Amtsgericht Hannover
Beschl. v. 20.05.2014, Az.: 43 XIV 36/14 B

Überstellung eines Betroffenen nach Italien aufgrund seiner unbeschränkten Ausreisepflicht i.R.d. sog. Überstellungshaft

Bibliographie

Gericht
AG Hannover
Datum
20.05.2014
Aktenzeichen
43 XIV 36/14 B
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2014, 24179
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGHANNO:2014:0520.43XIV36.14B.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 09.05.2014 - AZ: 43 XIV 34/14

Fundstellen

  • InfAuslR 2014, 284-285
  • ZAR 2014, 32

In dem Abschiebungshaftverfahren
betreffend den eritreischen Staatsangehörigen
###################
geboren am ##################
ohne festen Wohnsitz in Deutschland,
zurzeit in Abschiebungshaft in der JVA Hannover, Abteilung Langenhagen,
- Betroffener -Verfahrensbevollmächtigter: Rechtsanwalt ##################
weitere Verfahrensbeteiligte:
Landkreis ###########################
- Antragsteller/in -
hat das Amtsgericht Hannover - Abteilung 43 - durch die Richterin am Amtsgericht ###### nach persönlicher Anhörung des Betroffenen am 20.05.2014
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag der Ausländerbehörde auf endgültige Anordnung von Überstellungshaft bis zum 27.05.2014 wird zurückgewiesen.

Der Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 09.05.2014 (Az. 43 XIV 34/14) wird aufgehoben.

Der Betroffene ist unverzüglich aus der Abschiebungshaft zu entlassen.

Dem Betroffenen wird Verfahrenskostenhilfe unter Beiordnung von Rechtsanwalt ########### bewilligt.

Gerichtskosten werden nicht erhoben. Der Landkreis Cuxhaven hat die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen des Betroffenen zu tragen.

Gründe

I.

Der Landkreis Cuxhaven betreibt die Überstellung des Betroffenen nach Italien gemäß der Dublin III-Verordnung aufgrund seiner unbeschränkten Ausreisepflicht.

Der Betroffene ist nach eigenen Angaben eritreischer Staatsangehöriger und reiste erstmals am 03.09.2013 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Mit Datum vom 10.09.2013 stellte der Betroffene einen Asylantrag (Az: 5665902). Dieser wurde mit Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge vom 28.01.2014 als unzulässig abgelehnt, da er bereits in Italien Asyl beantragt hatte und dort anerkannter Flüchtling ist. Ferner wurde dem Betroffenen die Abschiebung nach Italien angedroht. Der Betroffene wurde dem Landkreis Cuxhaven zugewiesen.

Am 05.02.2014 stellte der Betroffene beim Verwaltungsgericht Stade einen Eilantrag nach § 80 Abs. 5 VwGO. Dieser Antrag wurde mit Beschluss des Verwaltungsgerichts Stade vom 13.02.2014 abgelehnt. Der Beschluss ist unanfechtbar (Az. 3 B 177/14). Nach den Ausführungen in dem Beschluss ist die Abschiebung des Betroffenen nach Italien weder rechtlich unzulässig noch tatsächlich unmöglich.

Die Überstellung des Betroffenen im sog. DUBLIN-Überführungs (DÜ)-Verfahren nach Italien war für den 01.04.2014 vorgesehen. Die Antragsstellerin behauptet in ihrem Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft vom 05.05.2014, dass der Betroffene und sein Rechtsanwalt über diesen Termin mit Schreiben vom 24.03.2014 in Kenntnis gesetzt worden sind.

