Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 10.07.2023, Az.: L 9 AS 145/23 B
Eilverfahren; einstweiliger Rechtsschutz; Prozesskostenhilfe; Rechtsschutzbedürfnis; PKH; Rechtsschutzbedürfnis und Eilverfahren
Bibliographie
- Gericht
- LSG Niedersachsen-Bremen
- Datum
- 10.07.2023
- Aktenzeichen
- L 9 AS 145/23 B
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 26225
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- SG Lüneburg - 10.02.2023 - AZ: S 27 AS 11/23 ER
Rechtsgrundlagen
- ZPO § 114
- SGG § 73a
- SGG § 86b Abs 2
In dem Beschwerdeverfahren
A.
- Antragstellerin und Beschwerdeführerin -
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwälte B.
gegen
Jobcenter C.
- Antragsgegner -
hat der 9. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 10. Juli 2023 in Celle durch den Richter D. - Vorsitzender -, die Richterin E. und den Richter F.
beschlossen:
Tenor:
- 1.
Zum Rechtsschutzbedürfnis in Eilverfahren
- 2.
Wer sich bewusst dafür entscheidet, ohne Notwendigkeit ein gerichtliches Verfahren zu führen, kann nicht damit rechnen, dass die Allgemeinheit dafür die Kosten übernimmt (durch Gewährung von Prozesskostenhilfe).
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Sozialgerichts Lüneburg vom 10. Februar 2023, mit dem die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Eilverfahren abgelehnt worden ist, wird zurückgewiesen.
Kosten für das Beschwerdeverfahren sind nicht zu erstatten.
Gründe
I.
Die Antragstellerin wendet sich gegen einen Beschluss über die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe (PKH) für ein Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes vor dem Sozialgericht (SG) Lüneburg.
In dem am 20. Januar 2023 beim SG anhängig gemachten und durch Beschluss vom 10. Februar 2023 beendeten Eilverfahren stritten die Beteiligten darüber, ob der Antragsgegner im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes verpflichtet war, der Antragstellerin ab Rechtshängigkeit des Eilantrags Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch (SGB II) ohne Berücksichtigung des Einkommens von G. H. zu gewähren.
Die 1984 geborene Antragstellerin ist nach ihren Angaben zum 1. November 2021 in das Haus des Herrn H. eingezogen (vgl. elektronische Akte des Antragsgegners - eVA). Zuvor bezog sie Leistungen vom Jobcenter I. (vgl. eVA). In dem Haushalt lebt noch der 2009 geborene Sohn des Herrn H.. Im Rahmen der Antragstellung wurde angegeben, dass eine Lebenspartnerschaft bestehe, aber jeder für sich und seine Kosten verantwortlich sei. Daraufhin bewilligte der Antragsgegner der Antragstellerin Leistungen ohne Berücksichtigung von Einkommen des Herrn H. (Bescheid vom 4. November 2021).
Im Weiterbewilligungsantrag der Antragstellerin gab diese wiederum an, mit Herrn H. in einer Partnerschaft zu leben (Anlage VE vom 27. Oktober 2022). Mit Bescheid vom 7. November 2022 bewilligte der Antragsgegner der Bedarfsgemeinschaft der Antragstellerin vorläufig Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum November 2022 bis 30. April 2023 (Bl. 6 ff. der Gerichtsakte - GA). Die Vorläufigkeit beruhte auf der Erzielung von Erwerbseinkommen des Herrn H..
Dagegen erhob die Antragstellerin Widerspruch (Bl. 19 ff, Bl. 22 ff. GA). Zur Begründung führte sie aus, dass zwischen ihr und Herrn H. keine Verantwortungs- und Einstehensgemeinschaft (VEG) bestehen würde. Eine solche sei durch die beigefügte eidesstattliche Erklärung des Herrn H. vom 20. Dezember 2022 widerlegt. Der o.g. eidesstattlichen Erklärung (Bl. 21 GA) war im Wesentlichen zu entnehmen, dass die Antragstellerin zum 1. November 2021 in sein Haus eingezogen sei mit dem Ziel, die noch junge Beziehung zu erproben. Er habe ihr bereits beim Einzug klargemacht, dass sie ihren Lebensunterhalt selbst sicherstellen müsse. Weiter heißt es, dass sich die Beiziehung nicht günstig entwickelt habe und er weiterhin nicht bereit sei, für die Antragstellerin einzustehen. Sein Einkommen verwende er für sich und seinen Sohn, die Antragstellerin könne auch nicht auf sein Konto zugreifen. Eine positive Zukunft für die Beziehung erkenne er aktuell nicht. Die Antragstellerin kenne seine Sichtweise und halte, soweit er wisse, nach einer eigenen Wohnung Ausschau.
