Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 23.07.1984, Az.: 12 UF 97/84

Voraussetzungen für die Zuteilung des Sorgerechts; Anforderungen an die Berücksichtigung des Kindeswohls

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
23.07.1984
Aktenzeichen
12 UF 97/84
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1984, 16928
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:1984:0723.12UF97.84.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Northeim - 10.05.1984 - AZ: 12 F 391/83

Tenor:

Auf die Beschwerde des Antragsgegners wird der Beschluß des Amtsgerichts - Familiengerichts - Northeim vom 10. Mai 1984 geändert.

Die elterliche Sorge für ... wird dem Vater übertragen.

Hinsichtlich der Kosten erster Instanz bleibt es bei der Kostenentscheidung des Amtsgerichts.

Für das Beschwerdeverfahren werden Gerichtsgebühren nicht erhoben.

Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens sind nicht zu erstatten.

Gegenstandswert: 5.000 DM.

Gründe

1

Die Beschwerde des Vaters führt dazu, daß für die Zeit des Getrenntlebens dem Vater die elterliche Sorge für ... übertragen wird (§ 1672 BGB).

2

Maßgebend für die Entscheidung, welchem Elternteil das Sorgerecht zuzusprechen ist, ist gemäß §§ 1672, 1671 Abs. 2 BGB das Wohl des Kindes. Dabei umfaßt das Wohl des Kindes nach § 1 JWG das Recht auf Erziehung zur leiblichen, seelischen und gesellschaftlichen Tüchtigkeit (vgl. Palandt/Diederichsen § 1671 Anm. 3). Entscheidend sind allein die Belange des Kindes; also ist darauf abzustellen, wie die bestmögliche Entwicklung des Kindes gewährleistet werden kann. Dabei sind die Persönlichkeit und die erzieherische Eignung der Eltern, ihre Bereitschaft, Verantwortung für das Kind zu tragen, und die Möglichkeiten der Unterbringung und Betreuung zu berücksichtigen. Dabei haben Vater und Mutter gleiche Rechte. Alter und Geschlecht des Kindes können jedenfalls ein Vorrecht des einen oder anderen Elternteils nicht begründen (vgl. BayObL FamRZ 75, 226). Dementsprechend gibt es auch keinen allgemeinen Erfahrungssatz, daß ein 31/2 altes Kind eher zur Mutter gehört. Vielmehr ist stets im Einzelfall zu entscheiden, welcher Elternteil als stabile Bezugsperson das größtmögliche Maß an Geborgenheit gewährleisten kann. Denn wesentlicher Faktor bei der Entwicklung eines Kindes ist die Kontinuität der Umgebung und der Betreuung. Daher ist insbesondere auch die zukünftige Entwicklung zu berücksichtigen. Zeitlich begrenzten Faktoren, wie etwa das gegenwärtige Alter, kommt demgegenüber eine weniger große Bedeutung zu (vgl. BayObL FamRZ 62, 165).

3

Der Senat ist - wie auch das Amtsgericht - davon überzeugt, daß beide Elternteile in gleicher Weise zur Erziehung des Kindes geeignet sind. Da nach übereinstimmenden Angaben beider Elternteile, an deren Richtigkeit der Senat nicht zweifelt, ... sowohl zu seiner Mutter als auch zu seinem Vater eine gleich enge Bindung hat, ist hier insbesondere darauf abzustellen, bei welchem Elternteil eine kontinuierliche Entwicklung eher gewährleistet sein könnte. Dabei hat der Senat nach Anhörung der Eltern die Einsicht gewonnen, daß die Situation des Antragsgegners auf Dauer eher geeignet ist, die kontinuierliche Entwicklung von ... zu sichern. Zwar wird auch der Vater seinen Aufenthaltsort wechseln, jedoch gewöhnt sich erfahrungsgemäß ein knapp 4 Jahre altes Kind sehr schnell an eine neue Umgebung. Nach diesem Wechsel kann ... dann in der Geborgenheit eines Pfarrhauses aufwachsen, wobei der Antragsgegner als ruhender Pol weitgehend zur Verfügung steht. Der Senat verkennt allerdings nicht, daß die Aufgaben eines Pastors dem Antragsgegner weniger Zeit zur Betreuung des Kindes lassen werden, als sie die Mutter hätte, wenn sie keiner Tätigkeit nachginge.

