Oberlandesgericht Braunschweig
Urt. v. 13.09.2023, Az.: 9 U 14/23

Geltendmachung eines vor der Eröffnung entstandenen Zahlungsanspruchs gegen den Schuldner durch den Verwalter; Begründung eines auf Leistung gerichteten Schadensersatzanspruchs in zivil- und insolvenrechtlicher Hinsicht; Verfolgung von Schadensersatzforderungen aus vor Insolvenzverfahrenseröffnung begangenem masseschädigenden Verhalten des Schuldners durch den Insolvenzverwalter

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
13.09.2023
Aktenzeichen
9 U 14/23
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 46596
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGBS:2023:0913.9U14.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
LG Braunschweig - 20.02.2023 - AZ: 6 O 3183/21

Fundstellen

  • MDR 2024, 257-258
  • NJW-Spezial 2024, 246-247
  • NZI 2024, 121-124
  • ZIP 2024, 419-422
  • ZIP 2024, 935
  • ZInsO 2024, 201-205
  • ZVI 2024, 146-149

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Insolvenzordnung stellt kein Verfahren für die Geltendmachung eines vor der Eröffnung entstandenen Zahlungsanspruchs gegen den Schuldner durch den Verwalter bereit (Anschluss an BGH, Urteil vom 21.10.2021 - IX ZR 265/20, Rn. 14-20, juris).

  2. 2.

    Verheimlicht ein Schuldner auch nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens den Verbleib des Geldes, das er vor dem Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens bar abgehoben hat, bzw. den Verbleib der von ihm damit sogleich erworbenen Gegenstände, so ist ein hieraus erwachsener Schaden zivil- und insolvenzrechtlich nicht denknotwendig als "nach Verfahrenseröffnung entstanden" zu qualifizieren (Abgrenzung zu BGH, Beschluss vom 14.03.2016 - 1 StR 337/15, Rn. 15 und 22f., juris).

  3. 3.

    In zivil- und insolvenzrechtlicher Hinsicht genügt zur Begründung eines auf Leistung gerichteten Schadensersatzanspruchs aus § 823 Abs. 2 BGB i. V. m. § 283 StGB eine lediglich abstrakte Gefährdung der Gläubigerinteressen nicht, sondern ist eine konkrete Rechtsgutsverletzung erforderlich. Bei vom Schuldner vor Insolvenzeröffnung getätigten masseverkürzenden Barabhebungen ist diese bereits zum Zeitpunkt der Barabhebungen eingetreten, weil durch die Barabhebungen ein alsbaldiger Zugriff möglicher Gläubiger auf diese Vermögenswerte jedenfalls bereits erheblich erschwert worden ist, was für die Tatbestandserfüllung des § 283 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt StGB genügt (vgl. BGH, Beschluss vom 22.01.2013 - 1 StR 234/12, Rn. 5). Bereits hierdurch ist der Rechtsgrund des Schadensersatzanspruchs zumindest gelegt und die Forderung i.S.d. § 38 InsO damit begründet. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens kann die Forderung gemäß §§ 87, 174 ff. InsO nur noch durch Anmeldung zur Tabelle verfolgt werden, weshalb eine Geltendmachung durch den Insolvenzverwalter ausgeschlossen ist.

  4. 4.

    Erwirkt ein Insolvenzverwalter gegen einen Schuldner ein rechtskräftiges, aber nicht vollstreckungsfähiges Feststellungsurteil mit dem Inhalt, dass der Eröffnungsbeschluss des Insolvenzgerichts dahingehend zu ergänzen sei, dass der Schuldner dem Insolvenzverwalter aus dem Rechtsgrund der vorsätzlichen unerlaubten Handlung einen Betrag in Höhe von 58.500,00 € nebst Zinsen schulde, so erwächst daraus in einem Folgeprozess über eine zur selben Forderung auf Zahlung erhobenen Leistungsklage gegen den Schuldner keine Bindungswirkung dahingehend, dass der Insolvenzverwalter zur Geltendmachung des Zahlungsanspruchs aktivlegitimiert ist.

