Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 18.06.2002, Az.: 12 A 1880/00
Bevollmächtigter; Kosten; Waffengleichheit; Widerspruchsverfahren
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 18.06.2002
- Aktenzeichen
- 12 A 1880/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43412
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 80 Abs 3 S 2 VwVfG
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Die Erstattung der Kosten der Vertretung im Widerspruchsverfahren ist nicht auf Ausnahmen beschränkt
Tatbestand:
Der Kläger begehrt die Verpflichtung der Beklagten, die Zuziehung seines Bevollmächtigten im Vorverfahren für notwendig zu erklären.
Er betreibt einen gemischten Ferkelerzeuger- und Schweinemastbetrieb mit der Betriebs-Kennziffer ...... Die Beklagte legte mit Beitragsbescheid vom 12. August 1999 bei der Bemessung der Beiträge für das Jahr 1999 eine seuchenhygienische Einheit des Tierbestands mit anderen Betrieben zugrunde. Der Kläger legte gegen diesen Bescheid am 25. August 1999 Widerspruch ein und begründete diesen im Wesentlichen damit, dass er nach Rücksprache mit dem Veterinäramt des Landkreises Vechta erfahren habe, dass er aufgrund eines Schreib- oder Eingabefehlers mit zwei anderen Betrieben zusammen als seuchenhygienische Einheit veranlagt worden sei. Er betreibe aber eine Schweinehaltung im geschlossenen System und eine gemeinsame Versorgung mit anderen Schweinebeständen finde nicht statt. Der Beitrag sei daher als Einzelbestand zu berechnen. Unter dem 22. September 1999 bestätigte die Beklagte den Eingang des Widerspruchs.
Der Kläger gab bei der Bestandsmeldung unter dem 6. Februar 2000 gegenüber der Beklagten einen Gesamttierbestand von 810 Schweinen sowie vier Rindern an. Nähere Angaben über eine seuchenhygienische Einheit des Bestandes mit anderen Betrieben machte er nicht.
Mit Beitragsbescheid vom 25. Februar 2002 setzte die Beklagte die Beiträge zur Tierseuchenkasse für das Jahr 2000 fest. Bei der Bemessung des Beitrages für die gemeldeten Schweine ging sie erneut von einer seuchenhygienische Einheit des Tierbestandes des Klägers mit anderen Betrieben aus.
Gegen den Beitragsbescheid der Beklagten für das Jahr 2000 legte der Kläger durch seinen bevollmächtigten Rechtsanwalt am 9. März 2000 Widerspruch ein. Er rügte die Höhe der von der Beklagten festgesetzten Beiträge im Hinblick auf die erneute Annahme, sein Tierbestand sei Teil einer seuchenhygienischen Einheit. Zu Unrecht werde sein Betrieb mit zwei anderen Betrieb zusammen veranlagt, weil offenbar die Betriebs-Kennziffern ähnlich seien und eine Verwechselung vorliege.
Die Beklagte stellte unter dem 25. April 2000 nach Rückfrage beim Veterinäramt des Landkreises Vechta fest, dass zwar die Betriebe ..... eine seuchenhygienische Einheit bildeten, indes der Betrieb des Klägers mit der Betriebskennziffer .... keine seuchenhygienische Einheit mit anderen Betrieben bilde.
Die Beklagte hob mit Widerspruchsbescheid vom 25. April 2000 den Beitragsbescheid vom 25. Februar 2000 auf. Die notwendigen Aufwendungen des Klägers würden erstattet, indes sei die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes nicht notwendig gewesen. Zur Begründung hinsichtlich der Notwendigkeit der Zuziehung eines Bevollmächtigten führte sie im Wesentlichen an, die von dem Kläger verlangte Mitwirkung habe sich auf ein tatsächliches Handeln, wie die Vorlage von Unterlagen oder die Erteilung einfacher Auskünfte, beschränkt. In dem Widerspruchsverfahren sei es lediglich um die einfache Auskunft gegangen, ob eine seuchenhygienische Einheit mit anderen Betrieben bestanden habe. Diese Auskunft habe der Kläger ohne juristische Beratung abgeben können.
Die Beklagte gab mit Widerspruchsbescheid vom 9. Mai 2000 dem gegen den Beitragsbescheid für das Jahr 1999 eingelegten Widerspruch statt und hob diesen Beitragbescheid auf.
