Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 09.12.1999, Az.: 6 A 271/98

Laufende Hilfe zum Lebensunterhalt; Kürzung des Regelsatzes für Haushaltsvorstände und Alleinstehende; Unverhältnismäßiger Eingriff in die Lebensführung eines Sozialhilfeempfängers; Eigene Vorsorge für den täglichen Ernährungsbedarf

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
09.12.1999
Aktenzeichen
6 A 271/98
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 19721
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOSNAB:1999:1209.6A271.98.0A

Fundstellen

  • ZfF 2001, 160-161
  • info also 2002, 38

Verfahrensgegenstand

Sozialhilfe

Prozessführer

Frau A. B., C.

Proz.-Bev.: Rechtsanwalt Klaus Dieter Wrocklage, Lotter Str. 10, 49078 Osnabrück

Prozessgegner

Landkreis Osnabrück, Am Schölerberg 1, 49082 Osnabrück

Proz.-Bev.: Stadt Georgsmarienhütte, Oeseder Str. 85, 49124 Georgsmarienhütte

Redaktioneller Leitsatz

Soweit ein Hilfesuchender anderweitige Leistungen erhält, die zur Deckung des sozialhilferechtlichen Bedarfs geeignet und bestimmt sind, handelt es sich um geldwerte Einkünfte im Sinne des § 76 Abs. 1 BSHG, welche gemäß § 11 BSHG auf den Bedarf anzurechnen sind. Keine Frage der Anrechnung von Einkommen ist es dagegen, wenn ein Hilfesuchender die Möglichkeit, Leistungen von Dritten zu erhalten, nicht in Anspruch nimmt, weil immer nur tatsächliche Zuflüsse angerechnet werden können.

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Verwaltungsgericht Osnabrück - 6. Kammer -
auf die mündliche Verhandlung
am 09. Dezember 1999
durch
den Vorsitzenden Richter am Verwaltungsgericht Dr. Thies als Einzelrichter
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Bescheid der Stadt Georgsmarienhütte vom 07.04.1998 wird hinsichtlich der damit angeordneten Kürzung des Regelsatzes für Haushaltsvorstände und Alleinstehende um 20 v. H. für die Zukunft in vollem Umfang und für die Vergangenheit mit Wirkung vom 01.05.1998 insoweit aufgehoben, als die Kürzung über den der Teilnahme der Klägerin am Mittagessen der Beschützenden Werkstatt Sutthausen entsprechenden Anteil hinausgegangen ist. Ferner werden der Bescheid der Stadt Georgsmarienhütte vom 03.06.1998, soweit damit der Antrag der Klägerin, von einer Kürzung des Regelsatzes abzusehen, abgelehnt worden ist, sowie der Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 20.08.1998 aufgehoben.

Der Beklagte wird verpflichtet, der Klägerin zukünftig laufende Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Kürzung des Regelsatzes zu gewähren.

Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklage kann die vorläufige Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in entsprechender Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die am 02.01.1969 geborene Klägerin erhält seit dem 01.04.1998 laufende Hilfe zum Lebensunterhalt. Dabei wurde der Regelsatz für Haushaltungsvorstände in Höhe von seinerzeit 539,- DM gemäß Bescheid der Stadt Georgsmarienhütte vom 07.04.1998 um 20 % (= 107,80 DM) "bis auf weiteres" gekürzt, weil die Klägerin als Mitarbeiterin der Behindertenwerkstatt der Heilpädagogischen Hilfe Osnabrück das arbeitstägliche Mittagessen in der Kantine der Werkstatt einnahm. Unter Berücksichtigung ihres Arbeitseinkommens ergab sich ein Hilfebetrag in Höhe von monatlich 499,81 DM.

2

Mit Schreiben vom 21.04.1998 - beim Sozialamt eingegangen am 06.05.1998 - beantragte die Klägerin, von der Kürzung des Regelsatzes künftig abzusehen. Zur Begründung gab sie an, daß sie ab sofort an dem Mittagessen in der Kantine nicht mehr teilnehme, weil sie sich abends lieber selber etwas koche. Sie legte dazu eine Bescheinigung der Behindertenwerkstatt vor, nach der sie ab 01.05.1998 nicht mehr am Mittagessen in der Einrichtung teilnahm.

