Amtsgericht Hannover
Urt. v. 18.11.1975, Az.: 10 C 272/75
Voraussetzungen des Vorliegens einer gesondert berechenbaren, ärztlichen Leistung; Erfordernis der Unterscheidbarkeit von als gesondert berechenbar angebotenen ärtzlichen Leistungen und allgemeinen Krankenhausleistungen; Befugnis eines Krankenhauses, aus eigenem Recht Ansprüche nach der Gebührenordnung für Ärzte geltend zu machen
Bibliographie
- Gericht
- AG Hannover
- Datum
- 18.11.1975
- Aktenzeichen
- 10 C 272/75
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1975, 11743
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGHANNO:1975:1118.10C272.75.0A
Rechtsgrundlage
- § 6 BPflV
Verfahrensgegenstand
Forderung aus einem Dienstvertrag
Das Amtsgericht Hannover - Abteilung 10 - hat
auf die mündliche Verhandlung vom 1975
durch
den Richter am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Sie beruft sich auf § 6 der Bundespflegesatzverordnung (BPflV) vom 25.04.1973 mit der Begründung, daß die ihr zuteil gewordene ärztliche Behandlung eine durch den allgemeinen Pflegesatz (§ 3 BPflV) abgegoltene allgemeine Krankenhausleistung gewesen sei.
Die Berechnung von täglich 30,00 DM neben dem allgemeinen Pflegesatz von 109,00 DM zeige an, daß die Klägerin ihren nicht liquidationsberechtigten Ärzten Pestgehälter zahle, die von dem allgemeinen Pflegesatz nicht voll abgedeckt würden. Damit durchbreche die Klägerin das nach § 4 des Gesetzes zur wirtschaftlichen Sicherung der Krankenhäuser und zur Regelung der Krankenhauspflegesätze (KHG) vorgeschriebene Kostendeckungsprinzip und den in § 17 Abs. 1 KHG ausgesprochenen Gleichheitsgrundsatz; das verbindliche Abrechnungssystem der Pflegesatzverordnung werde auf diese Weise unterlaufen.
Aber selbst dann, wenn die Ansicht der Klägerin, sie könne neben dem allgemeinen Pflegesatz eine weitere Vergütung fordern, richtig wäre, so bliebe festzustellen, daß der geltend gemachte Anspruch von 30,00 DM je Tag wucherisch hoch sei. Bei Entscheidung der Frage, wie gesondert berechenbare Leistungen zu entgelten seien (§§ 6, 8 BPflV), müssten - sofern die Selbstkosten durch das Entgelt überhaupt gedeckt würden - allgemeine privatrechtliche Grundsätze beachtet werden. In diesem Zusammenhang sei festzustellen, daß der Klägerin dadurch, daß sie einen ihrer Chefärzte zur Behandlung der Beklagten angewiesen habe, keine oder fast keine Kosten entstanden seien, so daß ein Entgelt von 30,00 DM täglich in jedem Falle ungerechtfertigt sei.
Schließlich müsse berücksichtigt werden, so trägt die Beklagte hilfsweise vor, daß die Höhe der Vergütung auch dann zu beanstanden sei, wenn die Klägerin nach § 6 BPflV berechtigt wäre für die "Wahlleistung-Arzt" 30,00 DM je Tag zu fordern. In diesem Falle hätte sie den allgemeinen Pflegesatz von 109,00 DM täglich um 10 bis 20 % ermässigen müssen. Das folge zwingend aus § 17 Abs. 2 KHG. In diesem Zusammenhang sei es als unerheblich anzusehen, daß die Niedersächsische Landesregierung noch keine Regelung gemäss §§ 16 KHG 3 BPflV zu der Frage getroffen habe, in welcher Höhe Abschläge vom allgemeinen Pflegesatz vorzunehmen seien.
