Amtsgericht Peine
Urt. v. 08.04.2002, Az.: 24 C 210/01

Haftung gegenüber dem Sozialversicherungsträger für die infolge des Versicherungsfalles entstandenen Aufwendungen bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalles ; Vorliegen eines Schulunfalls im Sinne des Sozialversicherungsrechts bei einer Pausenauseinandersetzung zwischen Schülern im Klassenraum ; Bedingter Vorsatz bei einem zum Gelenkbruch führenden Stoß aufgrund von Vorhersehbarkeit des Geschehens; Berücksichtigung von Mitverschulden des Verletzten im Rahmen des originären Anspruchs des Sozialversicherungsträgers

Bibliographie

Gericht
AG Peine
Datum
08.04.2002
Aktenzeichen
24 C 210/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 22106
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGPEINE:2002:0408.24C210.01.0A

Verfahrensgegenstand

Schadenersatz

In dem Rechtsstreit
hat das Amtsgericht Peine
auf die mündliche Verhandlung vom 18.03.2002
durch
den Richter am Amtsgericht Dr. Botur
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.

    Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 114,53 EUR (entspricht 224,00 DEM) nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 % über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank - höchstens jedoch 9,26 % - seit dem 01.06.2001 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage angewiesen.

  2. 2.

    Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Beklagte.

  3. 3.

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

  4. 4.

    Der Wert wird festgesetzt auf bis zu 300,00 EUR.

Tatbestand

1

(auf die Darstellung des Tatbestandes wurde gemäß § 313a ZPO verzichtet)

Entscheidungsgründe

2

I.

Die Klägerin kann gemäß § 110 SGB-VII von dem Beklagten im Wege des Rückgriffs die Zahlung von 224,00 DEM verlangen.

3

1.

Haben Personen, deren Haftung nach den §§ 104 ff. SGB-VII beschränkt ist, den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, so haften sie den Sozialversicherungsträgern für die infolge des Versicherungsfalles entstandenen Aufwendungen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift liegen hier vor

4

a.)

Im Verhältnis des Beklagten zu dem geschädigten Mitschüler ... besteht gemäß § 106 1 Nr. 1 SGB-VII in Verbindung mit §§ 104, 105 SGB-VII ein Haftungsausschluß, da es sich bei einer Pausenauseinandersetzung zwischen Schülern im Klassenraum um einen Schulunfall im Sinne des Sozialversicherungsrechtes handelt.

5

b.)

Auch hat der Beklagte vorsätzlich gehandelt. Die Behauptung des Beklagten, daß sich der Geschädigte ... am Daumen verletzt habe, als er den Beklagten mit der rechten Hand am Hals gepackt habe und von dem Beklagten weggedrückt worden sei, erachtet das Gericht im Ergebnis der Beweisaufnahme für widerlegt. Der Zeuge ... hat zum Hergang der Auseinandersetzung bekundet, daß er von dem Beklagten wegen seines Sprachfehlers gehänselt worden sei. Dies habe ihn geärgert, so daß er den Beklagten vor die Brust gestoßen habe. Der Beklagte habe daraufhin seinerseits die Hände gehoben, um ihn, den ... seinerseits zu stoßen. Bei diesem Handgemenge sei sein Daumen zu Schaden gekommen. Die von dem Zeugen ... gelieferte Schilderung zum Hergang der Auseinandersetzung und zur Entstehung der Verletzung - immerhin eine Basisfraktur im Daumenglied - ist weitaus plausibler als die Darstellung des Beklagten, wenn nicht die Gewalteinwirkung von Seiten des Beklagten noch heftiger war, als es der Zeuge gegenüber dem Gericht offenbaren wollte. Die Aussage des Zeugen ... war in keiner Weise von Belastungstendenzen gegenüber dem Beklagten geprägt, sondern eher im Gegenteil auch darauf bedacht, seinen eigenen Beitrag zur Entstehung der Streitigkeit zu unterstreichen. Beim Wegdrücken der rechten Hand vom Hals des Beklagten könnte die Verletzung schon allein deshalb nicht entstanden sein, weil nach dem unbestrittenen Vorbringen der Klägerin der linke Daumen des Geschädigten ... gebrochen worden ist. Die Aussage des Zeugen ... war - was die Entstehung der Verletzung angeht - nicht ergiebig. Dieser hat im Grunde genommen die Darstellung des Geschädigten ... bestätigt, daß der Beklagte in den oberen Bereichen des Brustkorbes gestoßen worden sei. Wegen Dauer und Verlauf der daraufhin einsetzenden Auseinandersetzung zwischen dem Geschädigten und dem Beklagten kann der Zeuge nichts aussagen. Die Verletzungshandlung - nämlich der zum Gelenkbruch führende Stoß gegen den linken Daumen des Geschädigten - ist mindestens bedingt vorsätzlich ausgeführt worden, da vorauszusehen war, daß bei einem Handgemenge ein Fingerglied unglücklich getroffen werden könnte und dieses von dem Beklagten billigend in Kauf genommen wurde. Die hierbei erforderliche Einsicht in die Verantwortlichkeit für sein Handeln kann von einem 15-Jährigen erwartet werden.