3

Unter dem 03.06.1998 erging auf Grund einer Neuberechnung (Berücksichtigung einer Hausratsversicherung) für den Zeitraum ab 01.04.1998 ein erneuter Bescheid, mit dem die Hilfe zum Lebensunterhalt auf monatlich 506,23 DM festgesetzt wurde. Den Antrag auf Aufhebung der Kürzung des Regelsatzes lehnte die Stadt Georgsmarienhütte mit der Begründung ab, daß das Mittagessen tatsächlich aus persönlichen Gründen nicht eingenommen werde und somit weiterhin eine entsprechende häusliche Ersparnis vorliege.

4

Die Klägerin legte dagegen mit der Begründung Widerspruch ein, daß sie für die Zubereitung ihres Mittagessens auch einkaufen müsse und insofern keine häusliche Ersparnis habe.

5

Der Beklagte wies den Widerspruch nach Beratung der Angelegenheit mit sozial erfahrenen Personen gemäß § 114 Abs. 2 BSHG durch Bescheid vom 20.08.1998 mit folgender Begründung zurück: Gemäß § 2 Abs. 1 BSHG erhalte Sozialhilfe nicht, wer sich selbst helfen könne oder die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhalte. Laufende Leistungen zum Lebensunterhalt würden gemäß § 22 Abs. 1 BSHG nach Regelsätzen gewährt. Sie seien abweichend von den Regelsätzen zu bemessen, soweit dies nach den Besonderheiten des Einzelfalles geboten sei. In der Beschützenden Werkstatt, in der die Klägerin tätig sei, werde täglich ein Mittagessen angeboten. Diese Besonderheit sei bei den Regelsatzleistungen zu bedenken. Nach der Rechtsprechung des OVG Lüneburg sei eine Kürzung des maßgeblichen Regelsatzes um 20 % angemessen. Zwar sei die Entscheidung der Klägerin, zu welcher Tageszeit sie ihre Hauptmahlzeit einnehmen wolle, zu respektieren. Dies könne jedoch nicht dazu führen, daß höhere Sozialleistungen erbracht würden. Sozialhilfe sei nach der Rechtsprechung des BVerwG nicht zu gewähren, wenn ein Hilfesuchender ausdrücklich erkläre, einen ihm zustehenden Anspruch nicht durchsetzen zu wollen, obwohl ihm dies zugemutet werden könne. Der Klägerin sei durchaus zuzumuten, an den Mittagessen der Beschützenden Werkstatt Sutthausen, die nach Umfang und Qualität durchaus einer gesunden Ernährung entsprächen, teilzunehmen.

6

Die Klägerin hat dagegen am 21.09.1998 Klage erhoben, zu deren Begründung sie vorträgt: Die Kürzung sei sowohl dem Grunde als auch, was hilfsweise geltend gemacht werde, der Höhe nach ungerechtfertigt. - Der Beklagte könne sie nicht darauf verweisen, an den Mahlzeiten in der Behindertenwerkstatt teilzunehmen und dadurch Sachleistungen Dritter entgegenzunehmen. Sie habe jedoch einen Anspruch auf Geldleistungen und sei nicht verpflichtet, sich Sachleistungen Dritter anrechnen zu lassen. Es bestehe keine Verpflichtung für sie, angebotene Mahlzeiten entgegenzunehmen bzw. Mittagsmahlzeiten einzunehmen, wenn sie dies nicht wünsche, sondern stattdessen ihre Hauptmahlzeiten zu anderen Tageszeiten einnehmen wolle. Die gegenteilige Ansicht des Beklagten widerspreche dem Grundsatz des § 1 Abs. 2 BSHG. Es entspreche der Würde des Menschen, selbst und unbeeinflußt zu bestimmen, wann und wo er seine Mahlzeiten einnehme. Dahinter habe die Verpflichtung zur Selbsthilfe zurückzustehen. § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG beinhalte im übrigen keine sozialpädagogische Maßnahme, wie dies etwa bei § 25 BSHG der Fall sei. Durch die Kürzung des Regelsatzes sei sie gezwungen, entgegen ihrem Willen und ihrer Gewohnheit zumindest hin und wieder Hauptmahlzeiten mittags statt abends einzunehmen. Das angebotene Essen finde zudem nicht immer ihren Geschmack. - Unabhängig davon sei die Kürzung eine unzumutbare Harte für sie. Sie habe verschiedene Schulden, die sie zu bedienen habe und für die sie den vollen Betrag der Sozialhilfe benötige. Für eine Mietkaution, die noch in Höhe von 590,- DM offen sei, müsse sie monatlich 50,- DM zurückzahlen. Für die Anschaffung von Möbeln sowie eines Fernsehers seien monatliche Raten von 80,- bzw. 36,- DM aufzubringen. Diese monatlichen Belastungen seien aus einem anzuerkennenden individuellen Bedarf entstanden und nach dem Grundsatz der Individualisierung gemäß § 3 Abs. 1 BSHG bei der Hilfegewährung zu berücksichtigen. - Sie arbeite in der Kantine der Berufsbildenden Schulen am Pottgraben in Osnabrück. Die dort angebotenen Mittagsmahlzeiten entfielen in den Ferienzeiten. Diese Zeiten, für die ein Kürzung nicht begründbar sei, seien in den angefochtenen Bescheiden nicht berücksichtigt. Ferner sei bei ihrem Bedarf unberücksichtigt geblieben, daß sie als Schwerbehinderte mit dem Merkzeichen G anerkannt sei. - Bei Hilfen in besonderen Lebenslagen gemäß § 28 BSHG würden Eigenleistungen nur nach den tatsächlichen Gegebenheiten berechnet. Dies führe dazu, daß bei Teilnahme an Mahlzeiten, wenn diese als Leistungen Dritter angerechnet würden, geringere Beträge berechnet würden als der Pauschalabzug in ihrem Falle. Eine solche Bevorzugung sei sachlich nicht gerechtfertigt.