Da die Bestimmungen des KHG zwingendes Bundesrecht seien, könne eine Säumnis der Landesregierung nicht dazu führen, daß die Frage, um welchen Betrag der allgemeine Pflegesatz zu kürzen sei, in diesem Prozeß unbeantwortet bleibe.
Die Klägerin ist den Einwendungen der Beklagten mit eingehenden Rechtsausführungen entgegengetreten.
Sie ist der Ansicht, daß die ausschließlich vom Chefarzt der chirurgischen Abteilung vorgenommene Behandlung eine gesondert berechenbare Leistung sei. Das ergebe sich schon daraus, daß sich zahlreiche "Kassenpatienten" privat höher versichern ließen, um notfalls in den Vorteil einer Behandlung durch leitende Ärzte auch dann zu kommen, wenn diese bevorzugte Behandlung aus medizinischen oder sonstigen Gründen - wie im Normalfall - nicht erforderlich sei. Den Patienten sei daran gelegen, durch die "Wahlleistung-Arzt" eine individuelle Vertrauensbeziehung zu schaffen. Es dürfe nicht übersehen werden, daß gerade diese, dem kranken Menschen gebotene besondere fürsorgerische Leistung einen beachtlichen Heilfaktor darstellen könne. Nach allgemeinen Prinzipien des Schuldrechts spiele es für die Frage der Vergütung keine Rolle, ob die Sonderleistung des Arztes auf Grund eines zwischen ihm und dem Patienten bestehenden Vertrages oder - wie hier - von ihm als Erfüllungsgehilfen des Krankenhauses im Rahmen des Aufnahmevertrages erbracht werde.
Zu den Hilfserwägungen der Beklagten trägt die Klägerin folgendes vor: Die Niedersächsische Landesregierung sei nach §§ 16, 17 KHG, 3 Abs. 2 BPflV zwar ermächtigt, aber nicht verpflichtet worden, eine Rechtsverordnung zur Bestimmung ermässigter Pflegesätze bei gesonderter Berechnung von Zusatzleistungen zu erlassen. Davon abgesehen habe der Niedersächsische Sozialminister die Selbstkosten des ...-Krankenhauses vor Ermittlung des allgemeinen Pflegesatzes von 109,00 DM um 70 % der Erlöse aus den gesondert berechenbaren Arztleistungen gekürzt, so daß der Pflegesatz von 109,00 DM täglich auch dann in Betracht komme, wenn besondere Leistungen gesondert berechnet würden.
Entscheidungsgründe
Die Klage konnte keinen Erfolg haben.
Der Klägerin stünde nach §§ 611, 612 BGB nur dann ein Anspruch auf Zahlung weiterer 750,00 DM zu, wenn sie im Rahmen des mit der Beklagten geschlossenen Vertrages eine andere als die allgemeine Krankenhausleistung erbracht hätte (§ 6 BPflV). Das ist jedoch nicht der Fall.
Der Klägerin ist zwar zuzugeben, daß sich ihre Leistung dadurch, daß die Beklagte nur von dem Chefarzt der chirurgischen Abteilung behandelt wurde, von der Leistung unterscheidet, die sie normalerweise, nämlich dann erbracht hätte, wenn die Behandlung durch den Chefarzt nicht vertraglich ausbedungen worden wäre. Eine andere Frage ist jedoch, ob sie diese Sonderleistung auch gesondert berechnen darf. Diese Frage muß verneint werden.
Schon der Wortlaut des § 6 BPflV gibt den Hinweis, daß eine gesondert berechenbare ärztliche Leistung (nur) dann vorliegt, wenn sie von einem liquidationsberechtigten Arzt in Erfüllung eines von ihm mit dem Patienten geschlossenen Vertrages erbracht wird, denn ein Krankenhaus darf die Wahl des Patienten "nicht auf einzelne liquidationsberechtigteÄrzte" beschränken.
