Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen
Beschl. v. 27.06.2024, Az.: L 13 AS 192/22

Gewährung von weiteren Kosten der Unterkunft (KdU) bei Angemessenheit

Bibliographie

Gericht
LSG Niedersachsen-Bremen
Datum
27.06.2024
Aktenzeichen
L 13 AS 192/22
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2024, 18685
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LSGNIHB:2024:0627.13AS192.22.00

Verfahrensgang

vorgehend
SG Aurich - 07.07.2022 - AZ: S 55 AS 473/20

Amtlicher Leitsatz

Inwieweit ein Änderungsbescheid nach dem SGB II frühere Bewilligungen unverändert lässt und damit wiederholende Verfügungen enthält, ist durch Auslegung des Bescheides zu ermitteln, wobei es maßgeblich darauf ankommt, wie der Adressat den Bescheid bei verständiger Würdigung der Umstände des Einzelfalls objektiv verstehen musste.

In dem Rechtsstreit
A.
- Klägerin und Berufungsbeklagte -
Prozessbevollmächtigte:
B.
gegen
Landkreis Leer,
vertreten durch den Landrat,
Bergmannstraße 37, 26789 Leer
- Beklagter und Berufungskläger -
hat der 13. Senat des Landessozialgerichts Niedersachsen-Bremen am 27. Juni 2024 in Bremen durch den Richter C. - Vorsitzender -, die Richterin D. und den Richter Dr. E. beschlossen:

Tenor:

Die Berufung wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Tenor wie folgt neu gefasst wird: "Der Beklagte wird unter Änderung seines Bescheides vom 3. März 2017 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 15. März 2017 verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum vom 1. November 2016 bis 30. April 2017 weitere Leistungen nach dem SGB II in Höhe von 39,20 € monatlich zu gewähren. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen."

Der Beklagte hat der Klägerin die notwendigen außergerichtlichen Kosten des Rechtsstreits zu erstatten.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Beklagte wendet sich mit der Berufung gegen die Verpflichtung, der Klägerin weitere Kosten der Unterkunft (KdU) im Rahmen des Leistungsbezuges nach dem Zweiten Buch Sozialgesetzbuch (SGB II) für den Zeitraum November 2016 bis April 2017 zu gewähren. Strittig sind hierbei insbesondere der Regelungsgehalt eines Änderungsbescheides und die Frage, inwiefern durch diesen die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Leistungsgewährung (wieder) eröffnet wurde.

Die am 13. Mai 1960 geborene Klägerin stand im laufenden Bezug von Leistungen nach dem SGB II beim Beklagten. Hierbei fielen für die von ihr bewohnte Unterkunft KdU i.H.v. 368 € sowie ein Gasabschlag i. H. v. 65 € monatlich an. Bereits in den vorangegangenen Bewilligungszeiträumen wurden die KdU der Klägerin nicht in tatsächlicher Höhe übernommen. Mit Bescheid vom 12. Oktober 2016 gewährte der Beklagte der Klägerin Leistungen nach dem SGB II für den Zeitraum 1. November 2016 bis 30. April 2017 i. H. v. 698,90 € monatlich. Die Bewilligung erfolgte aufgrund des zu berücksichtigenden Einkommens aus der selbständigen Tätigkeit vorläufig. Hinsichtlich der Berechnung wurde auf den beigefügten Berechnungsbogen verwiesen, der im Rahmen der Bedarfsberechnung 404 € Regelbedarf sowie eine als Unterkunftskosten anerkannte monatliche Kaltmiete i. H. v. 304 € sowie "Heizkosten zentral" i. H. v. 55,71 € und "Warmwasser zentral" i. H. v. 9,29 € auswies und sonstiges Einkommen i. H. v. 104,10 € abzgl. Versicherungsbeiträgen von 30 € berücksichtigte. Der Bescheid wurde bestandskräftig. Laut einer Gesprächsnotiz in der Verwaltungsakte teilte die Klägerin am 6. Januar 2016 (richtig wohl 2017) mit, dass sie keine Zahlungen i. H. v. 104 € monatlich mehr erhalte, und legte im Nachgang diesbezügliche Unterlagen vor.