In dem Rechtsstreit
des Herrn G. W., ,
Beklagter und Berufungskläger,
Prozessbevollmächtigter:
Rechtsanwalt St.
gegen
Herrn Rechtsanwalt N. als Insolvenzverwalter über das Vermögen des
Herrn G. W., handelnd unter W.-Bau e.K., ,
Kläger und Berufungsbeklagter,
Prozessbevollmächtigte:
Rechtsanwältin H.
hat der 9. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Braunschweig durch den Vorsitzenden Richter am Oberlandesgericht Brand, die Richterin am Oberlandesgericht Dr. Schäfer-Altmann und die Richterin am Amtsgericht Stößel auf die mündliche Verhandlung vom 13. September 2023 für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung des Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 20.02.2023 - 6 O 3183/21 - abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen zu tragen.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung des Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf die Wertstufe bis 65.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Der Kläger als Insolvenzverwalter über das Vermögen des Beklagten nimmt den Beklagten auf Schadensersatz aus sieben Barauszahlungen im Zeitraum vom 15.08.2016 bis 07.09.2016 aus dem Rechtsgrund der vorsätzlich begangenen unerlaubten Handlung in Anspruch.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands I. Instanz und der darin gestellten Anträge wird auf den Tatbestand des landgerichtlichen Urteils (S. 2 - 3 = Bl. 99R - 100 d.A.) Bezug genommen.

Das Landgericht hat der Klage stattgegeben.

Die Klage sei zulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers ergebe sich daraus, dass dem Kläger kein einfacherer, schnellerer und/oder günstigerer Weg zur Durchsetzung der von ihm verfolgten Ansprüche zustehe. Die möglicherweise fehlende Leistungsfähigkeit des Beklagten führe nicht zum Entfallen des Rechtsschutzbedürfnisses. Ausnahmen von dem Grundsatz, wonach sich das Rechtsschutzbedürfnis bei Leistungsklagen bereits aus der Nichterfüllung des Anspruchs ergebe, seien nicht ersichtlich. Der voraussichtliche Vollstreckungserfolg sei für das Erkenntnisverfahren grundsätzlich ohne Belang. Das Rechtsschutzbedürfnis ergebe sich insbesondere daraus, dass weder das vorausgegangene Feststellungsurteil des Landgerichts Braunschweig noch der Eröffnungsbeschluss des Insolvenzverfahrens für die Vollstreckung in den unpfändbaren Teil des Einkommens des Beklagten ausreichend seien. § 36 InsO stehe einer solchen Pfändung nicht entgegen. Unter Berücksichtigung von Sinn und Zweck der Norm, der gesetzgeberischen Erwägungen sowie der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs enthalte § 36 InsO eine planwidrige Regelungslücke für Konstellationen wie die vorliegende. Diese müsse durch eine analoge Anwendung der Norm geschlossen werden. Es sei kein Grund ersichtlich, warum es aus Sicht der Gläubiger von der wirtschaftlichen Betätigungsform des Insolvenzschuldners abhängen solle, in welchem Umfang die Gemeinschaft der Insolvenzgläubiger auf das Schuldnervermögen zugreifen könnten.

Die Klage sei auch begründet. Der Kläger sei befugt, die Ansprüche der Gläubiger als deren Gesamtschaden gegen den Beklagten nach § 92 InsO zu verfolgen. Hierauf habe bereits das Oberlandesgericht Braunschweig im Berufungsverfahren 8 U 25/20 hingewiesen. Dies stehe mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs im Einklang.

Hinsichtlich Grund und Höhe des vorliegend verfolgten Anspruchs bestehe eine Bindungswirkung des zuvor ergangenen Feststellungsurteils des Landgerichts Braunschweig in dem Verfahren 8 O 3707/19. Das Landgericht habe in dem hier geführten Verfahren daher nicht mehr inhaltlich zu entscheiden.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (S. 3 - 10 = Bl. 100 - 103R d.A.) Bezug genommen.

