Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 02.09.2020, Az.: 1 B 1322/20

Fraktion; Gleichbehandlungsgrundsatz; öffentliche Einrichtung; Willkürverbot; Zugang einer kommunalen Fraktion zu der öffentlichen Einrichtung einer Gemeinde

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
02.09.2020
Aktenzeichen
1 B 1322/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 34315
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:2020:0902.1B1322.20.00

[Gründe]

Die Antragstellerin begehrt die Überlassung eines Raumes in der Gaststätte "H." in I., in der die Antragsgegnerin eine Dorfgemeinschaftsanlage unterhält.

Hierzu hat die Antragsgegnerin Benutzungsregelungen erlassen, in denen es u.a. heißt:

"1. Die Gemeinde I. unterhält die Dorfgemeinschaftsanlage in der Gaststätte "H.", die grundsätzlich allen Bürgern und allen Organisationen zu sozialen, kulturellen und privaten Veranstaltungen zur Verfügung steht. Die Dorfgemeinschaftsanlage besteht aus dem Saal, dem Gemeinschaftsraum im hinteren Verandabereich, dem Tagungsraum (DRK-Raum) sowie der Kegelbahn. Die Gemeinde behält sich die Vermietung im Einzelfall vor und regelt dies in einer besonderen Nutzungsvereinbarung. Die Vermietung für die Gemeinde wird durch die "J. mbH", K. 4, L. durchgeführt.

2. Für die Nutzung des Saales wird ein Entgelt nach folgender Regelung erhoben:

a) für die ortsansässigen Vereine und Verbände, die evangelisch-lutherische Kirchengemeinde M., das Deutsche Rote Kreuz und die politischen Parteien der Samtgemeinde N. ist die Nutzung unentgeltlich. ..."

Mit E-Mail vom 15. Juli 2020 wandte sich die Vorsitzende der Antragstellerin an die Bürgermeisterin der Antragsgegnerin und teilt ihr mit, dass sie den Saal für den 11. September 2020, alternativ für den 18. September 2020 für die Antragstellerin buchen wolle. Es sei beabsichtigt, einen öffentlichen Vortrag zum Thema Klimawandel/Energiewende anzubieten.

Die Bürgermeisterin antwortete in einer E-Mail vom 16. Juli 2020. Sie führte im Wesentlichen aus, nach der Benutzungsordnung für die Dorfgemeinschaftsanlage behalte sich die Antragsgegnerin die Vermietung im Einzelfall vor. Die Entscheidung "keine O. -Veranstaltungen H." diene der Schadensbegrenzung. Die Beseitigung des Schadens zum 1. Mai 2015 habe erhebliche Kosten für die Antragsgegnerin verursacht. Nach dem, was auf einer Homepage der "Antifa" zu lesen sei, müsse man damit rechnen, dass es weitere Anschläge geben werde, wenn wieder Veranstaltungen des O. - Kreisverbandes in der Dorfgemeinschaftsanlage stattfinden würden. Die Antragsgegnerin sei nicht in der Lage, die Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Man müsse davon ausgehen, dass ein erneuter Anschlag auf das Gebäude stattfinden werde, deswegen könnten solche Veranstaltungen in dem Objekt nicht zugelassen werden.

Die Antragstellerin wandte sich hiergegen mit Schreiben vom 22. Juli 2020. Ihr, der Antragstellerin, stehe ein Anspruch auf Überlassung auf der Grundlage des § 5 Abs. 1 ParteiG in Verbindung mit Art. 3 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1, Art. 21 GG nach dem Grundsatz der Chancengleichheit der Parteien im politischen Wettbewerb zu. Nach den Benutzungsregelungen ergebe sich eindeutig, dass die Dorfgemeinschaftsräume auch der Nutzung für Veranstaltungen lokaler politischer Akteure dienten. Es hätten dort auch nicht nur lokale, sondern auch überregionale politische Veranstaltung anderer Parteien stattgefunden. Ein Anspruch auf Überlassung ergebe sich auch aus § 30 Niedersächsisches Kommunalverfassungsgesetz - NKomVG -. Die befürchtete Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung durch Sachbeschädigungen ausgehend von der linksextremen Szene stelle rechtlich kein haltbares Argument dar. Es sei nach der Rechtsprechung grundsätzlich Aufgabe der Gefahrenabwehrbehörden, den rechtmäßig handelnden Nichtstörer als Veranstalter zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit zu schützen.

