Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 12.06.1990, Az.: 5 U 160/89

Ersatz für immaterielle Schäden und Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden aufgrund einer Gelbsuchterkrankung während eines stationären Heilungsaufenthaltes im Krankenhaus; Unzureichende Hygienemaßnahmen in einem Krankenhaus; Ursächlichkeit einer unzureichenden Versorgung für die Hepatitis-B-Erkrankung

Bibliographie

Gericht
OLG Oldenburg
Datum
12.06.1990
Aktenzeichen
5 U 160/89
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1990, 26153
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGOL:1990:0612.5U160.89.0A

Verfahrensgang

vorgehend
LG Aurich - 03.11.1989 - AZ: 6. O. 897/87

Fundstellen

  • AZRT 1991, 14
  • NJW-RR 1990, 1434-1435 (Volltext mit amtl. LS)
  • VersR 1991, 1378 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit
...
hat der 5. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Oldenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 29. Mai 1990
unter Mitwirkung des
Vizepräsidenten des Oberlandesgerichts xxx
des Richters am Oberlandesgericht xxx und
des Richters am Oberlandesgericht xxx
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des Landgerichts Aurich vom 3. November 1989 wird zurückgewiesen.

Die Kosten der Berufung fallen der Klägerin zur Last.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Der Wert der Beschwer liegt unter 40.000,- DM.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt Ersatz für immaterielle Schäden und Feststellung der Ersatzpflicht für Zukunftsschäden, die sie aus einer Gelbsuchterkrankung während eines stationären Heilungsaufenthaltes im Krankenhaus xxx auf xxx der Beklagten zu 1.) (künftig: Krankenhaus) herleitet, bei der die Beklagte zu 2.) als Oberärztin und die Beklagte zu 3.) als Stationsärztin beschäftigt waren.

2

Vom 19.06. bis 30.07.1986 war die Klägerin in dem Krankenhaus wegen Erkrankung der Atemwege stationär behandelt worden. Auf ihrer Station war zuvor bereits das Kind xxx (künftig: Axxx.) aufgenommen worden, bei der aufgrund einer Hepatitisuntersuchung vom 09.06.1986 spätestens am 18.06.1986 ein positiver Befund bezüglich einer Hepatitis-B-Erkrankung feststand. Die im Rahmen einer Umgebungsuntersuchung auch bei der Klägerin erfolgte Blutentnahme vom 09.07.1986 führte am 25.07.1986 zu einem positiven Befund bezüglich einer Hepatitis-B-Erkrankung , die am 29.07.1986 erstmals leicht sichtbar wurde. Im Anschluß an ihre Entlassung wurde die Klägerin bis zum 11.09.1986 in der Universitätskinderklinik Gießen auf der Isolierstation behandelt. Die Klägerin hält das Krankenhaus für verantwortlich, daß sie sich bei Axxx. angesteckt habe und befürchtet Folgeschäden in Zusammenhang mit einer möglicherweise weiteren jahrelangen ambulanten Behandlung und Überwachung, chronischen Krankheitsentwicklung und bestehenden Gefahr einer starken Leberschädigung.

3

Dazu hat sie vorgetragen:

4

Axxx. habe vollständig isoliert werden müssen. Infolge unzureichender Hygienemaßnahmen und einer am 22.06.1986 erlittenen ungenügend verbundenen offenen Fleischwunde habe sie sich bei Axxx. infiziert.

5

Die Klägerin hat beantragt,

  • die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld nebst 4% Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

  • festzustellen, daß die Beklagten verpflichtet sind, ihr allen materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus der Erkrankung an Hepatitis B im Juli 1986 in dem Kinderkrankenhaus xxx xxx, xxx noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger übergegangen ist.

6

Die Beklagten haben beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie haben den Ursachenzusammenhang zwischen der Erkrankung der Axxx. und der der Klägerin bestritten. Im Krankenhaus habe sich die Klägerin bereits wegen der längerwährenden Inkubationszeit nicht angesteckt. Die ergriffenen vorbeugenden Hygienemaßnahmen seien, wie auch das Gesundheitsamt bestätigt habe, nicht einmal erforderlich gewesen.

8

Das Landgericht hat nach sachverständiger Beratung die Klage abgewiesen, weil Axxx. als Infektionsquelle der Klägerin nicht bewiesen sei.

9

Dagegen wendet sich die Berufung der Klägerin, mit der sie ihr Klagebegehren in vollem Umfang weiterverfolgt.

10

Unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens ist sie der Auffassung, daß ihr Beweiserleichterungen bis hin zur Beweislastumkehr zugute kommen müssen, da bei den Beklagten verabsäumt worden sei, die für die Beurteilung des Krankheitsbildes notwendigen Befunde vor allem im Hinblick auf die Infektionsaktivitäten der Axxx. zu erheben und diese - anonymisiert - zu dokumentieren. Daher hätten jetzt die Beklagten darzulegen und zu beweisen, daß sich die Klägerin bereits vor dem Krankenhausaufenthalt infiziert habe. Die Krankenunterlagen enthielten zudem keine Angaben über die genau eingeleiteten Hygienemaßnahmen und die Versorgung der Fleischwunde. Die Wahrscheinlichkeit einer Ansteckung im Krankenhaus wachse jedenfalls, da im Haus der Klägerin keine Infektionsquelle zu ermitteln sei. Schließlich habe der Sachverständige im Hinblick auf die Ansteckungsrisiken die Besonderheiten eines Kinderhospitals nicht genügend gewürdigt.

