Oberlandesgericht Oldenburg
Beschl. v. 12.10.1957, Az.: 3 Wx 47/57

Auslegung eines Nottestaments als aufschiebend bedingte Vermächtnisse und Vermächtnisse unter Bestimmung eines Anfangstermins; Grundsätze zur Ermittlung des Willens des Erblassers in Zweifelsfällen

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
12.10.1957
Aktenzeichen
3 Wx 47/57
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1957, 15128
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1957:1012.3WX47.57.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Aurich - 24.08.1957 - AZ: T 278/57

Fundstelle

  • DNotZ 1958, 95-96

Verfahrensgegenstand

Der Antrag ... auf Erteilung eines Erbscheins nach ihrem am 1. November 1956 verstorbenen Ehemann, den Kaufmann XXX aus XXX

In Sachen
...
hat der 3. Zivilsenat des Oberlandesgerichts in Oldenburg
auf die weitere Beschwerde der Antragstellerin
gegen den Beschluß des Landgerichts in Aurich vom 24. August 1957
in der Sitzung vom 12. Oktober 1957
durch
die unterzeichneten Richter
beschlossen:

Tenor:

Der Beschluß der 3. Zivilkammer des Landgerichts in Aurich vom 24. August 1957 wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Erörterung und Entscheidung an das Landgericht in Aurich zurückverwiesen.

Die Entscheidung ergeht gebührenfrei.

Gründe

1

Der am 1. November 1956 verstorbene Kaufmann XXX hat in einem am Todestage errichteten Nottestament folgende Bestimmungen getroffen:

"Alle meine bisherigen letztwilligen Verfügungen erkläre ich hiermit für ungültig.

Ich setze meine Ehefrau hiermit als Universalerbin ein. Was bei ihrem eigenen Ableben noch von meinem Nachlas verblieben ist, soll zu gleichen Teilen den Kindern meiner verstorbenen Schwester XXX, geborene XXX, zuletzt wohnhaft in XXX, XXX, zufallen."

2

In einem am 27. Mai 1948 gemeinschaftlich mit meiner Ehefrau errichteten notariellen Testament, das inzwischen aufgehoben worden ist, hatten sich die Eheleute XXX "gegenseitig au Allein und Vollerben" eingesetzt und weiter bestimmt:

"Wenn die Ehefrau XXX zuerst verstirbt, so soll dasjenige, was beim Tode des Letztversterbenden von ihrem Vermögen noch vorhanden ist, den Kindern ihres Bruders XXX in XXX zufallen. Diese werden aber nicht Nacherben, sondern nur Erben des Letztversterbenden.

Ist Frau XXX die Letztversterbende, so hat sie das Recht auch letztwillig nach dem Tode ihres Ehemannes über dessen Vermögen anderweitig au verfügen. Jedoch soll sie zu Erben nicht die Schwester des Ehemannes XXX, Frau XXX geb. XXX, deren Kinder oder sonstige Angehörige von dieser einsetzen können."

3

In einem privatschriftlichen Testament vom 18. Juli 1956, das ebenfalls durch des Nottestament vom 1. November 1956 aufgehoben worden ist, hatte der Erblasser ebenfalls seine Frau als "Universalerbin" eingesetzt und weiter angeordnet:

"Mein Nachlaß soll weder zu Lebzeiten noch nach dem Tode meiner Frau, und zwar weder durch Kauf, Schenkung oder aus Erbschaft, oder aus irgendwelchen eventuell noch anderen Gründen an die Kinder meiner verstorbenen Schwester XXX, geborene XXX, oder den Nacherben und deren ihrer Kinder fallen. Als Nacherben meiner Frau setze ich für Dreiviertel meines zurückgelassenen Vermögens die Kinder meines Vetters XXX und seiner Frau XXX, jetzt wohnhaft in XXX über XXX zu gleichen Teilen ein."

4

Die überlebende Ehefrau hat nunmehr beantragt,

ihr einen Erbschein dahin zu erteilen, daß sie Alleinerbin ihres Ehemannes geworden ist.

