Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 05.12.1989, Az.: 10 WF 272/89

Sorgerecht für ein Kind nach dem iranischen Zivilgesetzbuch; Die gesetzliche Vormundschaft (walayat) und die Personensorge (hadanah) nach dem iranischen Recht; Vernachlässigung der körperlichen Gesundheit oder der moralischen Erziehung eines Kindes; Verletzung von Grundrechten bei Anwendung ausländischen Rechts

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
05.12.1989
Aktenzeichen
10 WF 272/89
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1989, 18880
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1989:1205.10WF272.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 06.11.1989 - AZ: 616 F 2121/89

Fundstellen

  • FamRZ 1990, 656-657 (Volltext mit amtl. LS)
  • IPRax 1991, 236-237 (Urteilsbesprechung von Prof. Dr. Michael Coester)
  • IPRax 1991, 258-259 (Volltext mit amtl. LS)
  • IPRspr 1989, 133

Verfahrensgegenstand

Übertragung der elterlichen Sorge für die Zeit des Getrenntlebens und Wohnungszuweisung

Erlaß einer einstweiligen Anordnung

Der 10. Zivilsenat - Senat für Familiensachen - des Oberlandesgerichts Celle hat
auf die sofortige Beschwerde des Antragsgegners
gegen den Beschluß des Amtsgerichts - Familiengerichts - Hannover vom 06.11.1989
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht K. sowie
die Richter am Oberlandesgericht R. und B.
am 5. Dezember 1989
beschlossen:

Tenor:

Der angefochtene Beschluß wird geändert.

  1. 1.

    Die Anträge auf Erlaß einer einstweiligen Anordnung auf Übertragung der elterliche Sorge für die minderjährigen Kinder A. M., geb. am 3.9.1978, und A. M., geb. am 19.12.1982, sowie auf Zuweisung der Ehewohnung Sch. St., H., zur alleinigen Nutzung an die Antragsstellerin werden zurückgewiesen.

  2. 2.

    Dem Antragsgegner wird unter Beiordnung von Rechtsanwalt B. in H. Prozeßkostenhilfe für das Beschwerdeverfahren bewilligt.

  3. 3.

    Der Antragstellerin wird unter Beiordnung von Rechtsanwältin T. in H. Prozeßkostenhilfe zur Verteidigung gegen die Beschwerde des Antragsgegners bewilligt.

  4. 4.

    Beschwerdewert: 3.000,- DM.

Gründe

1

I.

Die sofortige Beschwerde ist zulässig (§ 620 c Satz 1 ZPO). Da sie beim Amtsgericht eingelegt worden ist, genügt die Unterzeichnung durch einen dort zugelassenen Rechtsanwalt (OLG Bremen FamRz 1977, 399; OLG Frankfurt FamRz 1983, 156; Johannsen/Henrich/Sedemund/Treiber, EheR § 620 c ZPO, Rdn. 5).

2

II.

A.

Elterliche Sorge

3

1.

Das Amtsgericht - Familiengericht - H. und der Senat als Beschwerdegericht sind für das vorliegenden Verfahren örtlich und international zuständig, denn die Kinder und auch die weiteren Beteiligten habe ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Bezirk dieses Gerichts (Art. 1, 13 des Übereinkommens über die Zuständigkeit und das anzuwendende Recht auf dem Gebiet des Schutzes von Minderjährigen vom 5.10.1961 (MSA), BGBl. 1971 II, 217, 1150; vgl. dazu auch BGHZ 60, 68, 70[BGH 20.12.1972 - IV ZB 20/72]; BGHZ 89, 325). Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den Vertragsstaaten des Übereinkommens. Dabei geht eine Zuständigkeit nach Art. 1, 13 MSA bei Anordnungen nach § 620 Satz 1 Nr. 1 ZPO der internationalen Zuständigkeit im Zusammenhang mit dem Eheverfahren vor (BGH NJW 1984, 1302, 1304 [BGH 11.01.1984 - IVb ZR 41/82]) [BGH 11.01.1984 - IVb ZR 41/82].

4

2.

Die Rechtsverhältnisse der Eltern zu ihren Kindern richten sich trotz des MSA ausschließlich nach iranischem Recht. Dies folgt aus Art. 8, Abs. 3 des Niederlassungsabkommens zwischen dem Deutschen Reich und dem Kaiserreich Persien vom 17.2.1929 (Reichsgesetzblatt 1930, II. 1002, 1006), dessen Weitergeltung durch die Bekanntmachung über die deutsch-iranischen Vorkriegsverträge vom 15.8.1955 (BGBl. 1955, II. 829) bestätigt worden ist.

