Verwaltungsgericht Stade
Urt. v. 18.01.2023, Az.: 6 A 296/20
Knetschleim; Spielwaren; Spielzeug; Verhältnismäßigkeit; Verkehrsverbot; Verkehrsverbot für Knetschleim
Bibliographie
- Gericht
- VG Stade
- Datum
- 18.01.2023
- Aktenzeichen
- 6 A 296/20
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2023, 12182
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:VGSTADE:2023:0118.6A296.20.00
Rechtsgrundlagen
- 2. ProdSV § 10 Abs. 2
- 2. ProdSV § 20
- LFGB § 39a
- MüG § 7
- MüG § 8
- ProdSG (a.F.) § 26
- ProdSG § 25
- ProdSG § 6
- RL 2009/38/EG Anhang II Teil III Punkt 13
- VO 2019/1020 § 16
Amtlicher Leitsatz
Zur Auslegung des Artikels 16 VO 20109/1020 im Hinblick auf die unterschiedlichen Sprachfassungen. Ein Verkehrsverbot erweist sich als unverhältnismäßig, wenn nach der Prüfung des Niedersächsischen Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit, Institut für Bedarfsgegenstände, sowohl akut als auch durch tägliches Spielen mit dem Knetschleim keine gesundheitlichen Risiken entstehen.
Tenor:
Der Bescheid vom 17. Dezember 2019 wird aufgehoben.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens. Insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe der zu vollstreckenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.
Tatbestand
Die Beteiligten streiten über ein Verkehrsverbot.
Die Klägerin importiert und vertreibt "I." aus China. Das ist ein Spielzeug, das für Kinder über drei Jahren vorgesehen ist.
Das Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz begutachtete am 31. Oktober 2018 zwei Proben dieses Produkts. Dieser Begutachtung liegt eine Untersuchung des Hessischen Landeslabors zugrunde. - Das Hessische Landeslabor ist für den Bereich Spielzeuge nicht akkreditiert. Das Gutachten des Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz empfiehlt deshalb eine abschließende Beurteilung durch ein akkreditiertes Labor. - Der Rheinland-Pfalz-Kreis (J.) übermittelte das Gutachten des Landesuntersuchung Rheinland-Pfalz irrtümlich an den Landkreis K.. Der Landkreis K. leitete das Gutachten am 19. November 2018 an den Beklagten weiter, weil die Klägerin ihren Sitz in dessen Bezirk hat. Der Beklagte holte Informationen ein:
1. Einen Auszug aus dem Protokoll zu einer Sitzung der Arbeitsgruppe des Arbeitskreises lebensmittelchemischer Sachverständiger der Länder und des Bundesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit - ALS-Arbeitsgruppe ,Bedarfsgegenstände' - am 23. und 24. Januar 2018 (TOP 18, Thema "Einstufung von Wabbelmassen"),
2. eine Email des Niedersächsischen Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) vom 11. Dezember 2018, Institut für Bedarfsgegenstände (IfB), zur Toxikologie von Bor,
3. eine Email des LAVES-IfB vom 12. Dezember 2018, zum Borgehalt der eingesendeten Proben,
4. eine Email der L. GmbH vom 4. Oktober 2018 und einen Testbericht dieser GmbH vom 25. September 2018,
5. eine Stellungnahme der M. GmbH vom 7. November 2018 zur Materialkategorie der Schleimknete gemäß der Spielzeugrichtlinie,
6. einen Auszug aus dem Protokoll zu einer Sitzung der ALS-Arbeitsgruppe ,Bedarfsgegenstände' am 22. und 23. Januar 2019 (TOP 18, Thema "Einstufung von Wabbelmassen und Knetschleim") mit einer Stellungnahme des Bundesinstituts für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin vom 1. Februar 1995 (Borsäure in ,Slimys' zu hoch"), einer Bewertung des Bundesinstituts für Risikobewertung (BfR) vom 27. Oktober 2004 ("Borsäure in Hüpfknete") und einer Stellungnahme des Chemischen und Veterinäruntersuchungsamts N. ("Migration von Bor und Barium aus fettfreien Kneten [Hüpf-/Foamknete) und Wabbelmassen [Schleime]") als Anlagen,
7. und einen Prüfbericht des LAVES-IfB vom 4. März 2019 zu den Proben der Klägerin.
Am 10. April 2019 hörte der Beklagte die Klägerin dazu an, dass er beabsichtige, den Rückruf des Produkts "I.", Artikelnummer O., Chargennummern P. und Q. anzuordnen. Das Institut für Bedarfsgegenstände des Niedersächsischen Landesamts für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit habe für sechs Proben festgestellt, dass der Gehalt an migrierendem Bor den Grenzwert überschreite, der nach der EU-Spielzeugrichtlinie 2009/48/EG zulässig sei.
Diese Anhörung führte zu einem umfangreichen Schriftverkehr. Inhaltlich sind die Beteiligten im Wesentlichen darüber uneinig, ob der Grenzwert von 300 mg/kg oder der Grenzwert von 1 200 mg/kg einschlägig ist. Der Grenzwert von 300 mg/kg gilt für flüssige oder haftende Spielzeugmaterialen ("Kategorie I"), der von 1 200 mg/kg für trockene, brüchige, staubförmige oder geschmeidige Spielzeugmaterialien ("Kategorie II").
Im Verlauf dieses Schriftverkehrs wurden weitere fachliche Stellungnahmen und Gutachten beigezogen:
8. ein Schreiben des LAVES- IfB vom 8. April 2019 an das Niedersächsische Ministerium für Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz mit der Bitte, die Befunde des IfB zur toxikologischen Untersuchung an das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) weiterzuleiten,
9. eine Stellungnahme der M. GmbH vom 8. Mai 2019 zu dem Prüfbericht des LAVES,
10. die Bewertung des BfR vom 29. Mai 2019 "zur Migration von Bor aus Wabbelmassen/Spielschleim" (für Spielschleime im allgemeinen "Kategorie II", der Knetschleim der Klägerin wird nicht individuell bewertet; kein ernstes Risiko, das zu einer RAPEX-Meldung führen müsste),
11. eine Stellungnahme des LAVES-IfB vom 26. Juni 2019 ("Kategorie II", für Knetschleim mit einer Borlässigkeit von 886 mg/kg sowohl akut als auch durch tägliches Spielen keine gesundheitlichen Risiken),
12. eine Stellungnahme der M. GmbH vom 7. November 2018 ("Kategorie I"),
13. eine Email der luxemburgischen Marktüberwachung vom 24. April 2019 ("Kategorie I"),
14. ein amtliches Untersuchungszeugnis des Instituts für Lebensmittelsicherheit Linz vom 11. März 2019 ("Kategorie II"),
15. ein Analysebericht des luxemburgischen Laboratoire national de sante vom 4. April 2019,
16. ein Test Report der R. Ltd vom 18. Oktober 2018 ("Kategorie I", aber nur 215 bis 278 mg/kg),
17. ein Testbericht des TÜV S. ("Kategorie II", aber nur 150 mg/kg),
18. eine Email der luxemburgischen Marktüberwachung vom 27. Mai 2019,
19. und ein Prüfbericht des LAVES-IfB ("Crazy-Slime", 128,88 bis 174,76 mg/kg) vom 28. Februar 2019.
Der Austausch zwischen den Beteiligten führte dazu, dass sich einerseits die Klägerin nicht bereitfand, eine Selbstbeschränkung einzugehen, den Grenzwert von 300 mg/kg in jedem Fall einzuhalten. Grund dafür war, dass das nicht zu gewährleisten sei. Denn es könnten sich nach Auffassung der Klägerin in den Messwerten wegen unterschiedlichen Messunsicherheiten verschiedener Labore und wegen der unterschiedlichen Vorbereitung des Probenmaterials erhebliche Unterschiede ergeben. Andererseits kam der Beklagte zu der Auffassung, dass nur ein Verkehrsverbot erlassen werden solle, das Produkt auf dem Markt zu bringen, wenn der Grenzwert von 300 mg/kg überschritten werde.
Mit einem Schreiben vom 4. September 2019 hörte der Beklagte die Klägerin zum Erlass dieses Verkehrsverbots und einer Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit an. Die Klägerin machte geltend, dass kein begründeter Verdacht im Sinn des § 26 Absatz 2 Satz 1 des Produktsicherheitsgesetzes (ProdSG) vorliege, dass der Knetschleim die rechtlichen Anforderungen nach dem Produktsicherheitsrecht nicht erfülle. - Dabei ist dort das Produktsicherheitsgesetz 2011 angesprochen, das aktuell nicht mehr gilt. - Denn für ihr Produkt sei der Grenzwert von 1 200 mg/kg einschlägig und dieser werde eingehalten. Es sei nicht richtig, der Bewertung des ALS zu folgen, denn dieser sei nicht befugt, Prüfmethoden für die Bewertung von Spielzeugmaterialien festzulegen. Die Prüfmethode des ALS sei aber auch fachlich nicht überzeugend, weil sie nicht begründet sei und nicht den "harmonisierten Normen" entspreche. Das Produkt der Klägerin erfülle außerdem, nach dem M. -Gutachten, alle Voraussetzungen für die Einordnung in die Kategorie I. Im Gegensatz zum IfB habe die M. GmbH mit demselben Test nicht festgestellt, dass das Produkt viskos sei, denn es sei weder nach fünf Minuten aus der auf den Kopf gestellten Dose herausgelaufen, noch hätten sich Tropfen gebildet. Das Produkt verliere nicht innerhalb weniger Minuten die Form. Das Produkt hafte auch nicht, sondern es hüpfe. Es gebe zudem zwei verschiedene Übersetzungen der einschlägigen technischen Norm EN 71-3. Im englischen Wortlaut heiße es "sticky", das sei mit "haftend" übersetzt, im französischen Wortlaut heiße es "collant", das sei mit "klebrig" übersetzt. Gemeint sei letztlich "klebrig", und das sei das Produkt nicht. Es bestehe zudem keine Gefährdung der Sicherheit oder Gesundheit. Das ergebe sich aus der Bewertung des BfR. Von einer Gefährdung gehe aber auch das IfB in der Stellungnahme vom 26. Juni 2019 nicht aus. Schließlich wäre das Verkehrsverbot nicht verhältnismäßig, weil das Produkt nicht gefährlich sei. Demzufolge wäre auch eine Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit rechtswidrig.
Die Klägerin erklärte dazu außerdem, dass sie zur Abwendung einer sofortigen Vollziehung zusichere, bis zur abschließenden Klärung keine Chargen des Produkts in Verkehr zu bringen, bei denen der Borgehalt nach der Prüfung von Stichproben den Grenzwert von 300 mg/kg überschreite.
Am 25. November 2019 übermittelte die luxemburgische Marktaufsicht noch einen Prüfbericht des Prüfinstituts T. GmbH (U.), nach dem vier Proben des Knetschleims (gelb und blau) in die Kategorie II eingeordnet worden seien und die entsprechenden Grenzwerte nicht eingehalten hätten (350, 310, 320 und 330 mg/kg).
Der Beklagte untersagte der Klägerin am 17. Dezember 2019 das Produkt "I.", Artikelnummer O. in den Verkehr zu bringen. Wenn nachweislich sichergestellt sei, dass der Knetschleim einer einzelnen Charge den Grenzwert von 300 mg/kg migrierendes Bor einhalte beziehungsweise unterschreite, dürfe der Knetschleim der in der jeweiligen Charge zusammengefassten Verkaufseinheiten in Verkehr gebracht werden. Als Charge sei die Gesamtheit der Einheiten zu verstehen, die in einem einheitlichen Prozess produziert worden seien. Der Nachweis der Verkehrsfähigkeit sei durch das Gutachten eines akkreditierten Labors zu erbringen, das anhand von stichprobenartigen Untersuchungen der Verkaufseinheiten erstellt worden sei, und sei dem Veterinäramt vor dem Inverkehrbringen unaufgefordert vorzulegen. Falls mehrere Farben in einer Charge zusammengefasst seien, sei jede Farbe zu beproben. Außerdem drohte der Beklagte für den Fall der Nichtbefolgung ein Zwangsgeld von 10 000 Euro an und gab der Klägerin die Kosten des Verfahrens auf.
