Amtsgericht Leer
Urt. v. 14.10.2008, Az.: 70 C 1237/08 (IV)
Täuschung über die Vermögensverhältnisse des Mieters, wirksame Anfechtung des Mietvertrages
Bibliographie
- Gericht
- AG Leer
- Datum
- 14.10.2008
- Aktenzeichen
- 70 C 1237/08 (IV)
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2008, 46441
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGLEER:2008:1014.70C1237.08IV.0A
Rechtsgrundlagen
- BGB § 123
- § 535
Fundstelle
- ZMR 2009, 768-769
Redaktioneller Leitsatz
Ein Mietinteressent muss bei den Verhandlungen über den Mietvertrag seine Einkommensverhältnisse wahrheitsgemäß angeben. Dazu gehört auch die wahrheitsgemäße Beantwortung der Frage nach der Abgabe einer bereits abgegebenen eidesstattlichen Versicherung. Die Angabe eines Arbeitslosengeld-II-Empfängers, er verdiene sein Geld im Bereich Vertrieb und Logistik einer Zeitung, obwohl er dort lediglich als Zeitungsausträger arbeitet und das Überreichen einer Visitenkarte mit den Angaben seiner selbstständigen Tätigkeit im Bereich "Soft- und Hardware, Netzwerke" erweckt einen falschen Eindruck über seine Vermögensverhältnisse, Ein aufgrund dieser Angaben geschlossener Mietvertrag kann durch den Vermieter wegen Arglist angefochten werden.
In dem Rechtsstreit
...
hat das Amtsgericht Leer auf die mündliche Verhandlung vom 07.10.2008 durch den Richter am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1)
Der Antrag des Verfügungsklägers auf Erlass einer einstweiligen Verfügung vom 01.10.2008 in seiner Fassung vom 07.10.2008 wird zurückgewiesen.
- 2)
Die Kosten des Verfahrens werden dem Verfügungskläger auferlegt.
- 3)
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Verfügungskläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder durch Hinterlegung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Verfügungsbeklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Der Verfügungskläger begehrt von der Verfügungsbeklagten die Zurverfügungstellung einer gemieteten Wohnung.
Durch Mietvertrag vom 05./15.09.2008 mietete der Verfügungskläger von der Verfügungsbeklagten deren Wohnung in der ... Straße 253 in 2 .... Das Mietverhältnis sollte am 01.10.2008 beginnen.
Am 13.09.2008 wurden dem Verfügungskläger von der Verfügungsbeklagten bereits einmal die Schlüssel für die Wohnung zur Verfügung gestellt, damit er die Küche in der Wohnung ausmessen konnte. Anschließend gab der Verfügungskläger die Wohnungsschlüssel wieder zurück. Am 20.09.2008 erhielt der Verfügungskläger erneut die Wohnungsschlüssel von der Verfügungsbeklagten, um Möbelstücke in die Wohnung zu bringen. Am 26.09.2008 wurden ihm seitens der Verfügungsbeklagten die Wohnungsschlüssel wieder abgenommen.
Der Verfügungskläger hat seine bisherige Wohnung bereits am 27.09.2008 geräumt und an seine ehemaligen Vermieter zurückgegeben. Er hat zurzeit keine eigene Wohnung und ist darauf angewiesen, bei Bekannten Unterschlupf zu finden.
Am 28.04.2007 hatte der Verfügungskläger die eidesstattliche Versicherung abgegeben (Amtsgericht Leer, Az.: 13a M..../07).
Der Verfügungskläger behauptet, er sei finanziell dazu in der Lage, die Mietzinszahlungen regelmäßig und zuverlässig zu leisten. Als Bezieher von Arbeitslosengeld II werde das Sozialamt für die Kosten aufkommen. Er trage für den ... anzeiger Zeitungen aus. Außerdem repariere er gelegentlich Computer. Dies habe er bei den Verhandlungen über den Abschluss des Mietvertrages auch so angegeben. Er habe keinerlei weitere Zusagen zu seinen Einkommensverhältnissen gemacht. Auch habe er niemals der Verfügungsbeklagten gesagt, er habe nie die eidesstattliche Versicherung abgegeben.
Der Verfügungskläger beantragt,
die Verfügungsbeklagte im Wege der einstweiligen Verfügung dazu zu verpflichten, ihm die Wohnung ... Straße 253, ... unverzüglich herauszugeben, ihm die Nutzung der Mietwohnung unverzüglich zu ermöglichen und ihm alle hierfür erforderlichen Schlüssel auszuhändigen.
Die Verfügungsbeklagte beantragt,
- 1.
den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen,
- 2.
hilfsweise dem Antrag nur stattzugeben, Zug um Zug gegen die Verpflichtung des Verfügungsklägers,
- a)
die Miete für den Monat Oktober 2008 in Höhe von 340,00 € unverzüglich zu zahlen und
- b)
die Zahlung des ersten Drittels der vereinbarten Mietkaution in Höhe von 200,00 € unverzüglich zu erbringen.
