Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 28.05.1998, Az.: V 565/97 Ki
Verfassungsmäßigkeit der Grenze des Kinderfreibetrags; Voraussetzungen für die Gewährung von Kindergeld
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 28.05.1998
- Aktenzeichen
- V 565/97 Ki
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1998, 18620
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:1998:0528.V565.97KI.0A
Rechtsgrundlagen
- § 32 Abs. 4 S. 1 Nr. 2 EStG
- § 63 Abs. 1 S. 2 EStG
Verfahrensgegenstand
Kindergeld
Amtlicher Leitsatz
Die kindergeldschädliche Grenze gemäß §§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2, 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 EStG ist verfassungsgemäß.
Der V. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts hat
nach mündlicher Verhandlung in der Sitzung vom 28. Mai 1998,
an der mitgewirkt haben:
1. Vizepräsidentin ... des Finanzgerichts ...
2. Richter am Finanzgericht ...
3. Richter am Finanzgericht ...
4. ehrenamtlicher Richter ...
5. ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten.
Tatbestand
Der Kläger bezog ab 1. Januar 1996 für seine am 21. April 1974 geborene Tochter ... Kindergeld. Grundlage der Zahlung war der Bescheid des Beklagten vom 11. April 1996, der "hinsichtlich der Höhe der Einkünfte und Bezüge der Tochter" vorläufig ergangen war (§ 165 Abs. 1 Abgabenordnung - AO -).
Die Tochter studierte 1996 Zahnmedizin an der Universität ... Nebenbei arbeitete sie zeitweise in Hamburger Krankenhäusern als MTA. Nach den vorgelegten Lohnbescheinigungen erzielte sie aus diesen Beschäftigungsverhältnissen für die Zeit vom 1. Januar bis 31. März 1996 im krankenhaus 9.690,96 DM, für die Zeit vom 23. September bis 31. Dezember im krankenhaus 4.006,78 DM und für die Zeit vom 1. November bis 31. Dezember 1996 im Krankenhaus ... 614,11 DM. Der Beklagte ermittelte für die Tochter nach Abzug der Werbungskostenpauschale i.H.v. 2.000,00 DM 1996 Einkünfte i.H.v. 12.312,00 DM. Wegen Überschreitens des kindergeldschädlichen Grenzbetrages i.H.v. 12.000,00 DM setzte der Beklagte mit Bescheid vom 24. September 1997 das Kindergeld für die Tochter ... vom 1. Januar bis 31. Dezember 1996 auf 0 DM fest und forderte die gezahlten Beträge zurück.
Dagegen wendet sich der Kläger nach erfolglosem Einspruchsverfahren mit der Klage. Zur Begründung trägt er vor: Der Beklagte habe das Kindergeld für 1996 zu Unrecht auf 0 DM festgesetzt. 614,11 DM, die das Krankenhaus seiner Tochter für 1996 bescheinigt habe, seien ihr erst im März 1997 zugeflossen. Deshalb lägen ihre Einkünfte 1996 unter 12.000,00 DM. Lt. Einkommensteuerbescheid für 1996 seien sie sogar noch geringer. Dieser weise ein Einkommen i.H.v. 9.341,00 DM aus. Selbst nach der Berechnung des Beklagten lägen die Einkünfte der Tochter nur um 312,00 DM über der kindergeldschädlichen Grenze. Die Rückforderung des gesamten Kindergeldes wegen dieser geringfügigen Überschreitung verletze den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
den Bescheid vom 24. September 1997 und den Einspruchsbescheid vom 6. November 1997 aufzuheben.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Er bleibt bei seiner Ansicht.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im übrigen verweist der Senat auf die Finanzgerichtsakte und die unter Empfängernummer ... für den Kläger beim Beklagten geführte Kindergeldakte.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet.
Der angefochtene Bescheid ist von Gerichts wegen nicht zu beanstanden.
