Verwaltungsgericht Braunschweig
Urt. v. 27.01.2000, Az.: 6 A 220/99
Beweislast; Düsseldorf; Ermittlungen; Luftweg; Mitwirkungspflicht
Bibliographie
- Gericht
- VG Braunschweig
- Datum
- 27.01.2000
- Aktenzeichen
- 6 A 220/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2000, 41863
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 26a AsylVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Zur Einreise auf dem Luftweg über den Flughafen Düsseldorf. Mitwirkungspflichten des Asylbewerbers und Beweislast bei Nichterweislichkeit der Luftwegeinreise.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens. Gerichtskosten (Gebühren und Auslagen) werden nicht erhoben.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des festgesetzten Vollstreckungsbetrages abwenden, sofern nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in derselben Höhe leistet.
Tatbestand:
Der Kläger ist türkischer Staatsangehöriger. Durch Urteil des Staatssicherheitsgerichts Ankara wurde er wegen des Vorwurfs der Unterstützung bewaffneter Banden zu einer schweren Gefängnisstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Außerdem wurde gegen ihn wegen Volksverhetzung eine zehnmonatige Gefängnisstrafe sowie ein Bußgeld von 716.666 türk. Lira verhängt. Mit Revisionsurteil des Obersten Türkischen Gerichtshofs vom 21. September 1998 wurde diese Entscheidung bestätigt. Über seinen türkischen Anwalt hat der Kläger inzwischen eine Eingabe beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gemacht.
Nach dem Urteil des Obersten Gerichtshofs vom 21. September 1998 entzog sich der Kläger, der seit dem 02. Juli 1997 vorläufig auf freien Fuß gesetzt worden war, der Strafvollstreckung und reiste am 29. Juni 1999 aus der Türkei aus.
Nach seinen Angaben flog der Kläger am 29. Juni 1999 um 16.45 Uhr mit einem Flugzeug der Onur Air von Istanbul nach Düsseldorf, wo er um 18.45 Uhr gelandet sei. Der türkische Pass, den er von dem Schlepper erhalten habe, habe auf den Namen A. gelautet.
Am 13. August 1999 beantragte der Kläger seine Anerkennung als Asylberechtigter. Bei der am 18. August 1999 erfolgten Anhörung trug er u.a. vor:
Er habe am 29. Juni 1999 die Türkei mit dem Flugzeug verlassen und sei noch am gleichen Tag in Deutschland eingetroffen. Es habe sich um einen Flug der Onur Air gehandelt, der um 16.45 Uhr in Istanbul begonnen und um 18.45 Uhr in Deutschland geendet habe. Den gefälschten türkischen Pass habe er in Deutschland kurz ausgehändigt erhalten, später aber wieder zurückgeben müssen. Sein eigener Pass sei 1998 ausgelaufen. Er habe ihn nicht verlängern lassen und verfüge nur über den von ihm in Deutschland vorgelegten Personalausweis. Die Türkei habe er verlassen, um nicht in das Gefängnis zu müssen.
Mit Bescheid vom 20. August 1999 lehnte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge den Asylantrag als unbegründet ab, weil der Kläger den Nachweis einer Einreise auf dem Luftweg nicht habe führen können und dies zu seinen Lasten gehe, und stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG gegeben seien.
Gegen den am 24. August 1999 zugestellten Bescheid hat der Kläger am 07. September 1999 Klage erhoben. Zur Begründung der Klage trägt er vor:
Er habe seine Einreise auf dem Luftweg umfangreich geschildert. Auch ohne die Vorlage von Nachweisen seien seine Angaben glaubhaft. Auf die Vorlage von Flugtickets, die auch in Abfalleimern am Flughafen auffindbar seien, könne nicht ausschließlich abgestellt werden.
Der Kläger beantragt,
die Beklagte zu verpflichten, ihn als Asylberechtigten anzuerkennen, und den diesem Begehren entgegenstehenden Bescheid des Bundesamtes vom 20. August 1999 insoweit aufzuheben.
Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf die Ausführungen in dem angefochtenen Bescheid,
die Klage abzuweisen.
Eine vom Gericht eingeholte Auskunft der Fluggesellschaft Onur Air vom 02. September 1999 ergab, dass am 29. Juni 1999 ein Flugzeug dieser Gesellschaft in Düsseldorf eingetroffen und der vom Kläger angegebene Name A. zweimal auf der Passagierliste aufgeführt war. Die Grenzschutzwache des Flughafens Düsseldorf bestätigte außerdem, dass der Flug am 29. Juni 1999 mit planmäßiger Abflugzeit in Istanbul um 16.35 Uhr und planmäßiger Ankunftszeit um 18.50 Uhr stattgefunden habe.