7

Die Klägerin beantragt,

  1. a)

    den Bescheid der Stadt Georgsmarienhütte vom 07.04.1998 bezüglich der Kürzung des Regelsatzes für die Zukunft in vollem Umfang und für die Vergangenheit insoweit aufzuheben, als damit der Regelsatz auch insoweit gekürzt worden sei, als sie an der Kantinenverpflegung der Beschützenden Werkstatt Sutthausen nicht teilgenommen habe;

  2. b)

    den Bescheid der Stadt Georgsmarienhütte vom 03.06.1998, soweit damit ihr Antrag auf Auszahlung des ungekürzten Regelsatzes abgelehnt worden sei, sowie den Widerspruchsbescheid des Beklagten vom 20.08.1998 aufzuheben und

  3. c)

    den Beklagten zu verpflichten, ihr mit Wirkung für die Zukunft laufende Hilfe zum Lebensunterhalt ohne Kürzung des Regelsatzes zu gewähren.

8

Der Beklagte beantragt im wesentlichen aus den Gründen des Widerspruchsbescheides, die Klage abzuweisen.

9

Ergänzend macht er geltend: Die Sozialhilfe diene nicht dazu, einen Hilfesuchenden von seinen Schuldverbindlichkeiten zu entlasten. Ein etwaiger Anspruch auf einmalige Beihilfe hätte vor Behebung der Notlage mit dem zuständigen Sachbearbeiter geklärt werden müssen. Auch § 3 Abs. 1 Satz 1 BSHG könne eine möglicherweise versäumte Antragstellung nicht heilen. - Da nicht voraussehbar sei, wann und wie lange ein Hilfeempfänger eine Einrichtung zur teilstationären Betreuung in Ferienzeiten nicht besuche, sei dies entsprechend nachzuweisen. Bei Vorlage einer entsprechenden Bescheinigung werde für diese Zeiten Sozialhilfe nachbewilligt. - Der behinderungsbedingte Mehrbedarf gemäß § 23 Abs. 1 Ziff. 2 BSHG sei durch Bescheid vom 04.09.1998 mit Wirkung ab Antragstellung nachbewilligt worden.

10

Wegen des weiteren Sachverhalts wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

11

Die Parteien haben sich mit einer Entscheidung durch den Einzelrichter einverstanden erklärt (§ 87 a Abs. 2 VwGO).

Entscheidungsgründe

12

Die Klage ist begründet.

