Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 25.05.2016, Az.: 9 U 80/15

Beginn der Frist für die Beantragung der Wiedereinsetzung gegen die mit der Mittellosigkeit gerechtfertigte Versäumung der Berufungsfrist

Bibliographie

Gericht
OLG Braunschweig
Datum
25.05.2016
Aktenzeichen
9 U 80/15
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2016, 35822
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
LG Göttingen - 23.06.2015 - AZ: 9 O 36/13

Amtlicher Leitsatz

1. Die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die mit der Mittellosigkeit gerechtfertigte Versäumung der Berufungsfrist beginnt bereits mit der Kenntniserlangung von der Ablehnung des Prozesskostenhilfegesuchs und nicht erst mit der von der Zurückweisung der gegen den ablehnenden Beschluss erhobenen Gegenvorstellung.

2. Ausnahmsweise beginnt die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die mit der Mittellosigkeit gerechtfertigte Versäumung der Berufungsfrist erst mit der Bekanntgabe entweder des auf erfolgreiche Gegenvorstellung ergehenden abändernden Prozesskostenhilfebeschlusses oder mit der Bekanntgabe einer Entscheidung, durch welche einer Rechtsbeschwerde gegen die Wiedereinsetzungsantragszurückweisung und Berufungsverwerfung stattgegeben wird.

Tenor:

I. Der Antrag der Klägerin vom 24.4.2016 auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist wird als unzulässig zu verworfen.

II. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Göttingen vom 23.6.2015 - 9 O 36/13 - wird als unzulässig verworfen.

Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Dieses Urteil und das vorbezeichnete Urteil des Landgerichts Göttingen sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung eines Betrages in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

III. Der Streitwert des Berufungsrechtszuges wird auf 133.503,45 € festgesetzt.

Gründe

A.

Das im Arzthaftungsprozess ergangene angefochtene Urteil ist dem erstinstanzlichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 29.6.2015 zugestellt worden (Bl. 117 d.A.). Für die beabsichtigte Einlegung der Berufung ist ihr Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten beim Oberlandesgericht Braunschweig am 28.7.2015 eingereicht (Bl. 123/125 d.A.) und sodann mit der Antragsbegründung vom 15.10.2015 (Bl. 147 ff. d.A) versehen worden. Mit Beschluss vom 10.3.2016 (Bl. 189 ff. d.A.) hat der Senat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückgewiesen. Dieser Beschluss ist dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 14.3.2016 zugestellt worden (Bl. 205 d.A.). Dagegen hat sie durch ihren Prozessbevollmächtigten unter dem 24.3.2016 eine Gegenvorstellung verfassen lassen, die am 29.3.2016 beim Berufungsgericht eingegangen ist (Bl. 207 d.A). Die Gegenvorstellung ist durch den Senat mit Beschluss vom 4.4.2016 (Bl. 214 ff. d.A) zurückgewiesen worden, welcher am 11.4.2016 dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin zugestellt worden ist (Bl. 218 d.A.). Mit Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 25.4.2016 (Bl. 222 ff. d.A.), eingegangen beim Oberlandesgericht Braunschweig am selben Tage, hat die Klägerin die Berufung gegen das angefochtene Urteil eingelegt und Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungs- und Berufungsbegründungsfrist gestellt.

Die Klägerin kündigt an zu beantragen,

in Abänderung des Urteils des Landgerichts Göttingen vom 23.6.2015 - 9 O 36/13 -

1. die Beklagte zu verurteilen, einen Betrag in Höhe von 25.000,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 20.1.2003 an die Klägerin zu zahlen mit der Maßgabe, dass je 12.500,00€ auf die Schmerzensgeldforderung und als Teilbetrag auf die materiellen Schadenspositionen entfallen.

2. die Beklagte zu verurteilen, weitere außergerichtliche Rechtsanwaltsgebühren an die Klägerin zu zahlen,

3. festzustellen, dass die Beklagte sämtliche materiellen und immateriellen Schäden aufgrund der Krankenhausbehandlung der Klägerin vom 6.12.2002 bis 19.1.2003 auszugleichen hat, soweit nicht die Ansprüche auf Sozialversicherungsträger sowie Dritte übergegangen sind oder übergehen werden.

Obwohl die Klägerin in ihrer Berufungsschrift vom 25.4.2016 auf die Klageanträge im erstinstanzlichen Schriftsatz vom 21.2.2014 (Bl. 223, 18 f. d.A.) Bezug nimmt, legt der Senat den angekündigten Antrag zu 1. entsprechend des im Entwurf der Berufungsbegründung vom 15.10.2016 angekündigten Antrags (Bl. 147 d.A.) aus. Es ist davon auszugehen, dass es sich bei der Bezugnahme auf den erstinstanzlichen Schriftsatz vom 21.2.2014 um ein Versehen handelt, da die Klägerin diesen Antrag bereits erstinstanzlich in der mündlichen Verhandlung vom 02.06.2015 geändert hat, nachdem das Landgericht auf die Unbestimmtheit der bis dahin angekündigten Teilklage hingewiesen hatte.