Tatsächlich bestehen allerdings Zweifel, ob der Betroffene von diesem Überstellungstermin überhaupt Kenntnis hatte. Ausweislich des in der Ausländerakte enthaltenen Polizeireports der Polizeistation Otterndorf vom 31.03.2014 (Bl. 84ff) konnte der Betroffene am 24.03 und am 27.03.2014 im Rahmen einer Überprüfung nicht in der Unterkunft angetroffen werden. Nach Auskunft anderer dort aufhältiger Personen soll der Betroffene sich bereits seit ca. 1 Woche nicht mehr in der Unterkunft aufgehalten haben. Ob der Betroffene zu dieser Zeit noch Kontakt zu Herrn Rechtsanwalt Bäcker aus Frankfurt hatte und dieser ihn über den Überstellungstermin in Kenntnis gesetzt hatte, ist nicht bekannt.

Der Betroffene hat sich allerdings auch am 31.03./01.04.2014 nicht in der Unterkunft aufgehalten, so dass der Überstellungstermin storniert werden musste.

Der Betroffene wurde sodann am 15.04.2014 in Frankfurt am Main festgenommen. Bei der Amtsanwaltschaft Frankfurt wurde gegen ihn ein Verfahren wegen Verstoßes gegen das Aufenthaltsgesetz eingeleitet. Das Einvernehmen gem. § 72 Abs. 4 AufenthG wurde bei der Amtsanwaltschaft Frankfurt durch das Polizeipräsidium Frankfurt, Herrn #########, eingeholt und durch den Oberstaatsanwalt, ##########, erteilt. Zugleich hat das Amtsgericht Frankfurt am Main dem Antrag auf Anordnung von Sicherungshaft mit Beschluss vom 16.04.2014 stattgegeben. Das Amtsgericht Frankfurt ordnete Abschiebungshaft bis einschließlich 16.05.2014 mit Beschluss vom 16.04.2014. Mit Beschluss vom 22.04.2014 setzte das Amtsgericht Frankfurt den Vollzug aus jedoch aus, da ein adäquater Haftplatz nicht zur Verfügung stand. Der Betroffene wurde am 22.04.2014 entlassen.

Der Betroffene hat schließlich am 05.05.2014 im Amt für Soziale Leistungen in Cuxhaven vorgesprochen, um seine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz in Anspruch zu nehmen und wurde - nach einem Hinweis - gem. § 62 Abs. 5 AufenthG in Gewahrsam genommen.

Mit Schreiben vom 05.05.2014 hat der Antragsteller beim zuständigen Amtsgericht Cuxhaven die einstweilige Anordnung von Haft zur Sicherung der Abschiebung bis zunächst zum 06.06.2014 gemäß § 427 Abs. 1 FamFG beantragt. In der Hauptsache hatte die Ausländerbehörde die Anordnung von Abschiebungshaft bis zum 06.06.2014, ebenfalls mit Schriftsatz vom 05.05.2014 angeordnet. Das Amtsgericht Cuxhaven hat mit Beschluss vom 05.05.2014, Aktenzeichen 3 XIV 2239 B gegen den Betroffenen zunächst die vorläufige Freiheitsentziehung im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum 12.05.2014 angeordnet. Die Antragsstellerin leitete unverzüglich die Abschiebung des Betroffenen nach Italien über das LKA Niedersachsen ein.

Der Betroffene ist zwischenzeitlich in die JVA Hannover, Außenstelle Langenhagen verschubt worden. Das Verfahren wurde mit Verfügung des Amtsgerichts Cuxhaven vom 06.05.2014 zuständigkeitshalber an das Amtsgericht Hannover abgegeben und wird hier seit dem 08.05.2014 fortgeführt.

Die Antragstellerin hatte am 08.05.2014 gegenüber dem Amtsgericht Hannover mitgeteilt, dass der neue Abschiebungstermin auf den 27.05.2014, 10.40 Uhr ab Düsseldorf terminiert ist.

