Verwaltungsgericht Göttingen
Urt. v. 26.09.1996, Az.: 4 A 4350/94

Beweidung von Wald und Gebüsch im Landschaftsschutzgebiet.; Beurteilung der zugrundezulegende Sachlage und Rechtslage zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung bei Anfechtung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung; Begriff des Waldes im Naturschutzrecht; Waldsträucher als Bestandteil eines Waldes; Vorliegen einer ordnungsgemäßen Landwirtschaft und Forstwirtschaft

Bibliographie

Gericht
VG Göttingen
Datum
26.09.1996
Aktenzeichen
4 A 4350/94
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1996, 15747
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGGOETT:1996:0926.4A4350.94.0A

Prozessführer

Herr ...
vertreten durch ... Geschäftsführer ...

Prozessgegner

...

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Wendet sich ein Kläger mit einer Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung, ist der maßgebliche Zeitpunkt für die der Beurteilung zugrundezulegende Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung.

  2. 2.

    Waldsträucher sind nur dann Bestandteil eines Waldes, wenn sie mit Waldbäumen vergesellschaftet sind und so mit ihnen eine untrennbare organische Lebensgemeinschaft bilden.

  3. 3.

    Wald ist grundsätzlich ein tatsächlicher Begriff, das heißt die Waldeigenschaft ist unabhängig von Eintragungen in irgendwelchen Verzeichnissen. Eine besondere Dichte des Baumbestandes ist nicht erforderlich, solange der äußere Gesamteindruck eines bestehenden oder entstehenden Waldes anzunehmen ist.

  4. 4.

    Aus der Anforderung des Vorhandenseins einer Grundfläche im Naturschutzrecht ergibt sich das Erfordernis einer gewissen Flächenausdehnung. Notwendig ist die Fähigkeit des Aufwuchses, eine eigene Lebensgemeinschaft und damit einen eigenen ökologischen Haushalt von gewisser Erheblichkeit aufbauen zu können.

  5. 5.

    Eine ordnungsgemäße Land- und Forstwirtschaft bedeutet eine langfristig ökonomisch richtige Wirtschaftsweise. Ordnungsgemäß bedeutet allerdings nicht allein die Einhaltung agronomischer Regeln, sondern auch der geltenden Rechtsvorschriften. Eine ordnungsgemäße Landwirtschaft liegt jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn gegen Rechtsvorschriften verstoßen wird.

  6. 6.

    Grundsätzlich stellt ein ständiger auf Dauer angelegter Eintrieb von Vieh in den Wald eine Umwandlung des Waldes in eine andere Art, nämlich in eine Viehweide dar. Das Gebot, den Wald im Rahmen seiner Zweckbestimmung ordnungsgemäß und nachhaltig zu bewirtschaften steht einer Beweidung des Waldes nicht in jedem Fall entgegen.

In der Verwaltungsrechtssache
hat die 4. Kammer des Verwaltungsgerichts Göttingen
auf die mündliche Verhandlung vom 26. September 1996
durch
die Vizepräsidentin des Verwaltungsgerichts Kaiser,
den Richter am Verwaltungsgericht Dr. Wenderoth und
die Richterin am Verwaltungsgericht Schneider sowie
die ehrenamtliche Richterin Parr und
den ehrenamtlichen Richter Reinhardt
für Recht erkannt:

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt worden ist.

Der Bescheid des Beklagten vom 30.04.1990 i.d.F. des Widerspruchsbescheides der Bezirksregierung ... vom 29.04.1994 wird aufgehoben, soweit darin die Beweidung des Flurstücks 13 und bezüglich des mit Fichten bestandenen Teils des Flurstücks 155/27 - in der als Anlage zum Schriftsatz des Klägers vom 22.07.1996 überreichten Lageskizze als b 1 ausgewiesenen Fläche - der Flur 1, Gemarkung ... untersagt worden ist. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

Der Kläger und der Beklagte tragen je zur Hälfte die Kosten des Verfahrens.

Der jeweilige Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung jeweils durch Sicherheitsleistung in Höhe des jeweils zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger zuvor Sicherheit in der jeweils zu vollstreckenden Höhe leistet.