5

Nach Anhörung des Bürgermeisters, vor dem das Nottestament errichtet worden ist, und der von ihm als Zeugen zur Testamentserrichtung zugezogenen Personen hat das Amtsgericht den Erbscheinsantrag durch den Beschluß vom 27. Juli 1957 zurückgewiesen. Es ist der Ansicht, daß die Ehefrau in dem Testament vom 1. November 1956 nicht als Alleinerbin, sondern als befreite Vorerbin, und die Neffen des Erblassers als Nacherben eingesetzt seien.

6

Die dagegen eingelegte Beschwerde ist vom Landgericht durch den Beschluß vom 24. August 1957 zurückgewiesen worden. Zur Begründung hat das Landgericht u.a. ausgeführt, aus den verschiedenen Testamenten des Erblassers ergebe sich, daß dem kinderlos verstorbenen Erblasser daran gelegen gewesen sei, auch den weiteren Verbleib seines bei dem Tode seiner Ehefrau noch vorhandenen Vermögens selbst zu regeln; es lasse sich aus dem Wortlaut des Nottestaments deshalb gerade nicht entnehmen, daß die Witwe trotz der Bezeichnung als "Universalerbin" auch Alleinerbin sein sollte; denn dann hatte sie für den weiteren Verbleib das Vermögens nach ihrem Tode alleiniges unbeschränktes Verfügungsrecht, und die ausdrückliche Bestimmung des Erblassers hinsichtlich des weiteren Erbrechts der Kinder seiner Schwester wäre sinnlos.

7

Gegen den Beschluß des Landgerichts wendet sich die Antragstellerin mit der weiteren Beschwerde vom 17. September 1957, mit der sie beantragt,

unter Aufhebung des angefochtenen Beschlusses das Amtsgericht hinzuweisen, den Erbschein antragsgemäß zu erteilen,

8

und hilfsweise,

die Sache an das Amtsgericht oder an das Landgericht zurückzuverweisen.

9

Es wird im übrigen wegen der Begründung der Beschlüsse des Amtsgerichts und des Landgerichts, wegen des Ergebnisses der vom Amtsgericht angestellten Ermittlungen und wegen der Begründung der gestellten Anträge auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.

10

Die weitere Beschwerde ist gem. § 27 FGG zulässig, sie ist auch formgerecht eingelegt. Sachlich war ihr ein Erfolg nicht zu versagen, weil der Beschluß des Landgerichts auf einer Verletzung des Gesetzes beruht.

11

Das Landgericht geht davon aus, daß die vom Erblasser für den Fall des Todes der überlebenden Ehefrau getroffene Regelung nur dann einen Sinn haben könne, wenn man die Anordnung über den späteren Verbleib seines Vermögens als Anordnung einer Nacherbschaft zu Gunsten der Neffen ansehe. Dem kann jedoch nicht zugestimmt werden. Allerdings kann in dem Testament nicht, wie zur Begründung der Beschwerde ausgeführt wird, die Einsetzung der Neffen als Schluß- oder Erbeserben, also als Erben der überlebenden Ehefrau gesehen werden. Denn eine solche Regelung ist nur dann möglich, wenn es sich um ein von Eheleuten gemeinschaftlich errichtetes Testament handelt (§ 2269 BGB). In einen Einzeltestament kann dagegen der Erblasser nur bestimmen, wer sein Erbe werden soll, aber nicht, wer Erbe seines überlebenden Ehegatten werden soll, denn wenn die überlebende Ehefrau Alleinerbin und Vollerbin ist, denn kann ihre Testierfreiheit nicht von dem Ehemann einseitig dadurch beschränkt werden, daß er anordnet, wer sein Vermögen als ihr Erbe erben soll. Insoweit ist eben die Rechtlage bei der Errichtung eines Einzeltestaments wesentlich anders als bei der Errichtung eines gemeinschaftlichen Testamentes, bei dem jeder Ehegatte selbst Bestimmungen darüber trifft, wer sein Erbe sein soll.