Die Ausländerbehörde hatte ferner mit Schriftsatz vom 09.05.2014, unter Bezugnahme auf die im Übrigen fortbestehenden Antragsgründe vom 05.05.2014, beantragt, gegen den Betroffenen nach seiner persönlichen Anhörung die mit Beschluss des Amtsgerichts Cuxhaven vom 05.05.2014, Aktenzeichen 3 XIV 2239 B, im Wege der einstweiligen Anordnung angeordnete Abschiebungshaft im Wege einer erneuten einstweiligen Anordnung

- da die Ausländerakte noch auf dem Postweg von Cuxhaven nach Hannover war - bis einschließlich zum 23.05.2014 zu verlängern und die sofortige Wirksamkeit der Entscheidung anzuordnen.

Mit Beschluss des Amtsgerichts Hannover vom 09.05.2014 (Az. 43 XIV 34/14) ist die mit Beschluss des Amtsgerichts Cuxhaven vom 05.05.2014 angeordnet Abschiebungshaft im Wege der einstweiligen Anordnung bis zum 23.05.2014 verlängert worden, nachdem der Betroffene zuvor persönlich angehört worden ist. Im Rahmen der Anhörung vor dem Amtsgericht Hannover am 09.05.2014 hat der Betroffene angegeben, dass er nicht nach Italien zurückkehren möchte, weil er dort keine Bleibe habe. Er habe dort auf der Straße gelebt. Eine endgültige Haftentscheidung war zu diesem noch nicht möglich, weil dem Amtsgericht Hannover die Ausländerakte des Betroffenen nicht vorgelegen hat. Gegen die Entscheidung vom 09.05.2014 hat der Betroffene mit Schriftsatz seines Verfahrensbevollmächtigten vom 19.05.2014 Beschwerde eingelegt.

In der Hauptsache hat die Ausländerbehörde darüber hinaus mit Schriftsatz vom 09.05.2014 die Anordnung von Abschiebungshaft bis einschließlich zum 27.05.2014 beantragt unter Bezugnahme auf die weiteren Ausführungen in dem Antrag vom 05.05.2014.

Der Betroffene ist heute zu dem Antrag auf endgültige Anordnung von Abschiebungshaft bis zum 27.05.2014 persönlich angehört worden. Auf die Ausführungen in dem Anhörungsprotokoll wird zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen.

Die Ausländerakte des Betroffenen liegt dem Gericht vor. Ebenso die Beiakten des Amtsgerichts Cuxhaven und des Amtsgerichts Hannover (43 XIV 34/14).

II.

Dem Antrag der Ausländerbehörde auf endgültige Anordnung von Abschiebungshaft bis einschließlich 27.05.2014 konnte nicht entsprochen werden, weil die Voraussetzungen für die Anordnung der sog. Überstellungshaft nach Art. 28 Abs. 2 der Verordnung Nr. 604/2013 nicht vorliegen. Der Betroffene war aus der Haft zu entlassen.

Der Betroffene soll vorliegend in sog. "Überstellungshaft" nach Art. 28 der Verordnung Nr. 604/2013 (im Folgenden Dublin III genannt) genommen werden. Die Dublin III Verordnung gilt in den Mitgliedsstaaten und damit auch im Bundesgebiet gemäß Art. 288 Abs. 2 AEUV unmittelbar. Der Betroffene kann sich mithin auf die Regelungen in dieser Verordnung berufen. Dublin III ist anwendbar, sobald ein Asylsuchender in irgendeinem Anwenderstaat einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt hat. Vorliegend hat der Betroffene bereits in Italien einen derartigen Antrag gestellt und er ist wohl auch in Italien als Flüchtling anerkannt. Damit ist Haft zur Überstellung im Bundesgebiet nur auf der Grundlage von Art. 28 Dublin III zulässig.

Gemäß Art. 28 Abs. 2 Dublin III setzt die Überstellungshaft eine erhebliche Fluchtgefahr voraus. Der Begriff der Fluchtgefahr ist in Art. 2 lit. n) Dublin III definiert als das Vorliegen von Gründen im Einzelfall, die auf objektiven gesetzlich festgelegten Kriterien beruhen und zu der Annahme Anlass geben, dass sich ein Antragssteller, ein Drittstaatsangehöriger oder Staatenloser, gegen den ein Überstellungsverfahren läuft, diesem Verfahren möglicherweise durch Flucht entziehen könnte.