In der Begründung heißt es: Das IfB habe in dem Gutachten vom 4. März 2019 festgestellt, dass in sechs Einzelproben des Glitzerschleims zwischen 580 mg/kg und 887 mg/kg an migrierendem Bor enthalten gewesen seien. Das übersteige den zulässigen Grenzwert für die Verkehrsfähigkeit. Der Knetschleim sei eine Spielware. Für Spielzeug gelte als allgemeine Sicherheitsanforderung nach § 10 Absatz 2 der Zweiten Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz (2. ProdSV), dass es bei bestimmungsgemäßer oder vorhersehbarer Verwendung und unter Berücksichtigung des Verhaltens von Kindern die Sicherheit oder Gesundheit der Benutzer oder Dritte nicht gefährden dürfe. Als besondere Sicherheitsanforderungen sei nach Anhang II, Teil III, Punkt 13 der Richtlinie 2009/48/EG "des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über die Sicherheit von Spielzeug" ein Grenzwert für Bor von 300 mg/kg einzuhalten. Denn der Knetschleim sei als flüssiges oder haftendes Spielzeugmaterial im Sinne dieser Regelung zu bewerten (das ist dort die sogenannte Kategorie II). Als flüssig oder haftend sei ein Spielzeugmaterial (nach der Methode, die der ALS vorgeschlagen hat) dann zu bewerten, wenn entweder hinsichtlich der Viskosität innerhalb von 5 Minuten eine Wanderung von mindestens 1 cm festgestellt werde - durchgeführt mit einem senkrecht aufgehängten Metallrohr, Durchmesser 30 mm, Länge 60 mm, 23 °C Raumtemperatur, oder wenn hinsichtlich der Formstabilität das Produkt nicht formstabil zu modellieren sei oder wenn nach dem Spielen Bestandteile haftend auf der Haut zurückblieben. Das IfB des LAVES habe alle drei Parameter als erfüllt angesehen. Diese Einstufung habe das Bundesinstitut für Risikobewertung bestätigt. Auch die österreichische V. GmbH, Institut für Lebensmittelsicherheit W., stufe den Knetschleim so ein. Zuletzt habe das auch das Prüfinstitut T. GmbH in U. getan, allerdings mit einer geringen Grenzwertüberschreitung. Auch habe die ALS-Arbeitsgruppe angeordnet, den Knetschleim in Kategorie II einzuordnen; den Bildern zu deren Untersuchungsbericht sei zu entnehmen, dass durchaus kleine Mengen des Produkts an den Händen haften könnten und dass die Viskosität als eher gering eingestuft werde. Der Beklagte halte diese Einstufungen für überzeugend. Das Produkt sei aufgrund des Borgehalts auch bereits in anderen EU-Mitgliedstaaten auffällig geworden. Der gegenteiligen Auffassung der Klägerin könne er nicht folgen. Die gutachterlichen Äußerungen, auf die die Klägerin sich stütze - Bestätigungen der Labore L. GmbH, R. Ltd. (China) und Gutachten der M. GmbH - seien nicht überzeugend. Die M. GmbH habe die Viskosität danach beurteilt, dass der Knetschleim nur langsam aus seiner Verpackung geflossen sei. Dass der Knetschleim nur langsam aus der Verpackung geflossen sei, müsse aber daran gelegen haben, dass sich in der Verpackung oberhalb des Knetschleims ein Vakuum gebildet haben dürfte. Dadurch löse sich die Masse gar nicht oder langsamer als in anderen Versuchsaufbauten, zum Beispiel dem der T. GmbH, aus dem Behälter. Die M. GmbH stelle außerdem darauf ab, dass für die EN 71-3 eine unzutreffende Übersetzung erfolgt sei: unter anderem solle die französische Version mit "klebrig" statt mit "haftend" zu übersetzen sein. Der Beklagte halte allerdings die konsolidierte deutsche Sprachfassung für maßgeblich. Es sei darauf abzustellen, dass die Übersetzung rechtsverbindlich erfolgt sei und ohne Einschränkungen Anwendung finde.
Es gebe keine Hinweise, wie lange ein Material formstabil sein müsse, um in die eine oder andere Kategorie einsortiert zu werden. Unstrittig sei jedoch, dass der Knetschleim nicht dauerhaft formstabil bleibe.
Der Beklagte stützt die Untersagung des weiteren Inverkehrbringens des Produkts auf dem Markt auf § 20 Absatz 3 2. ProdSV und auf § 26 Absatz 2 Satz 2 Nummer 4 ProdSG. Spielzeug müsse in der EU so beschaffen sein, dass es bei bestimmungsgemäßem oder vorhersehbarem Gebrauch und unter Berücksichtigung des Verhaltens von Kindern die Sicherheit oder Gesundheit der Benutzer oder Dritter nicht gefährde. Dazu gehöre, dass die chemischen Eigenschaften des Spielzeugs in keiner Weise geeignet sein dürften, die menschliche Gesundheit zu schädigen. Der Knetschleim überschreite die Grenzwerte, die dafür in Anhang II Teil III Punkt 13 RL 2009/48/EG festgelegt worden seien. Es sei deshalb notwendig, die Verbraucher vor dem risikobehafteten Knetschleim zu schützen. Es sei davon auszugehen, dass das Spielzeug vor allem von Kindern genutzt werde. Kinder seien hinsichtlich ihrer Gesundheit besonders schutzbedürftig. Der Beklagte folge nicht der Einschätzung des IfB vom 26. Juni 2019, dass keinerlei Gesundheitsrisiko bestehe. Denn das BfR habe festgestellt, dass zwar das Risiko akuter und chronischer Effekte durch Aufnahme von Borsäure über Spielschleim als gering eingestuft werde, es habe solche Effekte aber nicht vollständig ausgeschlossen. Deshalb sei der Gefahrenverdacht hier nicht ausgeräumt.
Die Untersagung sei für die Klägerin deutlich weniger belastend als eine Rücknahme oder ein Rückruf des Produkts vom Markt. Sie habe die Möglichkeit, das Produkt weiter zu vertreiben, soweit der Grenzwert eingehalten werde. Gleichwohl werde gewährleistet, dass nicht weitere Kinder dem risikobehafteten Knetschleim ausgesetzt würden. Auch wenn die Gesundheitsgefahr sich nicht als ernst darstelle, bleibe ein Risiko bestehen. Der Beklagte halte es nicht für ausreichend, Warnhinweise auf der Verpackung anzubringen, denn es sei auch das Spielen jüngerer Kinder mit dem Produkt zu berücksichtigen. Das gelte insbesondere, weil nicht ausgeschlossen werden könne, dass auch deutlich jüngere Kinder über Geschwister oder Kindertagesstätten usw. in Kontakt zu dem Produkt gerieten. Der Knetschleim sei für Kinder ab drei Jahren ausgelegt. In diesem Alter könnten die Kinder entweder gar nicht lesen oder jedenfalls die Bedeutung der Hinweise nicht ermessen. Das wirtschaftliche Interesse der Klägerin unterliege den gesetzlichen Rahmenbedingungen, der Schutz der Gesundheit von Kleinkindern überwiege jedes wirtschaftliche Interesse.
Zudem betone das BfR in seiner gesundheitlichen Bewertung von 29. Mai 2019, dass Daten des Bundesweiten Überwachungsplans 2017 gezeigt hätten, dass die Einhaltung der Migrationswerte für Bor aus Wabbelmassen (Knetschleim) in der Praxis möglich und umsetzbar sei.
Der Beklagte verzichte auf eine Anordnung der sofortigen Vollziehung, weil die Klägerin am 25. Oktober 2019 zugesichert habe, bis zur abschließenden gerichtlichen Klärung dieser Angelegenheit freiwillig keine Chargen des Produkts in Verkehr zu bringen, soweit deren Borgehalt nach stichprobenartiger Begutachtung durch ein akkreditiertes Labor den Grenzwert von 300 mg/kg überschreite.
Die Bemessung des angedrohten Zwangsgeldes berücksichtige das wirtschaftliche Interesse der Klägerin, die Anordnung nicht zu befolgen. Der Lagerbestand belaufe sich nach Kenntnis des Beklagten auf 63 744 Stück. Die Gewinnmarge würde durch das Zwangsgeld um etwa 0,15 Euro pro Stück gemindert. Das sei ein angemessener Betrag.
Der Bescheid ist den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 27. Dezember 2019 mit Postzustellungsurkunde zugestellt worden.
Die Klägerin hat am 27. Januar 2020 Klage erhoben.
Sie bleibt bei ihrer Auffassung, dass der Beklagte den Knetschleim zu Unrecht in die Kategorie II eingeordnet habe, für die der Grenzwert von 300 mg/kg gelte. Die Klägerin habe mit dem Materialbewertungsgutachten der M. GmbH vom 7. November 2018 belegt, dass das Produkt in die Kategorie I mit dem höheren Grenzwert einzuordnen sei. Auch die Labore X. und Y. ordneten das Produkt in die Kategorie I ein.
Die Voraussetzungen des § 26 Absatz 2 Satz 2 Nummer 4 ProdSG für ein Verkehrsverbot hätten nicht vorgelegen. Denn es fehle an einem begründeten Verdacht im Sinn des § 26 Absatz 2 Satz 1 ProdSG, dass der Knetschleim die rechtlichen Anforderungen nach dem Produktsicherheitsrecht nicht erfülle.