Gegen dieses dem Prozessbevollmächtigten des Beklagten am 21.02.2023 zugestellte Urteil wendet sich der Beklagte mit am 21.03.2023 eingegangener Berufung und begründet diese innerhalb der antragsgemäß bis zum 22.05.2023 verlängerten Berufungsbegründungsfrist form- und fristgerecht mit am 22.05.2023 eingegangenem Schriftsatz.

Der Beklagte meint, das Landgericht habe das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers rechtsfehlerhaft bejaht. Die Klage sei sowohl aus Rechtsgründen als auch im Hinblick auf die vollständig fehlende Befriedigungsaussicht sinnlos. Das Landgericht habe verkannt, dass der Kläger allenfalls - selbst bei angenommener Aktivlegitimation nach § 92 InsO - die streitgegenständlichen Forderungen nach § 87 InsO zur Tabelle feststellen lassen könne. Das sehe die Insolvenzordnung jedoch nicht vor. Der Kläger unterliege dabei auch dem Vollstreckungsverbot des § 89 InsO, was das Rechtsschutzbedürfnis ebenfalls entfallen lasse. Das Landgericht habe weiter übersehen, dass sich aus § 36 InsO der Zugriff des Klägers in den Vorbehaltsbereich verbiete. Es habe hierbei den Wortlaut der Norm und den durch die Nichtabänderung der Norm zum 01.12.2021 zum Ausdruck gebrachten gesetzgeberischen Willen missachtet.

Der Beklagte meint weiter, das Landgericht habe die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs übersehen, wonach der Insolvenzverwalter nicht berechtigt sei, Ansprüche wie die vorliegend verfolgten geltend zu machen. Es habe auch die Reichweite der Rechtskrafterstreckung des landgerichtlichen Versäumnisurteils verkannt. Das Landgericht habe eine eigene Sachprüfung der Einzugsberechtigung des Insolvenzverwalters nicht unterlassen dürfen.

Zudem verstoße der Kläger gegen die ihm gemäß § 60 Abs. 1 S. 2 InsO gegenüber dem Beklagten obliegende Pflicht zur ordnungsgemäßen Verwaltung der Insolvenzmasse, indem er treuwidrig den hiesigen Prozess trotz der einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (weiter) führe. Die Pflichtverletzung führe zur Annahme der Unzulässigkeit der Rechtsausübung (dolo agit). Sie begründe einen Herausgabeanspruch oder Schadensersatzanspruch des Beklagten.

Der Beklagte beantragt,

das Urteil des Landgerichts Braunschweig vom 20.02.2023 - 6 O 3183/21 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das erstinstanzliche Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vorbringens. Das Landgericht sei insbesondere bereits wegen der Rechtskrafterstreckung des Verfahrens 8 O 3707/19 gehindert gewesen, dem Kläger nach § 92 InsO die Aktivlegitimation abzusprechen. Dabei sei unerheblich, ob das Versäumnisurteil vom 02.09.2019 auf § 92 InsO beruhe. Er meint, die Ausführungen des Beklagten zu § 89 InsO gingen fehl, weil die Norm lediglich vollstreckungsrechtlichen Inhalt habe und damit für das Erkenntnisverfahren unerheblich sei.

II.

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Rückzahlung der sieben Barauszahlungen im Zeitraum vom 15.08.2016 bis 07.09.2016.

Die Entscheidung des Landgerichts vom 18.02.2020 - 8 O 3707/19 (Anlage K 3, Bl. 14 ff. d.A.) - entfaltet im Hinblick auf das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers und dessen Aktivlegitimation keine Bindungswirkung (nachfolgend 1.). Der Kläger hat zwar ein Rechtsschutzbedürfnis zur Verfolgung der Ansprüche in dem vorliegenden Verfahren (nachfolgend 2.). Zur Geltendmachung der verfolgten Ansprüche ist er jedoch nicht befugt (nachfolgend 3.).