Die Verfügungsbeklagte behauptet, der Verfügungskläger habe bei den Gesprächen über den Abschluss des Mietvertrages ausdrücklich erklärt, dass er solvent sei und keine eidesstattliche Versicherung abgegeben habe. Er habe gesagt, er sei beim ... anzeiger beschäftigt und außerdem als Selbständiger in der Computerbranche tätig. Die Verfügungsbeklagte ist der Auffassung, sie sei durch diese Erklärungen von dem Verfügungskläger über seine Zahlungsfähigkeiten und -möglichkeiten arglistig getäuscht worden.
Die Verfügungsbeklagte erklärt aus diesem Grund die Anfechtung des Mietvertrages.
Weiterhin behauptet sie, der Verfügungskläger habe vom 20.09.2008 bis zum 26.09.2008 abredewidrig die Schlüssel zur Wohnung nicht nur dazu genutzt, Möbel in die Wohnung zu bringen, sondern er sei in diesem Zeitraum in die Wohnung eingezogen und habe dort gelebt. Er habe dabei auch Strom, Gas und Wasser auf ihre Kosten verbraucht. Weiterhin habe er falsche Angaben zu seiner bisherigen Adresse im Mietvertrag gemacht.
Bezüglich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die von ihnen eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Es ist Beweis erhoben worden durch die Vernehmung des Zeugen .... Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 07.10.2008 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist unbegründet. Es ist dem Verfügungskläger nicht gelungen, das Vorliegen eines Verfügungsanspruchs glaubhaft zu machen, der nach § 936 ZPO oder nach § 940 ZPO durch den Erlass einer einstweiligen Verfügung gesichert werden müsste.
Zwar ist unstreitig, dass beide Parteien ursprünglich einen Mietvertrag geschlossen haben, und dass sich dem Grundsatz nach aus diesem Mietvertrag auch ein Anspruch des Verfügungsklägers auf Zurverfügungstellung und Überlassung der Mietwohnung zum 01.10.2008 ergab. Aufgrund des Ergebnisses der mündlichen Verhandlung ist das Gericht jedoch davon überzeugt, dass dieser Mietvertrag gemäß § 142 Abs. 1 BGB als von Anfang an nichtig anzusehen ist, da die Verfügungsbeklagte ihre Willenserklärung wirksam nach § 123 BGB angefochten hat. Der Verfügungskläger kann aus diesem Grunde aus dem Mietvertrag keinerlei Rechte herleiten.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass der Verfügungskläger bei den Gesprächen über den Mietvertrag die Verfügungsbeklagte über seine finanzielle Leistungsfähigkeit arglistig getäuscht hat. Er hat wahrheitswidrig vorgespiegelt, in größerem Umfange in der Computerbranche selbständig tätig zu sein als dies tatsächlich der Fall ist. Außerdem hat er wahrheitswidrig behauptet, niemals die eidesstattliche Versicherung abgegeben zu haben. Darüber hinaus hat er auch den Umfang seiner Tätigkeiten für den ... anzeiger geschönt und in übertriebener Weise dargestellt.
Das Gericht gelangte zu der Überzeugung aufgrund der Aussage des Zeugen .... Der Zeuge hat glaubhaft bekundet, dass der Verfügungskläger sowohl bei einem mit dem Zeugen eine Woche vor den eigentlichen Vertragsverhandlungen geführten Gespräch als auch dann bei den eigentlichen Vertragsverhandlungen am 05.09.2008 gegenüber der Verfügungsbeklagten erklärt hat, er sei als Selbständiger in der Computerbranche tätig. Zu seinem Tätigkeitsumfeld gehörten u.a. das Erstellen von Netzwerken und von Internetseiten. Weiterhin hat der Verfügungskläger nach der glaubhaften Aussage des Zeugen bei beiden Gelegenheiten erklärt, er habe niemals die eidesstattliche Versicherung abgegeben und sei für den ... anzeiger im Bereich der Logistik und des Zeitungsvertriebs tätig.