Der Kläger hat am 15. Mai 2000 gegen den Widerspruchsbescheid vom 25. April 2000 Klage erhoben. Zur Begründung macht er im Wesentlichen geltend, dass die Zuziehung seines Bevollmächtigten im Widerspruchsverfahren notwendig gewesen sei. Dies folge aus dem Umstand, dass er bereits selbständig ein anderes, parallel laufendes Widerspruchsverfahren geführt habe, in dem die Beklagte seit acht Monaten überhaupt keine Reaktion gezeigt habe. Er habe das gut nachvollziehbare Bedürfnis und auch das Recht gehabt, aufgrund der Untätigkeit der Beklagten im ersten Widerspruchverfahren im sachlich und rechtlich gleich gelagerten zweiten Widerspruchsverfahren einen Rechtsanwalt einzuschalten. Er habe vorliegend befürchten müssen, dass die Durchsetzung seiner Rechte in beiden Widerspruchsverfahren wohl doch nicht so einfach sein würde, wie er sich dies anfangs vorgestellt habe. Er habe vermuten müssen, dass die Schwierigkeiten in der Angelegenheit selbst begründet gewesen seien. Dies ergebe sich daraus, dass er bereits mit der Beklagten telefoniert und das Veterinäramt des Landkreises Vechta bereits im Jahre 1999 über den Sachverhalt in Kenntnis gesetzt habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
die Beklagte zu verpflichteten, festzustellen, dass die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren notwendig war und den Bescheid der Beklagten vom 25. April 2000 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Unter Bezugnahme auf ihren Widerspruchsbescheid führt sie zur Begründung im Wesentlichen an, der Kläger habe die von ihm beigebrachten Auskünfte ohne juristische Beratung beibringen können. Es sei unerheblich, dass der Widerspruch gegen den Beitragsbescheid für das Jahr 1999 verzögert bearbeitet worden sei. Die Verzögerung habe sich ergeben, weil die Beitragssatzung geändert und dadurch ein hoher Arbeitsanfall entstanden sei. Zudem sei infolge der Änderung die Fälligkeit der Beiträge von März auf September 1999 verschoben worden. Aufgrund dieser Umstände, die dem Kläger als Schweinehalter auch bekannt gewesen seien, sei die Bearbeitung der Widerspruchsverfahren schwer planbar gewesen. Zudem habe sie den Widerspruch gegen den Bescheid für das Jahr 2000 aufgrund des einfach gelagerten Sachverhalts nach Erhalt der einfachen Auskunft tatsächlicher Art innerhalb von eineinhalb Monaten beschieden. Die Widerspruchsverfahren seien nicht voneinander abhängig gewesen, so das auch die Frage nach einer Kostenerstattung getrennt zu beantworten sei.
Wegen des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten im Einzelnen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage, über die mit dem Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung entschieden werden konnte (§ 101 Abs. 2 VwGO), ist zulässig und begründet.
Die Entscheidung der Beklagten, die Zuziehung des Bevollmächtigten im Vorverfahren nicht für notwendig zu erklären, ist rechtwidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwG0).
Die Zuziehung des bevollmächtigten Rechtsanwaltes im Widerspruchsverfahren war gemäß § 1 Abs. 1 NVwVfG in Verbindung mit § 80 Abs. 2 VwVfG notwendig. Gemäß § 80 Abs. 3 S. 2 VwVfG hat die Beklagte dies bei ihrer Kostenentscheidung festzustellen.
Die Erstattung der Kosten der Vertretung im Widerspruchsverfahren ist nicht auf Ausnahmen beschränkt. Der Gesetzgeber hat dadurch, dass er die Kostenerstattung von der Notwendigkeit der Vertretung im Widerspruchsverfahren abhängig gemacht hat, allein zum Ausdruck gebracht, dass eine Kostenerstattung nicht stets, sondern nach der Lage des Einzelfalles anzuerkennen ist. Aus dem Begriff „Notwendigkeit“ der Zuziehung eines Bevollmächtigten folgt nicht, dass die Erstattungsfähigkeit im Widerspruchsverfahren eine Ausnahme bleiben muss. Auch im Gesetzeswortlaut findet sich kein hinreichender Anhalt für eine Beschränkung auf Ausnahmefälle. Ebenso wenig ist die Erwägung tragfähig, dass es der Herstellung völliger „Waffengleichheit“ in diesem Verfahrensstadium nicht bedürfe. Sie berücksichtigt nicht ausreichend die Funktion des Widerspruchsverfahrens, das gerade auch dem Rechtsschutz des Betroffenen dienen soll (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2000 - 7 C 8.99 -, Buchholz 428, § 38 VermG Nr. 5 m.w.N.; OVG Rheinland-Pfalz, Beschluss vom 31. Januar 2001 - 2 E 12153/00 -, V.n.b.; Kopp/Ramsauer, VwVfG, § 80 Rdnr. 45 f. m.w.N.).
