Verwaltungsgericht Oldenburg
Beschl. v. 06.05.2011, Az.: 12 B 1090/11
Ausschlussfrist; einstweilige Anordnung; Exmatrikulation; Rückmeldung; Semesterbeitrag; Studienbeitrag
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 06.05.2011
- Aktenzeichen
- 12 B 1090/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 45219
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 19 Abs 6 S3 HSchulG ND
- § 123 Abs 1 S 2 VwGO
- § 41 Abs 2 S 1 VwVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Exmatrikulation eines Studenten kraft Gesetzes gem. § 19 Abs. 6 Satz 3 NHG wegen des fehlenden Zahlungseingangs des Semesterbeitrages kommt nur bei einer wirksamen
Fristsetzung durch die Hochschule in Betracht.
2. Bei der Festlegung der Nachfrist zur Zahlung des fälligen Semesterbeitrages während der Semesterferien ist die Hochschule gehalten zu berücksichtigen, dass sich Studenten üblicherweise in der vorlesungsfreien Zeit nicht durchgängig am Studienort aufhalten.
3. Allein aufgrund der gesetzlichen Regelung des § 19 Abs. 6 Satz 3 NHG kann die Hochschule bei der den Studenten ausschließlich eröffneten Möglichkeit der Zahlung per Überweisung lediglich die Abgabe des Überweisungsauftrags, nicht jedoch den Eingang der Zahlung auf dem Konto des Zahlungsempfängers innerhalb der gesetzten Frist verlangen.
Tenor:
Es wird vorläufig festgestellt, dass die Antragstellerin nicht kraft Gesetzes zum Ende des Wintersemesters 2010/2011 exmatrikuliert wurde.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Streitwert wird auf 5.000,-- Euro festgesetzt.
Gründe
Das bei verständiger Würdigung (§§ 122, 88 VwGO) dahingehend zu beurteilende Begehren der Antragstellerin, gemäß § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO unter analoger Anwendung des § 43 VwGO im Wege einer einstweiligen Anordnung vorläufig festzustellen, dass sie nicht zum Ende des Wintersemesters 2010/2011 exmatrikuliert wurde, hat Erfolg. Das dafür erforderliche konkrete Rechtsverhältnis i.S.d. § 43 Abs. 1 VwGO ist ebenso wie ein Feststellungsinteresse durch die Mitteilung der Antragsgegnerin, dass sie kraft Gesetzes wegen der Versäumung der ihr gesetzten Nachfrist bzgl. der Zahlung des Semesterbeitrags zum Ende des Wintersemesters 2010/2011 exmatrikuliert wurde, gegeben.
Gem. § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO sind einstweilige Anordnungen auch zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn diese Regelung, vor allem bei dauernden Rechtsverhältnissen, um wesentliche Nachteile abzuwenden oder drohende Gewalt zu verhindern oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Der Erlass einer solchen einstweiligen Anordnung hat zur Voraussetzung, dass die Antragstellerin sowohl einen Anordnungsgrund, d.h. die besondere Dringlichkeit der Regelung, als auch einen Anordnungsanspruch, d.h. einen materiell-rechtlichen Anspruch auf die begehrte Regelung, glaubhaft macht (§ 123 Abs. 3 VvGO i.V.m. 920 Abs. 2, 294 Abs. 1 Zivilprozessordnung - ZPO -).
Ein den Erlass einer einstweiligen Anordnung rechtfertigender Anordnungsgrund ist gegeben. Die Eilbedürftigkeit ergibt sich daraus, dass das Sommersemester 2011 bereits begonnen hat und es der Antragstellerin nicht zuzumuten ist, ein länger dauerndes Klageverfahren abzuwarten und damit auch im Falle des Erfolges ihrer Klage ein Studiensemester aussetzen zu müssen.
Die Antragstellerin hat auch einen Anordnungsanspruch. Die Exmatrikulation der Antragstellerin ist aller Voraussicht nach rechtswidrig.
Gem. § 19 Abs. 6 Satz 3 des Niedersächsischen Hochschulgesetzes (NHG) ist derjenige, der sich nach Mahnung unter Fristsetzung und Androhung der Exmatrikulation nicht rückmeldet oder fällige Abgaben und Entgelte nach diesem Gesetz nicht zahlt, mit Fristablauf zum Ende des Semesters exmatrikuliert. Mit Schreiben vom 3. März 2011 mahnte die Antragsgegnerin die Antragstellerin bezüglich der Zahlung des fälligen Semesterbeitrages in Höhe von 143,50 Euro verbunden mit einer Ausschlussfrist und unter Hinweis auf eine Exmatrikulation im Falle der Nichtzahlung innerhalb der Frist. Danach musste der ausstehende Betrag bis zum 15. März 2011 auf dem Bankkonto der Antragsgegnerin eingegangen sein. Der Vater der Antragstellerin hat einen entsprechenden Überweisungsauftrag am Freitag, den 11. März 2011 bei seiner Bank abgegeben. Aufgrund einer Verzögerung bei der Bank des Vaters der Antragstellerin ging der Betrag in Höhe von 143,50 Euro erst am Mittwoch, den 16. März 2011 bei der Bank der Antragsgegnerin und damit einen Tag nach der von ihr gesetzten Frist ein.