1. Das landgerichtliche Urteil vom 18.02.2020 - 8 O 3707/19 (Bl. 14 ff. d.A.) - entfaltet keine materielle Bindungswirkung im Hinblick auf das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers oder dessen Aktivlegitimation.

Soweit eine in einem vorhergehenden Verfahren rechtskräftig erkannte Rechtsfolge für die Entscheidung in einem späteren Prozess vorgreiflich ist, ist das nachentscheidende Gericht hieran gebunden und an einer abweichenden Entscheidung der rechtskräftig entschiedenen (Vor-)Frage gehindert (BGH, Urteil vom 17.02.1983 - III ZR 184/81, Rn. 12; BGH, Urteil vom 16.01.2008 - XII ZR 216/05, Rn. 9, jeweils juris). Die Reichweite dieser materiellen Rechtskraft nach § 322 Abs. 1 ZPO erstreckt sich nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs auf "den unmittelbaren Gegenstand des Urteils, d.h. auf die Rechtsfolge, die auf eine Klage oder Widerklage aufgrund eines bestimmten Sachverhalts bei Schluß der mündlichen Verhandlung den Entscheidungssatz bildet" (BGH, Urteil vom 17.02.1983 - III ZR 184/81, Rn. 14 m.w.N., juris). Dabei tritt die Rechtskraftwirkung unabhängig davon ein, ob das (Vor-)Gericht alle einschlägigen Aspekte gesehen und zutreffend gewürdigt hat (BGH, Urteil vom 15.06.1982 - VI ZR 179/80, Rn. 7 m.w.N., juris). Gleiches gilt für Entscheidungen eines unzuständigen Gerichts und Entscheidungen, die auf Verfahrens- oder materiellrechtlichen Fehlern beruhen (Zöller/Vollkommer, 34. Auflage 2022, § 322 ZPO, Rn. 14 m.w.N.).

Maßgeblich ist dabei zunächst die Urteilsformel selbst. Nur, soweit "diese allein nicht ausreicht, um den Rechtskraftgehalt der Entscheidung zu erfassen, sind Tatbestand und Entscheidungsgründe, erforderlichenfalls auch das Parteivorbringen, ergänzend heranzuziehen. Auch ein sachlich entscheidendes Versäumnisurteil ist der materiellen Rechtskraft fähig" (BGH, Urteil vom 12.01.1987 - II ZR 154/86, Rn. 10 f. m.w.N., juris). Abzustellen ist auf die letzte rechtskräftige Entscheidung eines Verfahrens (BGH, Urteil vom 17.12.2002 - XI ZR 90/02, Rn. 16, juris), mithin vorliegend (auch) auf das das Versäumnisurteil aufrechterhaltende Urteil vom 18.02.2020 (Bl. 14 ff.). Erst durch dieses wurde - nach Berufungsrücknahme - über das Versäumnisurteil des Vorverfahrens rechtskräftig entschieden.

Einzelne Urteilselemente, Feststellungen in tatsächlicher Hinsicht und rechtliche Folgerungen über präjudizielle Verhältnisse, auf denen die (Vor-)Entscheidung lediglich aufbaut, werden von der Rechtskraft dagegen nicht erfasst (BGH, Urteil vom 17.02.1983 - III ZR 184/81, Rn. 14 m.w.N. sowie Versäumnisurteil vom 17.02.2023 - V ZR 212/21, Rn. 13 m.w.N., jeweils juris). So erstreckt sich beispielsweise die Rechtskraftwirkung eines Zahlungsurteils über Miet- oder Darlehenszinsen nicht auf das Bestehen des vertraglichen Grundverhältnisses (BGH a.a.O. m.w.N.).