Mit hier strittigem Bescheid vom 3. März 2017 gewährte der Beklagte der Klägerin für den Zeitraum 1. November 2016 bis 31. Dezember 2016 773 € monatlich sowie für den Zeitraum 1. Januar bis 30. April 2017 778 € monatlich. Die Bewilligung erfolgte weiterhin vorläufig, hinsichtlich der Berechnung wurde erneut auf den Berechnungsbogen verwiesen. Soweit der Bescheid Änderungen zur bisherigen Leistungsgewährung enthalte, hob er die entsprechenden vorhergehenden Bescheide für die gleichen Zeiträume auf, im Übrigen wirkten diese fort. Zur Begründung führte der Beklagte aus, die monatlichen Erträge i. H. v. 104,10 € seien ab November 2016 aus der Berechnung entfernt worden. Im Berechnungsbogen, der den Monat Januar 2017 betraf, waren nunmehr 409 € Regelbedarf sowie 304 € "Wohnungsgrundkosten" und 65 € "Heizkosten dezentral" sowie keinerlei Einkommen mehr berücksichtigt. Die Klägerin legte Widerspruch gegen den Bescheid ein und verwies zur Begründung auf die KdU. Der Beklagte wies mit Widerspruchsbescheid vom 15. März 2017 u.a. den Widerspruch gegen den Änderungsbescheid vom 3. März 2017 als unzulässig zurück. Die Änderung resultiere aus der Herausnahme der monatlichen Erträge i. H. v. 104,10 € ab November 2016. Die Kosten der Unterkunft seien nicht Gegenstand des angegriffenen Änderungsbescheides. Die Regelung hinsichtlich der Unterkunftskosten habe mit Bescheid vom 12. Oktober 2016 stattgefunden, dieser Bescheid sei bereits bestandskräftig geworden. Der Widerspruch sei als unzulässig zurückzuweisen.

Die Klägerin hat am 24. April 2017 Klage beim Sozialgericht (SG) Aurich erhoben. Der Beklagte gehe unzutreffend davon aus, dass der Änderungsbescheid nicht wegen der Kosten der Unterkunft angegriffen werden könne. Der Änderungsbescheid weise keine Unterschiede zu gewöhnlichen Bewilligungsbescheiden auf. Die KdU würden nicht in angemessener Höhe berücksichtigt, der Beklagte habe kein schlüssiges Konzept zur Ermittlung angemessener KdU.

Der Beklagte hat zur Klageerwiderung auf die angefochtenen Bescheide verwiesen. Die Klägerin könne keine höheren KdU geltend machen. Die tatsächlichen Unterkunftskosten der Klägerin von 360 € seien unangemessen. Sie sei hierauf bereits vor ihrem Umzug hingewiesen worden. Angemessen seien nach der Mietwerterhebung des Beklagten 304 €.

Das SG hat mit Urteil vom 7. Juli 2022 den Widerspruchsbescheid vom 15. März 2017 aufgehoben und den Bescheid vom 3. März 2017 insoweit geändert, als dass der Beklagte weitere 39,20 € pro Monat an Leistungen nach dem SGB II an die Klägerin nachzuzahlen habe. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Strittig sei nicht nur die isolierte Aufhebung des Widerspruchsbescheides, sondern eine vollumfängliche Prüfung des Leistungsanspruchs der Klägerin. Der angefochtene Widerspruchsbescheid habe den Widerspruch gegen den Bescheid vom 3. März 2017 rechtswidrig als unzulässig zurückgewiesen. Entgegen der Bewertung des Beklagten regele der Bescheid vom 3. März 2017 nicht allein im Wege einer wiederholenden Verfügung die Unterkunftskosten der Klägerin. Mit Bescheid vom 12. Oktober 2017, auf den der Beklagte Bezug nehme, seien im Bereich der Heizkosten 55,71 € ausgewiesen zzgl. Warmwasserkosten i. H. v. 9,29 €. Im strittigen Bescheid seien nunmehr im Bereich der Heizkosten "Heizkosten dezentral" i. H. v. 65 € ausgewiesen worden, was sich für den Empfänger als abweichende Regelung darstellen müsse. Nicht entscheidend sei hierbei, dass der Bescheid vom 12. Oktober 2016 wie auch der Bescheid vom 3. März 2017 nur eine vorläufige Regelung träfen, die nach § 41 a Abs. 5 SGB II als endgültig zu bewerten sei. Die Höhe der Heizkosten sei nicht zu beanstanden, da die Klägerin keine über 65 € hinausgehenden Abschläge nachgewiesen habe. Die Höhe der zu bewilligenden Leistungen für die Bruttokaltmiete sei entgegen der Bewertung des Beklagten auf einen Betrag von 343,20 € zu bemessen. Dies folge daraus, dass ein schlüssiges Konzept zur Ermittlung der angemessenen Unterkunftskosten im strittigen Zeitraum nicht vorliege. Es seien daher die Werte der Wohngeldtabelle zuzüglich des maßgeblichen Sicherheitszuschlages von 10 % zu berücksichtigen, mithin 343,20 €. Das SG hat die Berufung zugelassen.