Tatbestand

1

Der Kläger ist Eigentümer der im Landschaftsschutzgebiet "Naturpark ... gelegenen Grundstücke Gemarkung, ... Flur 1, Flurstücke 13, 15, 152/16, 155/27 und 156/27. Er bewirtschaftet die genannten, in Teilbereichen mit Bäumen und Büschen aus Anflug bzw. Pflanzung bewachsenen Flächen, indem er diese im Wechsel als Weide für schottische Hochlandrinder und Pferde in naturnaher Haltung nutzt. Insbesondere auf dem Flurstück 155/27 pflanzte er geschlossen Fichten an, die er nach Durchforstung oder Windwurf den Tieren zur Futterergänzung gibt. Die gemeinsam genutzten Flurstücke 155/27 und 156/27 sind mit einer Hütte bestanden.

2

Über diese Grundstücke führt im südöstlichen Bereich diagonal von Nordosten nach Südwesten eine Hochspannungsleitung. Die Flurstücke 15 und 152/16 bilden eine Einheit und sind seit einigen Jahren mit einem Wirtschaftsgebäude bebaut.

3

Mit Bescheid vom 30.04.1990 untersagte der Beklagte unter Anordnung der sofortigen Vollziehung und Androhung eines Zwangsgeldes die Beweidung der vom Kläger bewirtschafteten obengenannten Grundstücke, soweit diese mit Wald und Gebüsch bestanden sind. Die vom Beweidungsverbot erfaßten Flächen waren auf einer beigefügten Karte gekennzeichnet. Zur Begründung führte der Beklagte aus, bei einer Ortsbesichtigung am 13.11.1989 habe er auf den Grundstücken des Klägers an mehreren Bäumen und Sträuchern Verbißschäden infolge Beweidung festgestellt. Die Rinde einiger Fichtenstämme sei durch Abschälen erheblich geschädigt. Einige Sträucher (u.a. Roter Hartriegel, Holunder) seien teilweise bis zum Boden abgefressen worden. Dies widerspreche den Verboten der Landschaftsschutzgebietsverordnung "Naturpark ..." Lediglich durch die Untersagung der Beweidung von Wald und Gebüsch sei es möglich, eine weitere Gehölzbeseitigung zu vermeiden.

4

Hiergegen legte der Kläger am 17.05.1990 Widerspruch ein.

5

Durch Beschluß vom 22.06.1990 stellte das Verwaltungsgericht ... (2 B 2150/90) die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs wieder her. Es sei aufklärungsbedürftig, seit wann der Kläger eine land- und forstwirtschaftliche Nutzung durchführe, welchen Umfang die Beweidung angesichts des Tierbesatzes in Anspruch nehme und ob die möglicherweise gegebenen Verbißschäden noch in den Rahmen einer land- und forstwirtschaftlichen Nutzung von Wald- und Wiesenflächen fallen können. Da die Erfolgsaussichten der Hauptsache offen und die Eingriffe in den Naturhaushalt bislang relativ gering seien, sei die aufschiebende Wirkung wiederherzustellen.

6

Den Widerspruch wies die Bezirksregierung ... durch Bescheid vom 29.04.1994, zugestellt am 06.05.1994, zurück. Die betroffenen Flächen seien mit Mischwald aus ca. 10 bis 50-jährigen Birken, Fichten, Aspen und Eichen bestanden und daher Wald im Sinne des Nds. Waldgesetzes. Die Beweidung der Flurstücke verstoße gegen das Beweidungsverbot der Schutzgebietsverordnung. Dieses Verbot finde seine Berechtigung darin, daß das Schälen der Rinde das Nährstoffleitsystem der Bäume und Sträucher beschädige, der Verbiß des Austriebs die Laubbildung behindere, der Verbiß und das Zertreten von Sämlingen und Jungpflanzen das Nachwachsen von Wald verhindere und die Trittbelastungen den Boden im Wurzelbereich der Gehölze verdichteten, wodurch deren Nährstoff-, Wasser- und Luftversorgung behindert werde.

