Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 06.05.2015, Az.: 2 K 13/15
Behandlung der während eines dem Ruhestand vorgeschalteten Sonderurlaubs gezahlten Bezüge als Versorgungsbezüge
Bibliographie
- Gericht
- FG Niedersachsen
- Datum
- 06.05.2015
- Aktenzeichen
- 2 K 13/15
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2015, 18062
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:FGNI:2015:0506.2K13.15.0A
Rechtsgrundlagen
- § 19 Abs. 1 Nr. 1 EStG
- § 19 Abs. 2 S. 2 Nr. 1b EStG
Fundstellen
- EFG 2015, 1366-1367
- StX 2015, 458
Tatbestand
Die Beteiligten streiten darüber, ob die während eines dem Ruhestand vorgeschalteten Sonderurlaubs gezahlten Bezüge der Klägerin bereits als Versorgungsbezüge zu behandeln sind.
Die Klägerin ist im Mai 1955 geboren und hat mit ihrer Arbeitgeberin, der D.-Krankenkasse (D-KK), am 15. August 2011 eine Vereinbarung getroffen, wonach sie ab dem 1. Januar 2013 im Alter von 57 Jahren beurlaubt wurde und fortan ein Ruhegeld erhalten hat.
Der Vereinbarung lag eine am 16. Juni 2011 zwischen dem Vorstand und dem Hauptpersonalrat der D-KK geschlossene "Dienstvereinbarung zum bundesweiten Personalausgleich" (DVb) u.a. mit dem Ziel der "Stellenreduzierung im Vertrieb" zugrunde. Nach § 5 DVb wurde Beschäftigten, die am 31. Dezember 2011 das 55. Lebensjahr vollenden oder bereits vollendet haben, die Möglichkeit einer Beurlaubung aus betrieblichen Gründen bis zum Eintritt des Versicherungs- und Versorgungsfalles geboten (Abs. 1). Den Beschäftigten wurde bis zum Rentenbeginn eine monatliche Zahlung von Beurlaubungsbezügen in Höhe des Gesamtruhegeldes nach dem Tarifvertrag begrenzt auf höchstens 69% der gesamtversorgungsfähigen Bezüge gezahlt (Abs. 7). Während der Beurlaubung wurden andere Arbeitseinkommen nicht angerechnet (Abs. 5). Sobald die Voraussetzungen des Versorgungsfalles vorliegen, war von beurlaubten Beschäftigten zum frühestmöglichen Zeitpunkt unverzüglich ein Rentenantrag zu stellen (Abs. 6).
Mit dem Eintritt des Versorgungsfalls wird der Klägerin (nach Abschnitt D der Anlage 7a zu dem für sie geltenden Tarifvertrages) von der D-KK ein Gesamtruhegeld gezahlt, das anhand eines festen Prozentsatzes, höchsten 75%, des sich nach der Dauer der Beschäftigungszeit richtenden ruhefähigen Gehalts bestimmt. Die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung wird auf das Gesamtruhegeld angerechnet.
In ihrer Einkommensteuererklärung 2013 begehrte die Klägerin die Einordnung des bis zum Eintritt des Versorgungsfalls gezahlten Ruhegeldes als Versorgungsbezug.
Das beklagte Finanzamt folgte diesem Begehren im Bescheid vom 6. Oktober 2014 nicht und berücksichtigte das Ruhegeld bei der Festsetzung der Einkommensteuer als Arbeitslohn i.S.d. § 19 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Hiergegen wendet sich die Klägerin nach erfolglosem Vorverfahren mit ihrer Klage.
Sie verweist zur Begründung ihrer Auffassung auf die Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 12. Februar 2009 (VI R 50/07, BFHE 224, 310, BStBl II 2009, 460 [BFH 12.02.2009 - VI R 50/07]) zu der sog. "58er-Regelung". Im Streitfall stellten die von der Klägerin erhaltenen Leistungen wie in dem vom BFH entschiedenen Fall keine Gegenleistung für von ihr erbrachte Dienstleistungen dar.
Die Klägerin beantragt,
unter Änderung des Bescheides über Einkommensteuer für das Jahr 2013 vom 6. Oktober 2014 und des Einspruchsbescheides vom 7. Januar 2015 die Einkommensteuer in der Weise festzusetzen, dass die Bezüge der Klägerin i.H.v. 46.924 € als Versorgungsbezüge i.S.d. § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchstabe b) EStG berücksichtigt werden.
Der Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie ist der Auffassung, das von der Klägerin genannte Urteil sei im Streitfall nicht einschlägig, weil die Klägerin das 58. Lebensjahr nicht vollendet habe, was nach dem Leitsatz und den Entscheidungsgründen Voraussetzung für die Einordnung der Leistungen als Versorgungsbezüge sei.
Die Beteiligten haben einvernehmlich auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist begründet.