13

Bei dem angefochtenen Bescheid der Stadt Georgsmarienhütte vom 07.04.1998 handelt es sich hinsichtlich der damit ausgesprochenen Kürzung des Regelsatzes um einen Dauerverwaltungsakt: Dies folgt daraus, daß sich sein Regelungsgehalt insoweit nicht auf den Monat April 1998 als aktuellen Bewilligungszeitraum beschränkt, sondern in die Zukunft wirkt (vgl. LPK-BSHG, 5. Aufl., Anhang III Rz. 52). Im Bescheid kommt dies in der Weise zum Ausdruck, daß die Kürzung bis auf weiteres gelten soll. Damit ist im Sinne der Ablehnung eines begünstigenden Verwaltungsaktes unter der Voraussetzung fortbestehender Hilfebedürftigkeit im übrigen geregelt, daß die Hilfegewährung (auch) in Zukunft nur mit entsprechender Kürzung des Regelsatzes gewährt, in Höhe des Kürzungssatzes also abgelehnt werde. Demzufolge handelt es sich vorliegend um eine Verpflichtungsklage, die auf den Erlaß eines die Kürzung betreffenden Aufhebungsbescheides gerichtet ist. Dabei hat die Klägerin, soweit es um den vergangenen Kürzungszeitraum geht, zulässigerweise lediglich die teilweise Aufhebung der Bescheide vom 07.04. und 03.06.1998 nach Maßgabe ihrer Teilnahme an der Gemeinschaftsverpflegung beantragt, während die Bezifferung dieses Betrages einem gesonderten Verwaltungsverfahren vorbehalten bleiben soll. Dies beinhaltet die Verpflichtung des Beklagten dem Grunde nach, laufende Hilfe in entsprechender Höhe nachzubewilligen. Darüber ist - wegen der Beschränkung des Antrages - nicht durch Zwischen-, sondern durch Endurteil zu entscheiden (vgl. dazu Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner,VwGO, Stand: März 1999, § 111 Rz. 5).

14

Die Klägerin hat einen Anspruch darauf, daß ihr laufende Hilfe zum Lebensunterhalt grundsätzlich ohne Kürzung des Regelsatzes für Alleinstehende gewährt wird.

15

Gemäß § 11 Abs. 1 BSHG ist Hilfe zum Lebensunterhalt demjenigen zu gewähren, der seinen notwendigen Lebensunterhalt nicht oder nicht ausreichend aus eigenen Mitteln, vor allem aus seinem Einkommen und Vermögen, beschaffen kann. Dabei gehört zum notwendigen Lebensunterhalt besonders Ernährung, Unterkunft, Kleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und persönliche Bedürfnisse des täglichen Lebens (§ 12 BSHG). Unter den Parteien besteht Einvernehmen darüber, daß bei der Klägerin dem Grunde nach Bedürftigkeit in diesem Sinne gegeben ist.

16

Gemäß § 21 Abs. 1 BSHG kann Hilfe zum Lebensunterhalt durch laufende und einmalige Leistungen gewährt werden. Laufende Leistungen, um die es hier geht, werden gemäß § 22 Abs. 1 Satz 1 BSHG grundsätzlich nach Regelsätzen gewährt, können jedoch abweichend davon bemessen werden, wenn dies nach der Besonderheit des Einzelfalles geboten ist (Satz 2). Damit wird dem Individualisierungsgrundsatz des § 3 BSHG Rechnung getragen. In erster Linie dient die Vorschrift des § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG dazu, durch Regelsatzerhöhung einem laufenden Bedarf Rechnung zu tragen, der bei der generalisierenden Bemessung der Regelsatzleistungen nicht berücksichtigt wurde und wegen seiner Einzelfallabhängigkeit auch nicht berücksichtigt werden konnte. Darüber hinaus wird unter entsprechenden Voraussetzungen überwiegend auch eine Regelsatzsenkung für zulässig gehalten (vgl. BVerwG, U. v. 16.01.1986 - 5 C 72/84 - FVES 35, 271 = NVwZ 1986, 380; - 12.1994 - 5 C 55/92 - FVES 45, 401; Schellhorn/Jirasek/Seipp, BSHG, 15. Aufl., § 22 Rz. 13; Mergler/Zink, BSHG, 4. Aufl., Stand: April 1999, § 22 Rz. 16 ff.; ferner BVerwG, B. v. 30.12.1996 - 5 B 47/96 - FVES 47, 337; abl. LPK-BSHG, 5. Aufl. § 22 Rz. 20).