Die Notwendigkeit zur Zuziehung eines Rechtsanwalts bestimmt sich danach, welche Anforderungen in dem konkreten Fall eine - zweckentsprechende - Rechtsverfolgung gestellt hat. Ausgangspunkt der rechtlichen Beurteilung ist damit die Schwierigkeit der Sache, die jedoch nicht abstrakt, sondern unter Berücksichtigung der Sachkunde und der (persönlichen) Verhältnisse des Widerspruchsführers festzustellen ist. Insoweit können insbesondere auch die Bedeutung der Streitsache für den Widerspruchsführer sowie dessen besondere Arbeits- und Geschäftsbelastung berücksichtigt werden. Hierbei kommt es nicht auf die subjektive Sicht des Widerspruchsführers an, sondern darauf, wie ein verständiger Dritter in dessen Situation gehandelt hätte. Die Beurteilung ist nach der Sachlage vorzunehmen, wie sie sich im Zeitpunkt der Zuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten dargestellt hat (BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2000, a.a.O. m.w.N. der Rechtsprechung).
Nach Maßgabe dessen ist aus Sicht eines verständigen Dritten die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Widerspruchsverfahren notwendig gewesen. Dies wäre im vorliegenden Fall dann zu verneinen gewesen, wenn die vom Kläger erhobenen Einwendungen gegen die konkrete Höhe des Beitrags nicht rechtlicher, sondern allein tatsächlicher Art gewesen wären und keine besonderen Umstände eine abweichende Entscheidung gerechtfertigt hätten.
Zwar ist davon auszugehen, dass die Beklagte allein aufgrund ihrer irrtümlichen Annahme, der Tierbestand des Klägers sei Teil einer seuchenhygienischen Einheit, einen zu hohen Beitrag festsetzte und der Kläger diesen Umstand auch kannte. Indes liegen Umstände vor, die aus Sicht eines verständigen Dritten die Zuziehung eines Bevollmächtigten zum Widerspruchsverfahren dennoch notwendig erscheinen lassen: Die Beklagte setzte im Februar 2000 den Beitrag für das Jahr 2000 erneut unter Annahme einer seuchenhygienischen Einheit fest, obwohl der Kläger zum einen bereits gegen die Festsetzung des Beitrages für das Jahr 1999, die ebenso zu Unrecht der Bemessung des Beitrages eine seuchenhygienischen Einheit zugrunde gelegt hatte, diesbezüglich Widerspruch eingelegt und die Beklagte auf diesen ohne besonderen Aufwand im Wege einer Auskunft beim zuständigen Veterinäramt ausräumbaren Irrtum hingewiesen hatte, zum anderen hatte er bei der Bestandsmeldung für das Jahr 2000 gerade keine Angaben zu Betrieben gemacht, mit deren Beständen eine seuchenhygienische Einheit bestünde. Bei dieser Sachlage hätte die Beklagte den Kläger bei der Festsetzung des Beitrages für das Jahr 2000 darauf hinweisen müssen, dass die Festsetzung hinsichtlich der - aufgrund des noch nicht beschiedenen Widerspruchs betreffend den Festsetzungsbescheid für das Jahr 1999 - zum damaligen Zeitpunkt weiterhin strittigen Annahme der Beklagten, der Tierbestand des Klägers sei Teil einer seuchenhygienische Einheit, vorbehaltlich der ausstehenden Widerspruchsentscheidung erfolgt. Da dies auch in anderen Bereichen der Verwaltung erfolgt, konnte die erneute fehlerhafte Festsetzung des nicht unerheblichen Beitrages ohne jeglichen Hinweis auf die vom Kläger bereits erhobene Einwendung den Eindruck vermitteln, dass die Beklagte in Kenntnis des Vorbringens des Klägers dennoch weiter von einer seuchenhygienischen Einheit ausgeht. Auch aus Sicht eines verständigen Dritten unter Berücksichtigung der Sachkunde des Klägers hat dies hinreichend Anlass gegeben, anwaltliche Hilfe in Anspruch zu nehmen, weil die Befürchtung des Klägers, er könne seine Rechte wohl doch nicht ohne Weiteres durch seine Hinweise in tatsächlicher Hinsicht wahren und die Sache sei wohl doch schwieriger, nicht erkennbar unbegründet war.
Der Einwand der Beklagten, die Widerspruchsverfahren gegen die Beitragsbescheide betreffend die Jahre 1999 und 2000 seien getrennt zu beurteilen, rechtfertigt keine abweichende Entscheidung: Vielmehr ist bei der Beurteilung der Notwendung der Zuziehung eines Bevollmächtigten auf die Sachlage im Zeitpunkt der Bevollmächtigung abzustellen (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. Mai 2000, a.a.O. m.w.N. der Rechtsprechung). Hierbei ist auch das Verhalten der Verwaltung im Zusammenhang mit dem gerügten Beitragsbescheid zu berücksichtigen, also ob für die Beklagte Anlass bestand, aufgrund der Einwendungen eines noch laufenden Widerspruchsverfahrens einen Vorbehalt oder Hinweis aufzunehmen. Im Hinblick auf die unzutreffende Annahme einer seuchenhygienischen Einheit ist dies zu bejahen.
Dementsprechend ist der angefochtene Widerspruchsbescheid aufzuheben, soweit die Zuziehung des Bevollmächtigten nicht für notwendig erklärt wurde.