Für Kinder, die das 18. aber noch nicht das 27. Lebensjahr vollendet haben und für einen Beruf ausgebildet werden, wird Kindergeld gezahlt, wenn das Kind Einkünfte und Bezüge, die zur Bestreitung des Unterhaltes oder der Berufsausbildung bestimmt oder geeignet sind, von nicht mehr als 12.000,00 DM im Kalenderjahr hat, §§ 63 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2, 32 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 Einkommensteuergesetz (EStG). Diese Voraussetzungen sind vorliegend nicht erfüllt. Nach den zutreffenden Feststellungen des Beklagten überschreiten die Einkünfte der Tochter mit 12.312,00 DM im Jahr 1996 die "kindergeldschädliche" Grenze von 12.000,00 DM. Das ergibt sich aus den Lohnbescheinigungen des krankenhauses, des ... krankenhauses und des Krankenhauses ... in Hamburg,die sich in der Kindergeldakte befinden und aus dem Einkommensteuerbescheid der Tochter für 1996. Alle drei Bescheinigungen der Krankenhäuser weisen den Bruttoarbeitslohnfür 1 9 9 6 aus. Daß 614,11 DM vom Krankenhaus ... der Tochter erst 1997 zugeflossen sind, ist nicht bewiesen. Die Mitteilung über Bezüge und die Ablichtungen der Kontoauszüge der ... vom 2. und 18. April 1997, die der Kläger im Einspruchsverfahren vorgelegt hat, beziehen sich auf die Zeit ab April 1997. Die Mitteilung weist ein Bruttogehalt von 927,99 DM aus, das offenbar in zwei Raten (600,00 und 66,10 DM) im März und April 1997 gezahlt worden ist und mit den Bezügen aus 1996 nicht im Zusammenhang steht. Auf § 38 a EStG - wie der Beklagte meint - kommt es deshalb in diesem Zusammenhang nicht an. Ebenso wie die Lohnbescheinigung weist auch der Einkommensteuerbescheid Einkünfte, die über 12.000,00 DM liegen, nämlich 12.311,00 DM, aus. Das zu versteuernde Einkommen, wie der Kläger meint, ist für die Gewährung des Kindergeldes ohne Bedeutung. Denn § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG stellt ausdrücklich auf die Einkünfte ab und das sind gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG der Überschuß der Einnahmen (hier: Bruttoarbeitslohn) über die Werbungskosten (hier: Arbeitnehmerpauschbetrag). Die Sonderausgaben, die bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens berücksichtigt werden, bleiben vorliegend außer Betracht.
Schließlich mußte der Beklagte bei der Bemessung des Kindergeldes die 12.000,00 DM-Grenze des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG beachten. Dieser Betrag entsprach im Jahre 1996 "in etwa dem steuerfreien Existenzminimum" eines Steuerpflichtigen (vgl. Deutscher Bundestag Drucksache 13/1558 Seite 139 a.E.). Nach dieser Regelung soll eine steuerliche Freistellung des Kindes, das über eigene Einkünfte verfügt, nicht nochmals zur steuerlichen Begünstigung der Eltern führen. Die Regelung istverfassungsgemäß (vgl. Hermann/Heuer/Raupach, Kommentar zur Einkommensteuer und Körperschaftsteuer, § 32 EStG, Rdz. 130). Zwar bringt ein starrer Grenzbetrag gewisse Unzulänglichkeiten mit sich, indem letztlich Familien, deren 18 bis 27 Jahre alte Kinder mit eigenen Einkünften geringfügig unter der Grenze liegen, insgesamt günstiger dastehen als die, deren Kinder nur wenig höhere Einkünfte beziehen. Gleichwohl ist deshalb von Verfassungs wegen keine Übergangsregelung geboten, die die "Fallbeilwirkung" mindert. Eine abmildernde Anrechnung der eigenen Einkünfte des Kindes im Rahmen des § 32 Abs. 4 Satz 2 EStG wird zwar mit dem Hinweis auf den Gedanken des Existenzminimums der Familie vorgeschlagen (vgl. Hermann/Heuer a.a.O. m.w.N). Im Rahmen der Bemessung des Kindergeldes für 18 bis 27jährige Kinder mit eigenen Einkünften, die über dem Existenzminimum liegen, ist diese Überlegung nicht zwingend.Eine gemeinsame steuerliche Veranlagung der Familie, die auch auf das Kindergeld Auswirkung hätte, findet nicht statt. Soweit 18 bis 27 Jahre alte Kinder mit vergleichbaren Einkünften bereits voll im Erwerbsleben stehen, erübrigen sich Überlegungen zum Familienlastenausgleich deshalb von vornherein. Bei Familien mit gleichaltrigen Kindern, die über das Existenzminimum verfügen und sich noch in Ausbildung befinden, greift der Gedanke der Familienförderung nicht stärker. Eine gesetzliche Regelung mit gleitendem Übergang von der Gewährung bis zur vollständigen Versagung des Kindergeldes infolge der Berücksichtigung der eigenen Einkünfte des Kindes wäre zwar denkbar. Daß der Übergang allerdings erst beim Existenzminimum einsetzen muß, ist nicht geboten. Dadurch würden die erwähnten Kindergeldberechtigten, deren Kinder sich in Ausbildung befinden, gegenüber den Eltern, deren Kinder bereits einem Beruf nachgehen und über das Existenzminimum verfügen und allenanderen, die vom Existenzminimum leben müssen, bevorzugt.
Hiernach mußte der Beklagte die 12.000,00 DM-Grenze beachten. Ein Ermessen in dem Sinne, daß nur der 12.000,00 DM übersteigende Betrag der Einkünfte vom Kindergeld abzuziehen wäre, stand ihm deshalb nicht zu. Den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hat er nicht verletzt.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).
Die Revision ist nicht zugelassen worden.