Das Gericht sieht die Aussage des Zeugen ... als glaubhaft an. Zwar verkennt das Gericht nicht, dass der Zeuge aufgrund seiner Verwandtschaft mit der Verfügungsbeklagten möglicherweise ein persönliches Interesse daran haben könnte, eine Aussage zu ihren Gunsten zu machen, die möglicherweise nicht in allen Punkten der Wahrheit entspricht. Jedoch hat das Gericht keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Zeuge die Unwahrheit gesagt haben könnte. Seine Aussage wirkte in allen Punkten glaubhaft. So gab er offen zu, wenn er sich bei einigen Punkten unsicher war. Er sagte z.B. auf Nachfrage, dass er nicht mehr genau wüsste, ob der Verfügungskläger ungefragt oder auf Nachfrage der Verfügungsbeklagten erklärt habe, er habe noch nie die eidesstattliche Versicherung abgegeben. Vor allem aber wird die Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage durch den Inhalt der Visitenkarte des Verfügungsklägers gestützt. Unstreitig hat der Verfügungskläger bei den Vertragsverhandlungen seine Visitenkarte ausgehändigt. Der Verfügungskläger übergab dem Gericht im Verhandlungstermin ein identisches Exemplar dieser Karte. Das Gericht konnte sich davon überzeugen, dass diese Karte identisch ist mit der Karte, die der Verfügungsbeklagten übergeben wurde. Denn der Zeuge ... legte die übergebene Karte während seiner Vernehmung vor. Auch diese Visitenkarte ist ihrem Inhalt nach so gestaltet, dass bei dem Betrachter ein völlig falscher Eindruck über den Umfang der wirtschaftlichen Tätigkeit des Verfügungsklägers erweckt wird. Auf der Rückseite der Karte wird als Betätigungsfeld des Verfügungsklägers angegeben:
"... Soft- und Hardware Netzwerke".
Auf der Vorderseite der Karte wird die E-Mailadresse des Verfügungsklägers genannt. Auch diese erweckt den Eindruck einer umfangreicheren selbständigen Tätigkeit im EDV-Bereich, denn die Adresse lautet "....web.de". Tatsächlich aber hat der Verfügungskläger im Verhandlungstermin erklärt, er würde nur gelegentlich Computer reparieren. Dies ist ein deutlich geringerer Tätigkeitsumfang, als er durch die umfassende Tätigkeitsbeschreibung auf der Rückseite seiner Visitenkarte suggeriert wird. Da der Verfügungskläger seine Visitenkarte so gestaltet hat, dass diese bei einem unbefangenen Betrachter den Eindruck hervorrufen muss, dass er in viel größerem Umfange im EDV-Bereich tätig ist, als dies tatsächlich der Fall ist, sieht es das Gericht auch als glaubhaft an, dass er bei den Mietvertragsverhandlungen in gleicher Weise durch falsche Angaben einen unzutreffenden Eindruck hervorgerufen hat.
Eine gleichartige Übertreibung ist darin zu sehen, dass der Verfügungskläger, wie der Zeuge glaubhaft bekundet hat, bei den Vertragsverhandlungen gesagt hat, er sei im Bereich der Logistik für den ... anzeiger tätig, wenn er doch tatsächlich nur Zeitungen austrägt.
Insgesamt ist festzustellen, dass der Verfügungskläger sowohl durch seine Visitenkarte als auch durch seine unzutreffenden Erklärungen, er habe nicht die eidesstattliche Versicherung abgegeben, er sei als Selbständiger im Bereich der Erstellung von Netzwerken und Internetseiten tätig und er arbeite in der Logistik des ... anzeigers gezielt bei der Verfügungsbeklagten einen falschen Eindruck über seine finanzielle Leistungsfähigkeit erweckt. Aufgrund der Erklärungen des Verfügungsklägers musste die Verfügungsbeklagte zu dem falschen Eindruck gelangen, dass er über solide Einkommensgrundlagen verfügt, während er in Wirklichkeit Sozialleistungsempfänger ist. Diese unzutreffenden Angaben erfolgten seitens des Verfügungsklägers auch nicht nur fahrlässig, sondern vorsätzlich. Er hat die Verfügungsbeklagte gezielt in die Irre geführt, um sie so zum Abschluss des Mietvertrages zu bewegen. Aufgrund des Umfangs der unzutreffenden Angaben schließt das Gericht ein Versehen des Verfügungsklägers oder ein bloßes Missverständnis aus.
Es liegt damit eine arglistige Täuschung vor, die die Verfügungsbeklagte nach § 123 BGB zur Anfechtung des Mietvertrages berechtigte. Denn der Verfügungskläger war dazu verpflichtet, seine finanziellen Verhältnisse, an denen die Verfügungsbeklagte nach der glaubhaften Aussage des Zeugen ... erkennbar interessiert war, wahrheitsgemäß darzustellen. Wer eine zukünftig fällig werdende Verpflichtung eingeht, muss bestehende wirtschaftliche Schwierigkeiten offenbaren. Dazu gehört auch, die Abgabe einer eidesstattlichen Versicherung anzugeben (Palandt-Heinreichs/Ellenberger, 67. Auflage, § 123 Rdn. 5b). Wenn die Verfügungsbeklagte von den tatsächlichen finanziellen Verhältnissen des Verfügungsklägers gewusst hätte, hätte sie sich nicht auf den Mietvertrag eingelassen. Sie war aus diesem Grunde zur Anfechtung berechtigt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 6, 711 ZPO.
Streitwertbeschluss:
Der Streitwert wird festgesetzt auf 900,00 €. Das Gericht sah es als angemessen an, den Streitwert auf den dreifachen Wert der vereinbarten Monatskaltmiete in Höhe von 300,00 € festzusetzen.