Der Beklagte hat am 16. August 2022 Berufung gegen das am 18. Juli 2022 zugestellte Urteil eingelegt. Der Bescheid vom 3. März 2017 habe keine Neuregelung hinsichtlich der Heizkosten enthalten. Die Klägerin habe tatsächliche Heizkosten i. H. v. 65 € gehabt, diese seien sowohl mit Bescheid vom 12. Oktober 2016 als auch im strittigen Bescheid vom 3. März 2017 gewährt worden. Der Berechnungsbogen des Ausgangsbescheides schlüssele die Heizkosten lediglich in Heizkosten und Kosten für Warmwasser auf und der Bescheid vom 3. März 2017 weise sie als Gesamtbetrag aus. Die unterschiedliche Ausweisung der Heizkosten sei darauf zurückzuführen, dass der Beklagte zum 1. Januar 2017 ein neues EDV-Programm eingeführt habe und die Darstellungsweise nunmehr eine andere sei. Dies werde auch aus dem veränderten Schriftbild deutlich. Den Bescheiden seien zudem Berechnungsbögen für unterschiedliche Monate beigefügt gewesen, daher habe nicht allein auf den Berechnungsbogen abgestellt werden können. Dieser diene lediglich zur besseren Übersicht über die Berechnung der Leistungen. Die Herausnahme der Einkommensanrechnung habe keine Veränderungen der Unterkunftskosten bewirkt. Aus Sicht eines verständigen Beteiligten erläutere der Bescheid vom 3. März 2017, dass aufgrund eingetretener Änderungen die Leistungen nach dem SGB II aufgrund der Änderung der Einkommensverhältnisse neu berechnet würden. Es habe sich demnach um eine einkommensbezogene Änderung gehandelt, die sich vorliegend allein auf die Regelleistung ausgewirkt habe. Der Eintritt der Fiktionswirkung nach § 41a Abs. 5 SGB II bewirke nicht, dass eine vollumfängliche Neuregelung während des Klageverfahrens eingetreten sei. Im streitgegenständlichen Zeitraum seien hinsichtlich der angemessenen Kosten der Unterkunft und Heizung die Werte der Tabelle zu § 12 Wohngeldgesetz (WoGG) zzgl. eines 10%igen Sicherheitszuschlages heranzuziehen.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des SG Aurich vom 7. Juli 2022 aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin hatte Gelegenheit zur Stellungnahme. Sie hat sich nicht zum Verfahren geäußert.

Wegen weiterer Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Verwaltungs- und Prozessakten Bezug genommen.

II.

Der Senat weist die Berufung nach Anhörung der Beteiligten durch Beschluss nach § 153 Abs. 4 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zurück, da er sie einstimmig für unbegründet und eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält.

Gegenstand des Berufungsverfahren ist - da die Klägerin keine Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil eingelegt hat und das Urteil daher hinsichtlich der Klageabweisung rechtskräftig geworden ist - nur noch die Frage, ob das SG den Widerspruchsbescheid zutreffend aufgehoben und den Bescheid vom 3. März 2017 dahingehend geändert hat, dass der Beklagte der Klägerin weitere Leistungen nach dem SGB II i. H. v. 39,20 € für den strittigen Zeitraum zu gewähren hat.

Das Urteil des SG Aurich vom 7. Juli 2022 ist rechtmäßig und verletzt den Beklagten nicht in seinen Rechten. Allerdings ist der Tenor des erstinstanzlichen Urteils unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Klägerin ihren Anspruch auf weitere Leistungen zulässigerweise mit einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage (§ 54 Abs. 1 S. 1, Abs. 4 SGG) verfolgt hat, klarstellend neu zu fassen (vgl. zur Urteilsformel bei einer kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage: Hübschmann, beckOGK, Stand: 01.05.2024, § 131 SGG Rn. 3.2).