11

Die Klägerin beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils nach den Schlußanträgen erster Instanz zu erkennen.

12

Die Beklagten beantragen,

die Berufung zurückzuweisen.

13

Sie verteidigen unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens die angefochtene Entscheidung und weisen ergänzend darauf hin, daß infolge der allgemeinen Inkubationszeit der Anscheinsbeweis für eine Ansteckung der Klägerin außerhalb des Krankenhauses spreche. Die Klägerin müsse deswegen zunächst darlegen und beweisen, daß sie mit so hoher Infektionsdosis in Berührung gekommen sei, die die normale Inkubationszeit verkürze. Mangels Zustimmung der Eltern der Axxx. hätten deren Befunddaten nicht mitgeteilt werden dürfen. Besonderer Hygienemaßnahmen bedürfe es bei chronisch persistierender Hepatitis-B-Erkrankung regelmäßig nicht.

14

Wegen des Ergebnisses der vom Senat durchgeführten Anhörung des Sachverständigen Prof. Dr. xxx wird auf die Niederschrift vom 29.05.1990 verwiesen.

15

Von der weiteren Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 543 Abs. 1 1. Halbsatz ZPO abgesehen.

Entscheidungsgründe

16

Die zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg, da weder ein ärztliches Fehlverhalten auf der Beklagtenseite noch die Ursächlichkeit einer unzureichenden Versorgung für die Hepatitis-B-Erkrankung der Klägerin erwiesen ist. Für beides ist die Klägerin in vollem Umfang darlegungs- und beweisbelastet. Beweiserleichterungen stehen ihr insoweit nicht zur Seite.

17

Aus diesem Grunde kann unerörtert bleiben, ob die Klägerin einen Haftungsgrund der Beklagten zu 2.) und 3.) bislang schlüssig dargetan hat.

18

Nach den überzeugenden und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. xxx gegen dessen fachliche Qualität und Unparteilichkeit keinerlei Bedenken bestehen, kann der Beklagtenseite weder vorgehalten werden, sie hätten Axxx. nicht auf der Station mit anderen Kindern belassen dürfen, sondern vollständig isolieren müssen, noch sie hätten wenigstens vorbeugende Hygienemaßnahmen ergreifen müssen.

19

Selbst Personen, die an einer chronisch persistierenden Hepatitis-B erkrankt sind, wovon der Sachverständige bei Axxx. ausgegangen ist, können unter bestimmten Umständen als Überträger überhaupt nicht in Betracht kommen. Eine vollkommene Absonderung solcher Kranken ist medizinisch nicht angezeigt. Auch der Ausschluß von gemeinsamen Einrichtungen (Toiletten, Schlafräume etc.) ist allenfalls gegenüber hier nicht anzutreffenden Risikopersonen (Schwangeren, Patienten mit gestörtem Immunsystem) in Erwägung zu ziehen. Die vom Krankenhaus angegebenen Hygienemaßnahmen waren auch in Anbetracht eines Kinderkrankenhauses in jedem Fall ausreichend, sofern es überhaupt geboten war, sie zu ergreifen. Strengere Hygienemaßregeln sind nur bei Hepatitis-A-Virusinfektionen geboten, während Personen mit chronischem HBs-Antigen-Trägerstatus nach den amtlichen Veröffentlichungen des Bundesgesundheitsamtes ausdrücklich zu Gemeinschaftseinrichtungen wie Säuglings-, Kinder-, Schülerheimen etc. zugelassen sind. Die Beklagtenseite verstoße daher auch nicht gegen den zu fordernden ärztlichen Behandlungsstandard, als sie nach Feststellung der Erkrankung Axxx. auf der Station beließ und die Station unter Vornahme allgemein anerkannter Hygienemaßnahmen sowie von Umfelduntersuchungen weiter betrieb.

20

Mit der erforderlichen Sicherheit (§ 286 ZPO) ist ebensowenig festzustellen, daß Axxx. Übertragungsquelle für die Erkrankung der Klägerin gewesen ist. Nach den Ausführungen des Sachverständigen, die der Senat seiner Beurteilung zugrundelegt und die für seine Überzeugungsbildung eine ausreichende Grundlage bilden, ist eine Infizierung der Klägerin durch Axxx. auch unter Berücksichtigung der sehr kurzen Inkubationszeit, von der dann auszugehen ist, zwar möglich. Dies setzt jedoch eine extrem hohe Infektionsdosis voraus, die üblicherweise durch Bluttransfusion und Seruminokulation übertragen wird und kaum durch hier allenfalls in Betracht kommende Wund-Wund- oder Schleimhaut-Wundkontakte. Die von der Klägerin angesprochenen Übertragungswege über Lebensmittel, Trinkwasser, Urin, Stuhl scheiden, sofern sie nicht mit Blut kontaminiert sind, von vornherein aus. Besonderheiten aus dem Gesichtspunkt einer Kinderklinik ergeben sich bereits deswegen nicht, weil die Klägerin nach der Immumreife Erwachsenen gleichzustellen war und im übrigen ein veränderter klinischer Verlauf der Hepatitis-B nur bei perinatal infizierten Neugeborenen oder sehr jungen Kindern vorkommt.