12

Wenn aber der Erblasser den Willen gehabt haben sollte, seine Frau ohne jede Beschränkung als Alleinerbin und als Vollerbin einzusetzen, gleichwohl aber den Neffen sein bei Tode seiner Ehefrau noch vorhandene Vermögen zukommen lassen wollte, so konnte er das dadurch erreichen, daß er ihnen ein bedingtes und befristetes Vermächtnis seines ganzen Vermögens aussetzte. Aufschiebend bedingte Vermächtnisse und Vermächtnisse unter Bestimmung eines Anfangstermins sind in § 2177 BGB ausdrücklich geregelt und sind auch mit der übrigen Regelung des Erbrechts durchaus vereinbar. Im vorliegenden Felle würde es sich um ein Vermächtnis aller Nachlaßgegenstände unter der aufsiechenden Bedingung, daß die einzelnen Gegenstände beim Tode der Ehefrau noch vorhanden sind, handeln und zugleich mit der Bestimmung des Todes der Ehefrau als Anfangestermin für den Anfall des Vermächtnisses, die Möglichkeit einer solchen Auslegung eines Testaments ist schon in den Motiven zum BGB (V, 128) ausdrücklich erwähnt, wo es heißt:

"Ergibt sich im Wege der Auslegung, daß der Wille des Erblassers auf eine Nacherbfolge nicht gerichtet war, daß vielmehr ein Vermächtnis gewollt war, und der Erblasser sich nur im Ausdruck vergriffen hat, so liegt der bezeichnete Fall nicht vor."

13

Auch die Regelung des § 2137 BGB steht einer solchen Auslegung nicht entgegen; denn § 2137 trifft eine Regelung nur für den Fall, daß der "Nacherbe" auf dasjenige eingesetzt ist, was von der Erbschaft bei dem Eintritt der Nacherbfolge übrig sein wird, er besagt also nichts dafür, ob eine Nacherbfolge angeordnet ist, sondern trifft eine Bestimmung nur für den Fall, daß eine Nacherbfolge angeordnet ist. Auch Staudinger (Anm. 1 zu § 2137) sagt zutreffend, daß die Anwendung des § 2137 ausgeschlossen sein kann, wenn als Gegenstand der Nacherbfolge "das dann vorhandene Vermögen" bezeichnet ist.

14

Entscheidend muß es danach für die Frage, ob der Erblasser die Anordnung einer Nacherbfolge oder die Anordnung eines bedingten und befristeten Vermächtnisses gewollt hat, darauf ankommen, ob er Wert darauf gelegt hat, das hinterlassene Vermögen als Einheit auch über den Tod der überlebenden Ehefrau hinaus zu erhalten, und ob er zu diesem Zweck seiner Ehefrau auch die mit der Anordnung der Nacherbschaft verbundenen Beschränkungen hat auferlegen wollen, oder ob er nur, ähnlich wie es im gemeinschaftlichen Testament möglich ist, hat bestimmen wollen, wer das, was selbst bei voller Verfügungsfreiheit der Ehefrau nach deren Tode von seinem Vermögen noch vorhanden sein würde, einmal erhalten sollte. In einem ähnlichen Falle hat auch das OLG Bremen (DNotz 1956, 149) entschieden, daß bei Anordnung voller Verfügungsfreiheft der Ehefrau, die weiter eingesetzten Verwandten nicht Nacherben, sondern Vermächtnisnehmer seien.