Für den Knetschleim sei der Grenzwert von 1 200 mg/kg anzuwenden, weil das Produkt in die Kategorie I einzuordnen sei. Denn es handele sich um ein geschmeidiges Material im Sinn der EU-Spielzeugrichtlinie. Das folge bereits aus dem Wortlaut - der Knetschleim sei biegsam, schmiegsam und glatt, also geschmeidig im Wortsinn. Er weise im Unterschied zu klassischen Schleimen, die ohne weiteres zerflössen und flüssig oder haftend seien, eine gewisse Festigkeit und Formstabilität auf. Diese lasse ein Formen oder Modellieren zu. Beim Fallenlassen hüpfe der Knetschleim. Diese Einordnung bestätige das Gutachten der M. GmbH. Danach handele es sich nicht um ein flüssiges Material, das tropfe, sich leicht ausgießen lasse und beim Fallenlassen nicht hüpfen könne. Und auch die T. GmbH stelle eine temporäre Formstabilität fest, die ein gummi-elastisches Verhalten zeige. Der Beklagte lege zu Unrecht die Prüfmethode des ALS zugrunde: der ALS sei nicht befugt, Methoden zu bestimmen und es handele sich bei der Unterlage des ALS nur um einen Entwurf eines Sitzungsprotokolls für den internen Gebrauch. Proben seien dafür nicht untersucht worden. Die Tropfpunktbestimmung entspreche der für Wachse; das sei nicht begründet. Der ALS sei auch nicht befugt, allgemeingültige Prüfmethoden zu erarbeiten. Der Knetschleim hafte auch nicht, denn er klebe nicht fest. Dass "haften" im Sinn von "kleben" zu verstehen sei, bestätige ein Vergleich mit der englischen ("sticky") und der französischen ("collante") Sprachfassung. Teile des Knetschleims könnten nicht an der Hand festkleben. Er hinterlasse nur eine feuchte Wirkung auf der Hand. Deshalb sei es nicht richtig, wenn der Beklagte und die T. GmbH den Knetschleim als "viskos" bezeichneten, denn "viskos" bedeute zähflüssig oder leimartig - wie Honig oder Öl. Die entsprechende Bewertung ergebe sich bei Berücksichtigung der Leitlinien der Europäischen Kommission zur EU-Spielzeugrichtlinie. Dort werde anhand von Abbildungen zwischen Knetmassen u.ä., flüssigem Spielmaterial und haftendem Spielmaterial unterschieden. Der Knetschleim der Klägerin sei geschmeidig und in diesem Sinn formstabil und modellierbar wie die geschmeidige Knetmasse der Abbildung 1 dieser Leitlinien. Diese Einordnung werde auch durch die technische Norm für die Sicherheit von Spielzeug EN 71-3 bestätigt. Diese werde bei Laboruntersuchungen herangezogen. Als geschmeidig gälten danach Modelliermassen einschließlich Knetmassen und Abdruckmassen. Als flüssig gälten Anstrichstoffe einschließlich Fingermalfarben, Firnissen, Lacken, flüssiger Tinte und ähnlicher Materialien wie Schleime oder Seifenblasenlösungen und Klebestifte. Für eine geschmeidige Modelliermasse im Sinn der Norm EN 71-3 sei maßgeblich, dass sie modelliert werden könne. Dafür sei der Knetschleim gerade konzipiert. Der Beklagte nehme hierzu zu Unrecht an, dass das IfB die Norm EN 71-3 zugrundegelegt habe. Das IfB stütze sich nur auf die Methode des ALS. Die Prüfberichte der österreichischen Z. und der T. GmbH nähmen zwar auf die Norm EN 71-3 Bezug, stuften den Knetschleim aber nicht danach ein. Dort werde eine Schleimartigkeit vielmehr wegen der Bezeichnung als Knet-Schleim angenommen. Das IfB verfolge allerdings den Prüfansatz, dass der Knetschleim sowohl der Kategorie I als auch der Kategorie II zugeordnet werden könne und dass für die Einstufung "die Gefahr der oralen Aufnahme und der dermalen Exposition" ausschlaggebend sein solle. Diese Gefahr sei durch das BfR ausgeschlossen worden. Das BfR habe dabei keine eigene Bewertung vorgenommen, sondern die Angaben des IfB zur Kategorie zugrunde gelegt, weil die Einordnung in eine Kategorie nicht zum toxikologischen Untersuchungsauftrag gehört habe. T. habe festgestellt, dass eine eindeutige Einstufung nicht möglich sei, weil es sich um eine hochviskose Masse handele; diese werde dort nur wegen des Fließverhaltens als Flüssigkeit eingestuft. Damit sei die Kategorie lediglich unterstellt, nicht aber wissenschaftlich abgeklärt worden.
Die Einordnung als geschmeidig entspreche auch der wissenschaftlichen Grundlage der EU-Spielzeugrichtlinie. Diese gehe auf eine niederländische Untersuchung aus dem Jahr 2008 zurück. Dort sei belegt worden, dass die Menge an chemischen Elementen, die Kinder mit Spielzeugmaterial aufnähmen, sich unterscheide, je nachdem ob das Spielzeugmaterial abgeschabt sei (davon 8 mg täglich), ob es brüchig oder geschmeidig sei (davon 100 mg täglich) oder ob es flüssig und haftend sei (davon 400 mg täglich). Daraus seien die Kategorien der EU-Spielzeugrichtlinie abgeleitet. Bei einem Vergleich mit Hüpfknete und mit klassischen Schleimen entspreche der Knetschleim der Klägerin der Hüpfknete. Das werde dadurch bestätigt, dass in der niederländischen Untersuchung die Kategorie als "pliable modelling materials, including modelling clays and gels" bezeichnet worden sei. Wenn aber sogar "modelling gels", deutsch: "Modelliergele", als geschmeidige Materialien anzusehen seien, sei der Knetschleim der Klägerin erst recht ein geschmeidiges Material, denn er sei fester als ein Modelliergel.
Ein begründeter Verdacht im Sinn des § 26 Absatz 2 Satz 1 ProdSG (a.F.) liege nicht vor: es fehle an Tatsachen, die es rechtfertigten anzunehmen, dass das Produkt nicht gesetzeskonform sei, und es lägen auch keine entsprechenden Erkenntnisse vor. Der Beklagte stelle selbst fest, dass der Knetschleim keiner der Kategorien der Spielzeugrichtlinie zugeordnet werden könne. Er stufe ihn aber als flüssig oder haftend ein, um seinen Bescheid zu rechtfertigen. Das sei unzulässig, denn es müsse eine eindeutige Kategorisierung erfolgen. Jedenfalls sei aber Artikel 8 der Produktsicherheitsrichtlinie bei der Anwendung des § 26 Absatz 2 ProdSG zu beachten, denn dieser werde durch § 26 ProdSG umgesetzt. Nach Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe d der Produktsicherheitsrichtlinie seien aufgrund eines Gefahrenverdachts nur vorübergehende Maßnahmen zulässig. Endgültige Maßnahmen erforderten nach Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe e, dass eine Gefahr oder ein gefährliches Produkt positiv vorliege. Das sei nicht der Fall, weil der Knetschleim ein geschmeidiges Produkt sei, für das der Grenzwert von 1 200 mg/kg gelte.
Außerdem sei der Bescheid ermessensfehlerhaft und unverhältnismäßig. Eine Ermessensüberschreitung liege vor, weil nach § 26 Absatz 2 Satz 2 Nummer 2 ProdSG ein Verkehrsverbot nur für den Zeitraum zulässig sei, der für die Prüfung zwingend erforderlich sei. Das Verbot des Beklagten sei aber endgültig. Für die Regelung der Voraussetzungen, unter denen der Knetschleim in Verkehr gebracht werden dürfe, wenn er den Wert von 300 mg/kg einhalte, fehle eine Rechtsgrundlage. An der Ermessensfehlerhaftigkeit ändere sich nichts dadurch, dass der Beklagte die falsche Rechtsgrundlage erkannt habe und in der Klageerwiderung Ausführungen zu § 26 Absatz 2 Satz 2 Nummer 6 ProdSG mache. Denn es fehle an der gesicherten Erkenntnis, dass der Knetschleim ein gefährliches Produkt sei. § 26 Absatz 3 ProdSG sei nicht einschlägig.
Die Unverhältnismäßigkeit folge daraus, dass die Klägerin ihren Lagerbestand bereits freiwillig gesperrt habe und die Sperrung bis zur endgültigen Klärung der Kategorisierung bereits am 7. März 2019 zugesagt habe. Solche freiwilligen Maßnahmen hätten Vorrang vor behördlichen Maßnahmen. Das sei nach der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 17, 6276 S. 49) gesetzlich nur deshalb nicht ausdrücklich geregelt, weil sonst zu diesem allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsatz eine Doppelregelung getroffen worden wäre. Das Verkehrsverbot sei zudem unangemessen. Der Beklagte müsse insoweit die Qualität des Gefahrenverdachts berücksichtigen. Wenn es nur als möglich angesehen werde, dass ein Produkt nicht gesetzeskonform sei, dann sei nur ein Gefahrerforschungseingriff zulässig. Für ein endgültiges Verkehrsverbot müsse dagegen die Erkenntnis gesichert sein, dass ein Produkt nicht gesetzeskonform sei. Der Beklagte stelle selbst fest, dass eine sichere Einordnung des Knetschleims in eine der Kategorien nicht möglich sei. Deshalb liege auch keine gesicherte Erkenntnis über eine fehlende Gesetzeskonformität vor.
Der Beklagte hätte eine geeignete Stelle beauftragen können zu untersuchen, welche Kategorisierung richtig sei beziehungsweise eine geeignete Stelle mit der Untersuchung der "Expositionsszenarien" beauftragen können, um im Sinn der EU-Spielzeugrichtlinie "zu eruieren", welche Kategorisierung zutreffend sei.
Wenn der Beklagte den Knetschleim als ein Produkt "sui generis" ansehe und ihn gleichwohl in die Kategorie I einstufe, zeige das die Fehlerhaftigkeit des Bescheids. Denn bei einer Einstufung als "sui generis" wäre eine eindeutige Einstufung nicht möglich. Richtigerweise seien für die Einstufung unbestimmte Rechtsbegriffe wie "flüssig", "haftend" oder "geschmeidig" anzuwenden. Dabei gehe der Beklagte von einem falschen Verständnis von "haftend" aus. "Haftend" sei im Rahmen der Kategorie II nur Material, das klebrig sei. Das sei aus den englischen und französischen Formulierungen ersichtlich und werde durch die Leitlinie der Kommission bestätigt. Denn danach könnten Rückstände auf der Haut auch durch geschmeidiges oder durch trockenes, brüchiges und staubförmiges Material hinterlassen werden. Der Knetschleim verursache allenfalls eine Feuchtigkeit auf der Haut. Diese unterscheide sich von den Rückständen klassischer Schleime. Eine orale Aufnahme sei mehr als unwahrscheinlich. Die "sehr undeutlichen schwarz-weiß-"Fotos, auf die der Beklagte sich beziehe (Anmerkung des Gerichts: wahrscheinlich eine Verwechslung: In der Klageerwiderung finden sich nur sehr deutliche Farbfotos; die undeutlichen Schwarzweiß-Fotos sind in der Klagebegründung), seien keine Fotos des Knetschleims der Klägerin.
Deshalb gehe auch eine sachgerechte Interessenabwägung zugunsten der Klägerin aus. Nach der Stellungnahme des BfR müsse ein Kind, um eine akute Gesundheitsbeeinträchtigung zu bewirken, Spielschleim mit einer Borlässigkeit von mehr als 11 600 mg/kg verschlucken. Um dagegen chronische gesundheitliche Risiken zu bewirken, müsse ein Kind täglich mit Spielschleim mit einer Borlässigkeit von mehr als 3 250 mg/kg spielen. Das sei aber unwahrscheinlich. Deshalb werde es auch als unwahrscheinlich angesehen, dass selbst bei einer Borlässigkeit von mehr als 3 250 mg/kg der tägliche Grenzwert von 0,16 mg/kg Körpergewicht überschritten werde und dass dadurch chronische Gesundheitsfolgen eintreten könnten. Das gelte selbst für den Fall, dass eine Hintergrundbelastung von 0,08 mg/kg Körpergewicht berücksichtigt werde. Auch das LAVES-IfB gehe davon aus, dass der Knetschleim kein gesundheitliches Risiko darstelle. Es sei nicht richtig, dass der Beklagte dieser Bewertung mit der Begründung nicht folge, dass auch Kinder unter drei Jahren mit dem Knetschleim in Kontakt kommen könnten. Denn im Hinblick auf Artikel 10 Absatz 2 Satz 1 und 2 der EG-Spielzeugrichtlinie sei wegen des Hinweises auf der Verpackung ("nicht für Kinder zwischen 0 und 3 Jahren geeignet") davon auszugehen, dass der Knet-Schleim bestimmungsgemäß nur von Kindern über 3 Jahren "bespielt" werde. Dass Kinder solche Warnhinweise nicht lesen könnten, sei ohne Belang. Allerdings gingen nach der Stellungnahme des BfR auch für Kinder unter drei Jahren von dem Knetschleim keine Gesundheitsrisiken aus, wenn sie ein durchschnittliches Körpergewicht von 7,5 kg hätten. Ein gelegentliches Überschreiten einer täglichen Aufnahmemenge von 1 500 mg/kg Körpergewicht sei zwar toxikologisch unerwünscht, aber wahrscheinlich nicht mit gesundheitlichen "Effekten" verbunden. Damit stehe nach gesicherten toxikologischen Erkenntnissen fest, dass der Knetschleim mit dem ermittelten Borgehalt von höchstens 887 mg/kg weder ein akutes noch ein chronisches Gesundheitsrisiko für Kinder jeden Alters bewirke. Deshalb überwiege auch unter Vorsorgegesichtspunkten im Sinn des § 18 2. ProdSV das wirtschaftliche Interesse der Klägerin, denn für Vorsorgeerwägungen bleibe kein Raum, wenn wissenschaftlich belegt sei, dass keine Gefährlichkeit vorliege.