Mit Schreiben vom 3. Januar 2023 teilte der Antragsgegner dem im Widerspruchsverfahren tätigen Prozessbevollmächtigten der Antragstellerin ausführlich mit, welche Nachweise und Erklärungen für erforderlich erachtet würden, um die Vermutungswirkung des § 7 Abs. 3a SGB II zu widerlegen. Gleichzeitig wurde angefragt, ob Einverständnis mit einem Hausbesuch bestehen würde. Darauf antwortete weder der Prozessbevollmächtigte noch die Antragstellerin.
Der Antragsgegner wies daraufhin den Widerspruch der Antragstellerin mit Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2023 als unbegründet zurück (Bl. 32 ff. GA). Darin führte der Antragsgegner u.a. aus, im Fall des Nachreichens der (im Schreiben vom 3. Januar 2023) genannten Nachweise und Erklärungen, insbesondere zur Freizeitgestaltung und des alltäglichen Zusammenlebens, eine erneute Prüfung auch außerhalb eines Klage- oder einstweiligen Rechtschutzverfahrens kurzfristig vornehmen zu wollen.
Mit ihrem (bereits) am 20. Januar 2023 beim SG Lüneburg gestellten Eilantrag hat die Antragstellerin die Verpflichtung des Antragsgegners zur vorläufigen Gewährung von Leistungen nach dem SGB II ohne Berücksichtigung von Einkommen des Herrn H. ab Rechtshängigkeit geltend gemacht. Gleichzeitig hat sie die Bewilligung von PKH beantragt. Die Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse hat die Antragstellerin mit dem Eilantrag am 20. Januar 2023 beim SG eingereicht.
In einem Schreiben vom 25. Januar 2023 teilte die Antragstellerin ergänzend mit, dass sie selbstverständlich mit der Hausbesichtigung durch den Außendienst des Antragsgegners einverstanden wäre.
Die Antragstellerin ist der Auffassung, dass die eidesstattliche Erklärung des Herrn H. keiner Auslegung zugänglich sei und dadurch glaubhaft gemacht sei, dass die Beziehung beendet worden sei. Sie sei zum Auszug aufgefordert worden. Aus der Antragserwiderung gehe zudem hervor, dass der Antragsgegner an seiner Auffassung festhalte. Ergänzend hat sie eine eidesstattliche Erklärung vom 31. Januar 2023 vorgelegt (Bl. 59 GA). Darin heißt es, dass Herr H. die Beziehung zu ihr bereits im Oktober 2022 für beendet erklärt habe und sie aufgefordert habe, auszuziehen. Sie sei seit einiger Zeit dabei, eine eigene Wohnung zu suchen, was sich schwierig gestalte. Im Übrigen wird auf den Inhalt der eidesstattlichen Erklärung vom 31. Januar 2023 Bezug genommen.
Der Antragsgegner ist dem entgegengetreten. Der Eilantrag sei bereits unzulässig. Er habe bereits mit Schreiben vom 3. Januar 2023 ohne Erfolg mitgeteilt, welche Nachweise und Erklärungen er für erforderlich erachte, um das Bestehen einer VEG zu widerlegen. Auch im Rahmen der Begründung des Widerspruchs sei der Antragstellerin in Aussicht gestellt worden, bei entsprechender Vorlage der angeforderten Nachweise und Erklärungen eine nochmalige kurzfristige Überprüfung vornehmen zu wollen. Insoweit hätte das Anliegen bereits im Verwaltungsverfahren geklärt werden können. Die eidesstattliche Erklärung von Herrn H. sei hingegen zu ungenau, also nicht ausreichend, um die Vermutungswirkung einer VEG zu widerlegen. Ergänzend hat der Antragsgegner ausgeführt, dass die Beendigung der Partnerschaft erstmalig durch die eidesstattliche Erklärung der Antragstellerin mitgeteilt worden sei. Vorher sei dies nicht eindeutig gewesen und die geforderten Erklärungen nicht vorgenommen worden, zumal die Antragstellerin im Antragsvordruck (Anlage VE) am 27. Oktober 2022 mitgeteilt habe, dass es sich bei Herrn H. um ihren Partner handeln würde. Erstmalig am 6. Februar 2023 hat die Antragstellerin um Rückruf hinsichtlich eines Wohnungsangebots gebeten (Bl. 65 GA).