17

Der Beklagte leitet bei der Klägerin besondere Umstände für eine Kürzung des Regelsatzes daraus her, daß diese ihre Mittagsmahlzeit an den Wochentagen Montag bis Freitag außerhalb der Ferienzeit kostenlos in der von den Gemeinnützigen Werkstätten des Osnabrücker Landes GmbH betriebenen Kantine einnehmen könne. Ob auch für eine solche Fallgestaltung die Regelung des § 22 Abs. 1 Satz 2 BSHG einschlägig ist, erscheint zweifelhaft, weil nicht einem ausnahmsweise niedrigeren Ernährungsbedarf, als er dem betreffenden Regelsatzanteil entspricht, Rechnung getragen werden soll. Diese Frage kann hier jedoch offen bleiben, weil auch unter Berücksichtigung dieser Besonderheit keine von den Regelsätzen abweichende Bemessung der laufenden Leistungen im Sinne des Gesetzes geboten ist.

18

Bei der Klägerin geht es darum, inwieweit ihr Ernährungsbedarf durch Leistungen Dritter gedeckt ist bzw. gedeckt werden kann. Soweit ein Hilfesuchender anderweitige Leistungen erhält, die zur Deckung des sozialhilferechtlichen Bedarfs geeignet und bestimmt sind, handelt es sich um geldwerte Einkünfte im Sinne des § 76 Abs. 1 BSHG, welche gemäß § 11 BSHG auf den (vorhandenen) Bedarf anzurechnen sind (vgl. LPK-BSHG, § 76 Rz. 4 f.; Schellhorn/Jirasek/Seipp, aaO, § 76 Rz. 10). Nimmt dagegen ein Hilfesuchender die Möglichkeit, Leistungen von Dritten zu erhalten, nicht in Anspruch, so ist dies nicht mehr eine Frage der Anrechnung von Einkommen, weil immer nur tatsächliche Zuflüsse angerechnet werden können (vgl. LPK-BSHG, § 76 Rz. 12; Schellhorn/Jirasek/Seipp, aaO, § 76 Rz. 11). Vielmehr ist der allgemeine Nachranggrundsatz gemäß § 2 Abs. 1 BSHG betroffen. Danach erhält keine Sozialhilfe, wer sich selbst helfen kann oder die erforderliche Hilfe von anderen, besonders von Angehörigen oder von Trägern anderer Sozialleistungen erhält.

19

Im vorliegenden könnte die Klägerin kostenloses Kantinenessen der Behindertenwerkstatt in Anspruch nehmen und dadurch ihren Ernährungsbedarf insoweit ohne Inanspruchnahme der Sozialhilfe decken. Ob dies eine Möglichkeit der Selbsthilfe darstellt, auf die sie von Rechts wegen verwiesen werden kann, hängt davon ab, inwieweit es ihr zuzumuten ist, davon Gebrauch zu machen. Um die Auszahlung des ungekürzten Regelsatzes beanspruchen zu können, bedürfte die Klägerin für die Nichtinanspruchnahme des Kantinenessens eines Rechtfertigungsgrundes, welcher bei Abwägung mit dem vom Träger der Sozialhilfe wahrzunehmenden öffentlichen Interesses an einem sparsamen Umgang mit allgemeinen Steuermitteln den Vorrang verdient (vgl. BVerwG, U. v. 05.05.1983 5 C 112/881 - NJW 1983, 2954 <2955 f.>[BVerwG 05.05.1983 - 5 C 112/81]). - Gemäß § 4 Abs. 2 BSHG ist über Form und Maß der Sozialhilfe nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Dieses Ermessen ist durch die bereits angesprochene Regelung des § 3 BSHG gebunden. Danach richten sich Art, Form und Maß der Sozialhilfe insbesondere nach der Person des Hilfeempfängers und der Art des Bedarfs (Abs. 1) sowie den sich auf die Gestaltung der Hilfe richtenden Wünschen des Hilfeempfängers, denen entsprochen werden soll, soweit sie angemessen sind (Abs. 2). In diesem Zusammenhang fällt der Grundsatz des § 1 Abs. 2 Satz 1 BSHG maßgeblich ins Gewicht, wonach dem Empfänger von Sozialhilfe ermöglicht werden soll, ein Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. Dazu gehört, daß einem erwachsenen Menschen die Möglichkeit gelassen wird, im Rahmen der ihm nach dem Gesetz zustehenden Mittel seine Bedarfsdeckung frei zu gestalten. Diesem Erfordernis wird im Regelfall dadurch entsprochen, daß die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Form von Geld gewährt, also im Ganzen ausgezahlt wird (vgl. BVerwG, U. v. 16.01.1986 - 5 C 72/84 - FVES 35, 271 = NVwZ 1986, 380).