Der angefochtene Bescheid war rechtswidrig, soweit er der Klägerin um 39,20 € zu geringe KdU gewährt hat. Zutreffend ist das SG hierbei davon ausgegangen, dass es sich bei dem angefochtenen Bescheid vom 3. März 2017 hinsichtlich der KdU nicht nur um eine wiederholende Verfügung ohne Regelungsgehalt gehandelt hat. Der Senat verweist auf die zutreffenden Ausführungen des SG und macht sich diese zu eigen, § 153 Abs. 2 SGG.

Eine sog. wiederholende Verfügung ist deshalb nicht anfechtbar, weil sie keine erneute Regelung enthält, sondern lediglich eine bereits getroffene Entscheidung wiedergibt. Ob dies der Fall ist oder ob eine neue - wenn auch in der Rechtsfolge gleichlautende - Regelung getroffen werden sollte, ist durch eine Auslegung des Bescheids zu ermitteln, wobei es auf den objektiven Empfängerhorizont ankommt, also darauf, wie der Adressat den Bescheid bei verständiger Würdigung der Umstände des Einzelfalls objektiv verstehen musste (vgl. Bundessozialgericht [BSG], Urteil vom 7. April 2016 - B 5 R 26/15 R - juris Rn. 19 und Urteil vom 29. November 2012 - B 14 AS 6/12 R - juris Rn. 30). Diese Maßstäbe gelten auch für Änderungsbescheide nach dem SGB II, bei denen sich letztlich nur im Einzelfall anhand der Formulierungen des jeweiligen Bescheides ermitteln lassen wird, inwieweit frühere Bewilligungen unverändert geblieben sind und es sich damit nur um wiederholende Verfügungen handelt (vgl. BSG, Urteil vom 14. Dezember 2023 - B 4 AS 4/23 R - juris Rn. 13 m. w. N.).

Hiervon ausgehend kann der Bescheid vom 3. März 2017 nicht lediglich als eine wiederholende Verfügung hinsichtlich der Leistungen für Unterkunft und Heizung angesehen werden. Im Bescheid wurde ausgeführt, dass "die Leistungen nach dem SGB II" neu berechnet worden seien und der Bescheid, soweit er Änderungen zur bisherigen Leistungsgewährung enthalte, "die entsprechenden Bescheide" aufhebe. Mit dieser Formulierung überließ es der Beklagte zunächst der Adressatin des Bescheides, Gegenstand und Umfang der Aufhebung selbst zu bestimmen. Soweit wegen der Berechnung auf den Berechnungsbogen verwiesen wurde, wies dieser allerdings nicht nur hinsichtlich der Höhe des Regelbedarfs und der Einkommensanrechnung Änderungen zu dem Berechnungsbogen des vorangegangenen Bescheides vom 12. Oktober 2016 auf, sondern auch die Darstellung der Zusammensetzung der Kosten der Unterkunft und Heizung unterschied sich zu der vorhergehenden, so dass aus der Sicht des verständigen Empfängers auch insoweit eine Änderung erfolgt war. Das Vorbringen des Beklagten, die abweichende Darstellung im Berechnungsbogen folge nicht aus einer anderen tatsächlichen Berechnung, sondern aus der Umstellung auf ein neues Programm, führt nicht zu einer anderen Entscheidung. Die Einführung eines neuen Programms und eine hieraus resultierende veränderte Darstellung wurde den Leistungsempfängern nicht mitgeteilt und war für den objektiven Empfänger nicht erkennbar. Darüber hinaus beschränkte die Änderung sich entgegen den Ausführungen des Beklagten nicht auf die Einkommensanrechnung, sondern auch die Höhe des Regelbedarfs änderte sich ab Januar 2017. Aus dem Verfügungssatz des Bescheides in Zusammenschau mit dem ausdrücklich in Bezug genommenen Berechnungsbogen konnte ein objektiver Empfänger den Schluss ziehen, dass der Beklagte die Leistungsgewährung und Leistungsberechnung insgesamt neu geregelt und nicht nur wiederholt wiedergegeben hat.

Die Höhe der zu berücksichtigenden KdU ist zwischen den Beteiligten nicht strittig, auch der Beklagte hält nicht mehr an der Mietwerterhebung fest, sondern hält den Rückgriff auf die Werte des Wohngeldgesetzes für zutreffend.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 193 SGG.

Gründe für die Zulassung der Revision (§ 160 Abs. 2 SGG) liegen nicht vor.