Die Beklagte hält weiterhin an der Auffassung eines fehlenden Nachweises für die fehlende Einreise auf dem Luftweg fest. Der Umstand, dass der Name A. zweimal auf der Passagierliste enthalten sei, belege nicht, dass eine dieser Personen tatsächlich der Kläger gewesen sei. Unter diesem Namen seien in Deutschland insgesamt 144 Asylverfahren betrieben worden.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und des Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird auf den Inhalt der Gerichtsakte, auf die Verwaltungsvorgänge der Beklagten sowie auf die den Beteiligten bekannte Liste der Erkenntnismittel zu Asylverfahren türkischer Staatsangehöriger verwiesen. Diese Unterlagen waren ihrem wesentlichen Inhalt nach Gegenstand des Verfahrens.
Der Kläger ist in der mündlichen Verhandlung zu den Einzelheiten des Reisewegs informatorisch angehört worden. Hinsichtlich seiner Angaben wird auf die Sitzungsniederschrift vom 27. Januar 2000 verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist nicht begründet. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter. Der Bescheid des Bundesamtes vom 20. August 1999 ist auch insoweit rechtmäßig, soweit er diesem Begehren entgegensteht.
Das Gericht folgt den Ausführungen des Bundesamtes im Bescheid vom 20. August 1999 darin, dass die Verurteilung des Klägers durch das Staatssicherheitsgericht Ankara vom 15. Oktober 1997 und die ihm deswegen drohende mehrjährige Freiheitsstrafe die Annahme einer politischen Verfolgung begründet und damit die Voraussetzungen eines Abschiebungsschutzes nach § 51 Abs. 1 AuslG erfüllt. Diese in dem angefochtenen Bescheid getroffene Feststellung ist bestandskräftig geworden und nicht Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung. Da die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG, soweit es die Anknüpfung an asylerhebliche Merkmale betrifft, denen des Art. 16a Abs. 1 GG gleich sind, besteht für den Kläger außerdem ein Anspruch auf Anerkennung als Asylberechtigter, sofern er nicht auf dem Landweg, sondern - ohne die Möglichkeit der Unterbrechung der Reise in einem "sicheren Drittstaat" i.S.d. § 26a Abs. 2 AsylVfG - auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Hiervon geht das Gericht nach dem Ergebnis der vom Kläger in der mündlichen Verhandlung gemachten Angaben zu den Einzelheiten seines Reisewegs jedoch nicht aus.
Nach den §§ 15 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 25 Abs. 1 Satz 1 und 2 AsylVfG ist der Asylbewerber gehalten, die erforderlichen Angaben über seinen Reiseweg zu machen und seinen Pass vorzulegen (§ 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylVfG). Bei einer Einreise auf dem Luftweg hat er seinen Flugschein und etwaige sonstige Unterlagen über seinen Reiseweg nach Deutschland vorzulegen (§ 15 Abs. 2 Nr. 5, Abs. 3 Nr. 3 und 3 AsylVfG). Sofern der Ausländer nicht im Besitz der erforderlichen Reisepapiere ist, hat er an der Grenze oder bei der Grenzbehörde auf dem Flughafen um Asyl nachzusuchen (§§ 13 Abs. 3 Satz 1, 18 f. AsylVfG). Kommt der Asylbewerber diesen Mitwirkungspflichten nicht oder nur teilweise nach und steht die behauptete Einreise auf dem Luftweg deshalb nicht eindeutig fest, ist es Sache des Gerichts, erforderlichenfalls den Sachverhalt von Amts wegen weiter aufzuklären und im Rahmen seiner Überzeugungsbildung alle Umstände zu würdigen (§§ 86 Abs. 1, 108 Abs. 1 VwGO). Dabei hat das Gericht auch zu berücksichtigen, dass und aus welchen Gründen die gesetzlich vorgesehene Mitwirkung des Asylbewerbers bei der Feststellung seines Reisewegs unterblieben ist (vgl. hierzu: BVerwG, Urt. vom 29.06.1999, AuAS 1999, 260).
Die gerichtliche Aufklärungspflicht findet allerdings dort ihre Grenze, wo das Vorbringen des Ausländers keinen tatsächlichen Anlass zu weiterer Sachaufklärung bietet. Dies ist generell dann der Fall, wenn der Asylbewerber unter Verletzung der ihn treffenden Mitwirkungspflichten seine Gründe für eine ihm drohende politische Verfolgung nicht unter Angabe genauer Einzelheiten schlüssig schildert. Ob bei einer vom Asylbewerber behaupteten, aber nicht belegten Einreise auf dem Luftweg weitere Ermittlung durch das Gericht anzustellen sind, ist eine Frage der Ausübung tatrichterlichen Ermessens im Einzelfall. Ein Anlass zu weiterer Aufklärung ist beispielsweise dann zu verneinen, wenn der Asylbewerber keine nachprüfbaren Angaben zu seiner Einreise gemacht hat und es damit an einem Ansatzpunkt für weitere Ermittlungen fehlt. Macht der Asylbewerber dagegen hierzu einzelne Angaben, so hat das Gericht diese zu berücksichtigen. Es kann in diesem Zusammenhang frei würdigen, dass und aus welchen Gründen der Asylbewerber mit falschen Papieren nach Deutschland eingereist ist, dass und warum er Reiseunterlagen, die für die Feststellung seines Reisewegs bedeutsam sind, nach seiner Ankunft in Deutschland aus der Hand gegeben hat und schließlich, dass und weshalb er den Asylantrag nicht bei seiner Einreise an der Grenze, sondern Tage oder Wochen später an einem anderen Ort gestellt hat (BVerwG, Urt. vom 29.06.1999, aaO.).
