abs. 6 AuslG verfahren wird. Damit ist die Ingewahrsamnahme des Betroffenen ab diesem Zeitpunkt bis zum Erlass der Abschiebungshaftanordnung rechtswidrig, ohne dass es einer weiteren Sachverhaltsaufklärung dazu bedarf, wie der richterliche Eildienst beim Amtsgericht ----------- detailliert geregelt ist und wie die betreffende Handhabung im Lichte der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur notwendigen Erreichbarkeit eines Richters zur Tages- oder Nachtzeit zu bewerten ist.
Es ist nicht Aufgabe des Gerichts, der Polizei und der Beteiligten vorzuschreiben, durch welche Maßnahmen dem Gebot der Unverzüglichkeit hier hätte Genüge getan werden können. Möglich erschiene die Einrichtung eines Eildienstes bei der Beteiligten, der außerhalb der regulären Dienstzeiten tätig wird, denkbar wäre aber auch im Wege der Amtshilfe eine Ausländerbehörde, welche über einen Eildienstes außerhalb der regulären Dienstzeiten verfügt, zu kontaktieren, um so die verzögerungsfreie Beantragung der Abschiebungshaft zu gewährleisten.
Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 81 Abs. 1 Satz 1, 83 Abs. 2 FamFG i. V. m. § 128 c KostO. Es entspricht unter Berücksichtigung der Regelung des Art. 5 Abs. 5 EMRK billigem Ermessen, die beteiligte Ausländerbehörde zur Erstattung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu verpflichten.
In vergleichbaren Fällen, in denen Verfahrensfehler bei den Amtsgerichten entstanden sind (z. B. keine Belehrung nach dem WKÜ etc.) und in deren Folge jeweils festgestellt worden ist, dass der angefochtene (Abschiebungshaft-)Beschluss den Betroffenen in seinen Rechten verletzt hat, hat auch der Bundesgerichtshof in seinen Entscheidungen über die Rechtsbeschwerden die den Betroffenen entstandenen außergerichtlichen Kosten der beteiligten Behörde auferlegt (vgl. BGH, Beschluss vom 06.05.2010, V ZB 223/09; BGH, Beschluss v. 18.11.2010, V ZB 165/10). Im Gegensatz dazu wird zwar in der Literatur die Ansicht vertreten, dass gerade in diesen Fällen - bei denen die beteiligte Behörde keinerlei Einfluss darauf hat, dass das Gericht erhebliche Verfahrensfehler begeht - eine Haftung der Behörde für die Kostenfolgen unbillig wäre (vgl. Keidel, § 430, Rn. 14). Eine Kostenerstattung durch die Staatskasse in den Fällen, in denen die Anordnung oder Fortdauer der Freiheitsentziehung auf einem Verfahrensfehler des Gerichts beruht, sieht allerdings das Gesetz aus hiesiger Sicht nicht vor (vgl. Keidel, FamFG, 17.Aufl., § 430 Nr. 16, OLG Celle, InfAuslR 2005, 423). Aus diesem Grund konnten im hier vorliegenden vergleichbaren Verfahren - bei dem der Verfahrensfehler bei der Polizei entstanden ist - die außergerichtlichen Kosten nicht der Staatskasse auferlegt werden.
Die Festsetzung des Gegenstandswertes folgt aus § 128c Abs. 2 KostO i. V. m. § 30 Abs. 2 KostO.
Der Beschluss des Amtsgerichts xxx vom 11.03.2014 -3 XIV 2153 B- war aufzuheben, da er fehlerhaft ergangen und keinen eigenständigen Regelungsgehalt aufweist.