Landgericht Aurich
Beschl. v. 10.11.1987, Az.: 3 T 263/87
Voraussetzungen für einen Beitritt zur Zwangsversteigerung durch einen Hoheitsträger; Vollstreckbarkeit von Säumniszuschlägen; Vollstreckung wegen Rückstände aus Vorjahren; Formelle und inhaltliche Anforderungen an eine vollstreckbare Ausfertigung eines Verwaltungsaktes
Bibliographie
- Gericht
- LG Aurich
- Datum
- 10.11.1987
- Aktenzeichen
- 3 T 263/87
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1987, 15232
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGAURIC:1987:1110.3T263.87.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- Amtsgericht Aurich - 23.09.1987
Rechtsgrundlagen
- § 66 Abs. 4 SGB X
- § 24 SGB IV
- § 16 Abs. 2 ZVG
- § 724 Abs. 1 ZPO
- § 725 ZPO
- § 788 Abs. 1 ZPO
Prozessführer
...
Prozessgegner
Herr ...
In dem Rechtsstreit
hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Aurich
durch
die unterzeichneten Richter
am 10. November 1987
beschlossen:
Tenor:
Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin gegen den Beschluß des Amtsgerichts Aurich vom 23. September 1987 - ... - wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.
Gründe
Die Gläubigerin hat gegen den Schuldner den Antrag auf Beitritt zur Zwangsversteigerung gestellt. Das Amtsgericht Aurich - Vollstreckungsgericht, Rechtspfleger - hat durch Beschluß vom 23. Sept. 1987 den Antrag zurückgewiesen, weil die Gläubigerin einen zur Zwangsvollstreckung geeigneten Titel nicht vorgelegt habe. Die vollstreckbare Ausfertigung des Beitragsbescheides sei entgegen § 725 ZPO nicht mit einem Dienstsiegel versehen. Ein auf dem Formular aufgedrucktes Dienstsiegel genüge dem Erfordernis des § 725 ZPO nicht.
Gegen diesen ihr am 28. September 1987 zugestellten Beschluß richtet sich die Erinnerung der Gläubigerin vom 1. Oktober 1987, bei Gericht eingegangen am 5. Oktober 1987. Darin trägt die Gläubigerin im wesentlichen vor, für die in § 725 ZPO vorgeschriebene Form sei wesentlich nur die eigenhändige handschriftliche Unterschrift des Urkundsbeamten und die Beifügung zum Vollstreckungstitel. Unwesentlich sei die Beifügung am Schluß der Ausfertigung und das Beidrücken des Gerichtssiegels. Auch ohne die letzteren Teile könne eine vollstreckbare Ausfertigung wirksam sein, wenn über ihre Herkunft eine volle Gewißheit bestehe (so auch Baumbach-Lauterbach-Albers-Hartmann, ZPO, 43. Aufl., Anm. 2 zu § 725; LG Stade, 2 T 623/83). Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf den vorgenannten Schriftsatz verwiesen.
Die befristete Durchgriffserinnerung der Gläubigerin ist gem. §§ 11 Abs. 1 RpflG, 793 ZPO als sofortige Beschwerde zulässig, jedoch unbegründet.
Da die Antragstellerin den Beitritt zur Zwangsversteigerung gem. § 66 Abs. 4 SGB X in entsprechenden der Anwendung der ZPO beantragt hat, hat sie gem. § 16 Abs. 2 ZVG ihrem Antrag einen Vollstreckungstitel beizufügen. Vorzulegen ist gem. § 66 Abs. 4 SGB X, § 724 Abs. 1 ZPO eine vollstreckbare Ausfertigung des Verwaltungsaktes, hier des Beitragsbescheides vom 5. Februar 1987, d.h., eine amtlich erstellte Abschrift der bei den Akten verbleibenden öffentlichen Urkunde. Dies bedeutet, daß die Gläubigerin als Titel eine wortgetreue Urkunde des Beitragsbescheides vorzulegen hat, die sich lediglich von dem Beitragsbescheid dadurch unterscheidet, daß sich auf ihr zusätzlich der Ausfertigungsvermerk gem. § 725 ZPO (Vollstreckungsklausel, Datum, Ort, Unterschrift und Siegel) befindet (vgl. Schröder-Prinzen, SGB X, § 66 Anm. 9). Eine derartige Urkunde hat die Gläubigerin nicht eingereicht, denn die vorgelegte "vollstreckbare Ausfertigung" vom 12. Juni 1987 erklärt auch einen Säumniszuschlag in Höhe von 11,40 DM für vollstreckbar, obwohl dieser Säumniszuschlag im Beitragsbescheid nicht enthalten ist. Mithin ist die vollstreckbare Ausfertigung keine wortgetreue Wiedergabe der Urschrift; der Ausfertigungsvermerk, der die Übereinstimmung der Ausfertigung mit der Urschrift bezeugen soll, ist falsch.