20

Eine Abwägung nach den vorstehenden Grundsätzen ergibt im vorliegenden Falle, daß den privaten Belangen der Klägerin gegenüber dem öffentlichen Interesse der Vorrang gebührt. Zwar würden öffentliche Mittel eingespart, wenn die Klägerin ihre arbeitstägliche Mittagsmahlzeit kostenlos in der Kantine der Beschützenden Werkstatt einnähme. Dem stehen jedoch angemessene, nicht mit unverhältnismäßigen Mehrkosten verbundene Wünsche der Klägerin im Sinne des § 3 Abs. 2 Sätze 1 und 3 BSHG gegenüber. Mit Rücksicht darauf, daß sich die beanspruchte Hilfe auf die Gewährung des (ungekürzten) Regelsatzes beschränkt, wie er üblicherweise zur Auszahlung gelangt, bedeutet es einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Lebensführung der Klägerin, wenn diese darauf verwiesen wird, ihren täglichen Ernährungsbedarfs zu einem Teil durch Entgegennahme als Sachleistung zu decken. Damit wird ihr nicht nur die Möglichkeit vorenthalten, über die Art und Weise, in der sie ihre tägliche Hauptmahlzeit zu sich nehmen will, frei zu entscheiden, sondern zugleich in die dem Sozialhilfeempfänger grundsätzlich zuzubilligende Dispositionsfreiheit eingegriffen, sich durch besondere Sparsamkeit in bestimmten Bereichen der Lebensführung (zusätzlichen) Spielraum für andere Bedürfnisse zu erschließen. Der Klägerin ist danach nicht verwehrt, einen Teil des Regelsatzes bei entsprechender Einschränkung ihres Ernährungsbedarfs für die Abzahlung bestimmter Anschaffungen zu verwenden.

21

Im Falle der Klägerin kommt hinzu, daß für sie als Schwerbehinderte die Möglichkeiten, ein selbstbestimmtes Leben zu führen, nicht unerheblich eingeschränkt sind. Vor diesem Hintergrund gewinnt die eigene Vorsorge für den täglichen Ernährungsbedarf zusätzliches Gewicht. Die Möglichkeit, sich in diesem Bereich eigenverantwortlich zu entfalten und dadurch den Tagesablauf zu strukturieren, würde nicht unmaßgeblich eingeschränkt, wenn die Klägerin auf Grund der Kürzung der Hilfeleistung gezwungen wäre, die Mittagsmahlzeit in der Kantine der Beschützenden Werkstatt einzunehmen. Damit erhält die Gewährung des ungekürzten Regelsatzes zugleich einen unmittelbaren Bezug zur Schwerbehindertenfürsorge als einer sozialstaatlichen Aufgabe und damit zu dem allgemeinen Sozialstaatsgrundsatz, welcher bei der Anwendung einfacher Gesetze als Auslegungsrichtinie zu beachten ist (vgl. Leibholz/Rinck/Hesselberger, Grundgesetz, 7. Aufl., Stand: Juni 1999, Art. 20 Rz. 271 u. 293).

22

Da die Klägerin beabsichtigt, sich zukünftig in vollem Umfang selbst zu verpflegen, ist ihr die laufende Hilfe zum Lebensunterhalt in Zukunft ungekürzt auszuzahlen. Dem trägt der auf die Zukunft gerichtete Verpflichtungsausspruch Rechnung. Sollten sich diesbezüglich Änderungen in der Lebensführung ergeben, die sich auf die Hilfebedürftigkeit auswirken, hätte die Klägerin dies gemäß § 60 Abs. 1 SGB I dem Sozialhilfeträger mitzuteilen.

23

Demgegenüber hat die Klägerin die vorgenommene Kürzung für die Vergangenheit insoweit hinzunehmen, als sie tatsächlich am Mittagessen in der Kantine der Beschützenden Werkstatt Sutthausen teilgenommen hat, weil es sich in diesem Umfang - wie ausgeführt - um anrechnungspflichtige Sacheinkünfte handelt, für deren Bewertung die in der Rechtsprechung des OVG Lüneburg (vgl. U. v. 08.09.1987 - 4 A 2/87 - FVES 39, 108) entwickelten Grundsätze gelten. Demzufolge war der Bescheid der Stadt Georgsmarienhütte vom 07.04.1998 - wie beantragt - (nur) insoweit aufzuheben, als die Kürzung darüber hinausgegangen ist.

24

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 188 Satz 2 VwGO nicht erhoben. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11,711 ZPO.

Dr. Thies