Zu RAPEX-Schnellwarnungen macht die Klägerin geltend, dass diese klassische Schleime betroffen hätten. Klassische Schleime seien mit dem Knetschleim nicht vergleichbar.
Die Klägerin regt außerdem eine Vorlage der Frage an den Europäischen Gerichtshof an, ob der Knetschleim der Klägerin unter Kategorie I oder II von Anhang II Teil III Nummer 13 der EU-Spielzeugrichtlinie einzustufen ist und nach welchem Maßstab die Kategorisierung vorzunehmen sei.
Die Klägerin regt an, den Sachverständigen AA. (M. GmbH) für die Begutachtung der Kategorisierungsfrage zuzuziehen.
Im Hinblick auf die Änderungen zum Produktsicherheitsgesetz macht die Klägerin geltend:
Der Bescheid habe sich nicht erledigt. Er sei auch nicht nichtig. § 26 ProdSG sei zwar außer Kraft getreten. Damit sei aber nicht die Rechtsgrundlage entfallen, sondern die Rechtsgrundlage sei nur ausgewechselt worden. Das sei unabhängig vom Willen der Behörde möglich. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit sei der Zeitraum ab Erlass bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichts. Der Bescheid sei nach altem und neuem Recht rechtswidrig.
§ 7 Absatz 1 Satz 1 MüG in Verbindung mit Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe h VO 2019/1020 setze eine Nichtkonformität voraus. Eine Nichtkonformität liege nicht vor. Nichtkonformität sei nach Artikel 3 Nummer 7 VO 2019/1020 jede Nichteinhaltung der Harmonisierungsvorschriften der EU oder der VO 2019/1020. Ein solcher Verstoß liege nicht vor. Es sei auch kein Risiko im Sinn des Artikel 3 Nummer 18 VO 2019/1020 gegeben. Denn die Untersagungsverfügung schütze nicht vor einem Risiko, weil die Klägerin ihren Lagerbestand freiwillig für die Dauer des Rechtsstreits gesperrt habe.
Ferner sei nach § 7 Absatz 1 Satz 1 MüG in Verbindung mit Artikel 14 Absatz 4 Buchstabe h VO 2018/1020 grundsätzlich ein sogenannter Wirtschaftsakteur (also Marktteilnehmer) zunächst einmal aufzufordern, eine Maßnahme zu treffen. Das sei hier nicht geschehen, weil die Klägerin ihren Bestand freiwillig gesperrt habe. Diese Maßnahme habe Vorrang vor der Maßnahme der Behörde.
Die Klägerin beantragt,
den Bescheid des Beklagten vom 17. Dezember 2019 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er macht geltend, dass die Klage erst am 28. Dezember 2019 und damit um einen Tag zu spät bei Gericht eingegangen sei.
Die Klage sei aber auch unbegründet. Der Knetschleim verstoße gegen § 10 2. ProdSV. Danach dürfe Spielzeug nur auf dem Markt bereitgestellt werden, wenn es die allgemeinen Sicherheitsanforderungen des § 10 Absatz 2 2. ProdSV und die besonderen Sicherheitsanforderungen nach Anhang II der EU-Spielzeugrichtlinie erfülle. Der Knetschleim erfülle diese Anforderungen hinsichtlich seines Gehalts an migrierendem Bor nicht. Der Knetschleim sei dafür in die Kategorie II der Richtlinie einzuordnen. Eine klassische Knetmasse unterfalle Kategorie I, ein klassischer Spielschleim der Kategorie II. Der Knetschleim stelle weder eine klassische Knetmasse noch einen klassischen Spielschleim dar. Er sei ein Produkt, das verhältnismäßig neu auf dem Markt sei. Daher sei er noch nicht unter den Produkten, die für die Materialkategorien beispielhaft aufgezählt würden. Er müsse aber einer Kategorie zugeordnet werden, um eine rechtliche Bewertung vornehmen zu können und er lasse sich der Kategorie II zuordnen. Er weise ein erhebliches Haftpotential auf. Das gelte vor allem für Anhaftungen auf der Haut. Das sei aus der Bilddokumentation des LAVES-IfB ersichtlich. Insoweit sei die Wahrscheinlichkeit einer oralen Aufnahme groß. Er sei auch flüssiger als eine klassische Knetmasse. Zwar sei die Festigkeit und Formstabilität deutlich höher als bei einer wässrigen Flüssigkeit und auch immer noch wahrnehmbar höher als bei einem klassischen Spielschleim. Er sei dennoch dem Kategorie II zuzuordnen. Denn wenn er in Form gebracht werde, zerfließe er bereits nach kurzer Zeit. Das sei ebenfalls aus der Bilddokumentation des LAVES-IfB ersichtlich. Die Zweifel der Klägerin an dem Bildmaterial seien nicht gerechtfertigt. Eine eindeutige Zuordnung in die Kategorie II ergebe sich auch nach den Kriterien des ALS. Der ALS sei das staatliche Fachgremium für Lebensmittel- und Bedarfsgegenständechemie. Der ALS habe sich bemüht, ein einheitliches Prüfverfahren für eine Kategorisierung von Knetschleimen und anderen schleimartigen oder viskosen Stoffen zu entwickeln, damit unter standardisierten Vorgaben deutschlandweit vergleichbare Ergebnisse erzielt werden könnten. Insoweit sei unerheblich, ob die Prüfmethode auf andere Materialien übertragen werden könne.
Neben dem LAVES-IfB und dem ALS habe das Landesuntersuchungsamt Rheinland-Pfalz den Knetschleim der Kategorie II zugeordnet, ebenso das Labor T. GmbH und die österreichische Agentur für Ernährungssicherheit sowie das finnische Labor AB.. Im Jahr 2019 seien europaweit 52 behördliche Schnellwarnungen im Meldesystem RAPEX veröffentlicht worden, die Grenzwertüberschreitungen von Bor in Spielzeugschleimen betroffen hätten. Weitere 20 solcher Schnellwarnungen seien im ersten Halbjahr 2020 übermittelt worden. Dort hätten die beanstandeten Produkte einen Gehalt von migrierendem Bor von 363 mg/kg bis 6 960 mg/kg enthalten.
Das Verkehrsverbot sei nach § 26 Absatz 2 ProdSG rechtmäßig erlassen worden. Nach § 26 Absatz 2 Nummer 4 ProdSG sei im Regelfall eine zeitliche Beschränkung der Maßnahme geboten. Das wäre hier nicht angebracht gewesen. Der Beklagte sei aber nach § 26 Absatz 2 Nummer 6 ProdSG berechtigt, ein Verkehrsverbot ohne konkrete zeitliche Beschränkung anzuordnen. § 26 Absatz 3 ProdSG verpflichte den Beklagten ohnehin, seine Maßnahme umgehend zu ändern oder zu widerrufen, wenn nachgewiesen werde, dass die gesetzlichen Anforderungen künftig erfüllt würden.
Das Verkehrsverbot sei erforderlich. Der Beklagte habe davon abgesehen, die sofortige Vollziehbarkeit anzuordnen, als die Klägerin erklärt habe, freiwillig keine Chargen des Produkts mit mehr als 300 mg/kg migrierendem Bor in den Verkehr zu bringen, um diese Anordnung abzuwenden. Die Klägerin habe diese Erklärung aber ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, nur für den Fall der Anordnung des Verkehrsverbots und nur für die Dauer des Hauptsacheverfahrens abgegeben. Diese Erklärung wirke sich deshalb nicht auf das Verkehrsverbot aus. Die Maßnahme sei angemessen, weil sie das mildeste Mittel sei, um Verbraucher vor einem nicht verkehrsfähigen Spielzeug zu schützen und gleichzeitig die Vertriebsmöglichkeiten der Klägerin möglichst wenig einzuschränken.
Im Hinblick auf die Änderungen zum Produktsicherheitsgesetz macht der Beklagte geltend:
Die Maßnahme stehe nach aktuellem Recht auf einer "breiteren Basis". Rechtsgrundlage des Verkehrsverbots sei nun nicht mehr § 26 Absatz 2 ProdSG. Die Rechtmäßigkeit der Maßnahme ergebe sich aus § 25 Absatz 7 in Verbindung mit § 6 Absatz 2 ProdSG. Danach sei der Beklagte berechtigt, diejenigen Maßnahmen anzuordnen, die zur Einhaltung der Pflicht zur Vermeidung von Risiken erforderlich seien, die mit dem Verbraucherprodukt zusammenhingen, das auf dem Markt bereitgestellt werde. Weitere Rechtsgrundlage sei Artikel 16 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 3 Buchstabe b VO 1029/1020. Danach ergreife die Behörde geeignete Maßnahmen, wenn ein Produkt nicht den geltenden EU-Harmonisierungsrechtsvorschriften entspreche. Dazu zähle nach Anhang 1 Nummer 29 auch die Richtlinie 2009/48/EG. Insbesondere könne die Behörde auffordern, die Bereitstellung des Produkts auf dem Markt zu verhindern. Das gelte nach § 8 MÜG auch für Produkte, die nicht unter die Harmonisierungsrechtsvorschriften fielen, sondern nur unter das Produktsicherheitsgesetz fielen. Schließlich sei die Maßnahme auch nach § 39a Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 in Verbindung mit Satz 1 LFGB legitimiert.
Der Beklagte schließt sich der Anregung der Klägerin zur Vorlage an den Europäischen Gerichtshof an und regt an, Frau AC. und Herrn AD. vom LAVES als Sachverständige zur Kategorisierung des Knetschleims hinzuzuziehen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakten mit den beigezogenen Verwaltungsvorgängen des Beklagten, der Beiakte BA001, Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, insbesondere rechtzeitig erhoben. Die Klage ist am 27. Januar 2020, dem letzten Tag der Klagefrist, per Telefax und am 28. Januar 2020 per Post bei Gericht eingegangen. Dem Beklagten ist dazu mitgeteilt worden: "hier eingegangen per Telefax am 27.01.2020 und im Original am 28.01.2020". Diese Mitteilung muss der Beklagte missverstanden haben.
Die Klägerin hat auch hinsichtlich des Zeitraums bis zur Entscheidung des Gerichts ein Rechtsschutzinteresse. Denn sie hat auf den Vertrieb der betroffenen Chargen nicht schon endgültig verzichtet, sondern nur ohne Anerkennung einer Rechtspflicht, nur, um die Anordnung der sofortigen Vollziehbarkeit abzuwenden und nur für die Dauer des Verwaltungsstreitverfahrens. Die Klägerin macht zwar geltend, dass das Verkehrsverbot durch ihre freiwillige Maßnahme unverhältnismäßig geworden sei. Das wäre aber nur dann zutreffend, wenn sie mit ihrer freiwilligen Maßnahme das herbeigeführt hätte, was das Verkehrsverbot herbeiführen sollte. Dafür wäre erforderlich, dass die Produkte dem Verkehr unbedingt ferngehalten werden. Das ist wegen der Nichtanerkennung einer Rechtspflicht nicht der Fall.
Die Klage ist auch begründet. Der Bescheid vom 17. Dezember 2019 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten.
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist derjenige der gerichtlichen Entscheidung. Das Verkehrsverbot ist ein Dauerverwaltungsakt. Für dessen Beurteilung kommt es grundsätzlich auf die aktuelle Sach- und Rechtslage an (z.B. BVerwG, Beschluss vom 29. Oktober 2021 - 1 WRB 2/21, zitiert nach Juris, Rdnr. 31 m.w.N.). Besonderheiten ergeben sich hier nicht.
