Oberlandesgericht Celle
Urt. v. 10.01.1974, Az.: 5 U 77/73
Anwartschaft auf eine Betriebs-Treue-Versicherung ; Auslegung des Begriffs "Invalidität" aufgrund eines Betriebsunfalls; Abtretung von Ersatzansprüchen
Bibliographie
- Gericht
- OLG Celle
- Datum
- 10.01.1974
- Aktenzeichen
- 5 U 77/73
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1974, 11577
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGCE:1974:0110.5U77.73.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Hannover - 12.12.1972 - AZ: 7 O 212/72
Rechtsgrundlagen
- § 1246 RVO
- § 1247 RVO
Verfahrensgegenstand
Schadensersatz aus Verkehrsunfall
Redaktioneller Leitsatz
- 1.
Im vorliegenden Fall wurde vereinbart, dass der Arbeitnehmer die Rechte aus einer "Betriebs-Treueversicherung" trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Fälligkeit der versicherten Leistungen behalten sollte, wenn bei ihm infolge eines Betriebsunfalls "Invalidität" eintreten würde. Infolge eines Unfalls kann der Arbeitnehmer seinen Beruf als Installateur nicht mehr ausüben. Auch wenn er mit seiner Verletzung (Totalprothese anstelle des zertrümmerten Hüftgelenks) noch gewisse leichtere Arbeiten verrichten kann und nur als berufsunfähig und nicht als erwerbsunfähig anzusehen ist, muss sein Zustand als "Invalidität" im Sinne der Versicherung angesehen werden.
- 2.
Der Unfall ereignete sich auf dem Weg zur Arbeitsstelle und ist daher als "Betriebsunfall" im Sinne der Versicherung anzusehen.
- 3.
Da dem verletzten Arbeitnehmer durch den Unfall Rechte aus der Versicherung nicht verloren gegangen sind und ihm insoweit kein Schaden entstanden ist, konnte er auch keine Ersatzansprüche gegen den Schädiger abtreten.
In dem Rechtsstreit
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle
auf die mündliche Verhandlung vom 20. Dezember 1973
durch
den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht ... und
die Richter am Oberlandesgericht ... und ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das am 12. Dezember 1972 verkündete Urteil der 7. Zivilkammer des Landgerichts Hannover geändert: Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Kläger zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Der Kläger war Arbeitgeber des am ... geborenen Installateurs .... Der Kläger hatte zu Gunsten des Installateurs ... mit Beginn vom 1. Dezember 1972 bei der ... AG eine Lebensversicherung abgeschlossen. Die Versicherungssumme von 3.746 DM sollte bei einer Jahresprämie von 312 DM im Todesfalle der Witwe des Arbeitnehmers und im Erlebensfalle am 1. Dezember 1975 dem Arbeitnehmer selbst ausgezahlt werden. Nach den Versicherungsbedingungen war der Kläger als Versicherungsnehmer berechtigt, den Versicherungsvertrag zu kündigen und über die Versicherung bis zum Ableben des Versicherten frei zu verfügen (vgl. Versicherungsschein Bl. 19 d. A. und allgemeine Versicherungsbedingungen Bl. 19-23 d. A. des Arbeitsgerichts Hannover 2 Ca 8/72). Über den Versicherungsabschluß hatte der Kläger dem Arbeitnehmer ... eine "Urkunde" ausgestellt, in welcher es u.a. heißt:
"Urkunde über eine "Betriebs- Treueversicherung" ... In Anerkennung Ihrer bewährten Tätigkeit für unsere Firma und im Vertrauen auf Ihre weitere gute Mitarbeit haben wir bei der "... AG" mit Wirkung vom 1.12.1962 auf Ihr Leben eine "Betriebs-Treue-Versicherung" gegen einen laufenden Jahresbeitrag in Höhe von DM 312 abgeschlossen ... Bei Beendigung Ihres Arbeitsverhältnisses vor Fälligkeit der versicherten Leistungen - außer bei Invalidität infolge eines erlittenen Betriebsunfalles - erlischt Ihr Anspruch auf die Versicherungsleistung ..." (Bl. 20 d. A.).