5

Das iranische Zivilgesetzbuch (ZGB) unterscheidet zwischen der gesetzlichen Vormundschaft (walayat) und der Personensorge (hadanah). Nach Art. 1180 ff. ZGB steht das walayat allein dem Vater zu und die hadanah nach Art. 1169 ZGB für Söhne bis zur Vollendung des 2. Lebensjahres der Mutter, ebenfalls für die weiblichen Kinder bis zum Erreichen eines Alters von 7 Jahren. Dies bedeutet, daß dem Kindesvater für die am 3.9.1978 geborene Tochter A. M. und für die am 19.12.1982 geborene Tochter A. M. ab 19.12.1989 sowohl die gesetzliche Vormundschaft (walayat) als auch die Personensorge (hadanah) zusteht. Diese Rechtslage ist gem. Art. 3 MSA durch die Gerichte der Bundesrepublik Deutschland anzuerkennen. Soweit der BGH (BGHZ 60, 68, 76, 77)  [BGH 20.12.1972 - IV ZB 20/72]ausgeführt hat, nach iranischem Recht bestehe kein Gewaltverhältnis kraft Gesetzes hinsichtlich der Personensorge, bezieht sich dies nur auf den Zeitpunkt nach der Ehescheidung, denn insoweit greift das iranische Gesetz zum Schutz der Familie vom 12.2.1975 ein, durch das das gleichnamige Gesetz vom 15.6.1967 ersetzt worden ist. Der Senat hat ausschließlich zu prüfen, ob gemäß Art. 8 und 9 MSA Maßnahmen zum Schütze der minderjährigen Kinder zu treffen sind, soweit diese in ihrer Person oder in ihrem Vermögen ernstlich gefährdet sind. Insoweit ist insbesondere Art. 1173 ZGB zu beachten, wonach bei Vernachlässigung der körperlichen Gesundheit oder der moralischen Erziehung des Kindes auf Antrag der nächsten Verwandten des Kindes, seines Vormundes und des Staatsanwaltes das Gericht jede Entscheidung treffen kann, die es zum Schütze der Kinder für erforderlich hält. Daraus kann jedoch die Kindesmutter nichts herleiten. Aus dieser Bestimmung kann keine Befugnis für die deutschen Gerichte hergeleitet werden, nunmehr schlechthin nach innerstaatlichem Recht, z.B. nach § 1672 BGB zu entscheiden (so auch OLG Frankfurt, IPR-Rechtssprechung 1979, Nr. 95). Für einen Gefährdungstatbestand, der gegeben wäre, wenn z.B. nach deutschem Recht die Voraussetzungen der §§ 1666, 1667 BGB, gegeben wären, ist nichts ersichtlich, insbesondere ergibt sich nichts dafür aus dem Bericht des Jugendamtes der Stadt H..

6

Ist somit das besondere Gewaltverhältnis anzuerkennen, so ist allein noch zu prüfen, ob sich Bedenken dagegen nicht aus dem deutschen ordre public (Art. 6 EGBGB) in Verbindung mit der Verletzung von Grundrechten ergeben. Es ist anerkannt, daß insbesondere im Fall der Verletzung von Grundrechten bei Anwendung ausländischen Rechts ein Verstoß gegen Art. 6 EGBGB vorliegen kann (BVerfGE 31, 58 [BVerfG 04.05.1971 - 1 BvR 636/68]). Es kann jedoch dahingestellt bleiben, ob insoweit etwa eine Verletzung des Grundsatzes der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau nach Art. 3 GG gegeben ist, denn das iranische Familienrecht geht von einem eindeutigen Vorrang des Mannes und seiner männlichen Vorfahren bei der Ausgestaltung des Sorgerechtes für die ehelichen Kinder und die damit zusammenhängenden Pflichten und Befugnisse aus. Da sämtliche Beteiligten ausschließlich die iranische Staatsangehörigkeit haben, ist es nicht Aufgabe des Senats, den ausländischen Beteiligten über den ordre public eine für sie fremde deutsche Rechtsvorstellung aufzudrängen (vgl. dazu BGHZ 60, 68, 78 f.) [BGH 20.12.1972 - IV ZB 20/72]. Nach alledem ist der angefochtene Beschluß zu Ziffer 1 aufzuheben.

7

B.

Wohnungszuweisung

8

Auch insoweit gilt nach Art. 8 Abs. 3 des deutsch-iranischen Niederlassungsabkommens iranisches Recht. Nach dieser Regelung bleiben die Angehörigen der vertragsschließenden Staaten im Gebiet eines anderen Staates den Vorschriften ihrer heimischen Gesetze in Bezug auf das Personen-, Familien- und Erbrecht unterworfen. Dies betrifft schon dem Wortlaut nach auch die Regelung bzgl. der Ehewohnung, da sie familienrechtlicher Natur ist. Dies findet nach Auffassung des Senats eine zusätzliche Bestätigung in Nr. 1 des Schlußprotokolls zu dem deutsch-iranischen Abkommen. Dort wird zu Art. 3 des Abkommens klargestellt, daß die Regelung außer einzelnen besonders genannten Angelegenheiten wie Ehe, eheliches Güterrecht, Scheidung, Abstammung pp. alle anderen Angelegenheiten des Familienrechts umfaßt. Nach Art. 1005 ZGB teilt eine verheiratete Frau den Wohnsitz ihres Mannes, sie kann jedoch einen getrennten Wohnsitz haben, wenn sie von dem Ehemann oder dem Gericht dazu ermächtigt worden ist, einen getrennten Wohnsitz zu haben. Art. 1114 ZGB bestimmt, daß die Frau die von dem Mann bezeichnete Wohnung beziehen muß, sofern ihr nicht das Recht vorbehalten ist, ihre Wohnung selbst zu wählen. Art. 1115 ZGB gestattet der Frau eine andere Wohnung zu beziehen, wenn das Zusammenwohnen mit ihrem Mann einen Schaden für ihre Person, ihr Vermögen oder ihre Ehre befürchten läßt. Aus all dieses Bestimmungen wird deutlich, daß eine Zuweisung der Ehewohnung zur alleinigen Nutzung an die Ehefrau nach iranischem Recht nicht möglich ist, vielmehr der Ehefrau, sei es durch die nächsten Verwandten, sei es durch das Gericht (vgl. Art. 1116 ZGB), lediglich eine andere Wohnung zugewiesen werden kann. Hinsichtlich einer evtl. Kollision mit Art. 6 des EGBGB ist auf die Ausführungen zum Sorgerecht hinzuweisen.

9

III.

Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlaßt, vielmehr gelten die Kosten des Beschwerdeverfahrens, ebenso wie die Kosten der I. Instanz als Kosten der Hauptsache (Zöller/Philippi, ZPO, 15. Aufl., § 620 g, Rdnr. 9).

Streitwertbeschluss:

Beschwerdewert: 3.000,- DM.