Trotz Zahlungseingangs am 16. März 2011 ist hier eine Exmatrikulation aufgrund eines Fristversäumnisses nicht gerechtfertigt. Vorliegend fehlt es bereits an einer wirksamen Fristsetzung durch die Antragsgegnerin, da die von ihr gesetzte Frist nicht angemessen war. Die Antragsgegnerin mahnte die Antragstellerin mit Schreiben vom 3. März 2011, das mit einfachem Brief versendet wurde. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin habe daher aufgrund der Drei-Tages-Fiktion gem. § 41 Abs. 2 Satz 1 Verwaltungsverfahrensgesetz - VwVfG - bei der Antragstellerin spätestens am 6. März 2011 von einer Kenntnisnahme des Mahnschreibens und einer ausreichenden Zeitspanne für die Zahlung bis zum vorgesehenen Fristende ausgegangen werden können. Dies trifft nicht zu. Voraussetzung ist, dass der Brief am 3. März 2011 abgesandt wurde. Dies ist nicht belegt. Entgegen der in Verwaltungsbehörden üblichen Praxis befindet sich auf dem Mahnschreiben vom 3. März 2011 kein Vermerk des zuständigen Mitarbeiters, wann dieses Schreiben an die Antragstellerin abgeschickt wurde. Damit fehlt es bereits am Fristbeginn des 6.März 2011. Selbst wenn davon auszugehen ist, dass Studenten auch während der Semesterferien die Obliegenheit trifft, in regelmäßigen Abständen einen möglichen Posteingang unter der Semesteradresse zu kontrollieren, kann ein vor dem 11. März 2011 beginnender Fristbeginn nicht angenommen werden. Die Antragstellerin hat das Schreiben vom 3. März 2011 am 11. März 2011 zur Kenntnis genommen. Einen früheren Zugang hat die Antragsgegnerin nicht nachgewiesen. Das Mahnschreiben wurde während der Semesterferien versandt. Während der Semesterferien ist es durchaus üblich, dass sich die Studenten nicht durchgängig am Studienort aufhalten, sondern z.B. Praktika oder Ferienjobs an einem anderen Ort wahrnehmen oder sich bei ihren Eltern aufhalten. Auszugehen ist deshalb von einem Zugang des Schreibens am 11. März 2011. Bei Zugrundelegung dieses Zugangszeitpunktes - aber auch bei einem unterstellten Zugang ein paar Tage vor dem 11. März 2011 - ist die von der Antragsgegnerin gesetzte Ausschlussfrist zu kurz und damit unverhältnismäßig. In Kenntnis der Üblichkeit der Ortsabwesenheit von Studenten ist die Antragsgegnerin gehalten, die von ihr in einem Schreiben gesetzte Frist so großzügig zu bemessen, dass es dem betreffenden Studenten möglich ist, diese Frist auch dann einzuhalten, wenn er seinen Briefkasten unter der Semesteranschrift nicht täglich, sondern z.B. einmal in der Woche oder jede zweite Woche kontrolliert. Unter Berücksichtigung dieser Erwägungen war die gesetzte Frist insbesondere in Anbetracht der mit dem Versäumen der Ausschlussfrist verbundenen weitreichenden Folge einer Exmatrikulation zu kurz. Grundsätzlich durfte die Antragsgegnerin für die Fristsetzung einen Termin wählen, der ihr ermöglichte, noch rechtzeitig vor dem Semesterbeginn einen Überblick über die Rückmeldungen zu erlangen, um ggf. Studienplätze von nicht zurückgemeldeten Studenten an andere Bewerber vergeben zu können. Dies gilt selbst dann, wenn der mit den Rückmeldungen und der Vergabe ggf. freiwerdender Studienplätze verbundene Aufwand im Vergleich zu größeren Hochschulen gering ist (3.132 Studierende im Wintersemester 2010/2011 - vgl. Homepage der Antragsgegnerin - www.uni-vechta.de/ universitaet/zahlen-und-daten/; z.B. dagegen Universität Göttingen - 24.380 Studierende im Jahr 2011 - vgl. Homepage der Universität Göttingen -http://www.uni-goettingen.de/de/ 24499.html). Die Antragsgegnerin hätte aber schon die Mahnungen zu einem früheren Zeitpunkt versenden können, da die Rückmeldefrist für das Sommersemester 2011 bei der Antragsgegnerin bereits am 7. Februar 2011 endete. Eine Frist von drei bis fünf Arbeitstagen ist jedenfalls zu kurz bemessen. Dies gilt umso mehr, als die Semesterbeiträge üblicherweise - wie auch im vorliegenden Fall - von den Eltern getragen werden, die somit innerhalb der Frist benachrichtigt werden müssen.