Am 11. November 1970 fuhr ... auf dem Wege von seiner Wohnung zur Arbeitsstelle mit seinem Moped, Versicherungskennzeichen ... die bevorrechtigte ... in ... - aus Richtung ... kommend - entlang. Als der Beklagte zu 1), der mit dem Personenwagen Opel-Kadett, Kennzeichen ..., der Beklagten zu 2), die ... entlang gefahren war, von dort nach links in die ... straße einbiegen wollte, prallte der Mopedfahrer ... auf der Kreuzung gegen den linken Vorderkotflügel des Wagens. Infolge dieses Unfalls erlitt ... eine Trümmerfraktur im rechten Hüftgelenk, eine Oberschenkelfraktur und andere Verletzungen. Zwischen den Parteien besteht kein Streit, daß die Beklagten für den hierdurch eingetretenen Schaden einzustehen haben. Die Ersatzansprüche des Verletzten ... sind teilweise aufgrund des Teilabfindungsvergleiches mit der Versicherung der Beklagten vom 16. März 1972 geregelt worden. In diesem Vergleich heißt es:
"Dieser Vergleich erstreckt sich nicht auf den materiellen Zukunftsschaden, insbesondere Verdienstausfall und evtl. Rentenausfall ab 1.3.1972."
Das Arbeitsverhältnis von ... beim Kläger ist am 28. April 1971 beendet worden, weil ... wegen seiner Verletzungen nicht mehr in der Lage ist, weiter als Installateur zu arbeiten. Mit seiner am 11. Januar 1972 eingegangenen Klageschrift nahm ... den Kläger beim Arbeitsgericht Hannover zum Aktenzeichen 2 Ca 8/72 mit dem Verlangen in Anspruch, darin einzuwilligen, daß ... über die bis dahin eingezahlten Prämien für die Betriebs-Treue-Versicherung von zusammen 2.808 DM verfügen dürfe. In dem Vergleich vor dem Arbeitsgericht in diesem Verfahren zwischen dem Kläger und ... vom 24. März 1972 kam folgende Einigung zustande:
"Der Beklagte zahlt an den Kläger 2.000 DM netto.
Der Kläger tritt seine Ansprüche aus der Betriebs-Treue-Versicherung bei der ... AG in Höhe von 2.808 DM an den Beklagten ab. Bis zur Höhe von 2.808 DM tritt der Kläger seine Ansprüche gegen den Schädiger aus dem Verkehrsunfall vom 11.11.1970 an den Beklagten ab ..."
Der Kläger hat die Ansicht vertreten, daß ... durch das Unfallgeschehen vom 11. November 1970 nach den getroffenen Vereinbarungen seine Anwartschaftsrechte aus der Betriebs-Treue-Versicherung verloren habe, weil das Arbeitsverhältnis vor Fälligkeit der versicherten Leistungen beendet worden sei. Der Kläger hat die Beklagten auf Ersatz des entsprechenden Schadens in Höhe des ihm vergleichsweise abgetretenen Betrages von 2.808 DM in Anspruch genommen und vorgetragen, ... habe unter dem 28. April 1971 bescheinigt, auf eigenen Wunsch aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden zu sein.
Der Kläger hat beantragt,
die Beklagten zu verurteilen, ihm als Gesamtschuldner 2.808 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 1. Juni 1972 zu zahlen, hilfsweise, die Beklagten zu verurteilen, ihm am 1. Dezember 1975 2.808 DM zu zahlen.
Die Beklagten haben beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie haben bestritten, daß dem unfallgeschädigten ... unmittelbare Ansprüche aus der Betriebs-Treue-Versicherung zugestanden haben, und haben verneint, daß ihm in dieser Hinsicht durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses beim Kläger ein Schaden entstanden sei. Sie haben sich im übrigen darauf berufen, daß ein etwaiger Ersatzanspruch ... durch den Teilabfindungsvergleich vom 16. März 1972 abgefunden worden sei.
Durch das am 12. Dezember 1972 verkündete Urteil hat das Landgericht der Klage nach Maßgabe des Hilfsantrages stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, der Zedent ... habe sein Anwartschaftsrecht auf die Versicherungssumme infolge der Unfallverletzungen eingebüßt. Nach den Vereinbarungen zwischen ihm und dem Kläger sollte dieser Anspruch bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Fälligkeit erlöschen. Die hierbei getroffene Ausnahmeregelung für den Fall der Invalidität infolge eines Betriebsunfalles sei nicht gegeben, weil ... infolge der Unfallverletzungen wohl berufsunfähig, nicht jedoch arbeitsunfähig geworden sei. Da es sich um einen materiellen Zukunftsschaden handele, sei der Ersatzanspruch nicht von dem Teilvergleich vom 16. März 1972 erfaßt worden. Der Schaden werde am 1. Dezember 1975 eintreten, so daß mit diesem Tage die Ausgleichsverpflichtung der Beklagten gegeben sei.