Mit Bescheid vom 7. Februar 2023 hat der Antragsgegner der Antragstellerin die Leistungen für den Zeitraum vom 1. November 2022 bis 30. April 2023 endgültig ohne Anrechnung des Einkommens des Herrn H. bewilligt (Bl. 66 ff. GA).
Die Antragstellerin hat den Rechtsstreit nicht für erledigt erklärt, sondern um Bewilligung von PKH gebeten (Bl. 75 GA).
Das SG hat den Eilantrag mit Beschluss vom 10. Februar 2023 abgelehnt (Bl. 84 ff. GA). Es hat ausgeführt, dass der Antrag unzulässig geworden sei, weil das erforderliche Rechtschutzinteresse der Antragstellerin für die Fortführung des einstweiligen Rechtschutzverfahrens entfallen sei.
Mit weiterem Beschluss vom 10. Februar 2023 hat das SG die Bewilligung von PKH abgelehnt. Zur Begründung hat das SG ausgeführt, dass der PKH-Antrag als unzulässig zurückzuweisen sei. Die PKH-Voraussetzungen könnten zum jetzigen Zeitpunkt nicht mehr festgestellt werden. Insoweit werde auf den Beschluss vom heutigen Tag im Verfahren S 27 AS 11/23 ER verwiesen.
Gegen den ihr am 10. Februar 2023 zugestellten die Bewilligung von PKH ablehnenden Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde vom 10. März 2023. Sie trägt vor, dass der Eilantrag bereits am 20. Januar 2023 gestellt worden sei, also vor der Abhilfeentscheidung entscheidungsreif gewesen sei. Das SG sei berufen gewesen, PKH zu bewilligen.
Der Antragsgegner hält an seiner Rechtsauffassung fest, dass ein Rechtsschutzbedürfnis der Antragstellerin nicht bestanden habe.
Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und auf die elektronische Verwaltungsakte des Antragsgegners Bezug genommen.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und gemäß § 172 Sozialgerichtsgesetz (SGG) statthafte Beschwerde ist nicht begründet.
Der Antragstellerin stand nach Auffassung des erkennenden Senates PKH für das erstinstanzliche Verfahren von vornherein nicht zu. Die Bewilligung von PKH setzt gemäß § 73a SGG, § 114 Zivilprozessordnung (ZPO) unter anderem voraus, dass die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg hat. Das war nicht der Fall. Das SG hat im Ergebnis zu Recht die Bewilligung von PKH abgelehnt, weil zur Überzeugung des Senats die Voraussetzungen für die Gewährung einstweiligen Rechtschutzes von vornherein gar nicht vorgelegen haben.
Dabei lässt der Senat offen, ob das von der Antragstellerin eingeleitete Eilverfahren sich bereits als mutwillig darstellt, weil es bei rechtzeitigem Vorbringen von Sachvortrag und durch schlichtes Beantworten der Fragen des Antragsgegners, der für diesen Fall ausdrücklich eine erneute Prüfung angekündigt hatte, hätte vermieden werden können und die Behörde durch rechtzeitigen Vortrag im Verwaltungs- und Widerspruchsverfahren in die Lage versetzt worden wäre, das Anliegen umfassend zu prüfen. Denn der Antrag auf Gewährung von Eilrechtsschutz war von Anfang an unzulässig. Es mangelte am Rechtsschutzbedürfnis, weil kein Anlass bestand, gerichtlichen Eilrechtsschutz in Anspruch zu nehmen.