Ausgehend hiervon kommt dem landgerichtlichen Urteil vom 18.02.2020 Bindungswirkung im Hinblick auf die Bejahung des Rechtsschutzbedürfnisses des Klägers oder dessen Aktivlegitimation nicht zu. Es handelt sich hierbei lediglich um Vorfragen der begehrten Feststellung über die Ergänzung des Eröffnungsbeschlusses, mithin um rechtliche Folgerungen über präjudizielle Verhältnisse im vorgenannten Sinn.

Dem steht auch nicht entgegen, dass der Beklagte in dem dem landgerichtlichen Urteil nachfolgenden Berufungsverfahren 8 U 25/20 in der Verhandlung vor dem Oberlandesgericht Braunschweig vom 25.02.2021 nach Hinweisen des Senats die Rücknahme der Berufung erklärt hat (Protokoll S. 2 a.E. - S. 3, 1. Satz = Bl. 20 f. d.A.). Zwar kann der Prozesserklärung von Parteien, auch, wenn diese über die Wirkungen der materiellen Rechtskraft nicht dispositionsbefugt sind, materiell-rechtliche Wirkung zukommen. In derartigen Prozesserklärungen kann grundsätzlich auch die (zulässige) Regelung über die materiellen Folgen der Erklärung liegen (BAG, Urteil vom 23.05.2013 - 2 AZR 102/12, Rn. 16, juris). So liegt der Fall indes vorliegend nicht. Vielmehr hat der Beklagte nach den Hinweisen des 8. Zivilsenats in der Verhandlung vom 25.02.2021, wonach eine Verurteilung zu der durch den Kläger hilfsweise beantragten Zahlung - wie vorliegend verfolgt - in Betracht komme, die Berufung zurückgenommen. Damit ist aus Sicht des maßgeblichen objektiven Empfängerhorizontes deutlich geworden, dass der Beklagte eben diese Verurteilung nicht wünscht. Eine materiell-rechtliche Bindung zwischen den Parteien ergibt sich hieraus für das vorliegende Verfahren nicht.

2. Der Kläger hat ein Rechtsschutzbedürfnis zur Verfolgung der Ansprüche in dem vorliegenden Verfahren.

Das zulässigkeitsbegründende Erfordernis des Vorliegens eines Rechtsschutzbedürfnisses stellt eine Einschränkung des durch Art. 20 Abs. 3 GG i.V.m. Art. 2 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich geschützten Justizgewährleistungsanspruchs dar. Es soll verhindert werden, dass Gerichte als Teil der Staatsgewalt zu unlauteren und daher nicht schützenswerten Zwecken ausgenutzt werden (st. Rspr., vgl. BGH vom 23.03.2022 - VIII ZR 133/20, Rn. 16 m.w.N., juris). Es sollen dabei (nur) die "Klagebegehren nicht in das Stadium der Begründetheitsprüfung gelangen, die - gemessen am Zweck des Zivilprozesses - ersichtlich eines staatlichen Rechtsschutzes durch eine materiell-rechtliche Prüfung nicht bedürfen" (BGH a.a.O.). Bei Leistungsklagen - wie vorliegend - ergibt sich ein Rechtsschutzbedürfnis in der Regel bereits aus der Nichterfüllung des behaupteten materiellen Anspruchs, dessen Bestehen für die Prüfung des Rechtsschutzbedürfnisses zu unterstellen ist (BGH a.a.O., Rn. 17). Fragen der Vollstreckbarkeit sind dabei ebenso unerheblich wie die Frage nach der Begründetheit des Anspruchs.

Gemessen hieran hat der Kläger das erforderliche Rechtsschutzbedürfnis zur Verfolgung des vorliegenden (Leistungs-)Anspruchs. Insbesondere kann dahinstehen, ob der Kläger im Rahmen der Vollstreckung des verfolgten Anspruchs nach § 850f Abs. 2 ZPO vorgehen kann, was mit Blick auf den Wortlaut des § 36 InsO fraglich sein könnte. Dies betrifft indes - im Ergebnis - die Frage der Begründetheit einer wiederum erst vollstreckungsrechtlichen Feststellung, ob der pfändbare Betrag zu erhöhen ist und würde seinerseits gerade ein Rechtsschutzbedürfnis begründen (BGH, Beschluss vom 05.06.2012 - IX ZB 31/10, Rn. 8).