Gegen dieses Urteil, das nicht vor dem 21. Februar 1973 zugestellt worden ist, haben die Beklagten am 20. März 1973 Berufung eingelegt. Sie haben ihr Rechtsmittel innerhalb der bis zum 21. Mai 1973 verlängerten Frist begründet.
Sie beanstanden, daß das Landgericht die Bedingungen der Treue-Versicherung ungeprüft und unerörtert gelassen habe. Wenn es sich bei dem Betrag von 2.808 DM um den Wert der Versicherungsleistungen bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses gehandelt habe, dann sei dem verletzten Arbeitnehmer ... kein Schaden entstanden, weil der Kläger ihm den Anspruch hierauf nicht willkürlich habe entziehen können. Unter "Invalidität" i. S. der arbeitsvertraglichen Vereinbarungen sei nicht Vollinvalidität zu verstehen. Es müsse insoweit vielmehr auf die Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis zwischen ... und dem Kläger abgestellt werden.
Die Beklagten beantragen,
die Klage abzuweisen, soweit ihr das Landgericht stattgegeben hat,
hilfsweise,
die Verurteilung nur Zug um Zug gegen Abtretung der Ansprüche des Klägers gegen die ... AG in ... aus dem Versicherungsvertrag für den Versicherten ... Nr. ... bestehen zu lassen,
weiter hilfsweise,
den Beklagten Vollstreckungsnachlaß, notfalls gegen Sicherheitsleistung zu gewähren mit der Maßgabe, daß die Sicherheit auch durch Bürgschaft einer Großbank, einer öffentlichen Sparkasse oder der Colonia Versicherungs-AG in Köln geleistet werden kann, weiter hilfsweise, die Revision zuzulassen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er trägt vor, die Betriebs-Treue-Versicherung sei von ihm freiwillig und widerruflich übernommen worden. Da eine dauernde, völlige Arbeitsunfähigkeit bei ... nicht vorgelegen habe, seien dessen Ansprüche auf die Leistungen aus der Versicherung mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Fälligkeit der Versicherungsleistungen erloschen.
Wegen der Einzelheiten des angefochtenen Urteils und des sonstigen Vorbringens der Parteien in beiden Rechtszügen wird auf den Akteninhalt verwiesen. Die Akten des Arbeitsgerichts Hannover 2 Ca 8/72 und des Amtsgerichts Hannover 51 Ds 303/70 haben bei der Verhandlung zur Information vorgelegen.
Entscheidungsgründe
Die form- und fristgerecht eingelegte Berufung der Beklagten hat Erfolg. Der Kläger kann von den Beklagten als Fahrer und Halter des Personenwagens Opel-Kadett, Kennzeichen ..., die Begleichung des ihm von dem Mopedfahrer ... abgetretenen Ersatzanspruches nicht verlangen, weil dem Zedenten ... durch das Unfallgeschehen der vermeintliche Schaden, auf den sich die Abtretung bezieht, nicht entstanden ist (§§ 7, 18 StVG, §§ 823, 831, 398 BGB). Hierzu ist im einzelnen zu sagen:
1.)
Dem Kläger ist allerdings darin beizupflichten, daß ... mit dem Abschluß der Lebensversicherung bei der ... AG nach Maßgabe der mit seinem Arbeitgeber getroffenen Vereinbarungen ein Anwartschaftsrecht auf die Versicherungssumme erlangt hatte (vgl. §§ 328, 158 BGB). Hiernach war der Kläger gehalten, das Versicherungsverhältnis aufrecht zu erhalten und die hierfür erforderlichen Prämien zu entrichten, solange das Arbeitsverhältnis fortbestand. Daß der Kläger diese Verpflichtung als übertarifliche Leistung freiwillig übernommen hatte, stand der rechtlichen Verbindlichkeit nicht entgegen.
2.)
Die Anwartschaftsrechte auf die Versicherungsleistungen sind dem Arbeitnehmer ... durch das Unfallgeschehen jedoch nicht verloren gegangen, soweit die Rechte auf den Beitragsleistungen beruhen, die der Kläger bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses in Höhe von insgesamt 2.808 DM aufgebracht hat. Wie sich aus dem wiedergegebenen Wortlaut des Vergleiches vom 24. März 1972 und dem Klagebegehren des Arbeitnehmers ... in dem arbeitsgerichtlichen Verfahren eindeutig entnehmen läßt, sollte der Kläger im Wege der Abtretung nur diejenigen Schadensersatzansprüche des Verletzten erlangen, die auf dem Verlust der Rechte aus der Lebensversicherung wegen der bis dahin aufgebrachten Beitragsleistungen von zusammen 2.808 DM 9 × 312 DM) beruhen. Diese Rechte sind dem Verletzten jedoch durch die Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht verloren gegangen.
