Verwaltungsgericht Stade
Beschl. v. 16.09.1992, Az.: 9 A 11/92

Zulässigkeit einer Rechtsschutzmöglichkeit gegen Aussetzungsentscheidungen des Dienstvorgesetzten im nichtförmlichen Disziplinarverfahren; Pflicht zur Einholung einer Nebentätigkeitsbescheinigung bei Aufnahme eines Referendariats

Bibliographie

Gericht
VG Stade
Datum
16.09.1992
Aktenzeichen
9 A 11/92
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1992, 16862
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGSTADE:1992:0916.9A11.92.0A

Sonstige Beteiligte

Polizeikommissar ...

In dem Rechtsstreit
hat der Vorsitzende der Disziplinarkammer
bei dem Verwaltungsgericht Stade
am 16. September 1992
beschlossen:

Tenor:

Der Antrag, den Aussetzungsbeschluß des Dienstvorgesetzten gemäß § 17 Abs. 2 NDO vom 26. Mai 1992 aufzuheben, wird abgelehnt.

Gründe

1

I.

Gegen den antragstellenden Polizeikommissar wurden durch Verfügung des Dienstvorgesetzten gemäß § 26 NDO Vorermittlungen u.a. deshalb eingeleitet, weil er nach bestandener erster juristischer Staatsprüfung beim Oberlandesgericht ... am 1. März 1991 ein Referendariat aufgenommen hat, ohne eine Nebentätigkeitsgenehmigung gemäß § 73 NBG einzuholen.

2

Mit am 6. April 1992 bei dem Verwaltungsgericht Stade - Kammern Lüneburg - eingegangenem Schriftsatz hat der Antragsteller Klage mit dem Ziel erhoben, den Bescheid der Bezirksregierung vom 24. Oktober 1991 und den Widerspruchsbescheid vom 6. März 1992 aufzuheben, mit denen ihm aufgegeben wurde, eine Nebentätigkeitsgenehmigung wegen der Referendar-Tätigkeit einzuholen (1 A 54/92 der Kammern Lüneburg). Zur Begründung dieser Klage trägt er im wesentlichen vor, es handele sich bei dem Referendariat nicht um eine genehmigungspflichtige Nebentätigkeit, sondern um eine genehmigungsfreie wissenschaftliche Tätigkeit im Sinne des § 74 Nr. 3 NBG.

3

Mit der gleichen Begründung hat sich der Antragsteller mit Schreiben vom 23. Januar 1992 gegen das ihm am 20. Dezember 1991 zugestellte wesentliche Ergebnis der Vorermittlungen gewandt. Mit Schreiben vom 12. Mai 1992 mahnte der Antragsteller den Fortgang des Verfahrens unter Hinweis auf die beamtenrechtliche Fürsorgepflicht an, woraufhin der Dienstvorgesetzte mit Schreiben vom 26. Mai 1992 das Disziplinarverfahren gemäß § 17 Abs. 2 NDO bis zum Ausgang des Verwaltungsrechtsstreits ausgesetzt hat, weil dieses für die Entscheidung im Disziplinarverfahren von wesentlicher Bedeutung sei. Mit weiterem Schreiben vom 19. Juni 1992 wurde dem Antragsteller mitgeteilt, daß gegen die Aussetzungsentscheidung im nichtförmlichen Verfahren keine Anfechtungsmöglichkeit bestehe. Zugleich wurde aber die von dem Antragsteller mit Schreiben vom 12. Juni 1992 geäußerte Befürchtung bestätigt, daß seine Beförderungsaussichten durch das Verfahren geschmälert würden.

4

Mit am 14. August 1992 eingegangenem Antrag auf gerichtliche Entscheidung beantragt der Antragsteller,

den Aussetzungsbeschluß der beteiligten Behörde aufzuheben.

5

Dieser Antrag sei analog § 17 Abs. 4 NDO zuzulassen, weil nur so effektiver Rechtsschutz gewährleistet werden könne. Die Aussetzungsentscheidung sei auch inhaltlich fehlerhaft, weil die Entscheidung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens nicht vorgreiflich für die Entscheidung im Disziplinarverfahren sei. Sofern der Antragsteller nämlich obsiegen würde, wäre ihm ein Vorwurf wegen der Aufnahme des Referendariats nicht zu machen. Wenn die Klage jedoch abgewiesen würde, wäre dem Antragsteller ein Schuldvorwurf schon im Hinblick auf die schwierigen, dem Streit zugrunde liegenden Rechtsfragen nicht zu machen.

6

Die beteiligte Behörde hält einen Pflichtenverstoß gegen § 73 Abs. 1 NBG für gegeben, hält die Aussetzung aber für gerechtfertigt, weil die zu erwartende Entscheidung der 1. Kammer Lüneburg des Verwaltungsgerichts Stade für die Entscheidung im Disziplinarverfahren von erheblicher Bedeutung ist.

7

Die Vorermittlungsakten und die Akten des Verfahrens 1 A 54/92 der Kammern Lüneburg des Verwaltungsgerichts Stade haben bei der Entscheidung vorgelegen.

8

II.

Der Antrag des Antragstellers hat keinen Erfolg.