7

Obwohl der Kläger diese Art der Beweidung schon vor Inkrafttreten der geltenden Landschaftsschutzgebietsverordnung betrieben habe, liege keine ordnungsgemäße Landwirtschaft vor. Die Waldbeweidung sei schon nach der Vorläuferverordnung unzulässig gewesen. Eine Erlaubnis zur Umwandlung von Wald in Weide und zur Beseitigung der Sträucher könne wegen des entgegenstehenden Schutzzwecks der Landschaftsschutzgebietverordnung nicht erteilt werden. Die Voraussetzungen einer Befreiung lägen nicht vor.

8

Der Kläger hat am 06.06.1994 Klage erhoben.

9

Nach der Erklärung des Beklagten, er halte an der Untersagungsverfügung bezogen auf die Flurstücke 152/16 und 15 nicht mehr fest, haben die Beteiligten den Rechtsstreit übereinstimmend in der Hauptsache für erledigt erklärt, soweit die angefochtenen Bescheide die Flurstücke 152/16 und 15 betreffen.

10

Zu der im übrigen fortgeführten Klage trägt der Kläger vor: Er sei auf eine vollständige Beweidung der von dem Beweidungsverbot betroffenen Flurstücke angewiesen. Es handele sich nicht um eine Bewirtschaftung von Waldflächen, sondern von landwirtschaftlichen Flächen, die teilweise mit Bäumen und Sträuchern bestanden seien. Die Flächen würden seit 100 Jahren beweidet. Falls Roter Hartriegel und Holunder auf den fraglichen Flächen überhaupt wüchsen, seien sie jedenfalls im Rahmen der Waldbewirtschaftung ohnehin zu beseitigen. Bei Aufgabe der Weidewirtschaft komme es zu einer erheblichen Verbuschung mit beträchtlichen Pflegekosten.

11

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 30.04.1990 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung ... 1 vom 29.04.1994 aufzuheben mit Ausnahme der die Flurstücke 152/16 und 15 betreffende Untersagung.

12

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen,

13

und bezieht sich auf die Gründe des Widerspruchsbescheides. Weiterhin beruft er sich auf eine Auskunft der Landwirtschaftskammer ... Forstamt ..., wonach die Flurstücke 155/27 und 156/27 Wald im Sinne des Waldgesetzes seien, da sie mit Mischwald bewachsen seien. Mittlerweile sei durch die andauernde Beweidung und bauliche Veränderungen der Waldcharakter der Flurstücke weiter verringert worden. Für die Erhaltung und die natürliche Entwicklung von Wald sei das Beweidungsverbot notwendig. Das Flurstück 13 werde nach wie vor als teilweise mit Gebüsch/Gehölz bestanden angesehen und dürfe in dem Umfang nicht beweidet werden.

14

Die Kammer hat aufgrund des Beweisbeschlusses vom 03.09.1996 in der mündlichen Verhandlung vor Ort die vom Beweidungsverbot betroffenen Flurstücke unter Zuziehung des Sachverständigen Privat-Forstdirektor ... in Augenschein genommen.

15

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf die Gerichtsakten in diesem Verfahren sowie im Verfahren des Verwaltungsgerichts ... - 2 B 2150/90 - und auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten und der Bezirksregierung Braunschweig Bezug genommen. Diese Unterlagen sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.

Entscheidungsgründe

16

Soweit sich die Klage zunächst auch gegen die Untersagung der Beweidung der Flurstücke 152/16 und 15 der Flur 1, Gemarkung Benterode gerichtet hat, ist das Verfahren entsprechend § 92 VwGO einzustellen, nachdem die Beteiligten es insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt haben.

17

Die im übrigen aufrecht erhaltene Anfechtungsklage ist zulässig, aber nur in dem aus den Tenor ersichtlichen Umfang begründet. Der Bescheid des Beklagten ist rechtswidrig, soweit darin die Beweidung des Flurstücks 13 und bzgl. des im Tenor bezeichneten mit Fichten bestandenen Teils des Flurstücks 155/27 der Flur 1, Gemarkung ... untersagt worden ist. Im übrigen begegnet der angefochtene Bescheid keinen rechtlichen Bedenken.