Da Dublin III selbst keine "gesetzlich festgelegten Kriterien" enthält, ist deren Festlegung dem nationalen Gesetzgeber überlassen. Eine solche gesetzliche Normierung gibt es

allerdings in der Bundesrepublik Deutschland bislang nicht: Die Regelungen des § 62 Abs. 3 AufenthG sind wegen des haftrechtlichen Analogieverbots (BVerfGE v. 15.05.2007, 2 BvR 2106/05) für die Annahme von Fluchtgefahr nicht anwendbar. Demzufolge ist mangels gesetzlicher Festlegung der Kriterien zur Bestimmung der Fluchtgefahr eine Inhaftierung zur Sicherung der Überstellung in den zuständigen Mitgliedsstaat derzeit nicht möglich.

Darüber hinaus kann im vorliegenden Fall allerdings auch keine erhebliche Fluchtgefahr bei dem Betroffenen angenommen werden.

Nach den dem Gericht vorliegenden Unterlagen steht nicht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Betroffenen tatsächlich Kenntnis von dem Überstellungstermin am 01.04.2014 gehabt und er sich dieser Überstellung bewusst entzogen hat.

Darüber hinaus hat sich der Betroffene vom 16.04.2014 bis zum 22.04.2014 in Abschiebungshaft in Frankfurt befunden. Nach seiner Entlassung dort hat er sich nach Cuxhaven begeben und dort am 05.05.2014 bei dem für ihn zuständigen Sozialamt vorgesprochen. Auch wenn er sich zwar nicht direkt bei dem zuständigen Amt für Ausländerangelegenheiten gemeldet hat, kann aus diesem Verhalten nicht geschlossen werden, dass der Betroffene nur vorgehabt hat, seine Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz abzuholen und danach wieder unterzutauchen. Es ist vielmehr auch sehr gut möglich, dass der Betroffene nach dem Termin im Sozialamt bei der Ausländerstelle vorsprechen wollte. Jedenfalls lässt sich aus dem Verhalten des Betroffenen keine erhebliche Fluchtgefahr begründen. Darüber hinaus ist dem Betroffenen im Rahmen der Anhörung heute der Überstellungstermin nach Italien am 27.05.2014 erneut mitgeteilt worden und sein Verfahrensbevollmächtigter hat dem Betroffenen deutlich gemacht, dass er sich zu diesem Termin bereit halten muss, sofern ein erneuter Antrag beim Verwaltungsgericht keinen Erfolg haben sollte.

Danach stehen die Voraussetzungen für die Anordnung von Überstellungshaft nicht fest.

Auf die weitergehende Frage, ob das Amtsgericht Cuxhaven gegen den Betroffenen am 05.05.2014 überhaupt Abschiebungshaft anordnen durfte, zumal zu diesem Zeitpunkt noch der Beschluss des Amtsgerichts Frankfurt vom 16.04.2014, mit dem Abschiebungshaft bis zum 16.05.2014 angeordnet und später außer Vollzug gesetzt worden war, kommt es vorliegend nicht mehr an, weil der Betroffene bereits aus den o.g. Gründen aus der Haft zu entlassen war. Gleiches gilt für die Übrigen im Rahmen der Anhörung von dem Bevollmächtigten gerügten Gesichtspunkte.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 FamFG. Es entspricht dem billigem Ermessen, der Antragsstellerin die notwendigen Auslagen des Betroffenen aufzuerlegen.

Rechtsmittelbelehrung:

...

III.

Die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe beruht auf § 76 FamFG i. V. m. §§ 114 ff. ZPO.

Die Beiordnung von Rechtsanwalt ########### war gemäß § 78 Abs. 2 FamFG wegen der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage geboten.