3. Der Kläger ist für die von ihm verfolgten Ansprüche jedoch nicht aktivlegitimiert. Der Anspruch richtet sich gegen den Insolvenzschuldner selbst und ist vor Insolvenzeröffnung entstanden.

a) Die Befugnis des Klägers, Schadensersatzansprüche der Gläubiger wegen einer Masseverkürzung geltend zu machen, ergibt sich dem Grunde nach aus § 92 S. 1 InsO. Die Norm bezweckt die gleichmäßige Befriedigung aller Insolvenzgläubiger. Das Risiko, dass ein Schädiger nicht alle masseverkürzenden Schäden vollständig kompensieren kann, wird durch die Bündelung der Rechtsverfolgung auf den Insolvenzverwalter gleichmäßig auf alle Gläubiger verteilt. § 92 InsO dient durch die Bündelung der Anspruchsverfolgung und -durchsetzung gleichzeitig der Prozessökonomie (Nerlich/Römermann/Kruth, 47. EL März 2023, § 92 InsO, Rn. 3). Die Vorschrift sichert mithin den ungestörten Ablauf des Insolvenzverfahrens durch die Verhinderung eines "Wettlaufs der Gläubiger" sowie die Vervollständigung der Insolvenzmasse zugunsten aller Gläubiger (BGH, Urteil vom 21.03.2013 - III ZR 260/11, Rn. 45 m.w.N.).

Der vorbeschriebene Schutzzweck umfasst jedoch gerade nicht Konstellationen wie die vorliegende, in denen das vor Insolvenzeröffnung ausgeführte masseschädigende Verhalten von dem Insolvenzschuldner selbst ausgeht. Das ergibt sich bereits daraus, dass die hieraus entstehenden Schadensersatzansprüche der Gläubiger - jeder einzelne als Geschädigter im Sinne eines Quotenschadens - gegen den Schuldner aus §§ 823 Abs. 2 BGB, 283 Abs. 1 Nr. 1 StGB Insolvenzforderungen i.S.d. § 38 InsO darstellen. Diese sind gemäß §§ 87, 174 ff. InsO zur Tabelle anzumelden. Ein "Wettlauf der Gläubiger" kann damit nicht entstehen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 21.10.2021 - IX ZR 265/20) fügte sich die Zuerkennung eines solchen, durch den Insolvenzverwalter verfolgten Zahlungsanspruchs auch nicht in das Gesamtgefüge der insolvenzrechtlichen Anordnungen ein: Hiernach verfügt der Schuldner - in der Regel - bereits nicht über die erforderlichen Mittel, um den Zahlungsanspruch zu erfüllen. Soweit insolvenzfreies Vermögen des Schuldners vorhanden ist, dient dieses nicht der Befriedigung von Insolvenzforderungen (BGH a.a.O., Rn. 14 f.). Die Insolvenzordnung stellt auch kein Verfahren für die Geltendmachung eines vor der Eröffnung entstandenen Zahlungsanspruchs gegen den Schuldner durch den Verwalter bereit. Der Zahlungsanspruch ist, wie ausgeführt, Insolvenzforderung und als solche zur Tabelle anzumelden. Der Insolvenzverwalter selbst kann jedoch keine Forderungen zur Tabelle anmelden. Seine Aufgabe ist es vielmehr gem. §§ 175 Abs. 1 S 1, 176 S.1 InsO, die angemeldeten Forderungen in die Tabelle einzutragen und zu prüfen (BGH a.a.O., Rn. 18 f. m.w.N.).