9

Die überwiegende zu § 17 Abs. 4 NDO oder den gleichlautenden Vorschriften der Bundesdisziplinarordnung oder der Disziplinarordnung anderer Bundesländer vertretene Auffassung hält mit der beteiligten Behörde eine Rechtsschutzmöglichkeit gegen Aussetzungsentscheidungen des Dienstvorgesetzten im nichtförmlichen Disziplinarverfahren nicht für zulässig (vgl. z.B. Claussen/Janzen, BDO, § 17, Rdnr. 13; Bieler/Lukat, NDO, Rdz. 18 zu § 17). Diese Auffassung wird im wesentlichen darauf gestützt, daß § 17 Abs. 4 NDO nur die Aussetzung durch den "Vertreter der Einleitungsbehörde" ausdrücklich nennt. Im Hinblick auf die Gewährung effektiven Rechtsschutzes erscheint es jedoch gerechtfertigt, die Vorschrift entsprechend auch auf das Vorermittlungsverfahren anzuwenden (vgl. dazu insbesondere Arneth, Der Personalrat, 1988, S. 38, 41). Der auch aus der Fürsorgepflicht herzuleitende, verfassungsrechtlich gebotene, das Disziplinarrecht beherrschende Beschleunigungsgrundsatz muß auch im Vorermittlungsverfahren für den betroffenen Beamten durchsetzbar sein, denn eine Verschleppung dieses Verfahrens kann für den Betroffenen faktisch und rechtlich bedeutsamere Auswirkungen haben als ein zügig zu seinem Nachteil beendetes Verfahren. Dies macht für das vorliegende Verfahren der Inhalt des Schreibens der beteiligten Behörde vom 19. Juni 1992 deutlich, das die faktischen Auswirkungen des Verfahrens auf Beförderungen bestätigt, obwohl rechtlich der Einleitung von Vorermittlungen, die auch zum Schutz des Beamten möglich sind, keine Bedeutung bei Beförderung zukommen soll. Auch die Ziele der gesetzlich durch § 17 Abs. 2 NDO eingeräumten Aussetzungsbestimmungen, die im Interesse der Rechtssicherheit divergierende Entscheidungen in verschiedenen rechtlich geordneten Verfahren vermeiden sollen, sprechen nicht gegen die analoge Anwendung auf das Vorermittlungsverfahren, das vorrangig der Sachverhaltsaufklärung zu dienen bestimmt ist. Der vorliegende Fall macht deutlich, daß die Zielrichtung der Aufklärung nicht unabhängig von der zu §§ 73, 74 NBG vertretenen Rechtsauffassung vorgenommen werden kann.

10

Auch wenn man den Antrag danach für zulässig erachtet, bleibt ihm der Erfolg jedoch versagt, weil die gemäß § 17 Abs. 2 NDO in das Ermessen des Dienstvorgesetzten gestellte Aussetzungsentscheidung vom 26. Mai 1992 auch unter Berücksichtigung der berechtigten Belange des Antragstellers und insbesondere des Beschleunigungsgrundsatzes nicht zu beanstanden ist. Unter Zugrundelegung der Rechtsauffassung der beteiligten Behörde handelt es sich bei dem Pflichtenverstoß um einen nicht unerheblichen, weil der Beamte durch seine Handlungsweise nicht nur gegen die "formelle" Pflicht zur Einholung einer Nebentätigkeitsgenehmigung verstoßen hat, sondern darüber hinaus gegen die sich aus §§ 62 und 63 NBG ergebenden beamtenrechtlichen Grundpflichten. Der von dem Antragsteller in dem Verfahren 1 A 54/92 der Kammern Lüneburg aufgeworfenen Rechtsfrage der Erforderlichkeit einer Nebentätigkeitsgenehmigung kommt insofern für dieses Verfahren eine wesentliche Bedeutung zu, weil die disziplinare Würdigung des Gesamtverhaltens des Beamten auch die Einbeziehung des Vorwurfes der ungenehmigten Nebentätigkeit erfordert. Zwar könnte der Dienstvorgesetzte das Verfahren auch unter Zugrundelegung seiner Rechtsauffassung fortführen, dies würde jedoch letztlich nur dazu führen, daß die Aussetzung im nächsten Stadium, nämlich entweder durch die Einleitungsbehörde oder durch die Disziplinarkammer, erfolgen würde, weil divergierende Entscheidungen zwischen dem Verwaltungsgericht und der Disziplinarkammer nur so ausgeschlossen werden können.

11

Die von dem Dienstvorgesetzten zu treffende, die Vorermittlungen abschließende Entscheidung setzt das Einbeziehen des Vorwurfes, der Gegenstand des Verwaltungsrechtsstreites ist, schon wegen des Grundsatzes der Einheit des Dienstvergehens zwingend voraus. Die Würdigung des Verhaltens des Antragstellers wäre je nach Ausgang des Verfahrens unterschiedlich zu treffen. Darauf hat der Antragsteller in seinen Schriftsätzen bereits selbst - wenn auch mit anderer Zielrichtung - hingewiesen. Für den Fall, daß die Klage Erfolg haben sollte, wäre der Vorwurf zwar nicht auf die ungenehmigte Nebentätigkeit zu erstrecken, gleichwohl wäre zu prüfen, ob ein Verstoß gegen die Pflicht, sich seinem Beruf voll hinzugeben, und gegen die Pflicht zur gegenseitigen Unterrichtung und zur vertrauensvollen Zusammenarbeit vorliegt. Daß die disziplinarrechtliche Würdigung der übrigen dem Beamten vorgehaltenen Pflichtenverstöße unter Einbeziehung der rechtswidrigen Aufnahme des Referendariats - unabhängig von der Frage des Verschuldens - in einem anderen Licht erscheint als ohne diese Tätigkeit, ist gerade auch unter Berücksichtigung der Art dieser Vorwürfe selbstverständlich.

12

Diese Entscheidung ist gemäß § 17 Abs. 4 NDO endgültig.