18

Maßgeblicher Zeitpunkt für die der Beurteilung zugrundezulegende Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung. Dies ergibt sich daraus, daß der Kläger sich mit seiner Anfechtungsklage gegen einen Verwaltungsakt mit Dauerwirkung wendet. Das Verbot, bestimmte Teile der Flurstücke zu beweiden, stellt eine Entscheidung dar, die sich während ihrer Wirksamkeit gegenüber dem Betroffenen ständig neu aktualisiert. Ein solches Verbot ist daher nicht bloß darauf zu überprüfen, ob es rechtmäßig erlassen wurde, sondern auch darauf, ob es auch aufrecht erhalten werden durfte bis hin zum Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung. Die Verwaltung trifft in diesen Fällen die Pflicht, den einmal erlassenen Verwaltungsakt ständig unter Kontrolle zu halten.

19

Der Bescheid findet seine Rechtsgrundlage nur zum Teil in § 63 Satz 1 des Nds. Naturschutzgesetzes (NNatG) vom 11.104.1994 (Nds. GVBl. S. 155), zuletzt geändert durch Gesetz vom 28.05.1996 (Nds. GVBl. S. 242) i.V.m. § 3 Abs. 1 Nr. 3 der Verordnung über das Landschaftsschutzgebiet "Naturpark Münden" für die Stadt Münden, die Gemeinde Staufenberg und die Samtgemeinde Dransfeld (LSVO) vom 25.01.1989 (Amtsblatt für den Regierungsbezirk ... Seite 106 in der Fassung der 2. Änderungsverordnung vom 13.07.1994, Amtsblatt Seite 211). Nach § 63 Satz 1 NNatG trifft die Naturschutzbehörde, hier der Beklagte, nach pflichtgemäßem Ermessen die Maßnahmen die im Einzelfall erforderlich sind, um die Einhaltung der Rechtsvorschriften über Naturschutz und Landschaftspflege sicherzustellen. Gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 LSVO ist es im Naturpark ... verboten, Wald, Gebüsch und Röhricht von Haustieren beweiden zu lassen. Gemäß § 5 Nr. 1 LSVO unterliegt die ordnungsgemäße land- und forstwirtschaftliche Nutzung auf den bislang genutzten Flächen nicht dem in § 3 Abs. 1 Nr. 3 aufgestellten Beweidungsverbot.

20

Nach Maßgabe dieser Bestimmungen ist das Beweidungsverbot für die nördliche Hälfte des Flurstücks 13 bereits deshalb rechtswidrig und verletzt dadurch den Kläger in seinen Rechten, weil es sich bei dem Bewuchs in dem genannten Bereich weder um Wald noch um Gebüsch im Sinne der LSVO handelt.

21

Weder die LSVO noch das NNatG enthalten eine Definition des Waldbegriffs. In Ermangelung einer eigenständigen naturschutzrechtlichen Definition greift der Beklagte zu Recht auf die forstrechtliche Begriffsbestimmung zurück.

22

Wald im Sinne des § 2 Abs. 1 des Landeswaldgesetzes (LWaldG) und des § 2 Abs. 1 Satz 1 des Bundeswaldgesetzes (BWaldG) ist jedes mit Waldbäumen bestockte Grundstück (LWaldG) bzw. jede mit Forstpflanzen bestockte Grundfläche (BWaldG). Waldsträucher wie Holunder sind nur dann Bestandteil eines Waldes, wenn sie mit Waldbäumen vergesellschaftet sind und so mit ihnen eine untrennbare organische Lebensgemeinschaft bilden (Kolodziejcok/Recken, Naturschutz, Landschaftspflege und einschlägige Regelungen des Jagd- und Forstrechts, § 2 BWaldG Rn. 6).

23

Wald ist grundsätzlich ein tatsächlicher Begriff, das heißt die Waldeigenschaft ist unabhängig von Eintragungen in irgendwelchen Verzeichnissen (Klose/Orf, Forstrecht, 1982, § 2 Rn. 9; Kolodziejcok/Recken, a.a.O. Rn. 4). Die von der Widerspruchsbehörde angeführte Darstellung der Flächen im Kataster ist daher unerheblich.

24

Eine besondere Dichte des Baumbestandes ist nicht erforderlich, solange der äußere Gesamteindruck eines bestehenden oder entstehenden Waldes anzunehmen ist (Kolodziejcok/Recken, a.a.O. Rn. 7).

