Amtsgericht Hannover
Beschl. v. 15.09.1978, Az.: 85 III 39/78
Zulässigkeit der Berichtigung eines Geburtseintrags; Voraussetzungen des rechtlichen Nachweises der Intersexualität
Bibliographie
- Gericht
- AG Hannover
- Datum
- 15.09.1978
- Aktenzeichen
- 85 III 39/78
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1978, 12000
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGHANNO:1978:0915.85III39.78.0A
Verfahrensgang
- nachfolgend
- LG Hannover - 16.10.1978 - AZ: 9 T 131/78
Tenor:
Der Standesbeamte wird angewiesen, im Geburtenbuch des Standesamtes (I Hannover, jetzt Hannover, Jahrgang ... Urkunde ...) berichtigend zu vermerken, daß das Kind weiblichen Geschlechts ist und die Vornamen ... führt.
Die Entscheidung ergeht gerichtsgebührenfrei.
Gründe
Die Beteiligte zu 1. wurde am ... 1949 (in Hannover) geboren. Die Geburt ist im Geburtenbuch des Standesamtes (I Hannover, jetzt Hannover, Jahrgang ..., Urkunde Nr. ...) als diejenige eines männlichen Kindes, das die Vornamen "..." erhalten hat, beurkundet.
Die Beteiligte zu 1. bringt vor:
Der Geburtseintrag sei in Bezug auf Geschlecht und Vornamen des Kindes von Anfang an unrichtig gewesen und müsse daher berichtigt werden. Sie sei bereits vor der Geburt nach ihrer gesamten Veranlagung auf eine Entwicklung zum weiblichen Geschlecht hin festgelegt gewesen. Diese Entwicklung habe am 29.09.1977 mit einer geschlechtskorrigierenden Operation ihren endgültigen Abschluß gefunden. Sie beziehe sich insoweit auf folgende Unterlagen:
- 1.
einen von ihr eigenhändig unterschriebenen Bericht über ihre persönliche Entwicklung,
- 2.
ein Gutachten von Prof. Dr. ..., Leiter der Abteilung für gynäkologische Endokrinologie der Universitätsfrauenklinik ...,
- 3.
ein gynäkologisches Gutachten von ...
- 4.
eine psychiatrische Bescheinigung von ...
- 5.
eine Versicherung an Eides Statt der bei der Geburt der Beteiligten zu 1. anwesenden Hebamme.
Die Beteiligte zu 1. beantragt in erster Linie eine Berichtigung des Geburtenbuches, wie aus dem Tenor des Beschlusses ersichtlich. Die Beteiligte zu 2. hat sich übereinstimmend mit dem Standesbeamten gegen die beantragte Berichtigung ausgesprochen.
Der Berichtigungsantrag ist begründet.
Eine Berichtigung des Geburtseintrags ist zulässig, wenn bei der Geburt die äußeren Geschlechtsmerkmale des Kindes auf sein männliches Geschlecht hingewiesen haben, wenn aber spätere Untersuchungen ergeben haben, daß es sich tatsächlich um ein Mädchen gehandelt hat. In diesem Fall ist die Eintragung von Anfang an unrichtig gewesen (Massfeller-Hoffmann, Personenstandsgesetz, Rdz. 30 zu § 47). Das ist hier der Fall.
Die Ursache und die Entstehung der Entwicklung zum weiblichen Geschlecht ist auf eine bereits im Zeitpunkt des Geburtseintrags vorhanden gewesene biologische Anlage der Beteiligten zu 1. zurückzuführen. Davon ist das Gericht aufgrund der von der Beteiligten zu 1. beigebrachten medizinischen Gutachten überzeugt. Es geht dabei entsprechend dem Beschluß des OLG Köln vom 22.03.1968 (2 Wx 10/68) davon aus, daß es zum rechtlichen Nachweis der Intersexualität genügt, daß der natürliche Befund mindestens auf ein Scheinzwittertum zwingend hindeutet und daß in einem solchen Fall ein voller Nachweis des nunmehr behaupteten Geschlechts gegeben ist.