Des Weiteren fehlt es voraussichtlich an einer gesetzlichen Grundlage für das von der Antragsgegnerin mit der Ausschlussfrist verbundene Erfordernis des Eingangs der fälligen Geldbetrages auf ihrem Bankkonto zur Einhaltung der Frist. Die Regelung des § 19 Abs. 6 Satz 3 NHG sieht lediglich vor, dass derjenige, der fällige Abgaben und Entgelte nicht zahlt, mit Fristablauf zum Ende des Semesters exmatrikuliert wird. Mit der Abgabe der Überweisung bei der Bank kommt der Zahlungsschuldner seiner Verpflichtung zur Zahlung nach. Danach hat der Zahlungsschuldner keinen Einfluss mehr darauf, wie lange es dauert, bis ein Eingang auf dem Konto des Zahlungsempfängers zu verzeichnen ist. Selbst wenn die Bank des Vaters der Antragstellerin verpflichtet sein sollte - wie von der Antragsgegnerin vorgetragen-, den zu überweisenden Betrag spätestens nach drei Tagen auf dem Konto des Zahlungsempfängers gutzuschreiben, verbleibt mangels Einflussnahmemöglichkeit auf die Dauer des Bankverkehrs das Risiko des Versäumens der Ausschlussfrist bei der Antragstellerin. Da die Antragsgegnerin den Studenten für die Zahlung der fälligen Geldbeträge lediglich die Möglichkeit der Überweisung an eine nicht am Studienort gelegene Bank als Zahlungsweg eröffnet, erscheint es unbillig, das Risiko von Verzögerungen im Bankverkehr allein auf die Studenten zu übertragen, indem sie als Nachweis der Einhaltung der von ihr gesetzten Frist den Eingang der Zahlung auf ihrem Bankkonto verlangt. Der Kammer ist bekannt, dass die Antragsgegnerin noch im letzten Jahr Mahnschreiben mit einer Nachfristsetzung hinsichtlich ausstehender Geldbeträge im Rahmen der Rückmeldung an Studenten übersandte, die diesen Zusatz der Erforderlichkeit des Eingangs der Zahlung bei der Bank der Antragsgegnerin nicht enthielten. Worauf diese Änderung in der Praxis der Antragsgegnerin beruht, lässt sich nicht erkennen.
Schließlich ist die Exmatrikulation der Antragstellerin aller Voraussicht nach aus einem weiteren Grund unverhältnismäßig. Wie bereits dargelegt ist die Antragsgegnerin auf eine Einhaltung der Rückmeldefrist bzw. der diesbezüglichen Nachfrist einschließlich der damit verbundenen Zahlung der fälligen Geldbeträge durch die Studenten angewiesen, um u.a. freiwerdende Studienplätze an andere Bewerber vergeben zu können. Eine Rückmeldung allein ohne die Zahlung der fälligen Abgaben und Entgelte führt nach der Regelung des § 19 Abs. 6 Satz 3 NHG zur Exmatrikulation. Die Konstellation der Antragstellerin weist insofern eine Besonderheit auf, dass sie fristgerecht bereits einen großen Teil des fälligen Gesamtbetrages in Höhe von 500,-- Euro gezahlt hatte und mit der Mahnung lediglich ein Teilbetrag von 143,50 Euro eingefordert wurde. Die Antragstellerin war verpflichtet, für das Sommersemester 500,-- Euro Studienbeitrag und 143,50 Euro Semesterbeitrag zu zahlen. Zwar war auch die Antragstellerin verpflichtet, innerhalb der von der Antragsgegnerin gesetzten Frist die noch ausstehenden Beträge zu zahlen. Mit der Zahlung des größeren Betrages in Höhe von 500,-- Euro hat sie jedoch gegenüber der Antragsgegnerin ihre Absicht, sich für das Sommersemester 2011 rückzumelden, deutlich gemacht. Nach Kenntnis des Mahnschreibens hat der Vater der Antragstellerin den noch ausstehenden Betrag innerhalb der gesetzten Frist überwiesen, auch wenn der Zahlungseingang bei der Bank der Antragsgegnerin erst nach Ablauf der Frist zu verzeichnen war. In der Gesamtschau dieser Umstände erscheint in diesem Einzelfall eine Exmatrikulation der Antragstellerin als unverhältnismäßig.
Da die Exmatrikulation der Antragstellerin bereits aus den dargelegten Gründen voraussichtlich rechtswidrig ist, kommt es auf die Frage, ob die Setzung einer Ausschlussfrist bei der Nachfrist im Rahmen des Rückmeldeverfahrens der Studenten durch die Antragsgegnerin rechtlich zu beanstanden ist, nicht an. Diese Frage wird daher ausdrücklich durch die Kammer offen gelassen.