Ob aus diesem Hinweis allerdings der zwingende Schluß auf eine der Klägerin ungünstige Rechtsfolge zu ziehen ist, weil sie keine Liquidationsberechtigten Ärzte beschäftigt, mag dahinstehen. Aus Gründen der Klarheit (für den Patienten und für die öffentliche Hand, die den Krankenhäusern Zuschüsse zu gewähren hat) ist es erforderlich, daß sich die von einem Krankenhaus als gesondert berechenbar angebotenen ärztlichen Leistungen ohne weiteres von den allgemeinen Krankenhausleistungen unterscheiden lassen. Eine Differenzierung ist aber dann nicht mehr mit hinreichender Sicherheit möglich, wenn ein Krankenhaus - wie es die Klägerin tut - ärztliche Sonderleistungen anbietet und erbringt, für die sie ein tägliches Pauschalhonorar fordert, ohne dem Patienten die Möglichkeit zu geben, mit dem Arzt seiner Wahl unmittelbar in vertragliche Beziehungen zu treten.
Die von der Beklagten gewünschte "Wahlleistung-Arzt" führte dazu, daß die Leitung des Krankenhauses dem zuständigen Chefarzt die Weisung erteilte, die Behandlung der Beklagten persönlich zu übernehmen. Der leitende Arzt musste mithin allein auf Grund des mit dem Krankenhaus geschlossen Dienstvertrages neben seinen sonstigen dienstlichen Verpflichtungen bevorzugt für die Beklagte tätig werden. Der Chefarzt hatte nach Weisung des Krankenhauses - in bezug auf die Beklagte - die Verrichtungen auszuführen, die er auch ohne Weisung im Rahmen eines allgemeinen Krankenhausaufnahmevertrages vorgenommen hätte, wenn die alleinige Behandlung durch den Chefarzt wegen des Krankheitsbildes der Beklagten erforderlich gewesen wäre. Bereits hieraus lassen sich Bedenken gegen die Ansicht der Klägerin herleiten, daß die vom leitenden Arzt auf Weisung des Krankenhauses durchgeführte Behandlung eine gesondert berechenbare Leistung im Sinne der Pflegesatzverordnung sei.
Diese Bedenken vergrößern sich, wenn man die Frage nach der Höhe der Vergütung (insbesondere wegen der Bedeutung der dem Krankenhaus entstehenden Selbstkosten) in die Betrachtung einbezieht. Eine Befugnis des Krankenhauses, aus eigenem Recht Ansprüche nach der Gebührenordnung für Ärzte geltend zu machen, besteht nicht (s. Gitter: Zum Privatliquidationsrecht der leitenden Krankenhausärzte).
Die Forderung eines pauschalen Tagessatzes erscheint bedenklich, weil die Höhe des Tagessatzes nicht nach den im Einzelfall vorgenommenen ärztlichen Verrichtungen, sondern - jedenfalls soweit es das Mindestentgelt betrifft - nach den Selbstkosten zu bestimmen wäre, die dem Krankenhaus durch die bevorzugte Behandlung eines Patienten entstehen (§ 8 BPflV). Diese Selbstkosten werden sich, wenn die leitenden Ärzte Festgehälter beziehen, auch kalkulatorisch kaum ermitteln lassen, so daß die Frage offen bliebe, auf welchen Betrag sich die angemessene und übliche Vergütung im Einzelfall beliefe.
Insgesamt gesehen führen die aufgezählten Bedenken zu der Feststellung, daß ein Krankenhaus stationär erbrachte ärztliche Sonderleistungen nur dann gesondert berechnen kann, wenn die Leistungen im Rahmen eines sogenannten "aufgespaltenen Aufnahmevertrag", also auf Grund unmittelbarer vertraglicher Beziehungen zwischen Arzt und Patient, erbracht werden (siehe Weißauer im Saarländischen Ärzteblatt 75, 168 ff).
Die Klage war deshalb mit der Kostenfolge aus § 91 ZPO abzuweisen.
Das Urteil ist nach § 709 Nr. 4 ZPO vorläufig vollstreckbar.