15

Im vorliegenden Falle nun spricht in der Tat manches dafür, daß der Erblasser für seine überlebende Ehefrau nicht die mit der Anordnung einer Nacherbschaft verbundenen Beschränkungen hat anordnen wollen. Bei kinderloser Ehe wird es immer nahe liegen, daß ein Ehegatte nicht den Willen hat, seinen Ehegatten zu Gunsten entfernterer Verwandten irgendwie in der Verfügung über das ihr hinterlassene Vermögen zu beschränken. Dazu kommt hier, daß die Ausdrücke "Vorerbschaft" oder "Nacherbschaft" nicht gebraucht sind, daß aber die Worte: "Was bei ihrem eigenen Ableben noch von meinem Nachlaß verblieben ist" doch darauf hindeuten können, daß die Ehefrau eben keinerlei Beschränkungen unterliegen sollte, daß es vielmehr nur von dem objektiv vorhandenen Bestand beim Tode der Ehefrau abhängen sollte, ob die Neffen überhaupt noch etwas erhalten könnten und wieviel sie erhalten könnten. Es ist sehr wohl denkbar, daß der Erblasser davon ausgegangen ist, er könne ebenso wie in dem früheren gemeinschaftlichen Testament durch die Fassung des letzten Testaments erreichen, daß die Neffen Erben seiner Ehefrau würden. Wäre das der Wille des Erblassers gewesen, so würde aber im Wegen der Auslegung nach § 2084 BGB die Umdeutung in ein Vermächtnis in dem oben erörterten Sinne nahe liegen. Nach dem privatschriftlichen Testament des Erblassers vom 18. Juni 1956, in dem eine Nacherbschaft ausdrücklich angeordnet war, könnte auch angenommen werden, daß sich der Erblasser der Bedeutung der Anordnung einer Vorerbschaft und Nacherbschaft sehr wohl bewußt gewesen ist und deswegen absichtlich diese Ausdrücke nicht gebraucht hat, als er auf dem Sterbebett sein Nottestament errichtete.

16

Von Bedeutung wird es für die Ermittlung des Willens des Erblassers hier vor allem auch sein können, wie sich die Beziehungen zu den jetzt bedachten Neffen der letzten Zeit entwickelt haben; es fällt auf, daß jetzt gerade die Verwandten bedacht werden sind, die in den beiden früheren Testamenten ausdrücklich von jedem späteren Erwerb von Vermögensstücken aus dem Nachlaß des Erblassers ausgeschlossen waren. Sollten sich die Beziehungen zu diesen Verwandten in den wenigen Monaten seit der Errichtung des Testaments vom 18. Juni 1956 his zur Errichtung des Nottestamentes nicht grundlegend geändert, der Erblasser vielmehr nur wegen eines Gesinnungswandels sich entschlossen haben, diesen Verwandten gegenüber trotz eines weiter bestehenden Zerwürfnisses nicht mehr so hart zu sein, so könnte auch das dafür sprechen, daß der Erblasser allerdings kaum die Absicht gehabt haben kann, gerade diesen Verwandten gegenüber seiner überlebenden Ehefrau Beschränkungen aufzuerlegen, wie er es bei der Anordnung einer Nacherbschaft zu Gunsten anderer Verwandten in dem früheren Testament ausdrücklich getan hatte.

17

Nach alledem wird es erforderlich sein, zur Erforschung des Willens des Erblassers weitere Ermittlungen anzustellen, etwa durch Anhörung der Antragstellerin und durch Vernehmung der beiden bedachten Neffen, sowie auch durch Vernehmung weiterer Auskunftspersonen, die über die Ansichten des Erblassers und auch darüber unterrichtet sein können, wie die Beziehungen zwischen den Eheleuten gewesen sind, ob sie etwa dafür sprechen, daß der Erblasser Wert darauf legte, das Vermögen über den Tod der Ehefrau geschlossen zu erhalten, oder ob ihm, wofür, wie gesagt; schon der Wortlaut des Testaments im Zusammenhang mit dem Inhalt der früheren Testamente sprechen könnte, in erster Linie daran gelegen war, die Ehefrau zu sichern und ihr sein Vermögen zu freiem Eigentum zu überlassen.

18

Danach rechtfertigt sich die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Zurückverweisung der Sache an des Landgericht.

19

Gemäß § 123 KostO ergeht die Entscheidung gebührenfrei.