4

Die berufliche und familäre Zukunft der Antragstellern ist aber unsicher. Wenn sie ihre Absicht verwirklicht, im Verlaufe des nächsten Jahres die Diplomprüfung abzulegen, dann wird sie während der Vorbereitungszeit zur Prüfung und während der Prüfungszeit selbst nur sehr viel weniger Zeit für ... haben, als sie der Vater aufwenden kann. Hinzu kommt die unsichere berufliche Perspektive der Mutter, die auch dann, wenn sie die Prüfung besteht, keineswegs sicher sein kann, einen Arbeitsplatz zu erhalten. Die beruflichen Einsatzmöglichkeiten eines Diplom-Theologen sind begrenzt, zumal die Antragstellerin kaum damit wird rechnen können, in den Dienst der Landeskirche treten zu können. Nicht ganz außer Acht bleiben darf auch, daß die Antragstellerin durch ihr Verhalten im Jahre 1983 gezeigt hat, daß sie ihre eigenen Interessen, nämlich die Zuwendung zu ..., höher bewertet hat als die Interessen des Kindes. Nach ihren eigenen Angaben nämlich hat ... den dringenden Wunsch, beide Eltern gemeinsam zu sehen und zu behalten. Daß die bestmögliche Entwicklung des Kindes in einer intakten Familie eher gewährleistet ist als bei Erziehung durch einen Elternteil, bedarf keiner weiteren Erörterung. Auch der neue Lebenspartner der Antragstellerin kann ihrer Ungewissen Zukunft keine sichere Perspektive gegenüberstellen. Durch seine Absicht, das Abitur nachzumachen und dann Theologie zu studieren, wird er auf viele Jahre nicht in der Lage sein, die wirtschaftliche Basis für die Gründung einer Familie zu schaffen.

5

Demgegenüber zeichnet sich für den Antragsgegner eine verhältnismäßig sichere Zukunft ab. Abgesehen davon, daß er eine dauerhafte und feste wirtschaftliche Basis hat, konnte sich der Senat auch von dem besonderen Verantwortungsbewußtsein des Antragsgegners bei der Anhörung überzeugen. Dadurch, daß der Vater es auf sich nimmt, einmal oder auch mehrmals wöchentlich die Antragstellerin in ihrer neuen Wohnung aufzusuchen, um ... zu vermitteln, daß er noch beide Elternteile hat, hat er in schwieriger persönlicher Situation vorbildhaft reagiert. Im Interesse des Kindes hat er seine gegenüber der Antragstellerin nicht mehr sehr freundschaftlichen Empfindungen nicht zum Ausdruck gebracht, sondern vielmehr versucht, das Kind nicht noch mehr mit Konflikten zu belasten. Das hohe Verantwortungsbewußtsein des Antragsgegners zeigt sich auch in seiner von ihm bei der Anhörung geäußerten Absicht, bei entsprechender Entscheidung des Senats Martin erst dann zu sich zu holen, wenn er in die neue Pfarrstelle umsiedelt, um so dem Kind mehrere kurz hintereinander folgende Wechsel zu ersparen.

6

Der Senat ist sich darüber im klaren, daß die Mutter - wie auch vom Vater bestätigt - sich vorbildhaft um die gesundheitliche Versorgung von ... gekümmert hat. Der Antragsgegner wird in nächster Zeit hinsichtlich der Gesundheitsfürsorge und der allgemeinen Betreuung von ... erheblichen Anforderungen ausgesetzt sein. Der Senat vertraut jedoch aufgrund seines in der Anhörung gewonnenen Eindrucks darauf, daß der Antragsgegner mit diesen Schwierigkeiten fertig werden wird. Die Auswahlkriterien, derer sich der Antragsgegner bei der Auswahl seiner neuen Pfarrstelle bedient hat, zeigen, daß er bereit ist, seine Zukunft an den Interessen und Notwendigkeiten für ... auszurichten.

7

Diese Umstände führen zu der Beurteilung, daß es gegenwärtig dem Wohl ... besser entspricht, wenn er unter Obhut des Vaters aufwächst. Dabei hat der Senat auch berücksichtigt, daß hier nur eine vorläufige Regelung bis zum Abschluß des inzwischen vom Vater beantragten Scheidungsverfahrens zu treffen ist. Ob dann eine andere Regelung geboten ist, wird maßgeblich von der weiteren Entwicklung abhängen. Ziel muß es sein, ... nicht mit den Konflikten seiner Eltern zu belasten, sondern ihm vielmehr das Gefühl zu geben, daß ihm beide Elternteile erhalten bleiben.

8

Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 30, 131 Abs. 3 KostO, 13 a Abs. 1 Satz 1 FGG.

Streitwertbeschluss:

Gegenstandswert: 5.000 DM.