Der Beklagte stützt sich auf Artikel 16 Absatz 1 in Verbindung mit Absatz 3 Buchstabe b der Verordnung (EU) 2019/1020 ,"des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Juni 2019 über Marktüberwachung und die Konformität von Produkten sowie zur Änderung der Richtlinie 2004/42/EG und der Verordnungen (EG) Nr. 765/2008 und (EU) Nr. 305/2011" (in Kraft seit 15. Juli 2019, gültig aber erst ab 16. Juli 2021). Die VO 2019/1020 ist auf den Knetschleim anzuwenden, denn sie gilt nach ihrem Artikel 1 Absatz 1 für Produkte, die den "in Anhang I angeführten Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union (im Folgenden ,Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union')" unterliegen, soweit es in den Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union keine speziellen Bestimmungen gibt, mit denen dasselbe Ziel verfolgt wird und bestimmte Aspekte der Marktüberwachung und der Durchsetzung konkreter geregelt werden. Spielwaren gehören zu den angeführten Produkten. Denn die RL 2009/48 EG, deren Gegenstand die Sicherheit von Spielzeug ist, ist in Anhang I der VO 2019/1020 unter Nummer 29 aufgeführt.
Soweit die VO 2019/1020 angewendet wird, ist sie ohne Einschränkungen oder Besonderheiten anzuwenden, denn zu der VO 2019/1020 sind keine Übergangsregeln angeordnet worden.
Artikel 16 Absatz 1, 2 oder 3 VO 2019/1020 rechtfertigen ein Verkehrsverbot nicht:
Nach Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe b VO 2019/1020 ergreifen die Marktüberwachungsbehörden geeignete Maßnahmen, wenn ein Produkt, für das die Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union gelten, bei einem bestimmungsgemäßen Gebrauch oder beim Gebrauch unter Bedingungen, die nach vernünftigem Ermessen vorhersehbar sind, und bei ordnungsgemäßer Installation und Wartung (a) wahrscheinlich die Gesundheit oder Sicherheit der Nutzer gefährdet oder (b) nicht den geltenden Harmonisierungsrechtsvorschriften der Union entspricht; dabei ist Absatz 1 selbst keine Eingriffsgrundlage, sondern ein Programmsatz mit allgemeinen Anforderungen für die Eingriffsgrundlagen, die in den folgenden Absätzen geregelt sind. Nach Artikel 16 Absatz 3 Buchstabe b VO 2019/1020 kann der Wirtschaftsakteur "für die Zwecke von Absatz 2" beispielsweise zur Verhinderung der Bereitstellung des Produkts auf dem Markt aufgefordert werden. Absatz 2 hat der Beklagte zwar nicht für sich in Anspruch genommen. Absatz 2 ist aber von Amts wegen zu berücksichtigen, auch wenn der Beklagte sich nicht auf diesen berufen hat, denn Artikel 16 Absatz 2 und 3 sind zwingende Regelungen.
Artikel 16 Absatz 2 VO 2019/1020 und auch Absatz 3 in Verbindung mit Absatz 2 rechtfertigt den angefochtenen Bescheid nicht. Denn nach dieser Regelung ist es nur zugelassen, dass die Behörde den Marktteilnehmer auffordert, selbst tätig zu werden, nicht dagegen auch eine darüber hinausgehende belastende Eingriffsregelung der Behörde. Denn Absatz 2 bestimmt nur, dass die Marktüberwachungsbehörden den einschlägigen Wirtschaftsakteur unverzüglich auffordern, angemessene und verhältnismäßige Korrekturmaßnahmen zu ergreifen, um die Nichtkonformität oder das Risiko binnen eines von ihnen festzulegenden Zeitraums zu beenden, wenn sie einen Sachverhalt gemäß Absatz 1 Buchstabe a oder b feststellen. Eine solche Aufforderung enthält der Bescheid vom 17. Dezember 2019 nicht.
Eine belastende Eingriffsregelung wie das Verkehrsverbot des Beklagten ist erst nach Artikel 16 Absatz 5 VO 2019/1020 zulässig. Danach stellen die Marktüberwachungsbehörden sicher, dass das Produkt vom Markt genommen oder zurückgerufen wird oder dass seine Bereitstellung auf dem Markt untersagt oder eingeschränkt wird und dass die Öffentlichkeit, die Kommission und die anderen Mitgliedstaaten entsprechend informiert werden, wenn der Wirtschaftsakteur keine Korrekturmaßnahmen nach Absatz 3 ergreift oder wenn die Nichtkonformität oder das Risiko nach Absatz 1 nicht beseitigt wird.
Die Voraussetzungen für eine Maßnahme nach Absatz 5 liegen nicht vor.
Es fehlte für Maßnahme nach Absatz 5 die Verfahrensvoraussetzung, dass die Behörde zuerst den Marktteilnehmer aufgefordert haben muss, selbst tätig zu werden. Eine solche Aufforderung war erforderlich, weil Artikel 16 nach seiner Systematik ein gestuftes Vorgehen der Behörde vorschreibt. Das ist schon aus Verhältnismäßigkeitsgründen angezeigt. Eine solche Aufforderung ist vor Erlass des Bescheids nicht ergangen. Der Schriftverkehr, insbesondere die Anhörung vom 10. April 2019 zu dem ursprünglich vorgesehenen Rückruf, kann keine Anhörung im Sinn des Artikels 16 VO 2019/1020 sein, weil diese Verordnung seinerzeit noch nicht einmal veröffentlicht war. Eine Analogie oder ähnliche Wertung verbietet sich, weil es sich um eine belastende Eingriffsregelung handelt.
Selbst wenn man ohne diese Verfahrensvoraussetzung eine Maßnahme für zulässig hielte, erwiese sich das Verkehrsverbot auch materiell als rechtswidrig.
Artikel 16 Absatz 3 VO 2019/1020 setzt materiell voraus, dass eine Maßnahme "für die Zwecke von Absatz 2" getroffen wird. Absatz 2 setzt wiederum voraus, dass ein Sachverhalt gemäß Absatz 1 Buchstabe a oder b festgestellt wurde.
Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe b (Nichtkonformität) ist hier nicht anwendbar, weil Buchstabe a (Gesundheitsgefahr) gegenüber Buchstabe b als Spezialregel anzusehen ist. Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe a ist die Grundlage, wenn wahrscheinlich die Gesundheit oder Sicherheit der Nutzer gefährdet ist. Diese Regelung wäre systematisch überflüssig, wenn durch Absatz 1 Buchstabe b auch bereits der Fall abgedeckt wäre, in dem ein Produkt einer Harmonisierungsrechtsvorschrift nicht entspricht, die den Gesundheitsschutz zum Zweck hat. Entsprechendes gälte, wenn man annehmen wollte, dass Buchstabe a nur den Fall der wahrscheinlichen Gefahr regelte, Buchstabe b dagegen die Fälle einer niederschwelligeren Wirkung auf die Gesundheit. Denn wenn schon solche Wirkungen eine Maßnahme rechtfertigten, die weniger als eine wahrscheinliche Gefahr sind, wäre eine eigene Regelung für wahrscheinliche Gefahren eine überflüssige Doppelregelung. Entsprechendes gälte schließlich auch, wenn Buchstabe b generell nur Fälle erfassen sollte, in denen eine Gefahr, gleich für welches Rechtsgut, nicht wahrscheinlich ist. Dann läge in Buchstabe a zwar keine unnötige Doppelregelung, aber für wahrscheinliche Gefahren für andere Rechtsgüter als die Gesundheit, wie zum Beispiel für Eigentum durch Brandgefahr, gäbe es keine Eingriffsgrundlage - das wäre absurd.
Bei den Grenzwerten nach Anhang II Teil III (chemische Eigenschaften) Nummer 13 zur RL 2009/48 geht es aber ersichtlich gerade nur um den Gesundheitsschutz. Das folgt schon aus dem abschließenden Satz: "Diese Grenzwerte gelten nicht für Spielzeug oder Spielzeugbestandteile, das/die beim Gebrauch gemäß Artikel 10 Absatz 2 Unterabsatz 1 durch seine/ihre Zugänglichkeit, seine/ihre Funktion, sein/ihr Volumen oder seine/ihre Masse jegliche Gefährdung durch Saugen, Lecken, Verschlucken oder längeren Hautkontakt eindeutig ausschließt/ausschließen."
Dafür, dass die gesundheitsbezogene Maßnahme nach Artikel 16 VO 2019/1020 eine Gesundheitsgefahr erfordert, nicht nur eine Nichtkonformität, spricht auch Erwägungsgrund 21 der Richtlinie 2009/48. Danach ist es der Zweck der Harmonisierung der Bestimmungen zu chemischen Stoffen, vor Gesundheitsgefahren zu schützen (Unterstreichungen nicht im Original):
Es ist ferner notwendig, neue wesentliche Sicherheitsanforderungen einzuführen. Um ein hohes Maß an Schutz der Kinder vor Gefahren zu gewährleisten, die durch chemische Stoffe in Spielzeug und die Verwendung von gefährlichen Stoffen, insbesondere von als karzinogen, mutagen oder reproduktionstoxisch eingestuften Stoffen (CMR-Stoffe) und allergenen Stoffen und bestimmten Metallen, entstehen, sollte mit großer Umsicht vorgegangen werden. Es ist daher insbesondere erforderlich, die Bestimmungen über chemische Stoffe in Spielzeug zu ergänzen und zu aktualisieren, um vorzuschreiben, dass Spielzeuge den allgemeinen Rechtsvorschriften über Chemikalien entsprechen müssen, insbesondere der Verordnung (EG) Nr. 1907/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Dezember 2006 zur Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung chemischer Stoffe (REACH) und zur Schaffung einer Europäischen Agentur für chemische Stoffe (9). Diese Bestimmungen sollten jedoch auch an die besonderen Bedürfnisse von Kindern angepasst werden, die eine Gruppe besonders schutzbedürftiger Verbraucher bilden. Daher sollten für CMR-Stoffe in Anbetracht der besonderen Risiken, die diese Stoffe für die menschliche Gesundheit bergen können, gemäß den geltenden Rechtsvorschriften der Gemeinschaft für die Einstufung, Kennzeichnung und Verpackung von Stoffen und Gemischen sowie für Duftstoffe in Spielzeugen neue Einschränkungen vorgesehen werden. Nickel in nichtrostendem Stahl hat sich als sicher erwiesen und ist daher für die Verwendung in Spielzeug geeignet.
Eine Gefahr beziehungsweise Gefährdung im Sinn des Artikels 16 Absatz 1 Buchstabe a liegt allerdings vor. "Gefahr" ist in der VO 2019/1020 nicht definiert. Der Begriff wird dort vorausgesetzt, insbesondere bei der Begriffsbestimmung für "Risiko" in Artikel 3 Nummer 18 VO 2019/1020. Danach "...bezeichnet... "Risiko" das Verhältnis zwischen der Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gefahr, die einen Schaden verursacht, und der Schwere des Schadens;" (ähnlich - aber sprachlich wirr verkürzt - Artikel 3 Nummer 27 RL 2009/48: ,"Risiko": die Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gefahr, die einen Schaden verursacht, und die Schwere des Schadens). "Gefährdet" im Sinn des Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe a ist nicht mit dem Gefahrbegriff des deutschen Gefahrenabwehrrechts gleichzusetzen, sondern bereits als die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung zu verstehen. "Gefahr" nach der VO 2019/1020 und der RL 2009/48 ist weiter gefasst als "Gefahr", namentlich "abstrakte Gefahr", nach deutschem Gefahrenabwehrrecht, nach dem bereits im Tatbestandsmerkmal der Gefahr sowohl die Wahrscheinlichkeit als auch die zeitliche Nähe eines Schadens eingeschlossen sind. Das ergibt sich zum einen aus dem Regelungszusammenhang, zum anderen aus dem Vergleich mit weiteren Sprachfassungen. So definiert bereits Artikel 3 RL 2009/48 "Gefahr" als "die mögliche Ursache eines Schadens". Nach den EU-Regeln in der deutschen Fassung ist insbesondere anders als im deutschen Recht keine zeitliche Komponente geregelt, wie z.B. in § 2 Nummer 6 in Verbindung mit Nummer 1 des Niedersächsischen Polizei- und Ordnungsbehördengesetzes.