Die Antragsgegnerin antwortete mit Schreiben vom 11. August 2020 und hielt ihre Ablehnung aufrecht. Es habe bereits am 24. April 2019 eine Überlassung der Räumlichkeiten an die O. gegeben. Die Folge sei gewesen, dass es im Internet eine Kampagne gegen diese Veranstaltung gegeben habe. Es sei ein erheblicher Sachschaden entstanden, der letztlich vom Steuerzahler habe beglichen werden müssen.

Die Antragstellerin hat am 20. August 2020 um vorläufigen Rechtsschutz nachgesucht. Zur Begründung wiederholt sie ihr bisheriges Vorbringen.

Die Antragstellerin beantragt,

die Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung zu verpflichten, ihr den Saal der Dorfgemeinschaftsanlage in der Gaststätte "H." für die Durchführung eines kommunalpolitischen Vortragsabends am 11. September 2020 zu überlassen.

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückzuweisen.

Die Antragstellerin könne die begehrte Regelungsanordnung nicht verlangen. Zwar gelte bei der Vergabe der Räumlichkeiten an politische Fraktionen das Gebot der Gleichbehandlung und ein Willkürverbot. Hier sei die Vergabepraxis aber durch besondere Gründe gerechtfertigt. Zunächst handele es sich bei der Antragstellerin nicht um eine Verwaltung, sondern lediglich um eine Fraktion des Rates der Samtgemeinde N.. Außerdem bestehe eine ernste konkrete Gefahr, dass es bei einer Vermietung des Objekts an die Antragstellerin zu nicht unerheblichen Schäden kommen werde, für die der Steuerzahler aufzukommen habe. Bereits am 24. April 2019 habe sie, die Antragsgegnerin, der Antragstellerin die Räumlichkeiten überlassen. Als Folge habe es eine Kampagne im Internet gegen die Veranstaltung gegeben. Der Veranstaltung seien Sachbeschädigungen am Gebäude vorausgegangen. Das Dorfgemeinschaftshaus sei beschmiert worden. Es sei ein erheblicher Sachschaden entstanden. Es sei "Kein Platz für die O." aufgesprüht worden. Die Beseitigung der Beschriftung habe 199,84 € gekostet.

Sie, die Antragsgegnerin, könne die Anmietung versagen, da die konkrete Gefahr bestehe, dass die Veranstaltung der Antragstellerin in einer ihr zurechenbaren Weise zur Begehung von Straftaten oder Ordnungswidrigkeiten genutzt werde. Die Antragstellerin sei für die in der Vergangenheit eingetretenen Schäden an dem Dorfgemeinschaftshaus ursächlich verantwortlich gewesen. Die Schäden hätten in unmittelbarem Zusammenhang mit der durchgeführten Veranstaltung gestanden. Die Gefahrenabwehrbehörden könnten die öffentliche Sicherheit hier nicht hinreichend schützen. Die Immobilie könne nicht tagelang von der Polizei überwacht werden. Deswegen seien die Straftaten nicht zu verhindern. Im Übrigen sei es auch eine Rufschädigung, wenn sie, die Antragsgegnerin, der Antragstellerin die Immobilie zugänglich mache. Bereits jetzt werde ihr unterstellt, man würde einer "rechten" Partei Gehör geben und diese unterstützen. Sie selbst habe keine Fraktion der O.. Wenn sie ihre Räumlichkeiten der O. zur Verfügung stelle, werde sie ihn nicht hinnehmbarer Weise mit dieser Partei in Verbindung gebracht. Es fehle auch an einem Anordnungsgrund. Wenn die Antragstellerin angebe, sie habe keine anderen Räumlichkeiten anmieten können, werde das bestritten. Die Umgebung sei ländlich geprägt; es gebe eine Vielzahl von Scheunen und Hallen. Die Antragstellerin habe nicht dargelegt, dass eine Ersatzräumlichkeit nicht habe gefunden werden können. Sie, die Antragsgegnerin, sei lediglich eine Mitgliedsgemeinde der Samtgemeinde N.. Sie müsse nicht dafür Sorge tragen, dass sich die Antragstellerin öffentlich darstellen könne.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze Bezug genommen.