Prof. Dr. ... ist in seinem Gutachten vom 02.01.1978 auf Grund von hormonanalytischen Untersuchungen zu dem Ergebnis gekommen, daß die Zuordnung des Kindes zum männlichen Geschlecht trotz Vorhandenseins äußerer männlicher Geschlechtsmerkmale irrtümlich erfolgt sei, weil in Wirklichkeit ein damals nicht zu erkennen der Fall von Intersexualität vorgelegen habe; auf Grund der programmierten Hirnentwicklung sei es in der Folgezeit zur weiblichen Determinierung in psycho-sexueller Hinsicht gekommen; die geringe Produktion der Hirnanhangdrüsenhormone LH FSH habe zur Ausbildung kleiner äusserer Genitalien geführt; das Verhalten dieser Hormone sei für die Zuordnung einer Person zum männlichen oder weiblichen Geschlecht sehr aufschlußreiche; bei der Beteiligten zu 1. spreche es dafür, daß sie weiblich determiniert sei, und zwar bereits vor der Geburt; denn durch spätere Einwirkungen lasse sich die vorgeburtlich erfolgte Programmierung nicht mehr ändern.
Das Gericht hat keine Zweifel an dem Sachverstand und der Objektivität des Gutachters. Er ist als Professor bei dem Fachbereich Klinikum ... der Freien Universität ... tätig und hat durch Publikationen (vgl. in NJW 1967, 633 [OLG Frankfurt am Main 27.10.1966 - 1 U 283/62]) bewiesen, daß er sich intensiv mit den Problemen der Intersexualität und Transsexualität befaßt hat. Hinzu kommt, daß die Hebamme ..., die bei der Geburt der Beteiligten zu 1. geholfen hat, unter dem 20.04.1978 an Eides Statt versichert hat, daß die äußeren Geschlechtsteile des Kindes bereits bei der Geburt mangelhaft ausgebildet gewesen seien; man habe dem aber keine Bedeutung beigemessen, weil für Mutter und Kind mehrere Tage lange akute Lebensgefahr bestanden habe.
Der Facharzt für Frauenkrankheiten und Geburtshilfe ... ist in seinem Gutachten vom 16.03.1978 ebenfalls zu dem Ergebnis gelangt, daß es sich bei der Beteiligten zu 1. um einen typischen Fall von Intersexualität handele, der wohl schon zum Zeitpunkt ihrer Geburt bestanden habe, zumal auch äußere Merkmale, vermutlich anlagebedingt, typisch weiblich seien. Er hat ferner festgestellt, daß die Beteiligte zu 1. mit Erfolg eine geschlechtskorrigierende Operation habe vornehmen lassen und daß diese Operation nach früheren psychiatrischen Untersuchungen am ... der Universität ... sowie des Lehrstuhls der Psychiatrie der Universität ... unbedingt indiziert gewesen sei. Der Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, ... hat unter dem 20.03.1978 ebenfalls bescheinigt, daß die Beteiligte zu 1. sowohl hinsichtlich ihrer biografisch-psychologischen Vorgeschichte als auch nach seiner psychiatrischen Untersuchung weiblich determiniert sei. Die Beteiligte zu 1. hat schließlich selbst betont, daß sie sich stets als dem weiblichen Geschlecht zugehörig gefühlt habe. Man kann aber auch die Identifizierung mit einem bestimmten Geschlecht als einen objektiv feststellbaren, grundsätzlich konstanten Faktor ansehen, der im überwiegenden Regelfall den körperlichen Determinanten entspricht und keiner willkürlichen verstandesmäßigen Steuerung unterliegt (so z.B. Walter in StAZ 1975, S. 120).
Die Bezeichnung des Kindes als "männlich" beruht also auf einem Irrtum und ist daher unrichtig. Die Eintragung des Geschlechts des Kindes ist daher zu berichtigen. Das gilt auch für die Eintragung des Vornamens "...". Dieser bezeichne eine Person männlichen Geschlechts. Er konnte daher einem weiblichen Kind nicht wirksam erteilt werden. Ein unwirksamer Eintrag ist aber zugleich unrichtig, weil sein Inhalt mit den tatsächlichen Gegebenheiten, die er ausweisen soll, nicht übereinstimmt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 11 KostO.