Artikel 16 VO 2019/1020 ist allerdings korrigierend auszulegen, weil jedenfalls die deutsche Fassung eine offenbare redaktionelle Unrichtigkeit enthält. Das wird daraus ersichtlich, dass in Absatz 5 auf die Beseitigung eines "Risikos nach Absatz 1" verwiesen wird, in Absatz 1 aber ein "Risiko" nicht angesprochen ist. Ob mit "die Nichtkonformität oder das Risiko" in Absatz 5 auf die Buchstaben a und b des Absatz 1 - in nicht erklärter oder erklärbarer umgekehrter Reihenfolge - Bezug genommen wird, bleibt dahingestellt. Jedenfalls ist "Risiko" nach Artikel 3 Nummer 18 der VO 2019/1020 das Verhältnis zwischen der Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gefahr, die einen Schaden verursacht, und der Schwere des Schadens. Und ein solches Verhältnis ist in Absatz 1 der deutschen Sprachfassung nicht geregelt, denn selbst in Absatz 1 Buchstabe a heißt es nur "wahrscheinlich...gefährdet". Dass es dabei nicht Absatz 5, sondern Absatz 1 Buchstabe a der deutschen Sprachfassung ist, der wegen seiner unklaren Formulierung auszulegen ist, wird aus den zum Vergleich herangezogenen anderen Sprachfassungen deutlich. Die anderen Sprachfassungen sind zu berücksichtigen, um dem Umstand Rechnung zu tragen, dass die Vorschriften des Gemeinschafts- und Unionsrechts in mehreren Sprachen abgefasst sind und dass die verschiedenen sprachlichen Fassungen gleichermaßen verbindlich sind; die Auslegung einer gemeinschafts- oder unionsrechtlichen Vorschrift erfordert einen Vergleich ihrer sprachlichen Fassungen (ständige Rechtsprechung des EuGH seit dem Urteil vom 6. Oktober 1982 - Rechtssache 283/81, zit. nach Juris).
Die Formulierungen in den verschiedenen Amtssprachen weichen deutlich voneinander ab, z.B. (übersetzt durch das Gericht):
bulgarisch: "е вероятно да застраши здравето или безопасността на ползвателите" (ist wahrscheinlich, die Gesundheit oder Sicherheit der Benutzer zu gefährden),
spanisch: "puede comprometer la salud" (kann...gefährden/könnte...gefährden),
dänisch: "kan bringe brugernes sundhed... i fare" (kann...in Gefahr bringen),
griechisch: "έχει πιθανότητες να θέσει σε κίνδυνο την υγεία" (Aussichten/Potential hat...in Gefahr zu bringen/wahrscheinlich...in Gefahr bringt - s.u.),
englisch: "is liable to compromise the health" (dazu neigt...zu gefährden/...gefährden kann/... gefährden könnte),
französisch: "est susceptible de compromettre la santé" (dafür empfänglich ist...zu gefährden/...gefährden kann/... gefährden könnte),
italienisch: "può compromettere la salute" (kann...gefährden),
niederländisch: "gevaar kan opleveren voor de gezondheid" (Gefahr...verursachen kann),
rumänisch: "este susceptibil de a afecta sanatatea" (dafür empfänglich ist...zu beeinträchtigen/...beeinträchtigen kann/... beeinträchtigen könnte),
schwedisch: "kan äventyra användarnas hälsa" (kann...gefährden - s.u.),
wobei allerdings κίνδυνο in griechischen oder äventyra im schwedischen sowohl Gefahr als auch Risiko beziehungsweise sowohl gefährden als auch riskieren heißen können. Im Griechischen ist κίνδυνο sogar gerade derjenige Begriff, der in Artikel 3 Nummer 18 als "Risiko" definiert wird, so dass es hier nicht als "Gefahr", sondern als "Risiko" gelesen werden muss. Die Sprachkenntnisse des Gerichts genügen, um diese Fassungen ohne Hinzuziehung von Übersetzern inhaltlich vergleichen zu können.
Trotz der Abweichungen erlauben die verglichenen Sprachfassungen den Schluss, dass eine Gefahr - anders als in der deutschen Fassung - unabhängig vom Zeitpunkt einer Schädigung und unabhängig vom Grad der Wahrscheinlichkeit einer Schädigung dann vorliegen soll, wenn eine Schädigung nur verursacht werden kann. Nur das führt auch zu einer Konvergenz der Begriffsverwendung in der VO 2019/1020 und in der RL 2009/48, denn es kommt der zitierten Begriffsbestimmung in der RL 2009/48 nahe - nach deren Artikel 3 Nummer 27 ist "Gefahr" die mögliche Ursache eines Schadens.
Eine Gefahr in diesem Sinn liegt danach hier vor. Es ist möglich, dass ein Schaden verursacht wird, weil migrierendes Bor abstrakt geeignet ist, die Gesundheit zu schädigen. Das folgt rechtlich schon daraus, dass in der RL 2009/48 zum Schutz vor Gesundheitsgefahren Migrationsgrenzwerte für Bor festgelegt worden sind. Für die abstrakte Gefährlichkeit kann es nicht darauf ankommen, ob die Grenzwerte eingehalten werden. Denn die Einhaltung der Grenzwerte beeinflusst nur die Wahrscheinlichkeit der Gefährdung, nicht deren abstrakte Möglichkeit. Die Wahrscheinlichkeit der Gefährdung ist in den verglichenen Sprachfassungen zudem nur nach der deutschen (kritisch dazu auch: Schucht, Sollbruchstellen in der neuen EU-Marktüberwachung, EuZW 2020, 554, 557) und der bulgarischen Sprachfassung erforderlich, wenn berücksichtigt wird, dass in der griechischen Fassung die Wahrscheinlichkeit eines Risikos genügen soll, weil der Begriff κίνδυνο nicht als "Gefahr", sondern als "Risiko" verwendet wird (s.o.). Die Formulierung "wahrscheinlich" in der deutschen Sprachfassung ist wegen ihrer Einmaligkeit (die bulgarische Fassung wird von der automatischen Google-Übersetzung sogar ohne das ausdrücklich vorhandene "wahrscheinlich" als "kann die Gesundheit oder Sicherheit der Benutzer gefährden" übersetzt) nicht mit einem Inhalt zu unterlegen, der die Voraussetzung strenger werden ließe als die in den anderen Sprachfassungen formulierte bloße Möglichkeit der Schadensverursachung. Auch die Bezugnahme auf die Formulierung "bestimmungsgemäßen Gebrauch oder beim Gebrauch unter Bedingungen, die nach vernünftigem Ermessen vorhersehbar sind" führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Denn auch diese Voraussetzung beschreibt die abstrakten Gegebenheiten.
Das Verkehrsverbot ist, gemessen an Artikel 16 VO 2019/1020, unverhältnismäßig. Maßnahmen nach Artikel 16 Absatz 5 müssen angemessen und verhältnismäßig sein. Das folgt aus Absatz 2. Danach darf die Behörde den Marktteilnehmer beziehungsweise den Wirtschaftsakteur nur auffordern, selbst Maßnahmen zu treffen, die angemessen und verhältnismäßig sind. Diese Voraussetzungen muss auch die eigene Maßnahme der Behörde beachten, denn die Maßnahme der Behörde ersetzt nach der Systematik des Artikels 16 lediglich das eigene Tätigwerden des Marktteilnehmers. Eine weitergehende Maßnahme hätte Sanktionscharakter. Sanktionscharakter kommt einer Maßnahme nach Artikel 16 Absatz 5 nicht zu. Denn Sanktionen sollen nach der VO 2019/1020 getrennt von Maßnahmen nach Artikel 16 Absatz 5 getroffen werden. Das folgt daraus, dass die Regelung zu Sanktionen in Artikel 41 VO 2019/1020 angeordnet ist.
Entgegen der Auffassung der Klägerin folgt eine Unverhältnismäßigkeit allerdings nicht daraus, dass die Klägerin freiwillig keine Chargen des Knetschleims in Verkehr bringt, soweit deren Borgehalt nach stichprobenartiger Begutachtung durch ein akkreditiertes Labor den Grenzwert von 300 mg/kg überschreitet. Denn die Klägerin hat dieses Verhalten nur zur Abwendung der sofortigen Vollziehbarkeit bis zur abschließenden gerichtlichen Klärung zugesagt. Dass das bereits im März 2019 geschehen sein soll, ist den Unterlagen nicht zu entnehmen. Damit bewirkt die Klägerin aber nicht dasselbe, was das Verkehrsverbot bewirkt. Denn dieses Zuwarten der Klägerin entspricht offensichtlich nicht dem, was der Beklagte für erforderlich hält. Eine zeitliche Differenzierung nach der Dauer des Gerichtsverfahrens einerseits und der Zeit nach dem Gerichtsverfahren andererseits hat entgegen der Auffassung der Klägerin gerade nicht zu erfolgen. Denn bei der Beurteilung eines Dauerverwaltungsakts kommt eine derartige Differenzierung nur in Betracht, wenn sich aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen zeitliche Einschnitte ergeben. Das ist hier nicht aus den Gründen der Fall, die die Klägerin insoweit anführt.
Eine Unverhältnismäßigkeit liegt jedoch vor, weil die Maßnahme nach Artikel 16 Absatz 5 zwar die Gefahr im Sinn des Artikels 16 Absatz 1 VO 2019/1020 zur Voraussetzung hat, aber nach Absatz 2 nicht der Abwehr dieser Gefahr dient - das wäre bei einem Verständnis im Sinn des deutschen Gefahrenabwehrrechts zu erwarten -, sondern darauf reagieren soll, dass das Risiko "nach Absatz 1" nicht beseitigt wurde. In Absatz 2 heißt es statt des "beseitigen" "beenden", ohne dass sich das hier inhaltlich auswirkt.
Der Begriff "Risiko", auf den Absatz 2 hier Bezug nimmt, wird in Artikel 16 Absatz 1 VO 2019/1020 allerdings nicht verwendet. Diese leerlaufende Verweisung findet sich nicht nur, wie oben aufgezeigt, in der deutschen Sprachfassung, sondern in allen verglichenen Sprachfassungen außer der griechischen. Im Griechischen ist in Artikel 16 in allen Absätzen nur der Begriff "κίνδυνος" verwendet, der in Artikel 3 der griechischen Fassung als "Risiko" definiert ist. Ein abweichender Begriff für "Gefahr" ist in Artikel 16 im Griechischen nicht verwendet und in Artikel 3 nicht definiert. Insoweit der griechischen Fassung zu folgen, führte hier jedoch zu einer plausiblen Lösung. Denn weil "Risiko" in Artikel 3 Nummer 18 VO 2019/1020 für die gesamte Verordnung definiert ist, wird durch die Verwendung des Wortes "Risiko" in Absatz 1 fraglich, was dort mit einem "Produkt, das zu einem ,Verhältnis zwischen der Eintrittswahrscheinlichkeit einer Gefahr, die einen Schaden verursacht, und der Schwere des Schadens' für die Gesundheit führt" gemeint sein sollte. Das Problem der Unklarheit würde also nur verschoben.
