Amtsgericht Wilhelmshaven
Urt. v. 29.10.2002, Az.: 6 C 602/02 (I)

Anspruch auf Schadensersatz und Schmerzensgeld für bei einem Unfall auf einer Autobahn erlittende Schäden; Anforderungen an die Bejahung der Unabwendbarkeit eines Ereignisses im Straßenverkehr; Anforderungen an den Unabwendbarkeitsbeweis

Bibliographie

Gericht
AG Wilhelmshaven
Datum
29.10.2002
Aktenzeichen
6 C 602/02 (I)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 29758
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGWILHV:2002:1029.6C602.02I.0A

Fundstellen

  • DAR 2003, 123 (Volltext mit red. LS)
  • NZV 2003, 181-182 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreitverfahren
hat das Amtsgericht Wilhelmshaven
auf die mündliche Verhandlung vom 08.10.2002
durch
den Richter am Amtsgericht Hülsebusch
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.)

    Die Beklagten werden verurteilt, als Gesamtschuldner an die Klägerin 1.889,08 Euro zu zahlen nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus § 247 BGB seit dem 21.02.2002 zu zahlen abzüglich am 25.06.02 gezahlter 1.889,08 Euro. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. 2.)

    Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander aufgehoben.

  3. 3.)

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Parteien können die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % der jeweils vollstreckbaren Summe abwenden, sofern nicht die Gegenseite Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin, Halterin eines Pkws Marke Golf, Kennzeichen WHV-..., befuhr am 11.12.2001 gegen 12.15 Uhr die Bundesautobahn 29 in Wilhelmshaven auf der rechten Fahrspur. In Höhe Kilometer 71,55 näherte sich der Beklagte zu 1) mit seinem bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversicherten Pkw, Kennzeichen WHV-..., auf der Überholspur. Der Beklagte zu 1) wollte einem hinter ihm fahrenden Fahrzeug, dessen Fahrer schneller fahren wollte, Platz machen und fuhr deshalb auf die rechte Fahrspur. Dabei stieß er gegen das klägerische Fahrzeug, das durch den Aufprall ins Schleudern geriet und stark auf dem Dach rechts neben der Fahrbahn liegen blieb. Die Klägerin erlitt Körperverletzungen. Sie musste sich 3 Tage stationär behandeln lassen.

2

Die Klägerin behauptet, sie sei mit einer Geschwindigkeit von etwa 60 km/h gefahren. Das sei aus ihrer Sicht legitim. Für sie sei der Unfall deshalb unabwendbar gewesen.

3

Als Sachschaden macht die Klägerin geltend

1.2.300,00 EuroWert des Fahrzeugs zur Unfallzeit
2.195,72 EuroFahrzeugtransport und Verwertung nach dem Unfall
3.298,03 EuroAbschleppen von der Unfallstelle
4.264,42 EuroGutachterkosten
5.26,08 EuroEigenanteil für die stationäre Unterbringung
6.25,50 Euroallgemeine Unkostenpauschale.
4

Außerdem verlangt die Klägerin ein Schmerzensgeld von mindestens 1.000,00 Euro.

5

Die Klägerin beantragt,

die Beklagten als Gesamtschuldner kostenpflichtig und vorläufig vollstreckbar zu verurteilen,

  1. 1.

    an die Klägerin 3.109,75 Euro nebst 5 Prozentpunkten jährlich über § 1 DÜG ab dem 21.02.2002 zu zahlen,

  2. 2.

    an die Klägerin ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 5 Prozentpunkten über § 1 DÜG seit dem 21.02.2002 zu zahlen.

6

Die Beklagten beantragen,

die Klage abzuweisen.

7

Sie machen geltend, der Beklagte zu 1) sei von dem nachfolgenden Fahrzeug auf der linken Spur bedrängt worden und deshalb vom Beklagten nach rechts gelenkt worden. Die Klägerin sei so extrem langsam gefahren (40 km/h), dass sie mit ihrem Fahrzeug ein Hindernis auf der Autobahn dargestellt habe.

8

Im übrigen seien 50 % des Schadens, soweit die Positionen anerkannt worden seien, mit 1.889,08 Euro beglichen worden. Dabei sei ein Schmerzensgeld in Höhe von 700,00 Euro als berechtigt bei 100 %iger Zahlungsverpflichtung in Ansatz gebracht worden, 26,08 Euro als Kompensiert durch Eigenersparnisse und 5,50 Euro als Teil der überzogenen Unkostenpauschale abgesetzt worden.

9

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

10

Es ist Beweis erhoben worden nach Maßgabe des Beschlusses vom 02.07.2002 durch Vernehmung des Zeugen .... Der Zeuge ist im Wege der Rechtshilfe vernommen worden. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift des Rechtshilfegerichts vom 03.09.2002 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

11

Die Klage ist in dem aus dem Urteilstenor ersichtlichen Umfange gegen den Beklagten zu 1) aus §§ 7, 823 BGB, gegen die Beklagte zu 2) aus § 3 Pflichtversicherungsgesetz begründet.

12

Die Beklagten haben den Unabwendbarkeitsbeweis nicht geführt. Unabwendbar ist ein Ereignis bei Teilnahme am Straßenverkehr mit einem Pkw nur dann, wenn es auch durch äußerst mögliche Sorgfalt nicht abgewendet werden konnte. Dazu gehört sachgemäßes, geistesgegenwärtiges Handeln über den gewöhnlichen und persönlichen Maßstab hinaus. Nach durchgeführter Beweisaufnahme konnte kein Zweifel daran bestehen, dass der Unfall für den Beklagten zu 1) abwendbar war, die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs allerdings durch vorwerfbares Fehlverhalten gesteigert worden ist. Der Beklagte zu 1) hat sich bei der offensichtlichen "Schreckreaktion" in den Bewegungsabläufen verschätzt und übersehen, dass die Klägerin extrem langsam gefahren ist. Auch die Klägerin hat den Unabwendbarkeitsbeweis nicht geführt. Für sie gilt das vorstehend Gesagte genauso. Auch bei ihr ist die Betriebsgefahr des Fahrzeugs durch Fehlverhalten gesteigert worden. Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass die Klägerin entgegen ihren Verpflichtungen aus § 1 StVO auf der Autobahn zu langsam gefahren ist (nach Aussage des Zeugen ... ca. 60 km/h). Gemäß § 17 StVG hängen die Verpflichtungen zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen und insbesondere davon ab, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Dabei kommt es auf die Umstände an, die die Parteien miteinander beweisen konnten. Unter Abwägung dieser Gesichtspunkte muß sich die Klägerin die von ihrem Fahrzeug ausgehende Betriebsgefahr und ihr festgestelltes gefahrerhöhendes Verschulden zu 1/2 zurechnen lassen.

13

Bei der Höhe des Schadens sind die unstreitigen Positionen sowie eine Unkostenpauschale von 20,00 Euro in Ansatz gebracht worden. 26,08 Euro Eigenanteil beim Krankenhausaufenthalt waren durch Eigenersparnisse der Klägerin kompensiert. Es konnte auch von einem Schmerzensgeld in Höhe von 700,00 Euro bei 100 %iger Haftung ausgegangen werden. Die Verletzungen der Klägerin rechtfertigen keinen höheren Betrag.

14

Insgesamt war eine Forderung in Höhe von 1.889,08 Euro gerechtfertigt; diese Forderung ist durch Zahlung nach Rechtshängigkeit erloschen.

15

Die Zinsentscheidung rechtfertigt sich aus § 288 BGB.

16

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus §§ 92, 100 ZPO.

17

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Hülsebusch