Es besteht auch kein besonderes Schutzbedürfnis der Gläubiger für eine Geltendmachung ihrer Ansprüche durch den Insolvenzverwalter. Der Insolvenzverwalter könnte kraft seines Amtes mit den Mitteln des Insolvenzanfechtungsrechts (§§ 129 ff. InsO) gegen die Empfänger des Geldes vorgehen, was auch in vollstreckungsrechtlicher Hinsicht zur Masseerweiterung sinnvoll erschiene. Haben die Geldempfänger (oder sonstige Dritte) kollusiv mit dem Schuldner zusammengewirkt, um Vermögen dem Gläubigerzugriff zu entziehen, käme überdies ein Schadensersatzanspruch gegen die Geldempfänger (oder Dritte) aus § 826 BGB in Betracht, welchen der Verwalter gemäß § 92 Satz 1 InsO geltend machen kann. Der Geltendmachung eines Schadensersatzanspruchs gegen den Schuldner gerade durch den Insolvenzverwalter bedarf es daher nicht (BGH a.a.O., Rn. 20 m.w.N.).

Dem stehen auch nicht, wie der Kläger meint, die Erwägungen aus dem Urteil des Bundesgerichtshofs vom 19.05.2022 - III ZR 11/20 - entgegen. In der Entscheidung differenziert der Bundesgerichtshof vielmehr ausdrücklich zwischen dem Schuldner auf der einen und Dritten, beispielsweise Organen oder Gesellschaftern der Insolvenzschuldnerin, auf der anderen Seite (vgl. BGH, Urteil vom 19. Mai 2022 - III ZR 11/20, Rn. 10, juris). (Nur) hinsichtlich letztgenannter Dritter hat der Bundesgerichtshof in der genannten Entscheidung die Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters bejaht.

b) Der durch den Kläger vorliegend verfolgte Schadensersatzanspruch ist, anders als der Kläger meint, vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens entstanden und stellt damit eine - seiner Aktivlegitimation entzogene - Insolvenzforderung dar.

aa) Zwar stellt das i.S.d. § 823 Abs. 2 BGB drittschützende strafrechtliche Delikt des Bankrotts in der Form des Verheimlichens (§ 283 Abs. 1 Nr. 1, 3. Alt. StGB) einen Deliktstatbestand dar, dessen Handlungs- bzw. Unterlassungsunrecht bis zum - vorliegend noch nicht eingetretenen - Abschluss des Restschuldbefreiungsverfahrens fortdauern kann (BGH, Beschluss vom 14.03.2016 - 1 StR 337/15, Rn. 15, juris). Hieraus ergibt sich jedoch nicht, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung vom 13.09.2023 ausgeführt hat, dass ein (auch) aus dem durch Verheimlichen begangenen Bankrott entstandener Schadensersatzanspruch für die Dauer des Verheimlichens gleichsam perpetuierend in die Zukunft fortwirkt.

Ein aus dem Verheimlichen erwachsener Schaden ist zivil- und insolvenzrechtlich nicht denknotwendig als "nach Verfahrenseröffnung entstanden" zu qualifizieren. Gegenstand der durch den Kläger zitierten Entscheidung des 1. Strafsenats des Bundesgerichtshofs war die Frage, wann die lediglich abstrakte Gefährdung der Gläubigerinteressen im strafrechtlichen Sinn vollendet ist (vgl. BGH, a.a.O, Rn. 22 f.). In zivil- und insolvenzrechtlicher Hinsicht maßgeblich ist jedoch die tatbestandliche Verwirklichung einer Rechtsgutsverletzung. Zur Begründung eines auf Leistung gerichteten Schadensersatzanspruchs genügt eine lediglich abstrakte Gefährdung der Gläubigerinteressen nicht.