25

Aus der Anforderung "Grundfläche" (in Niedersachsen auch "Grundstück") ergibt sich das Erfordernis einer gewissen Flächenausdehnung. Notwendig ist die Fähigkeit des Aufwuchses, eine eigene Lebensgemeinschaft und damit einen eigenen ökologischen Haushalt von gewisser Erheblichkeit aufbauen zu können (Klose/Orf, a.a.O. Rn. 17) was als Wald anzusehen ist, ist unter Rückgriff auf die in §§ 1 BWaldG, 1 LWaldG genannten Funktionen zu bestimmen. Der Eigentümer muß in der Lage sein, forstwirtschaftliche Vorteile aus der Nutzung zu ziehen (Nutzfunktion) oder der Wald muß Wohlfahrtswirkungen für die Umwelt (Schutzfunktion) oder für die Erholung (Erholungsfunktion) nachhaltig erzielen. Dies setzt notwendigerweise eine Flächenausdehnung voraus, die einen ausreichenden Bestand an Waldbäumen und eine rationelle Bewirtschaftung zuläßt und die eine intensive Wirkung auf die Umwelt, innere Stabilität und ökologische Selbstständigkeit erwarten läßt (Kolodziejcok/Recken a.a.O. Rn. 9). Bei den hier anzulegenden forstfachlichen Kriterien ist nicht eine Mindestgröße von 0,2 ha erforderlich, um eine Fläche als Wald einzustufen, wovon die Begründung des Gesetzesentwurfs (Bundestagsdrucksache 7/889, S. 25) noch ausging. Ein solcher Ansatz ließe die Einzelfallgerechtigkeit vermissen. Vielmehr kommt es darauf an, daß sich auf der Fläche eine spezielle Lebensgemeinschaft, insbesondere ein waldtypischer Haushalt entwickeln kann. Dann können sich nach Lage des Einzelfalls (waldreiche oder waldarme Gegend, bestehender oder fehlender Zusammenhang mit anderen Waldflachen) bereits ab einer Flächengröße zwischen 400 und 900 qm Wald ergeben. Außerdem ist der "Wald" von der "Baumgruppe" im Sinne der §§ 2 Abs. 3 Nr. 1 LWaldG, § 2 Abs. 2 BWaldG abzugrenzen. Hierfür ist die Faustformel heranzuziehen, daß eine Ansammlung von Bäumen solange eine Baumgruppe ist, wie deren Durchmesser nicht größer ist als die Höhe, welche die betroffenen Bäume erreichen können (Klose/Orf, a.a.O. Rn. 27). Außerdem müssen die Ziele des § 1 BWaldG (Nutz-, Schutz- und Erholungsfunktion) erreicht werden können.

26

Nach diesen Kriterien ist die nördliche Hälfte des Flurstücks 13 nicht als Wald nach § 2 LWaldG einzustufen. Schon nach der Stellungnahme der Landwirtschaftskammer ... vom 15.08.1990 (Blatt 76 der Beiakten B) hat das Forstamt ... den auf dem Flurstück in geringem Umfang vorhandenen Weidenanflug nicht als Wald angesehen. Die Beteiligten haben sich anläßlich der Augenscheinseinnahme im Termin dieser vom Gutachter ... bestätigten Bewertung angeschlossen, die auch das Gericht nach dem im Termin gewonnenen Eindruck teilt. Bezüglich der weiträumig vereinzelt wachsenden jungen Bäume, vor allem Weiden, aber auch Birken, mit einer Größe von etwa 3 bis 4 Metern läßt sich ein typischer Waldcharakter nicht feststellen. Das Gericht folgt auch nicht der Ansicht des Beklagten, in diesem Bereich sei der Bewuchs als Gebüsch zu qualifizieren und deshalb von der Beweidung auszunehmen. Dem steht schon die Größe und die Art des Bewuchses entgegen. Ein Beweidungsverbot für Gehölze allgemein sieht die LSVO nicht vor. Im übrigen hat sich der Bewuchs erst nach der vom Kläger geänderten Bewirtschaftung des Flurstücks von Acker in Weidefläche trotz der Beweidung entwickelt, was eine nennenswerte Beeinträchtigung des so entstandenen Charakters der Weidefläche durch die vom Kläger praktizierte Form der Beweidung ausschließt.

