Amtsgericht Aurich
Beschl. v. 06.12.2016, Az.: 9 IK 55/16

Anforderungen an eine analoge Anwendbarkeit des § 299 InsO bei Erteilung einer Restschuldbefreiung ohne Anmeldung von Forderungen zur Insolvenztabelle

Bibliographie

Gericht
AG Aurich
Datum
06.12.2016
Aktenzeichen
9 IK 55/16
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 34954
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGAURIC:2016:1206.9IK55.16.0A

Fundstellen

  • FMP 2017, 58
  • InsbürO 2017, 250
  • NZI 2017, 38-39
  • Rpfleger 2017, 237-238
  • VIA 2017, 14
  • VuR 2017, 240
  • ZInsO 2017, 788

In dem Verbraucherinsolvenzverfahren über das Vermögen der
H. S.
wird der Schuldnerin vorzeitig Restschuldbefreiung erteilt, § 299 InsO analog. Von der Restschuldbefreiung ausgenommen sind die nach der Eröffnung des Insolvenzverfahrens begründeten Verbindlichkeiten.

Gründe

Das Insolvenzverfahren wurde mit Beschluss vom 26.02.2016 eröffnet. Die Kosten des Verfahrens sind mit Beschluss vom gleichen Tage bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung gestundet, § 4a InsO.

Der Schuldnerin ist antragsgemäß Restschuldbefreiung zu erteilen, da keine Forderung angemeldet wurde. Der einzigen im Forderungsverzeichnis aufgeführten Gläubigerin wurde durch den Insolvenzverwalter die Aufforderung zur Anmeldung am 20.04.2016 zugestellt. Eine Anmeldung ist nicht erfolgt.

Die Restschuldbefreiung ist sofort zu erteilen, da im Restschuldbefreiungsverfahren eine Ausschüttung eventuell pfändbarer Bezüge mangels festgestellter Forderungen nicht erfolgen wird. Es ist somit sinnlos, die Schuldnerin eine "Wohlverhaltensphase" durchlaufen zu lassen, in der kein Insolvenzgläubiger befriedigt würde. Hier hat eine teleologische Reduktion des gesamten Verfahrens zu erfolgen. Sinn und Zweck des Insolvenzverfahrens ist die gemeinschaftliche Befriedigung der Insolvenzgläubiger. Zudem soll dem redlichen Schuldner im sich anschließenden Restschuldbefreiungsverfahren Gelegenheit gegeben werden, sich von seinen restlichen Verbindlichkeiten zu befreien, § 1 InsO.

Bereits vor Einfügung des § 300 I S. 2 Nr. 1 InsO durch das Gesetz zur Verkürzung des Restschuldbefreiungsverfahrens und Stärkung der Gläubigerrechte war anerkannt, dass § 299 InsO für den Fall analog angewendet werden kann, wenn im Verfahren keine Forderungen zur Tabelle angemeldet wurden (BGH, Beschluss vom 17.03.2005, IX ZB 214/04, ZlnsO 2005, 597). Dort war gefordert, dass sämtliche Verbindlichkeiten getilgt und keine sonstigen Masseverbindlichkeiten sowie Verfahrenskosten mehr offen waren. Dem Schuldner waren dort die Verfahrenskosten, im Gegensatz zum hier beschiedenen Verfahren, jedoch nicht gestundet worden.

Im Anschluss an die zitierte Entscheidung ist in Literatur und Rechtsprechung die Auffassung vertreten worden, dass auch bei offenen Gerichtskosten die Restschuldbefreiung sofort erteilt werden kann (Erdmann, ZlnsO 2007, 873; Henning ZlnsO 2007, 1253, 1258; Pape, ZlnsO 2007, 1289, 1305).

Die Kosten des Verfahrens sind nach § 4a InsO schließlich bis zur Erteilung der Restschuldbefreiung zu stunden.

Dieser Auffassung hat sich seinerzeit auch das erkennende Gericht angeschlossen, weil es sinnlos ist, jährliche Kosten von 119,00 EUR für ein sinnentleertes Restschuldbefreiungsverfahren zu verursachen.

Mit Beschluss vom 29.04.2015 hat bereits das AG Göttingen (71 IK 99/14, ZlnsO 2015, 1357) festgestellt, dass in einem Verfahren, das nach dem 01.07.2014 beantragt wurde, sofort Restschuldbefreiung zu erteilen ist, wenn kein Gläubiger eine Forderung angemeldet hat und die Kosten des Verfahrens gestundet sind. Auch das Insolvenzgericht Aurich hat unter den gleichen Voraussetzungen Restschuldbefreiung sofort erteilt, Beschluss vom 20.11.2015, ZlnsO 2016, 124.

Zwar hat der BGH mit Beschluss vom 22.09.2016 (IX ZB 29/16) entschieden, dass die Verfahrenskosten gezahlt sein müssten, diese Entscheidung ist allerdings abzulehnen. Würde diese Entscheidung auf den hier vorliegenden Fall angewendet, so verursachte man dadurch zusätzliche (und unnütze) Kosten für die Vergütung des Treuhänders, zahlbar aus der Landeskasse in Höhe von 714,00 EUR.

Diese Vergütung müsste nach Erteilung der Restschuldbefreiung zusätzlich zu den bereits entstandenen Verfahrenskosten von der Schuldnerin getragen werden, soweit nicht die Voraussetzungen für eine weitere Stundung gem. § 4b I InsO vorliegen. Auch im Hinblick darauf, dass die Landeskasse durch die gesetzliche Neuregelung entlastet werden sollt, erscheint dieses Ergebnis fraglich.

Durch die sofortige Erteilung der Restschuldbefreiung entsteht der Landeskasse auch kein Schaden, da sich die Nachhaftungsphase der Schuldnerin unmittelbar anschließt.

Diese Begründung trifft auch auf Verfahren zu, die nach dem 01.07.2014 beantragt sind. Gemäß § 300 I S. 2. Nr. 1 InsO ist der Schuldnerin auf ihren Antrag sofort die Restschuldbefreiung zu erteilen, wenn kein Insolvenzgläubiger im Schlussverzeichnis enthalten ist.

Geyer Rechtspfleger