21

Beweiserleichterungen stehen der Klägerin nicht zur Seite. Ihr gegenüber hat die Beklagtenseite weder Dokumentationspflichten noch Pflichten zur medizinisch gebotenen Befunderhebung verletzt. Die Angriffe der Berufung dagegen gehen fehl. Das Krankenhaus hat bei Axxx. wie bei der Klägerin das Blut untersucht. Daß ihr insoweit Fehlleistungen anzulasten seien, ist nicht ersichtlich und wird auch von der Klägerin nicht behauptet. Die Daten der Axxx. durfte das Krankenhaus mangels Einwilligung der Eltern nicht bekanntgeben. Eine entsprechende anonymisierte Dokumentation, wie die Berufung sie in Erwägung zieht, war angesichts des Umstandes, daß nur bei einer Patientin diese Erkrankung festgestellt worden war, nicht mehr möglich. Dies war aber auch für die Behandlung der Klägerin nicht erforderlich. Denn die für ihre Behandlung erforderlichen Befunde sind durch die eigene Untersuchung der Klägerin erhoben und festgestellt worden. Inwieweit für ihre Behandlung zusätzlich die Infektionsdaten der Axxx. eine Rolle spielen können sollen, vermag nicht einmal die Berufung ansatzweise aufzuzeigen und ist auch im übrigen nicht zu erkennen.

22

Schließlich greifen auch die Wahrscheinlichkeitserwägungen der Klägerin nicht, die sie aus dem Fehlen einer häuslichen Ansteckungsquelle herleitet, weil sich sonst auch ihre Geschwister angesteckt hätten. Abgesehen davon, daß solche Wahrscheinlichkeitserwägungen den gesicherten Erkenntnissen über die regelmäßigen Inkubationszeiten entgegenstehen, schenkt die Klägerin den Wissenschaftsergebnissen über die epidemiologische Situation der Hepatitis-B-Erkrankung nicht genügend Beachtung, daß bei 0,4% bis 1% der einheimischen Bevölkerung chronische HBs-Antigenträgerschaft vorliegt und bei über 50% der akut Erkrankten die Infektionsquelle unbekannt bleibt.

23

Angesichts dessen sprechen zugunsten der Klägerin weder die Grundsätze des Indizienbeweises noch gar des Anscheinsbeweises. Das gilt auch unter dem von der Klägerin erhobenen Vorwurf der ungenügenden Dokumentation betreffend Hygienemaßnahmen und der Wundversorgung. Routinemaßnahmen sind ohnehin nicht zu dokumentieren. Über beide Wege ist - wie durch die Ausführungen des Sachverständigen überzeugend belegt - eine Förderung der Übertragungsmöglichkeit zudem eher unwahrscheinlich.

24

Die Anhörung des Sachverständigen Prof. xxx hat demgegenüber nichts ergeben, das eine andere Beurteilung nahelegen könnte.

25

Auch unter Berücksichtigung der sich aus der Krankenakte ergebenden gegenüber der schriftlichen Begutachtung neuen Umstände, daß bei Axxx. am 18.07.1986 das hohe Infektiosität anzeigende HBe-R/A nachgewiesen und die Wundversorgung der Klägerin am Tag ihrer Beinverletzung auch vom leitenden Oberarzt der Beklagten zu 1) als nicht optimal bezeichnet worden ist, vermochte der Sachverständige mehr als die bereits im schriftlichen Gutachten festgestellte Möglichkeit der Überträgereigenschaft der Axxx. für die Klägerin nicht zu bestätigen. Das ist angesichts der für diese Krankheit verschiedenen realistischen Übertragungsmöglichkeiten überzeugend. Weitergehende vorbeugende Hygienemaßnahmen waren auch bei Zugrundelegen dieser beiden vorgenannten Umstände - das hat der Sachverständige ebenfalls bestätigt - nicht zu ergreifen. Das Unterlassen antigenetischer Subtypenbestimmung, mit der ggfls. ein Ausschluß des Übertragungsweges von Axxx. hätte erreicht werden können, ist den Beklagten ebensowenig vorzuwerfen. Diese Maßnahmen gehören auch nach den Besonderheiten der zu beurteilenden Fallgestaltung nicht zu dem medizinisch zu fordernden Behandlungs- und Versorgungsstandard.

26

Auf dieser Grundlage war die Berufung mit den Nebenfolgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713, 546 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.