27

Für den in den Anlagen zum Bescheid des Beklagten vom 30.04.1990 rot bzw. gelb (vgl. Blatt 57, 58 der Beiakten B) markierten Bereich auf den Flurstücken 156/27 und 155/27 ist mit Ausnahme des im Tenor genannten, etwa 1.200 qm großen Teilstücks, auf dem sich eine durch Elektrozaun geschützte Fichtenpflanzung mit dichten Baumreihen befindet, gegen das Beweidungsverbot aus Rechtsgründen nicht einzuwenden.

28

Für den Bereich der Fichtenpflanzung ist die angeordnete Maßnahme nicht erforderlich, denn dort führt der Kläger offenkundig seit Jahren eine Beweidung nicht durch. Schon aus diesem Grunde bestand für die Einbeziehung dieser Flächen in die Untersagungsverfügung kein Anlaß.

29

Für die übrigen streitgegenständlichen Teile der Flurstücke 156/27 und 155/27 liegen die Voraussetzungen für ein Beweidungsverbot nach § 3 Abs. 1 Nr. 3 LSVO tatbestandlich vor, und, zwar in dem Bereich, den der Kläger auf der zu den Gerichtsakten gereichten Skizze (Blatt 38 der Akten) mit c selbst als Wald bezeichnet sowie mit dem als b 2 bezeichneten Bereich, der mit Fichten und Birken bestockt ist. Diese Flächen mit einer Größe von etwa 10.000 qm stellen Wald im Sinne der oben genannten Kriterien dar.

30

Nach dem im Rahmen der Augenscheinseinnahme vorgefunden Bewuchs mit Bäumen wie Birke, Fichte, Aspe und Eiche, die vom Kläger auch zum Teil selbst gesetzt worden sind, sind die Grundstücksteile mit Waldbäumen bestockt. Dabei handelt es sich auch weder um einzelne Baumgruppen noch um Baumreihen, auch wenn die Gesamtgröße der geschlossenen Waldfläche nur etwa 6.000 qm beträgt. In dem weiteren Bereich, in dem die Hochspannungsleitung das Grundstück überquert, befinden sich nur niedrige Waldbäume und Gebüsch.

31

Von dem danach für den gesamten genannten Bereich gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 3 LSVO grundsätzlich bestehenden Verbot der Beweidung ist der Kläger nicht gemäß § 5 Nr. 1 LSVO freigestellt. Die Beweidung des Waldes bzw. Gebüschs auf diesen Grundstücksteilen stellt keine ordnungsgemäße Land- und Forstwirtschaft im Sinne des § 5 Nr. 1 LSVO dar. Deshalb ist es für die Entscheidung ohne Bedeutung, daß der Kläger diese Form der Beweidung bereits vor dem Inkrafttreten der LSVO vorgenommen hat.

32

Die Verordnung verweist hinsichtlich des Begriffs der ordnungsgemäßen Land- und Forstwirtschaft auf das NNatG, ohne einen bestimmten Paragraphen anzugeben. Da es sich jedoch um eine Landschaftsschutzgebietsverordnung handelt, muß man davon ausgehen, daß der Verordnungsgeber an die Landwirtschaftsklausel der Bestimmung über den Landschaftsschutz (§§ 26 Abs. 2, 1 Abs. 3 NNatG) anknüpfen wollte.

33

Eine "ordnungsgemäße Land- und Forstwirtschaft" meint eine langfristig ökonomisch richtige Wirtschaftsweise (Hennecke, Beschränkungen ordnungsgemäßer Landwirtschaft im Landschaftsschutzgebiet, NuR 1984, 263, 265 [BVerwG 20.01.1984 - BVerwG 4 C 43.81]), Ordnungsgemäß bedeutet allerdings nicht allein die Einhaltung agronomischer Regeln, sondern auch der geltenden Rechtsvorschriften. Eine ordnungsgemäße Landwirtschaft liegt jedenfalls dann nicht mehr vor, wenn gegen Rechtsvorschriften verstoßen wird (Hennecke, a.a.O.).