3.)
Nach den getroffenen Vereinbarungen sollte ... die Rechte aus dem Versicherungsverhältnis trotz Beendigung des Arbeitsverhältnisses vor Fälligkeit der versicherten Leistungen behalten, wenn bei ihm infolge eines Betriebsunfalles eine "Invalidität" eintreten würde. Gerade dieser Fall ist hier aber gegeben. Aus der fachärztlichen Bescheinigung der ... Hochschule vom 6. Februar 1971 (Bl. 21 d. A.) ist zu ersehen, daß ... seinen Beruf als Installateur mit Sicherheit nicht mehr ausüben kann, weil er anstelle des zertrümmerten Hüftgelenkes sich mit einer Totalprothese begnügen muß. Es liegt auf der Hand, daß ein mehr als 60-jähriger Handwerker Installationsarbeiten, die häufig in kniender, gebückter oder hockender Stellung verrichtet werden müssen, mit einer solchen Verletzung nicht mehr ausüben kann. Das stellt auch der Kläger nicht mehr in Abrede. Obwohl ... mit dieser Verletzung nur als berufsunfähig im Sinne des § 1246 RVO nicht aber als erwerbsunfähig im Sinne des § 1247 RVO anzusehen ist, weil er trotz der Verletzung noch in der Lage ist, gewisse leichtere Arbeiten, insbesondere in sitzender Stellung zu verrichten, muß sein Zustand als "Invalidität" im Sinne der Betriebs-Treue-Versicherung angesehen werden. Es konnte für das Interesse des Klägers, ... als Handwerker im Betriebe zu halten insoweit nur darauf ankommen, ob ... durch eine vorzeitige Invalidität daran gehindert war, gerade in seinem Betrieb weiter tätig zu sein. Daß der Kläger ... seinem Betrieb anderweitig beschäftigten, d.h. mit einer Arbeit betreuen konnte, die ... trotz der Unfallverletzung noch zu leisten vermochte, hat der Kläger ausdrücklich verneint (vgl. Vortrag Bl. 80).
Damit steht fest, daß ... wegen der Unfallverletzungen beim besten Willen nicht weiterhin für den Kläger arbeiten konnte. Gerade eine solche Situation ist aber nach dem Sinn und Zweck der Betriebs-Treue-Versicherung unter "Invalidität" zu verstehen, wie sie in den Vereinbarungen des Klägers mit ... erwähnt worden ist.
Diese Invalidität ist auch bei einem "Betriebsunfall" eingetreten, wie es die für die Erhaltung der Rechte aus der Versicherung getroffene Ausnahmeregelung vorsieht. Unstreitig hat sich nämlich der Unfall ereignet, als sich ... auf dem Wege von seinem Heim zur Arbeitsstelle befand. Es handelte sich damit um einen Arbeitsunfall in bezug auf das Arbeitsverhältnis zwischen ihm und dem Kläger (vgl. § 550 RVO). Da auch der Weg zur Arbeitsstelle dem Arbeitsinteresse dient, muß ein hierbei eingetretener Unfall als "Betriebsunfall" (wenn auch vielleicht nicht im Sinne des § 637 Abs. 1 RVO, so doch im Sinne der Bedingungen der Betriebs-Treue-Versicherung angesehen werden.
Da dem Verletzten ... durch das Unfallgeschehen Rechte aus der Betriebs-Treue-Versicherung, die durch die Beitragsleistungen des Kläger in Höhe von 2.808 DM entstanden waren (vgl. §§ 165, 176 VVG), nicht verloren gegangen waren, ihm insoweit also durch den Unfall kein Schaden entstanden ist, konnte der Kläger durch die im Arbeitsgerichtsprozeß erklärte Abtretung auch keine Ersatzansprüche gegen die Beklagten erlangen.
Die weiterhin dem Kläger abgetretenen Ansprüche gegen die Lebensversicherung stehen hier nicht in Frage.
Die Nebenentscheidungen entsprechen §§ 91, 708 Ziffer 7, 713 a ZPO.