Arbeitsgericht Braunschweig
Beschl. v. 01.10.1998, Az.: 5 BV 58/98
Mitwirkung eines Betriebsrates an der Bildung eines zu errichtenden Konzernbetriebsrates; Konkretes Rechtsschutzbedürfnis hinsichtlich der Feststellung des Bestehens eines herrschenden Unternehmens; Rechtliches Interesse an alsbaldiger richterlicher Entscheidung
Bibliographie
- Gericht
- ArbG Braunschweig
- Datum
- 01.10.1998
- Aktenzeichen
- 5 BV 58/98
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1998, 27990
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:ARBGBS:1998:1001.5BV58.98.0A
Rechtsgrundlagen
- § 54 Abs. 1 BetrVG
- § 256 Abs. 1 ZPO
Fundstelle
- NZA-RR 1999, 88 (Volltext mit amtl. LS)
In dem Rechtsstreit
hat die 5. Kammer des Arbeitsgerichts Braunschweig
auf die mündliche Verhandlung vom 01.10.98
durch
den Richter am Arbeitsgericht ... als Vorsitzender und
die ehrenamtlichen Richter als Beisitzer
beschlossen:
Tenor:
Die Anträge werden zurückgewiesen.
Tatbestand
I.
Die Beteiligten streiten um mögliche Befugnisse des Betriebsrates bei der Durchführung von Wahlen zu einem Konzernbetriebsrat.
Das Unternehmen ... war ursprünglich so strukturiert, daß die in ... ansässige GmbH, jetzt Beteiligte zu 3), 55 rechtlich unselbständige Möbelhäuser betrieb. Zum 01.07.1997 wurden die Geschäftsanteile der Beteiligte zu 3) vom bisherigen Gesellschafter ... an eine Investorengruppe, bestehend aus den ... sowie ... veräußert. Zeitgleich mit der Veräußerung wurde eine grundlegende Umstrukturierung des Unternehmens vollzogen. Am Sitz eines jeden Möbelhauses wurde eine - insgesamt 55 - sogenannte "Vor-Ort-GmbH" gegründet, die mit einem Grundkapital von 200.000,- DM ausgestattet werden sollten. Die Beteiligte zu 3) veräußerte die einzelnen Möbelhäuser an die jeweiligen Vor-Ort-GmbH?s. Die überwiegende Zahl der Vor-Ort-GmbH?s hatte als Gründungsgesellschafter die die ... Beteiligungs-GmbH (10 %) und die ...-Möbel-Beteiligungs GmbH (90 %), in anderen Fällen die Beklagte zu 4) und die Vision Beteiligungs GmbH. Gesellschafter dieser GmbH?s sind wiederum die ... Träger des Möbelhauses in ... ist somit im Wege des Betriebsüberganges gemäß § 613 a BGB zum 01.07.1997 die Beteiligte zu 2) geworden, deren Gründungsgesellschafter die Vision Beteiligungsgesellschaft und die Beteiligte zu 4) waren. Die Geschäftsanteile der Beteiligten zu 4) sind durch notarielle Erklärung vom 29.01.1998 vor dem Notar ... in ... aufgrund mündlicher Vollmachtserklärung an den Geschäftsführer Herrn ... übertragen worden. Vom gleichen Tag liegt ein notariell beurkundeter Beschluß vor, wonach der Name der Beteiligten zu 2) geändert werden soll in ... und der Sitz nach ... verlegt werden soll. Bei dem Handelsregister sind diese Änderungen bisher nicht eingetragen.
Nach Durchführung eines Räumungsverkaufes ist das Möbelhaus im Februar 1998 faktisch geschlossen worden. Mit Ausnahme weniger Mitarbeiter wurde allen Arbeitnehmern gekündigt, Kündigungsschutzklagen sind bei dem Arbeitsgericht Braunschweig anhängig.
Am 16.04.1998 hat die Geschäftsführung Konkursantrag gestellt, einige Tage zuvor bereits mehrere Arbeitnehmer. Über die Eröffnung des Konkursverfahrens ist noch nicht entschieden.
Mit den vorliegenden Anträgen möchte der Betriebsrat klären lassen, daß er berechtigt ist, auf den verschiedenen Ebenen der Unternehmungsorganisation bei der Konstituierung eines Konzernbetriebsrates mitzuwirken. Weitere Anträge des Betriebsrates betreffend der Bildung eines Gesamt- oder Konzernbetriebsrates bei der Beteiligten zu 3) sind nach Abtrennung bereits Gegenstand eines Beschlusses des Arbeitsgerichts Braunschweig im Verfahren 5 BV 45/98 gewesen.