Es wird die Auffassung vertreten, daß Säumniszuschläge gemäß § 24 SGB IV nur vollstreckt werden können, wenn sie mit ihren Berechnungsmerkmalen durch den Verwaltungsakt (Beitrags- oder Leistungsbescheid) festgestellt worden sind (Hornung Rpfl. 87, S. 228). Dem stimmt die Kammer auch zu. Von der grundsätzlichen Vollstreckungsfähigkeit derartiger Säumniszuschläge ist allerdings die Frage zu unterscheiden, ob die Säumniszuschläge betragsmäßig in die "vollstreckbare Ausfertigung" aufgenommen werden dürfen. Aus dem Gesichtspunkt, daß die "vollstreckbare Ausfertigung" eine wortgetreue Übereinstimmung mit der Urschrift bezeugt, folgt, daß die Säumniszuschläge selbst dann nicht betragsmäßig in der "vollstreckbaren Ausfertigung" enthalten sein dürfen, wenn sich die Höhe der Säumniszuschläge aus den in dem Beitragsbescheid enthaltenen Berechnungsmerkmalen errechnen lassen, denn dann enthält die vollstreckbare Ausfertigung einen Betrag, der in der Urschrift nicht enthalten ist. In diesem Zusammenhang weist die kammer darauf hin, daß nach ihren Erfahrungen auch kaum jemals sämtliche Berechnungsmerkmale der Säumniszuschläge sich aus dem Beitragsbescheid allein ergeben. Regelmäßig wird - wie auch im vorliegenden Fall - der Säumniszuschlag ab einer bestimmten Frist ab Fälligkeit des Beitrages erhoben. Die Fälligkeit des Beitrages ist den Bescheiden - wie auch im vorliegenden Fall nicht - regelmäßig konkret nicht zu entnehmen, da sie sich aus dem Zeitpunkt der Bekanntgabe errechnet. Der Zeitpunkt der Bekanntgabe ergibt sich naturgemäß aus dem Bescheid nicht.
Für die Vollstreckung der Säumniszuschläge ergeben sich mithin folgende Konsequenzen:
Sind sämtliche Berechnungsgrundlagen der Säumniszuschläge dem Beitragsbescheid selbst zu entnehmen, dürfen die Säumniszuschläge betragsmäßig in der vollstreckbaren Ausfertigung nicht aufgeführt werden. Die Vollstreckung ist auch wegen der Säumniszuschläge möglich, denn das Vollstreckungsorgan ist - wie z.B. bei der Berechnung von Zinsen - selbst in der Lage, diese Zuschläge zu errechnen, sofern der Vollstreckungsgläubiger diese Vorschlage außerhalb der vollstreckbaren Ausfertigung nicht schon selbst betragsmäßig errechnet hat.
Sind sämtliche Berechnungsgrundlagen der Säumniszuschläge dem Beitragsbescheid nicht zu entnehmen, ist nach Auffassung der Kammer eine Vollstreckung dieser Kosten analog § 788 Abs. 1 ZPO zulässig, d.h., sie können zugleich mit dem Hauptsacheanspruch beigetrieben werden, wobei jedoch vom Vollstreckungsgläubiger dem Vollstreckungsorgan darzulegen ist, daß diese Kosten in der verlangten Höhe entstanden sind. Hierzu ist im vorliegenden Fall nur noch die Darlegung der Bekanntgabe des Beitragsbescheides erforderlich.
Durchgreifende Bedenken hat die Kammer nun auch insoweit - auf dieses Problem ist die Kammer in zurückliegenden Entscheidungen nicht eingegangen - als die Vollstreckung auch wegen Rückstände aus Vorjahren - hier in Höhe von 657,30 DM - betrieben werden soll (vgl. Hornung aaO). Wie sich aus der Überschrift des Beitragsbescheides "Veranlagungs- und Beitragsbescheid 1987 über die Beiträge für das Jahr 1986" schon ergibt, bezieht sich die Festsetzung des Beitrages nur auf die Beiträge für 1986 in Höhe von 762,30 DM. Auch nur bezüglich dieses Beitrages enthält der Bescheid die Beitragsberechnungsgrundlagen. Dies ist folgerichtig, denn bezüglich der Rückstände sind bestandskräftige Beitragsbescheide offenbar ergangen. Dementsprechend müssen aber auch für die Vollstreckung der Rückstände die vollstreckbaren Ausfertigungen der Beitragsbescheide vorgelegt werden, in denen diese Rückstände tituliert sind. Ansonsten hat das Vollstreckungsorgan den Vollstreckungsantrag wegen der Rückstände zurückzuweisen, da ein Vollstreckungstitel nicht vorliegt.
Die Kammer hält auch an ihrer Auffassung fest (vgl. LG Aurich, 3 T 214/86), daß ein schon auf das Formular aufgedrucktes Dienstsiegel dem Erfordernis der Beidrückung des Gerichtssiegels gem. § 725 ZPO nicht genügt. Schon aus dem Wortlaut der Vorschrift "... von dem Urkundsbeamten der Geschäftsstelle ... mit dem Gerichtssiegel zu versehen" ist zu folgern, daß der Urkundsbeamte persönlich das Gerichtssiegel anzubringen hat und sich nicht eines Formulars bedienen darf, auf dem das Gerichtssiegel schon vorgedruckt vorhanden ist. Dies ergibt sich aber auch aus dem Sinn der Vorschrift. Die Beidrückung des Dienststempels bedeutet eine besondere Sicherungsmaßnahme und verschafft dem Vollstreckungsorgan zuverlässige Gewißheit darüber, daß der zuständige, weil zur Führung des - regelmäßig verschlossen zu haltenen Siegels berechtigte Beamte die Bescheinigung erteilt hat, diese somit echt ist und amtlichen Charakter hat (vgl. Hornung, Rpfl. 81, 86, 89). Daraus folgt, daß im Interesse einer sicheren Grundlage des Verfahrens in analoger Anwendung des § 725 ZPO auf eine vollstreckbare Ausfertigung eines Verwaltungsaktes gem. § 66 Abs. 4 SGB X allgemein die Beidrückung des Dienststempels erforderlich ist. Ein bloßer auf das Formular vorgedruckter Dienststempel, wie im vorliegenden Fall, genügt den Anforderungen nicht, denn er verschafft dem Vollstreckungsorgan überhaupt keine Gewißheit, ob die unterschreibende Person zur Erteilung derartiger vollstreckbarer Ausfertigungen berechtigt ist. Auf eine solche Maßnahme könnte ohne weiteres verzichtet werden.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Beschwerdewert wird auf 1.419,60 DM festgesetzt.
Borgmann
Rohlfs