1. Nach § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG gehören zu den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit u.a. auch Ruhegelder und andere Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen. § 19 Abs. 2 Satz 1 EStG bestimmt, dass von Versorgungsbezügen ein nach einem Prozentsatz ermittelter, auf einen Höchstbetrag begrenzter Betrag (Versorgungs-Freibetrag) und ein Zuschlag zum Versorgungsfreibetrag steuerfrei bleibt. Versorgungsbezüge sind nach § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 Buchst. b EStG u.a. Bezüge und Vorteile aus früheren Dienstleistungen, die als Ruhegehalt oder als gleichartiger Bezug nach beamtenrechtlichen Grundsätzen von Körperschaften des öffentlichen Rechts gewährt werden.
2. Im Streitfall liegen solche begünstigten Versorgungsbezüge vor.
a. Die Leistungen werden von einer Körperschaft des öffentlichen Rechts erbracht. Die D-KK ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung (vgl. § 1 Abs. 2 der Satzung der D-KK vom 1. Januar 2010).
b. Die Leistungen erfolgen nach beamtenrechtlichen Grundsätzen. Die Versorgung "nach beamtenrechtlichen Grundsätzen" erfolgt nicht unmittelbar aufgrund eines Gesetzes. Gemeint sind vielmehr Versorgungsbezüge, die sich aus dem öffentlich-rechtlichen Status der Einrichtung ergeben. Inhaltlich muss das Dienstverhältnis eine Versorgung vorsehen, die in Bezug auf den Versorgungszweck und die zugesagte Leistung der Beamtenversorgung entspricht (vgl. Breimersdorfer in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG. Kommentar, § 19 EStG Rn. C 31). Diese Voraussetzung ist nach den Feststellungen des Gerichts im Streitfall erfüllt. Grundlage des Anspruchs der Klägerin auf ihre Versorgungsbezüge ist nach Abschnitt D der Anlage 7a zu dem für die Klägerin einschlägigen Tarifvertrag - wie bei Beamten - deren letztes ruhefähiges Gehalt vor Eintritt des Versicherungs- und Versorgungsfalles unter Berücksichtigung der geleisteten Dienstzeit. Gesetzliche Renten werden von der Gesamtversorgung in Abzug gebracht.
c. Bei den Leistungen an die Klägerin handelt es sich um einen den Ruhegeldern "gleichartigen Bezug" i.S.d. § 19 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 EStG. Sie werden als Vorteile aus früheren Dienstleistungen erbracht.
Entscheidend für die Einordnung einer Leistung als "gleichartiger Bezug" ist nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs, dass die von der Regelung Begünstigten auf Dauer von ihren dienstlichen Verpflichtungen entbunden, also zur Erbringung von Dienstleistungen nicht mehr verpflichtet sind. Damit fehlt den Bezügen das wesentliche Merkmal der in § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG genannten Bezüge, dass sie nämlich Gegenleistung für Dienstleistungen darstellen, die im gleichen Zeitraum geschuldet und erbracht werden (BFH-Urteil v. 12. Februar 2009 - VI R 50/07, BFHE 224, 310, BStBl II 2009, 460 [BFH 12.02.2009 - VI R 50/07]).
Wie in dem vom BFH entschiedenen Fall zu der sog. "58er-Regelung" werden auch im Streitfall die Bezüge während der Beurlaubung gewährt, obwohl Dienstleistungen nicht erbracht werden, was entscheidend dafür spricht, die Dienstbezüge als dem Ruhegehalt gleichartige Bezüge anzusehen.
Anders als die Beklagte meint, ist die Vollendung des 58. Lebensjahres nicht Voraussetzung für die Einordnung der Leistungen als Versorgungsbezug. Sowohl im Leitsatz als auch in den Entscheidungsgründen des BFH-Urteils vom 12. Februar 2009 (VI R 50/07, BFHE 224, 310, BStBl II 2009, 460 [BFH 12.02.2009 - VI R 50/07]) wird lediglich auf diese Altersgrenze hingewiesen, um die "58er-Regelung", die der Entscheidung zugrunde lag, zu beschreiben. Weder aus dem Gesetz noch aus dem Urteil ist herleitbar, dass ein "gleichartiger Bezug" i.S.d. § 19 Abs. 2 Nr. 2 EStG nur vorliegt, wenn bei Beginn der Beurlaubung das 58. Lebensjahr vollendet ist.
Gleiches gilt für die für die Inanspruchnahme der sog. "58er-Regelung" geltende Voraussetzung, dass der Höchstruhegehaltssatz erreicht worden sein muss. Wie bei der Altersgrenze handelt es sich um eine fallbezogene Aussage des BFH, mit der die der Entscheidung zugrundeliegende Vereinbarung umschrieben wird.
II.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO). Die Hinzuziehung erfolgt nach § 139 Abs. 3 Satz 3 FGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 151 Abs. 3 FGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozessordnung (ZPO). Die Entscheidung über die Ausrechnung der Steuer beruht auf § 100 Abs. 2 S. 2 FGO.
III.
Die Revision wird nach § 115 Abs. 2 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) zugelassen, da eine höchstrichterliche Entscheidung über die Rechtsfrage noch nicht existiert und die Zulassung der Revision daher der Fortbildung des Rechts dient.