Auch im einstweiligen Rechtsschutzverfahren ist das Rechtsschutzbedürfnis Zulässigkeitsvoraussetzung (Senatsbeschluss vom 26. Mai 2015 - L 9 AS 671/15 B ER; vom 27. April 2015 - L 9 AS 540/15 B ER m.w.N.; vgl. allgemein Keller in: Meyer-Ladewig/Keller/Leitherer, SGG, 13. Aufl. 2020, § 86b Rn. 26, Rn. 26b und Vor § 51 Rn. 16 ff.). Allgemein lässt sich sagen, dass niemand die Gerichte grundlos in Anspruch nehmen darf (vgl. Keller, a.a.O., Vor § 51 Rn. 16; Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 6. April 2011 - B 4 AS 5/10 R, FEVS 63, 109, 111 = juris Rn. 14; Urteil vom 22. November 2011 - B 4 AS 219/10 R, SozR 4-4200 § 22 Nr. 57 = juris, jeweils Rn. 12). Unzulässig ist ein Verfahren dann, wenn das angestrebte Ergebnis auf einfachere Weise erreicht werden kann (Keller, a.a.O., Vor § 51 Rn. 16a; BSG, Urteil vom 25. Januar 2001 - B 4 RA 64/99 R, SozR 3-1500 § 54 Nr. 45, S. 93 = juris Rn. 16) oder wenn die erstrebte gerichtliche Entscheidung dem Antragsteller keinen rechtlichen oder tatsächlichen Vorteil bringen kann (Senatsbeschluss vom 30. Mai 2014 - L 9 AS 498/14 B ER; vom 27. April 2015 - L 9 AS 540/15 B ER; vom 7. Mai 2015 - L 9 AS 616/13 B; vom 26. Mai 2015 - L 9 AS 671/15 B ER). Der Senat hat das Rechtsschutzbedürfnis insoweit beispielsweise verneint, wenn ein Eilverfahren eingeleitet wird, obwohl erkennbar ist, aus welchen Gründen eine Entscheidung durch das Jobcenter noch nicht erfolgt ist oder ohne dass zuvor belastbar Erkundigungen eingeholt worden sind, aus welchen Gründen eine Entscheidung noch nicht ergangen ist (Senatsbeschluss vom 27. April 2015 - L 9 AS 540/15 B ER) oder weil ein Antragsteller sich nicht vor Antragstellung bei dem SG bei dem Antragsgegner erkundigt hat, warum dieser Vollstreckungsmaßnahmen einleitet, obwohl jener - angeblich - Widerspruch erhoben hat (Senatsbeschluss vom 26. Mai 2015 - L 9 AS 671/15 B ER). Ein Rechtsschutzbedürfnis fehlt insbesondere auch dann, wenn eine Mitwirkung noch aussteht (Senatsbeschluss vom 10. September 2013 - L 9 AS 979/13 B ER; v. 27. April 2015 - L 9 AS 540/15 B ER).
In den genannten Senatsentscheidungen ist immer wieder betont worden, dass es nicht Aufgabe der Gerichte, und schon gar nicht des Beschwerdegerichts, ist, ein als Eilverfahren verkleidetes Verwaltungsverfahren zu moderieren und die Schriftsätze der Beteiligten hin und her zu schicken. Das können die Beteiligten auch allein. Dabei ist stets auch deutlich geworden, dass das Rechtsschutzbedürfnis auch nicht nachträglich zu bejahen ist, wenn sich nach Antragstellung bei dem SG, im laufenden Eilverfahren, der Sachverhalt aufklärt oder eine Entscheidung ergeht (vgl. hierzu insbesondere: Senatsbeschluss vom 23. Juli 2015 - L 9 AS 964/15 B ER).
So liegt der Fall auch hier. Die eidesstattliche Erklärung des Herrn H. vom 20. Dezember 2022 genügte nicht, um die Vermutung einer VEG zwischen der Antragstellerin und Herrn H. zu widerlegen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob der Senat die später zur Bewilligung von Leistungen ohne Berücksichtigung des Einkommens des Herrn H. führenden Erklärungen der Antragstellerin im Eilverfahren überhaupt als ausreichend ansieht, um das Vorliegen einer VEG zu verneinen. Der Antragsgegner hat jedenfalls durch das ausführliche Schreiben vom 3. Januar 2023 mitgeteilt, dass er die bisherigen Unterlagen nicht für ausreichend erachtet, um nicht von einer VEG zwischen der Antragstellerin und Herrn H. auszugehen. Gleichzeitig hat er um Vorlage von Unterlagen und Erklärungen gebeten. Weder darauf noch auf die im Widerspruchsbescheid vom 18. Januar 2023 signalisierte Bereitschaft des Antragsgegners, die Angelegenheit außerhalb von Klage- oder Eilverfahren kurzfristig zu prüfen, ist die Antragstellerseite eingegangen. Der Eilantrag vom 20. Januar 2023 war daher offensichtlich nicht erforderlich, um das Ziel der Antragstellerin zu erreichen. Derjenige, der sich bewusst dafür entscheidet, ohne Notwendigkeit ein gerichtliches Verfahren zu führen, kann nicht damit rechnen, dass die Allgemeinheit dafür die Kosten übernimmt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 127 Abs. 4 ZPO.
Dieser Beschluss kann nicht mit der Beschwerde angefochten werden, § 177 SGG.