34

§ 6 Abs. 1 S. 1 LWaldG gibt vor, daß der Waldbesitzer seinen Wald nach den Grundsätzen einer ordentlichen Forstwirtschaft bewirtschaften soll. Eine Privilegierung kommt für die Waldfläche also nur für eine forstwirtschaftliche Nutzung, nicht für eine landwirtschaftliche Nutzung in Betracht. Die Beweidung der streitbefangenen Flurstücke mit schottischen Hochlandrindern und Pferden stellt lediglich eine Nebennutzung dar, die hier ungeachtet der Regelungen in der LSVO nicht im Rahmen einer fortwirtschaftlichen Nutzung als ordnungsgemäß angesehen werden kann.

35

Grundsätzlich stellt ein ständiger auf Dauer angelegter Eintrieb von Vieh in den Wald eine (nach §§ 13 LWaldG, 9 BWaldG ohne Genehmigung verbotene) Umwandlung des Waldes in eine andere Art, nämlich in eine Viehweide dar (OVG Münster, Urteil vom 23.07.1985 - 20 A 2448/83 -, NuR 1986, 35, 37; Klose/Orf, a.a.O. § 9 Rn. 36). Das Gebot, den Wald im Rahmen seiner Zweckbestimmung ordnungsgemäß und nachhaltig zu bewirtschaften (§§ 6 Abs. 1 LWaldG, 11 Satz 1 BWaldG) steht einer Beweidung des Waldes nicht in jedem Fall entgegen. Jedoch ziehen §§ 6 Abs. 1 LWaldG, 11 Satz 1 BWaldG der Nebennutzung Waldweide dort eine Grenze, wo der Bestand oder der Boden Schaden leiden (Klose/Orf, § 11 Rn, 75). Die Verpflichtung zur pfleglichen Bewirtschaftung des Waldes schließt die Verpflichtung zur schonenden Ausübung der Nebennutzungen ein.

36

Nach dem Ergebnis der mündlichen Verhandlung ist allerdings hier davon auszugehen, daß die Waldweide zu einer Gefährdung des Waldbestandes führt. Im Ergebnis teilt die Kammer insoweit die Einschätzung des Beklagten.

37

Hierauf hat bereits die Bezirksregierung Braunschweig in ihrem Widerspruchsbescheid unter Berufung auf die Entscheidung des OVG Lüneburg vom 28.09.1988 - 14 OVG A 209/85 - zutreffend hingewiesen. Dem folgt die Kammer gemäß § 117 Abs. 5 VwGO. Die Kammer konnte sich unter Berücksichtigung der fachkundigen Äußerungen des Gutachters ... davon überzeugen, daß insbesondere die Bodenvegetation im Waldstück durch die Beweidung aufgrund von Verbiß und Tritteinwirkungen verarmt, was eine ausreichende Verjüngung des Waldes verhindert und zu einer schleichenden Umwandlung des Waldes führt. Die erforderliche Erlaubnis hierzu gemäß § 4 LSVO bzw. eine Genehmigung gemäß § 13 LWaldG liegt nicht vor.

38

Bei dieser Sachlage hat der Beklagte ermessensfehlerfrei das Beweidungsverbot zum Schutz des Waldes im Naturpark ... ausgesprochen. Insbesondere ist dieses Verbot geeignet, aber auch erforderlich, um den für den Bestand des Waldes schädlichen Folgen der Beweidung entgegenzuwirken. Auch kam als mildere Maßnahme eine Beschränkung der Beweidung nicht in Betracht, da der Kläger nach eigenen Angaben ohnehin nur eine maßvolle Beweidung nacheinander durch etwa zehn Rinder und neun Pferde und auch nicht andauernd, sondern nur zu bestimmten Zeiten durchführt.

39

Die Kostenentscheidung beruht bezüglich des in der Hauptsache erledigten Teils auf § 161 Abs. 2 VwGO. Insoweit entspricht es billigem Ermessen, dem Beklagten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, was die Kammer mit einem Viertel der Gesamtkosten des Verfahrens bewertet. Dies ergibt sich daraus, daß der Beklagte die Erledigung herbeigeführt hat, indem er für die Flurstücke 152/16 und 15 der Flur 1 Gemarkung ... an der Untersagungsverfügung nicht mehr festgehalten hat. Im übrigen folgt die Kostenentscheidung aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

40

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergeht gemäß § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Kaiser
Dr. Wenderoth
Schneider