Der Betriebsrat ist der Auffassung, im Verhältnis zwischen der Beteiligten zu 2) und der Beteiligten zu 4) komme die Konzernvermutung der §§ 17, 18 Aktiengesetz zu Anwendung. Im übrigen nehme Herr ... persönlich durch konkrete schriftliche Anweisungen bestimmenden Einfluß auf die Geschäftspolitik. Die Übertragung der Geschäftsanteile durch den Geschäftsführer Herr ... seien demgegenüber als Scheingeschäft zu betrachten. Insgesamt spreche das Erscheinungsbild dafür, daß hier ein mehrstufiger Konzern vorliege, so daß der Betriebsrat berechtigt sei, an der Bildung eines Konzernbetriebsrates mitzuwirken.
Der Antragsteller beantragt,
1) festzustellen, daß die Beteiligte zu 4) gleichfalls herrschendes Unternehmen im Verhältnis zu der Beteiligten zu 2) ist. Der Antragsteller sei daher berechtigt, an der Bildung eines bei der Beteiligten zu 4) evtl. zu errichtenden Konzernbetriebsrates mitzuwirken.
hilfsweise
festzustellen, daß die Beteiligte zu 4) jedenfalls bis zur Geschäftsanteilsabtretung vom 29.01.1998 an den bisherigen Minderheitengesellschafter Herrn ... herrschendes Unternehmen im Verhältnis zu der Beteiligten zu 2) war.
2) Festzustellen, daß die Beteiligten zu 5) und 6) als Gesellschaft bürgerlichen Rechts gleichfalls herrschendes Unternehmen im Verhältnis zu der Beteiligten zu 2) sind und der Antragsteller berechtigt ist, auch insoweit an der Bildung eines Konzernbetriebsrates mitzuwirken,
hilfsweise
festzustellen, daß die Beteiligten zu 5) und 6) als Gesellschafter bürgerlichen Rechts bis zur Geschäftsteilsabtretung vom 29.01.1998 an den bisherigen Minderheitengesellschafter Herrn ... herrschendes Unternehmen im Verhältnis zu der Beteiligten zu 2) waren.
Die Beteiligten zu 2) bis 6) beantragen,
die Anträge zurückzuweisen.
Sie machen zum einen geltend, die Anträge seien in der gestellten Form unzulässig. Zum einen handele es sich um Rechtsfragen, die kein "Rechtsverhältnis" im Sinne des § 256 Abs. 1 ZPO begründeten. In der Sache gehe es dem Betriebsrat nur darum, im Rahmen der noch schwebenden Einigungsstellenverhandlungen wegen eines Sozialplanes seine Position zu verbessern. In der Sache sei es das unternehmerische Konzept der Beteiligten zu 5) und 6), die einzelnen Möbelhäuser vor Ort unternehmerisch zu verselbständigen, wie dies bereits erfolgreich bei der ... auch durchgeführt worden sei. Ein Konzern liege nicht vor.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Protokollerklärungen Bezug genommen.
Gründe
II.
Die gestellten Anträge sind sowohl als Haupt- als auch als Hilfsantrag unzulässig.
Trotz des Abtrennungsbeschlusses hat die Kammer im Hinblick auf die umfassenden Fragen der gesellschaftsrechtlichen Verbundenheit der Einzelunternehmen die Beteiligte zu 3) weiterhin beteiligt.
Zwar ist in der Rechtsprechung anerkannt, daß die Statusfragen des § 54 BetrVGüber die Bildung eines Konzernbetriebsrates Gegenstand eines Feststellungsantrages sein können. Für einen derartigen Feststellungsantrag gelten jedoch die allgemeinen Rechtsschutzvoraussetzungen des § 256 ZPO. Danach muß zum einen ein klärungsbedürftigen Streit vorliegen und andererseits bereits die bloße gerichtliche Feststellung auch geeignet sein, endgültige Befriedung der Streitparteien herbeizuführen.