Für die Auslegung ist es vor allem maßgeblich, dass durch die RL 2009/48 namentlich die Gesundheit geschützt werden soll. Das "Risiko nach Absatz 1" zu beseitigen oder zu beenden bedeutet - gegen den offenbar verunglückten Wortlaut -, dass die Eintrittswahrscheinlichkeit der Gefahr für die Gesundheit so weit vermindert wird, dass die Verwendung des Knetschleims im Verhältnis zu seiner Zweckbestimmung oder bei normaler oder nach vernünftigem Ermessen vorhersehbarer Verwendung - einschließlich der Gebrauchsdauer sowie gegebenenfalls der Anforderungen an Inbetriebnahme, Installation und Wartung - als vernünftig und vertretbar anzusehen ist. Dabei ist neben der Eintrittswahrscheinlichkeit auch die Schwere des Schadens zu berücksichtigen, der wahrscheinlich verursacht werden kann. Dieses Verständnis berücksichtigt die systematische Erwägung, dass entsprechende Formulierungen sich in Artikel 3 Nummer 18, 19 und 20 VO 2019/1020 und in Artikel 19 Absatz 2 VO 2019/1020 finden. Diese Vorschriften befassen sich mit dem Verhältnis von Gefahr und Risiko. Nach Artikel 19 Absatz 2 wird die Entscheidung, ob mit einem Produkt ein ,ernstes Risiko' verbunden ist unter Berücksichtigung der Art der Gefahr und der Wahrscheinlichkeit ihres Eintritts getroffen. Der entsprechende Ansatz findet sich in den Nummern 18 bis 20 des Artikels 3. Nach Nummer 19 ist ein ,Produkt, mit dem ein Risiko verbunden ist', dadurch gekennzeichnet, dass es geschützte Rechtsgüter stärker beeinträchtigen kann, als das im Verhältnis zu seiner Zweckbestimmung vernünftig oder vertretbar ist. Nach Nummer 20 ist ein ,Produkt, mit dem ein ernstes Risiko verbunden ist', dadurch gekennzeichnet, dass es ein Risiko "birgt", bei dem die Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens und dessen Schwere unter Berücksichtigung der normalen und vorhersehbaren Verwendung des Produkts ein rasches Eingreifen der Behörde erfordert. Zweck der Beendigung oder Beseitigung des Risikos "nach Absatz 1" ist angesichts dessen, das Verhältnis der Wahrscheinlichkeit eines Schadens und der Schwere dieses Schadens so weit herabzusetzen, dass die Voraussetzungen für ein Einschreiten nach Artikel 16 nicht mehr gegeben sind. Denn "Risiko nach Absatz 1" ist nach dem aufgezeigten systematischen Zusammenhang von Gefahr und Risiko als dasjenige Risiko zu verstehen, dass sich durch die in Absatz 1 geregelte Gefahr für die in Absatz 1 geregelten Rechtsgüter ergibt - also "Risiko nach Absatz 1" nicht als Verweisung auf ein Tatbestandsmerkmal in Absatz 1, sondern als Bezugnahme auf eine Folge, die sich aus Absatz 1 ergibt (etwa wie: "das Risiko, das sich aus der in Absatz 1 bezeichneten Gefahr für die in Absatz 1 bezeichneten Rechtsgüter ergibt"). Diese Auslegung wird auch dem Umstand gerecht, dass in den Sprachfassungen Spanisch, Englisch, Französisch, Italienisch und Rumänisch in Absatz 1 der Begriff "Gefahr" nicht verwendet wird, sondern es (überschlägig) heißt: "wenn das Produkt die Gesundheit beeinträchtigen kann", was auch eine mögliche Übersetzung der bulgarischen Fassung ist. Und umgekehrt wird bei einer solchen Auslegung auch stimmig, dass im Griechischen in Absatz 1 und in Absatz 5 gleichermaßen "Risiko" verwendet wird. - Das ist im Ergebnis der Proportionalität von Schaden und Wahrscheinlichkeit ähnlich, die beim Gefahrenbegriff des deutschen Gefahrenabwehrrechts zu beachten ist.
Um die Wahrscheinlichkeit eines Schadens auf das Maß zu senken, das ein Einschreiten nach Artikel 16 Absatz 5 VO 2019/1020 nicht erforderlich macht, ist das Verkehrsverbot in dem Bescheid vom 17. Dezember 2019 unverhältnismäßig, weil es unangemessen ist.
Das Interesse, das an einem Gesundheitsschutz noch bestehen kann, rechtfertigt das Verkehrsverbot auch nicht mit seiner Maßgabe, dass Produkte in den Verkehr gebracht werden dürfen, die den Grenzwert von 300 mg/kg einhalten. Denn selbst wenn der Knetschleim in die Kategorie II mit dem strengeren, niedrigeren Grenzwert von 300 mg/kg eingestuft wird und dieser niedrigere Grenzwert nicht eingehalten wird, besteht bei bestimmungsgemäßer und vorhersehbarer Verwendung des Knetschleims im Rechtssinn kein Risiko für die Gesundheit beziehungsweise kein Risiko, das eine solche Maßnahme notwendig machte: Die Ermittlungen der Beklagten haben dazu geführt, dass das LAVES-IfB festgestellt hat, dass sich für Knetschleim keine gesundheitlichen Risiken ergeben (LAVES vom 26. Juni 2019), und dass das BfR festgestellt hat, dass das Risiko akuter und chronischer Effekte durch die Aufnahme von Borsäure durch Spielschleim als gering eingestuft werde (BfR). Das LAVES-IfB ist zu der Bewertung gekommen, dass sich für den Knetschleim mit einer maximalen Borlässigkeit von 866 mg/kg (damit auch für die anderen untersuchten Proben mit Gehalten >300 mg/kg) sowohl akut als auch durch tägliches Spielen keine gesundheitlichen Risiken ergeben. Das wird durch die allgemeiner gehaltenen Bewertungen des BfR bestätigt. Danach sei einerseits, bezogen auf eine abgeleitete kritische Bormigration von 3 250 mg/kg, festzustellen, dass 82 Prozent der Produkte, die in den letzten Jahren zu RAPEX-Meldungen geführt hätten, diesen Wert unterschritten hätten, das heißt, sie hätten nach konservativer Expositionsschätzung und unter Berücksichtigung der Hintergrundbelastung zu keiner Überschreitung des ADI geführt und somit kein ernstes Risiko dargestellt. Andererseits liege die kritische Menge, bei der noch keine akuten Effekte erwartet werden könnten, für ein 15,7 kg schweres Kind bei 58 mg Bor. Das bedeute bei dem Produkt mit der höchsten Bormigration von 6 384 mg/kg eine Mindestaufnahme von 9,1 g Spielschleim (bei einer Migration von 300 mg/kg ergäben sich 58 mg somit aus einer verschluckten Menge von 193,33 g); es sei unwahrscheinlich, dass eine solche Menge unabsichtlich verschluckt werde. Die maximale verschluckbare Menge betrage 5 g. Um zu einem akuten Risiko zu führen, müsse dafür die Bormigration 11 600 mg/kg betragen. Für chronische Effekte schließt das BfR ein chronisches Risiko auch unter konservativen Annahmen und Berücksichtigung der Hintergrundexposition bis zu einer Borlässigkeit von 3 250 mg/kg aus - das ist mehr als zehnmal so viel wie der Grenzwert von 300 mg/kg und mehr als zweieinhalbmal so viel wie der Grenzwert von 1 200 mg/kg, den auch die Klägerin selbst für einschlägig hält -. Selbst bei einem 7,5 kg schweren Kind würde nach der BfR-Begutachtung eine tägliche Aufnahme von 400 mg des Produkts über den Mund erst dann zu einer Ausschöpfung des ADI führen, wenn das Produkt eine 1 500 mg/kg Borlässigkeit hätte. Der ADI sei die tägliche Dosis, die lebenslang aufgenommen werden könne, ohne dass gesundheitliche Effekte zu erwarten seien. Eine vorübergehende Überschreitung sei aus Sicht der Risikobewertung zwar unerwünscht, das daraus resultierende Risiko chronischer Effekte aber als gering einzustufen.
Das Gericht ersieht aus diesen Vorgaben, dass nach Auffassung der sachverständigen Stelle des Landes Niedersachsen kein Gesundheitsrisiko besteht. Die Ausführungen der BfR-Begutachtung bestätigen das, auch wenn sie sich nur zu spezielleren Fragen äußern. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Kinder im Alter bis zu drei Jahren. Für diese ist das Produkt zwar nicht bestimmt. Es ist allerdings berechtigt, dass der Beklagte Wert darauf legt, auch diese Altersgruppe zu berücksichtigen. Auch im Hinblick auf den Schutz dieser Altersgruppe ist aber das Verkehrsverbot nicht verhältnismäßig. Dafür ist maßgeblich, dass das Produkt nach seiner Zweckbestimmung für Kinder ab drei Jahren bestimmt ist. Zwar ist absehbar, dass jüngere Kinder mit dem Produkt bei dessen bestimmungsmäßigen Gebrauch in Berührung kommen könnten, insbesondere durch Geschwisterkinder. Jedoch ist die Wahrscheinlichkeit einer solchen Berührung im Verhältnis zum zweckentsprechenden Gebrauch gering, insbesondere die Wahrscheinlichkeit einer häufigeren oder regelmäßigen Berührung mit dem Produkt. Nach den Werten, die sich aus der BfR-Begutachtung ergeben, würde zudem selbst bei Kindern bis zu drei Jahren, für die das Durchschnittsgewicht von 7,5 kg angesetzt ist, der ADI erst ausgeschöpft, wenn bei einer Borlässigkeit von 300 mg/kg täglich eine Menge von 2 000 mg, also 2 g des Produkts, aufgenommen würde. Erst dann wäre überhaupt mit einem gesundheitlichen Effekt zu rechnen. Selbst wenn berücksichtigt wird, dass auch Kinder bis zu drei Jahre, für die das Produkt nicht bestimmt ist, von dem Knetschleim etwas verschlucken könnten, und dass es zudem eine Hintergrundbelastung gibt, ist es so unwahrscheinlich, dass eine Menge von 2 g oder mehr regelmäßig oder auch nur wiederholt verschluckt wird, dass ein Verkehrsverbot als Maßnahme jedenfalls nicht als angemessen zu bewerten ist.
Wenn man Artikel 16 Absatz 1 Buchstabe b (Nichtkonformität) neben oder anstelle von Buchstabe a als anwendbar ansähe, erwiese sich das Verkehrsverbot aus den angeführten Gründen jedenfalls wegen der dargestellten Unverhältnismäßigkeit als rechtswidrig. Diese Bewertung bedeutet nicht, dass der Beklagte ohne Möglichkeiten bliebe, gegen Konformitätsverstöße einzuschreiten, die nicht zur einer Gesundheitsgefahr führen. Denn diesen ließe sich etwa durch Kennzeichnungspflichten, Warnhinweise, oder gegebenenfalls Verlaufskontrollen begegnen.
Der Beklagte stützt sich außerdem auf das Produktsicherheitsgesetz, ursprünglich auf § 26 Absatz 2 Nummer 4 beziehungsweise Nummer 6 ProdSG, aktuell auf § 25 Absatz 7 in Verbindung mit § 6 Absatz 2.
Im deutschen Recht dienen das Produktsicherheitsgesetz a.F. (vom 8. November 2011) und das Produktsicherheitsgesetz vom 27. Juli 2021 sowie die Verordnung über die Sicherheit von Spielzeug (vom 7. Juli 2011 - das ist die Zweite Verordnung zum Produktsicherheitsgesetz) der Umsetzung der Richtlinie 2009/48/EG "des Europäischen Parlaments und des Rates vom 18. Juni 2009 über die Sicherheit von Spielzeug".
Der Bescheid ist nach aktuellem Produktsicherheitsrecht rechtswidrig.