6

c.)

Wegen § 110 I S. 3 SGB-VII muß sich beim Rückgriffsanspruch des Sozialversicherungsträgers der Vorsatz oder die grobe Fahrlässigkeit nur auf das den Versicherungsfall verursachende Handeln beziehen, nicht aber auch darauf, daß die konkret eingetretene erhebliche Verletzungsfolge - hier die Basisfraktur im Daumenglied - von dem Beklagten gewollt oder auch nur billigend in Kauf genommen worden wäre.

7

2.

Der Beklagte haftet gemäß § 110 I S. 1 SGB-VII gegenüber der Klägerin nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadenersatzanspruches, der ohne eine Haftungsprivilegierung nach den §§ 104, 105 SGB-VII von dem Geschädigten ... selbst hätte geltend gemacht werden können.

8

a.)

Der Beklagte kann sich indes nicht darauf berufen, gegenüber dem ... überhaupt nicht zum Schadenersatz verpflichtet gewesen zu sein, weil sein Handeln durch Notwehr im Sinne von § 227 BGB gerechtfertigt gewesen. Denn nach dem unstreitigen Sachverhalt hat der Beklagte den Geschädigten ... durch Hänseleien wegen seines Sprachfehlers dazu provoziert, ihn vor die Brust zu stoßen, um sich gegen die Verspottung zur Wehr zu setzen. Damit hat sich der Beklagte zwar eines nicht gerechtfertigten körperlichen Angriffes durch den Zeugen ... ausgesetzt gesehen. Er hat diese Notwehrlage jedoch zumindest vorwertbar und rechtswidrig durch Beleidigung des Geschädigten herbeigeführt. In dieser Lage steht dem Beklagten nicht das volle Notwehrrecht zur Seite. Er muß sich bei der Verteidigung zurückhalten, hat geringfügige Beeinträchtigungen hinzunehmen und muß jeden ihm möglichen und zumutbaren Weg zum Ausweichen nutzen (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 61.Aufl., Rdn. 9 zu § 227 m.w.N.). Es war dem Beklagten daher anzusinnen, es bei dem Schubsen durch den Zeugen ... sein Bewenden haben zu lassen, und es war ihm dementsprechend verwehrt, aktiv durch kraftvollen Einsatz seiner Arme in gleicher Weise gegen den Zeugen ... vorzugehen. Hätte der Beklagte statt dessen beschwichtigt, so wäre es voraussichtlich zu einer Eskalation der Streitigkeit nicht gekommen. Der Zeuge ... war - nach der eigenen Einschätzung des Beklagten - diesem körperlich deutlich unterlegen gewesen, so daß mit einer Fortsetzung körperlicher Angriffe gegen den Beklagten in diesem Falle nicht mehr zu rechnen gewesen wäre.

9

b.)

Zwar müßte sich der Zeuge ... Wegen seines Verhaltens auf einen fiktiven zivil rechtlichen Schadenersatzanspruch wegen mitwirkenden Verschuldens (§ 254 BGB) eine Mitverschulden anrechnen lassen, welches das Gericht in Würdigung aller Umstände mit 1/3 bemißt. Dies wirkt sich aber auf den Anspruch der Klägerin zunächst nicht aus, weil es sich um einen originären Anspruch des Sozialversicherungsträgers handelt, dem mitwirkendes Verschulden des Verletzten nicht entgegengehalten werden kann (vgl. hierzu Geigel/Rixecker-Kolb, Haftpflichtprozeß, 22. Aufl., § 32 Rdn. 24 m.w.N.). Die zivilrechtliche Mithaftung des Verletzten spielt nur bei der Festlegung der Obergrenze der Rückgriffshaftung eine Rolle. Im konkreten Fall bedeutet dies, daß die gesamten von dem Geschädigten ... als fiktive Schadenersatzpositionen geltend zu machenden ärztlichen Behandlungskosten bei Berücksichtigung einer Mithaftung von 1/3 geringer wären als der von der Klägerin geltend gemachte Pauschalsatz (§ 116 VIII SGB-X) in Höhe von 224,00 DEM. Dies ist von dem Beklagten weder dargetan noch sonst ersichtlich, zumal der Geschädigte angesichts der Schwere seiner Verletzung von zwei Ärzten kostenpflichtig behandelt worden ist.

10

II.

Der Zinsanspruch beruht auf §§ 286, 288 BGB. Die als Verzugsschaden gelten gemachten Mahnkosten sind nicht substantiiert dargelegt worden.

11

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 92 II, 708 Nr. 11, 713 ZPO.

Streitwertbeschluss:

Der Wert wird festgesetzt auf bis zu 300,00 EUR.

Dr. Botur