bb) Die hiernach erforderliche konkrete Rechtsgutsverletzung ist nach dem Vortrag des Klägers durch die Barabhebungen, mithin vor Insolvenzeröffnung eingetreten. Durch die Barabhebungen wurde ein alsbaldiger Zugriff möglicher Gläubiger auf diese Vermögenswerte jedenfalls erheblich erschwert, was für die Tatbestandserfüllung des § 283 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt StGB genügt (vgl. BGH, Beschluss vom 22.01.2013 - 1 StR 234/12, Rn. 5). Bereits hierdurch ist "der Rechtsgrund [des Schadensersatzanspruchs] zumindest gelegt" und die Forderung i.S.d. § 38 InsO damit "begründet" (Nerlich/Römermann/Andres, 47. EL März 2023, § 38 InsO, Rn. 13). In der Folge kann sie gem. §§ 87, 174 ff. InsO nur noch durch Anmeldung zur Tabelle verfolgt werden kann. Dann jedoch ist eine Geltendmachung durch den Kläger als Insolvenzverwalter, wie dargestellt, ausgeschlossen.

cc) Unabhängig davon, dass bereits im Grundsatz einiges dagegen sprechen könnte, die Verfolgung von Schadensersatzansprüchen durch nach Verfahrenseröffnung durchgeführte Handlungen der Aktivlegitimation des Insolvenzverwalters zu unterstellen (vgl. BGH, Urteil vom 21.10.2021 - IX ZR 265/20, Rn. 22), hat der Kläger seine Klage auf einen solchen Sachverhalt nicht gestützt. Als schadensbegründendes Ereignis hat er die Barauszahlungen des Beklagten in der Zeit vom 15.08.2016 bis 07.09.2016 - mithin vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens am 01.11.2016 - vorgetragen, nicht aber ein Verhalten des Beklagten nach der Eröffnung (vgl. hierzu auch BGH a.a.O, Rn. 21). Den verfolgten Schadensersatzanspruch hat der Kläger damit mit dem Beiseiteschaffen von Vermögensbestandteilen i.S.d. §§ 823 Abs. 2 BGB, 283 Abs. 1 Nr. 1, 1. Alt StGB vor Verfahrenseröffnung begründet.

Soweit der Kläger nunmehr erstmals vortragen wollte, der von ihm verfolgte Schadensersatzanspruch sei nicht durch die unstreitigen Barabhebungen vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, sondern durch ein (fortdauerndes) Verheimlichen des Beklagten entstanden, hätte er im Übrigen insoweit einen konkreten, bereits entstandenen Schaden nicht schlüssig vorgetragen.

c) Der Verneinung der Aktivlegitimation steht auch nicht, wie der Kläger meint, die Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 25.09.2014 - IX ZR 156/12 - entgegen. Dem Urteil lag, anders als im vorliegenden Verfahren, eine nach Insolvenzeröffnung durchgeführte Handlung der Insolvenzschuldnerin zugrunde. Der durch das Beiseiteschaffen der Vermögensgegenstände verursachte Schaden wurde dort zudem durch ausdrückliche gerichtliche Anordnung der Befugnis der (ehemaligen) Insolvenzverwalterin zum Zwecke des Vollzugs der Nachtragsverteilung unterstellt (vgl. BGH, Urteil vom 25.09.2014 - IX ZR 156/12, Rn. 1, juris).

Der Bundesgerichtshof hat die vorstehende Entscheidung auch nicht, wie der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, in dem Urteil vom 21.10.2021 - IX ZR 265/20 - "übersehen", sondern diese im Gegenteil ausdrücklich in Bezug genommen (vgl. BGH, Urteil vom 21.10.2021 - IX ZR 265/20, Rn. 10).

III.

Die Kostenentscheidung richtet sich für das Berufungsverfahren nach § 97 Abs. 1 ZPO und für die I. Instanz nach § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht auf den Umständen des konkreten Einzelfalls sowie gefestigter höchstrichterlicher Rechtsprechung.

Der Streitwert war entsprechend dem geltend gemachten Interesse an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung festzusetzen (§§ 3 ZPO, 47 Abs. 1, 48 Abs.1 GKG).

Brand
Dr. Schäfer-Altmann
Stößel