Nach § 25 Absatz 7 ProdSG können die Marktüberwachungsbehörden im Einzelfall gegenüber dem Wirtschaftsakteur die erforderlichen Maßnahmen zur Erfüllung der ihm auferlegten Pflichten nach § 6 oder § 24 anordnen. Der Beklagte nimmt insoweit § 6 Absatz 2 als Rechtsgrundlage in Anspruch. Nach § 6 Absatz 2 ProdSG haben der Hersteller, sein Bevollmächtigter und der Einführer jeweils im Rahmen ihrer Geschäftstätigkeit Vorkehrungen für geeignete Maßnahmen zur Vermeidung von Risiken zu treffen, die mit dem Verbraucherprodukt, das sie auf dem Markt bereitgestellt haben, verbunden sein können; die Maßnahmen müssen den Produkteigenschaften angemessen sein und können bis zur Rücknahme, zu angemessenen und wirksamen Warnungen und zum Rückruf reichen. Diese Tatbestandsvoraussetzungen liegen vor. Bereitstellung auf dem Unionsmarkt ist nach § 2 Nummer 4 ProdSG jede entgeltliche oder unentgeltliche Abgabe eines Produkts zum Vertrieb, zum Verbrauch oder zur Verwendung auf dem Unionsmarkt im Rahmen einer Geschäftstätigkeit. Einer solchen Bereitstellung steht weder die freiwillige Sperre noch das Verkehrsverbot entgegen. Denn der Beklagte hat in der mündlichen Verhandlung mit Recht darauf hingewiesen, dass das Verkehrsverbot erst ausgesprochen wurde, nachdem die Klägerin das Produkt bereits auf dem Markt bereitgestellt hatte - nicht dagegen etwa präventiv. Dass in § 6 Absatz 2 ProdSG ein Bereitstellen auf dem "Markt", nicht auf dem "Unionsmarkt", geregelt wird, ist dabei unbeachtlich. Denn Bereitstellen auf dem Markt muss dasselbe bedeuten wie Bereitstellen auf dem Unionsmarkt, beziehungsweise "Markt" dasselbe wie "Unionsmarkt". Das folgt darauf, dass zum einen das Wort "Unionsmarkt" nur bei den Begriffsbestimmungen in § 2 ProdSG verwendet wird, sonst heißt es im Produktsicherheitsgesetz nur "Markt", und dass zum anderen diese insgesamt vier Begriffsbestimmungen in § 2 Nummer 4, 9, 16 und 23 ProdSG anderenfalls alle leerliefen. Die Risiken, die mit dem Verbraucherprodukt, das sie auf dem Markt bereitgestellt haben, verbunden sein können, entsprechen denjenigen, die zu Artikel 16 VO 2019/1020 erörtert worden sind. Denn das Tatbestandsmerkmal "Risiken" ist unter Beachtung des oben erörterten einschlägigen Unionsrechts anzuwenden. Das Verkehrsverbot ist unverhältnismäßig, weil es aus denselben Gründen unangemessen ist, die im Rahmen von Artikel 16 VO 2019/1020 zu einer Unangemessenheit geführt haben.
Der Beklagte hat sich nicht darauf gestützt, dass auch § 6 Absatz 5 ProdSG eine Pflicht regelt, die nach § 25 ProdSG durchzusetzen sein kann. Das Gericht hat diese Regelung nicht von Amts wegen zu berücksichtigen, um festzustellen, ob das Verkehrsverbot sich aus diesem anderen Grund als rechtmäßig erweist. Denn da es sich bei § 25 Absatz 7 ProdSG um eine Ermessensvorschrift handelt, hat das Gericht nach § 114 VwGO nur diejenigen Erwägungen zu berücksichtigen, die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergänzt worden sind.
Schließlich stützt sich der Beklagte auf § 39a Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 ("zur Verhütung künftiger Verstöße") in Verbindung mit Satz 1 des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB). § 39a LFGB ist mit Wirkung vom 10. August 2021 durch Artikel 1 Nummer 27 des Gesetzes vom 27. Juli 2021 eingefügt worden. Das Gericht sieht Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 nur als ein Regelbeispiel für eine Maßnahme; weitere Eingriffsvoraussetzungen sind dort nicht geregelt. Nach § 39a Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 LFGB können die zuständigen Behörden "insbesondere" das Herstellen, Behandeln oder Inverkehrbringen von in Satz 1 genannten Erzeugnissen verbieten oder beschränken. Die Bezugnahme auf Satz 1 dürfte für eine Begründung einer Eingriffsentscheidung zu unkonkret sein, weil Satz 1 eine Vielzahl von Voraussetzungen enthält. § 39a Absatz 1 Satz 1 regelt, dass die für die Überwachung von Mitteln zum Tätowieren, kosmetischen Mitteln und Bedarfsgegenständen im Sinne von § 2 Absatz 6 Satz 1 Nummer 2 bis 9 LFGB zuständigen Behörden die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen treffen, die für die in § 39a Absatz 1 Satz 1 Nummer 1 bis 4 angeführten Zwecke erforderlich sind. Auch diese in Satz 1 genannten Zwecke sind Kernelement der Eingriffsvoraussetzung. Da es sich bei § 39a Absatz 1 LFGB nicht um eine Ermessensvorschrift handelt, prüft das Gericht von Amts wegen, ob das Verkehrsverbot sich aus anderen Gründen als rechtmäßig erweist, beziehungsweise welche konkreten Gründe des § 39a Absatz 1 LFGB das Verkehrsverbot tragen. Die Eingriffsgrundlage ist unter Berücksichtigung dieser Erwägungen § 39a Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 (Schutz vor Gefahren für die Gesundheit), in Verbindung mit Satz 2 Nummer 3 LFGB. § 39a Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 geht den anderen Nummern als Spezialregelung vor (s.o. zum EU-Recht). Die Auffassung, dass diese Variante überflüssig sei, weil sich die Befugnis bereits aus § 39 Absatz 1 Satz 1 a.F. ergebe (Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, 183. EL März 2022, § 39 Rdnr. 23), ist durch die Neufassung überholt; sie dürfte zudem übersehen haben, dass es sich bei § 39 Absatz 1 Satz 1 ProdSG a.F. nicht um eine Befugnisnorm, sondern um eine Aufgabenzuweisung handelte. Nach § 39a Absatz 1 Nummer 4 LFGB treffen die für die Überwachung von Mitteln zum Tätowieren, kosmetischen Mitteln und Bedarfsgegenständen im Sinne von § 2 Absatz 6 Satz 1 Nummer 2 bis 9 zuständigen Behörden die notwendigen Anordnungen und Maßnahmen, die zum Schutz vor Gefahren für die Gesundheit oder vor Täuschung erforderlich sind. Als Anordnung kann nach § 39a Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 insbesondere das Herstellen, Behandeln oder Inverkehrbringen von in Satz 1 genannten Erzeugnissen verboten oder beschränkt werden. Spielwaren sind nach § 39a Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 2 Absatz 6 Nummer 5 LFGB Erzeugnisse in diesem Sinn. Für eine Anordnung nach diesen Vorschriften fehlt es jedoch an einer Gefahr für die Gesundheit.
Eine Gefahr im Sinn des § 39a Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 ProdSG n.F. liegt aus den entsprechenden Gründen vor, die zu Artikel 16 VO 2019/1020 erörtert worden sind. Denn auch für die Auslegung des Begriffs der Gefahr in § 39a LFGB ist EU-Recht zu beachten. Im Lebens- und Futtermittelgesetzbuch wird zwischen Gefahren und Risiken als Eingriffsvoraussetzungen oder als sonstigen Tatbestandsvoraussetzungen unterschieden. § 39a Absatz 1 Satz 2 Nummer 6 Buchstabe b und § 40 Absatz 1 Satz 2 Nummer 1 regeln ein Risiko für die menschliche Gesundheit als Eingriffsvoraussetzung, § 39a Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 und § 50 dagegen Gefahren für die menschliche Gesundheit, § 58 Absatz 5 Satz 2 Nummer 2 die Gefahr des Todes oder einer schweren Schädigung an Körper oder Gesundheit, § 60 Absatz 3 eine Gefahr für die menschliche Gesundheit als Voraussetzung für eine Ausnahme. Nach § 1 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 und Absatz 4 Nummer 1 ist die Vorbeugung gegen Gefahr für die menschliche Gesundheit oder die Abwehr einer solchen Gefahr Zweck des Gesetzes. Das folgt der bereits erörterten Verwendung der Begriffe Gefahr und Risiko im EU-Recht in der VO 2019/1020 und in der RL 2009/48 (s.o.).
Sowohl bei einer Beurteilung nach § 39a Absatz 1 Satz 1 Nummer 4 als auch, wenn neben Nummer 4 noch Raum für die Anwendung von § 39a Absatz 1 Satz 1 Nummer 3 LFGB bleibt, ist das Verkehrsverbot rechtswidrig, weil es unter diesem Aspekt unverhältnismäßig ist. Auch bei einer zwingenden Eingriffsnorm wie § 39a Absatz 1 Satz 1 LFGB muss die Behörde den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten (z.B. Sosnitza/Meisterernst, Lebensmittelrecht, Stand 183. EL März 2022, § 39 Rdnr. 15a m.w.N.). Die Maßnahmen nach dem Katalog des § 39a Absatz 1 Satz 2 dürfen nur mit dieser Maßgabe gewählt werden. Das Verkehrsverbot ist aus den bereits angeführten Gründen nicht angemessen, und damit auch nicht notwendig im Sinn des § 39a Absatz 1 Satz 1 LFGB, weil bei bestimmungsmäßiger und vorhersehbarer Verwendung des Knetschleims kein beziehungsweise kein erhebliches Risiko für die Gesundheit entsteht, auch wenn der strengere Migrationsgrenzwert von 300 mg/kg zugrunde gelegt wird.
Das Verkehrsverbot ist auch nicht nach § 8 des Marktüberwachungsgesetzes (vom 9. Juni 2021 - MüG) rechtmäßig. Nach § 8 Absatz 2 MüG gelten die Marktüberwachungsmaßnahmen nach Artikel 16 Absatz 1 bis 6 VO 2019/1020 entsprechend für Produkte im Sinne des § 1 Absatz 2 MüG. Die Marktüberwachungsbehörden ergreifen auch in den Fällen des Artikels 28 Absatz 1 und 2 VO 2019/1020 Maßnahmen gemäß Artikel 16 Absatz 1 VO2019/1020. Artikel 19 Absatz 1 Satz 1 VO 2019/1020 ist auf Produkte im Sinne des § 1 Absatz 2 MÜG entsprechend anzuwenden. Spielzeug fällt in den Anwendungsbereich des § 8 Absatz 2 MüG, denn nach § 1 Absatz 2 MüG gilt das Marktüberwachungsgesetz für Produkte im Anwendungsbereich des Produktsicherheitsgesetzes. Das Produktsicherheitsgesetz ist nach § 1 Absatz 1 ProdSG anzuwenden, wenn im Rahmen einer Geschäftstätigkeit Produkte auf dem Markt bereitgestellt, ausgestellt oder erstmals verwendet werden. Spielwaren sind Produkte in diesem Sinn; das wird dadurch bestätigt, dass das Produktsicherheitsgesetz unter anderem der Umsetzung der Richtlinie 2009/48 dient. Damit gelten für die Maßnahmen nach § 8 MüG dieselben Voraussetzungen wie für Maßnahmen, die unmittelbar auf Artikel 16 VO 2019/1020 gestützt sind. Dazu, dass das Verkehrsverbot nach Artikel 16 VO 2019/1020 nicht rechtmäßig ist, ist oben bereits ausgeführt worden. Entsprechendes gilt hier.
Auf die Frage der Kategorisierung kommt es nach alledem nicht an.
Da das Verkehrsverbot rechtswidrig ist, sind auch die Nebenentscheidungen rechtswidrig.
Das Gericht hat dem Europäischen Gerichtshof nicht die Fragen vorzulegen, ob der Knetschleim der Klägerin unter Kategorie I oder II von Anhang II Teil III Nummer 13 der EU-Spielzeugrichtlinie einzustufen ist und nach welchem Maßstab die Kategorisierung vorzunehmen ist. Denn diese Fragen beziehen sich nicht auf die Auslegung von EU-Vorschriften, sondern auf deren konkrete Anwendung.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Absatz 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO in Verbindung mit § 708 Nummer 11 und § 711 ZPO.
Gründe für eine Zulassung der Berufung nach § 124 Absatz 2 Nummer 3, 4 in Verbindung mit § 124a Absatz 1 Satz 1 VwGO liegen nicht vor.