Im Rahmen der Überzeugungsbildung ist das Gericht aus Rechtsgründen nicht daran gehindert, die Angaben des Asylbewerbers auch ohne Beweisaufnahme als wahr anzusehen. In den Fällen, in denen der Asylbewerber die Weggabe wichtiger Beweismittel behauptet und damit ein Fall einer selbst geschaffenen Beweisnot vorliegt, ist das Vorbringen allerdings besonders kritisch und sorgfältig zu prüfen. Den Asylsuchenden trifft insoweit zwar keine Beweisführungspflicht; das Gericht kann jedoch bei der Feststellung des Reisewegs die behauptete Weggabe von Beweismitteln wie bei einer Beweisvereitelung zu Lasten des Asylbewerbers würdigen. Eine solche Würdigung liegt umso näher, je weniger plausibel die Gründe erscheinen, die für das beweiserschwerende Verhalten angeführt werden. Insbesondere der pauschale Vortrag der Weggabe von Flugunterlagen kann danach ebenso wie eine Weigerung oder das Unvermögen, mit der Flugreise in Zusammenhang stehende Fragen (z.B. nach den Namen in den benutzten gefälschten Pässen) zu beantworten, den Schluss rechtfertigen, dass die Einreise über einen Flughafen nur vorgespiegelt wird. Bei nicht ausräumbaren Zweifeln an der behaupteten Einreise auf dem Luftweg scheidet eine Anerkennung als Asylberechtigter aufgrund der Drittstaatenregelung aus. Ist das Gericht nicht davon überzeugt, dass der Asylbewerber auf dem Luftweg eingereist ist, kann es gleichzeitig aber auch nicht die Überzeugung von einer Einreise auf dem Landweg gewinnen, ist die Nichterweislichkeit der behaupteten Einreise auf dem Luftweg festzustellen und eine Beweislastentscheidung zu treffen. Bleibt in einem solchen Fall der Einreiseweg unaufklärbar, trägt der Asylbewerber die materielle Beweislast für seine Behauptung, ohne Berührung eines sicheren Drittstaats nach Art. 16a Abs. 2 GG, § 26a AsylVfG auf dem Luft- oder Seeweg nach Deutschland eingereist zu sein (BVerwG, Urt. vom 29.06.1999, aaO., m.w.N.).
Nach Maßgabe dieser Grundsätze hat das Gericht die Überzeugung gewonnen, dass der Kläger nicht auf dem Luftweg von Istanbul nach Düsseldorf in die Bundesrepublik Deutschland eingereist ist. Die vom Kläger bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt sowie im verwaltungsgerichtlichen Verfahren gemachten Angaben zu den Abflug- und Ankunftszeiten des von ihm vorgeblich benutzten Fluges am 29. Juni 1999 sind zwar von der Grenzschutzpolizeistelle Düsseldorf bestätigt worden; die vom Kläger benannte Fluggesellschaft Onur Air hat ebenfalls die Durchführung dieses Fluges sowie außerdem bestätigt, dass auf der Passagierliste der vom Kläger benannte Name (zweimal) aufgeführt war. Der Kläger hat jedoch bei seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung wesentliche Einzelheiten über den Ablauf der Ankunftskontrollen unzutreffend geschildert.
Nach alledem geht das Gericht davon aus, dass der Kläger nicht auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland gelangt ist. Unzutreffend ist danach, dass die in einer Außenposition gelandete Maschine mit Passagieren aus der Türkei keinerlei Vorkontrollen unterzogen wurde. Der Kläger vermochte lediglich anzugeben, mit einem Bus weiterbefördert zu sein. Über den Ablauf nach dem Ausstieg aus dem Bus hat der Kläger dann eine Schilderung gegeben, die weder mit den in Düsseldorf vorhandenen Örtlichkeiten noch mit den dort durchgeführten Kontrollabläufen in Einklang zu bringen ist (vgl. hierzu: Bundesgrenzschutzinspektion Flughafen Düsseldorf, Auskunft vom 29.07.1998 an das VG Mainz). Die vom Kläger hierzu gemachten Angaben haben sich nicht lediglich als lückenhaft erwiesen, was - bis zu einem gewissen Grund infolge des Zeitablaufs - noch verständlich wäre, sondern als eindeutig falsch. Es ist deshalb anzunehmen, dass der Kläger sich einige Information über den Flug der Onur Air vom 29. Juni 1999 beschafft hat, um mit diesen Angaben den Eindruck einer Einreise auf dem Luftweg zu erwecken. Diese Behauptung hielt jedoch einer Überprüfung nicht stand.
Die Klage ist deshalb mit der Kostenfolge aus den §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83b AsylVfG abzuweisen. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 167 VwGO, 708 Nr. 11, 711 ZPO.