Den Beteiligten zu 2) bis 6) ist dabei einzuräumen, daß die Frage, ob die Beteiligten zu 4) bis 6) als herrschende Unternehmen im Verhältnis zur Beteiligten zu 2) anzusehen ist, nur als rechtliche Vortrage zu § 54 BetrVG anzusehen sein dürfte und insofern nicht selbständig ein "Rechtsverhältnis" im Sinne des § 256 ZPO darstellt, das der Feststellung zugänglich wäre. Dies mag jedoch im Ergebnis dahinstehen. Die Unzulässigkeit der gestellten Anträge ergibt sich vielmehr aus grundsätzlicheren Überlegungen.
Das Erfordernis eines konkreten Rechtsschutzbedürfnisses gemäß § 256 Abs. 1 ZPO ist nach der gesetzlichen Formulierung nur dann gegeben, wenn der Antragsteller ein rechtliches Interesse daran hat, daß das Rechtsverhältnis durch "richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde". Dies bedeutet, daß gerichtlicher Rechtsschutz nur in Anspruch genommen werden kann, wenn dazu ein auch unter zeitlichen Gesichtspunkten aktuelles rechtlich geschütztes Bedürfnis vorliegt. Es ist hingegen nicht Aufgabe der Gerichte, über allgemeine Fragen, auch wenn sie für die Prozeßbeteiligten von großem Interesse sein mögen, quasi ein bloßes Rechtsgutachten zu erstatten. Darauf würde eine Sachentscheidung im vorliegenden Fall jedoch hinaus laufen.
Das ergibt sich aus folgendem:
Für die Errichtung eines Konzernbetriebsrates ist gemäß § 54 Abs. 1 BetrVG die Zustimmung der Betriebsräte der Konzernunternehmen erforderlich, in denen insgesamt 75 von 100 der Arbeitnehmer beschäftigt sind. Daß bei insgesamt 50 Möbelhäusern, diese gesetzliche Anforderung jedenfalls in konkret absehbarer Zeit erfüllt sein wird, ist nach dem bisherigen Akteninhalt nicht erkennbar, jedenfalls nicht ausdrücklich vorgetragen. Demgegenüber liegt für die Beteiligte zu 2) bereits seit annähernd einem halben Jahr ein Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens vor. Sollte der Antrag mangels Masse abgewiesen werden, käme es zu einer Löschung der Beteiligten zu 2), würde das Konkursverfahren eröffnet und ein Konkursverwalter eingesetzt, so wäre jedenfalls dieser keinerlei Weisungspflichten in einem evtl. Konzernzusammenhang unterworfen. In beiden Fällen ließe sich die Beteiligung des Antragstellers an evtl. Wahlen zu einem Konzernbetriebsrat aus Rechtsgründen nicht mehr realisieren. Wenn aber zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung vollkommen unklar ist, ob überhaupt und gegebenenfalls wann die vom Gericht zu beurteilende Fragestellung sich jemals konkret stellen wird, kann ein Rechtsschutzbedürfnis nicht mehr bejaht werden.
Auch die in der mündlichen Verhandlung gestellten Hilfsanträge sind unzulässig. Hier wird eine Feststellung ausschließlich für die Vergangenheit begehrt. Bereits oben ist darauf hingewiesen worden, daß es sich bei der Frage der Beherrschung ohnehin um eine rechtliche Vortrage handeln dürfte. Unter dem Gesichtspunkt der Bildung eines Konzernbetriebsrates gemäß § 54 BetrVG kann eine rückwirkende Feststellung keinen Sinn mehr machen. Soweit der Betriebsrat beabsichtigt, mit dieser Fragestellung Fragen der evtl. Durchgriffshaftung im faktischen Konzern zu klären, so ist dies Mittel ungeeignet. Zwar waren in der Kammer bereits Zahlungsklagen einzelner betroffener Arbeitnehmer anhängig, in denen dieselbe Frage behandelt wurde, ferner kann die Frage im Rahmen der Sozialplanverhandlungen noch Bedeutung erlangen. Für die Frage eines evtl. Haftungsdurchgriffs ist der Gesichtspunkt der Beherrschung eines Unternehmens jedoch nur eine -wenn auch gewichtige- Anspruchsvoraussetzung neben mehreren anderen, die noch hinzukommen müssen. Die Feststellung einer evtl. Beherrschung in der Vergangenheit ist deshalb nicht geeignet die Rechtsfragen einer evtl. Durchgriffshaftung abschließend zu klären. Insoweit gilt vielmehr der allgemeine prozeßrechtliche Grundsatz des Vorranges der Leistungsklage.
Die Anträge konnten deshalb insgesamt keinen Erfolg haben.