II.

Der Antrag ist zulässig.

Insbesondere ist die Antragstellerin, eine kommunale Fraktion, als teilrechtsfähige Untergliederung einer (Samt)Gemeindevertretung nach § 61 Nr. 2 VwGO beteiligungsfähig (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. v. 27.6.2018 - 10 CN 1/17 - juris, Rn. 30; zur Teilrechtsfähigkeit: Blum in Blum/Häusler/Meyer, Nds.Kommunalverfassungsgesetz, § 57 Rn. 13; Wefelmeier in Blum/Baumgartner u.a. Kommunalverfassungsrecht Niedersachsen, § 57 Rn. 9).

Die Antragstellerin ist auch im Sinne des § 42 Abs. 2 VwGO antragsbefugt, denn sie kann geltend machen, durch die Weigerung der Antragsgegnerin, ihr den sog. "Saal" in dem Dorfgemeinschaftshaus der Antragsgegnerin zur Verfügung zu stellen, in eigenen Rechten verletzt zu sein. Zwar sind den Fraktionen durch das NKomVG weitgehend nur innerorganisatorische Rechte zugewiesen. Sie sind auch keine Grundrechtsträger, sondern Teile des Staates, der durch Grundrechte verpflichtet wird (BVerwG, Urt. v. 27.6.2018 - 10 CN 1.17 - juris). Als Teil des Staates können sich kommunale Fraktionen aber auf den allgemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) in seiner Ausprägung als Willkürverbot berufen, der als Bestandteil des allgemeinen Rechtsstaatsgebots (Art. 20 Abs. 3 GG) auch zwischen Hoheitsträgern gilt (s. hierzu BVerwG, Urt. v. 5.7.2012 - 8 C 22.11 - beckonline; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 28.6.2018 - 15 B 875/18 -, juris; OVG Magdeburg, Beschl. v. 19. 9. 2018 - 4 M 172/18 -, beckonline).

Der Antrag ist auch begründet. Die Antragstellerin kann die begehrte Anordnung auf der Grundlage des § 123 Abs. 1 VwGO verlangen. Gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO kann das Gericht eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis treffen, wenn dies um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Die Anwendung der Vorschrift setzt neben einer besonderen Eilbedürftigkeit der Regelung (Anordnungsgrund) voraus, dass der Rechtsschutzsuchende mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Anspruch auf die begehrte Regelung hat (Anordnungsanspruch). Anordnungsgrund und Anordnungsanspruch sind glaubhaft zu machen (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO). Eine einstweilige Anordnung darf grundsätzlich die Hauptsache nicht vorwegnehmen. Eine Ausnahme gilt allerdings dann, wenn effektiver Rechtsschutz anderenfalls nicht gewährt werden könnte. Das ist. der Fall, wenn ohne die vorläufige Regelung für den Antragsteller unzumutbare Nachteile entstehen, die im Hauptsacheprozess nicht mehr beseitigt werden könnten und wenn ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit für einen Erfolg des Begehrens in einem möglichen Klageverfahren spricht.

Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt.

Soweit die Antragsgegnerin das Vorliegen eines Anordnungsgrundes mit der Erwägung in Frage stellt, die Antragstellerin könne sich anderweitig einen Saal für ihre Veranstaltung mieten, greift dies nicht durch. Die Kammer hält den Vortrag der Antragstellerin für glaubhaft, dass ihr private Räumlichkeiten regelmäßig nicht vermietet werden.

Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Sie kann verlangen, dass ihr die Antragsgegnerin den sog. "Saal" in der Dorfgemeinschaftsanlage für die geplante Veranstaltung zur Verfügung stellt. Dieser Anspruch folgt aus dem Gleichbehandlungsanspruch aus Art. 3 GG in seiner Ausprägung als allgemeines Willkürverbot in Verbindung mit dem Grundsatz der Selbstbindung der Verwaltung. Wenn eine Kommune ihre Räumlichkeiten in der Vergangenheit politischen Parteien oder Fraktionen für politische Veranstaltungen zur Verfügung gestellt hat, so hat sie damit eine entsprechende Vergabepraxis bzw. konkludente Widmung der Räumlichkeiten begründet, von der sie nicht ohne sachlichen Grund zu Ungunsten einer politischen Partei oder einer Fraktion abweichen darf (z.B. Nds.OVG, Beschl. v. 28.2.2007 - 10 ME 74/07 -, juris; OVG Magdeburg, Beschl. v. 19.9.2018 - 4 M 172/18 -, beckonline; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 28.6.2018 - 15 B 875/18 -, juris; BayVGH, Beschl. v. 21.1.1988 - 4 CE 8703883-, juris).

Die Beteiligten sind sich darüber einig, dass die von der Antragstellerin geplante Veranstaltung von dem Widmungszweck umfasst ist und dass die Antragstellerin zu dem Kreis derjenigen gehört, für die die öffentliche Einrichtung zur Verfügung gestellt wird. So hat die Antragsgegnerin nach eigenem Vortrag der Antragstellerin in der Vergangenheit den "Saal" in der Gaststätte "H." bereits zur Verfügung gestellt.

Der Umstand, dass es im Zusammenhang mit dieser Veranstaltung zu Sachbeschädigungen speziell zu "Schmierereien" von Gegnern der politischen Partei der Antragstellerin an dem Gebäude gekommen ist, stellt keinen sachlichen Grund dar, der es rechtfertigt, der Antragstellerin den Zugang zu der Dorfgemeinschaftsanlage zu verweigern. Soweit Beschädigungen nicht von Teilnehmern der Veranstaltung selbst drohen, kann mit dieser Begründung die Benutzung einer öffentlichen Einrichtung nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Mittel nur verweigert werden, wenn eine ernste Gefahr droht und Schäden auf andere Weise nicht abgewehrt werden können (BVerwG, Urt. v. 18.7.1969 - VII C 5668 - BeckRS 1969 3043979; Nds.OVG, Beschl. v. 7.6.1985 - 2 B 36/8 -, NJW 1985, 2347). Dabei ist es Aufgabe der Polizei, Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung zu unterbinden (BayVGH, Beschl. v. 21.1.1988 - 4 CE 8703883 -, juris; OVG für das Land Nordrhein-Westfalen, Beschl. v. 28.6.2018 - 15 B 875/18 -, juris). Hier kann schon nicht erkannt werden, dass eine ernste Gefahr droht. Es lässt sich aus dem Vortrag der Antragsgegnerin weiter nicht entnehmen, dass Störungen der öffentlichen Sicherheit zu erwarten sind, die mit polizeilichen Mitteln nicht behoben werden können. Insoweit hat die Antragsgegnerin konkret lediglich vorgebracht, dass es zu Sachbeschädigungen in Form von "Schmierereien" an dem Dorfgemeinschaftshaus gekommen ist. Allein der Umstand, dass u.U. dadurch Kosten entstehen, dass Gegner der Veranstaltung das Dorfgemeinschaftshaus mit Parolen versehen, die dann entfernt werden müssen, rechtfertigt es nicht, der Antragstellerin den Zugang zur der Einrichtung der Antragsgegnerin zu versagen. Gleiches gilt für den Umstand, dass sich die Antragsgegnerin mit den politischen Zielen der Partei der Antragstellerin nicht identifiziert. Es ist allein Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungswidrigkeit und das Verbot von politischen Parteien zu entscheiden. Die politische Ausrichtung erlaubter Parteien ist kein zulässiges Ausschlusskriterium bei der Entscheidung einer Kommune über den Zugang zu ihren Einrichtungen, solange sich die geplante Nutzung im Rahmen der ausdrücklichen oder konkludenten Widmung der Einrichtung hält und die Einrichtung anderen Parteien bzw. Fraktionen für vergleichbare Veranstaltungen zur Verfügung gestellt werden (st. Rspr. vgl. z.B.: BayVGH, Beschl. v. 21.1.1988 - 4 CE 8703883-, juris).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO; die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2, 52 Abs. 2 GKG.