Die Beklagte hat noch keinen Berufungsantrag angekündigt, nachdem ausdrücklich davon abgesehen worden ist, ihr eine Berufungserwiderungsfrist zu setzen.

Durch Beschluss vom 9.5.2016 (Bl. 266 ff. d.A.) ist die Klägerin darauf hingewiesen worden, dass der Senat beabsichtigt, den Wiedereinsetzungsantrag sowie die Berufung jeweils als unzulässig zu verwerfen. Innerhalb der gleichzeitig bis zum 24.5.2016 gewährten Gelegenheit zur Stellungnahme ist am 24.5.2016 zum einen durch die Klägerin persönlich als auch durch ihren Prozessbevollmächtigten jeweils die identische "Persönliche Stellungnahme an das Oberlandesgericht Braunschweig zum gegenwärtigen Verfahrensstand" der Klägerin eingereicht sowie auch in den anwaltlichen Schriftsatz inkorporiert worden. Wegen des Inhalts wird auf die persönliche Stellungnahme der Klägerin vom 21.5.2016 (Bl. 274-278 d.A.) sowie auf den Schriftsatz ihres Prozessbevollmächtigten vom 24.5.2016 (Bl. 279-283 d.A.) nebst Anlage BK4 (Bl. 284-287 d.A.) Bezug genommen.

B.

Der Wiedereinsetzungsantrag und die Berufung sind unzulässig.

I.

Der Wiedereinsetzungsantrag ist verfristet.

Durch den Wiedereinsetzungsantrag vom 25.4.2016 ist die gesetzlich vorgeschriebene Wiedereinsetzungsfrist von zwei Wochen (§ 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO) nicht eingehalten worden.

Die Frist für die Beantragung der Wiedereinsetzung beginnt in dem Fall, wenn - wie hier - das Hindernis in der Mittellosigkeit besteht und diese Mittellosigkeit nicht schon vorher entfallen ist, nach kurzer Zeitspanne, in der überlegt und ein Rechtsanwalt beauftragt werden kann, also regelmäßig innerhalb von 3-4 Tagen (vgl. BGH NJW 2013, 2822 [BGH 23.04.2013 - II ZB 21/11]), nachdem die Partei oder ihr Prozessbevollmächtigter vom Beschluss, der die Prozesskostenhilfe versagt, Kenntnis erlangt hat (Thomas/Putzo-Hüßtege, ZPO, 37. Aufl., § 234 Rn. 8a; BGH, Beschluss vom 19.3.2013 - VI ZB 68/12, Rn. 11; Beschluss vom 20.6.2006 - VI ZR 255/05, Rn. 7; Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 234 Rn. 8). Diese Kenntnis hat die Klägerin im Zeitpunkt der Zustellung des ihren Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe zurückweisenden Beschlusses vom 10.3.2016 am 14.3.2016 erlangt. Die angemessene Überlegungsfrist war spätestens zum Zeitpunkt des Eingangs ihrer Gegenvorstellung am 29.3.2016 abgelaufen.

Die Frist für den Antrag auf Wiedereinsetzung gegen die mit der Mittellosigkeit gerechtfertigte Versäumung der Berufungsfrist beginnt bereits mit der Kenntniserlangung von der Ablehnung des Prozesskostenhilfegesuchs und nicht erst mit der von der Zurückweisung der gegen den ablehnenden Beschluss erhobenen Gegenvorstellung (BGH, Beschluss vom 26.9.1979 - IV ZB 52/79, Rn. 1, hier zitiert nach juris; Thüringer Oberlandesgericht, Beschluss vom 9.4.2008 - 5 U 733/07, Rn. 11; BGH, Beschluss vom 20.4.2009 - IX ZA 11/08, Rn. 1; BFH, Beschluss vom 26.1.2016 - III S 30/15, Rn. 10-12: gilt auch für die Zurückweisung der Anhörungsrüge).

Etwas anderes kommt nur in den Ausnahmefällen in Betracht, in denen eine Gegenvorstellung begründet ist (vgl. BGH, Urteil vom 18.12.1963 - IV ZR 97/63, Rn. 3 und 6, hier zitiert nach juris; BGH, Beschluss vom 20.4.2009 - IX ZA 11/08, Rn. 1). Dieser Ausnahmefall liegt hier gerade nicht vor. Die Unterscheidung für den Fristbeginn danach, ob eine Gegenvorstellung erfolgreich ist oder nicht, ist auch sachgerecht. Der Sachgrund besteht darin, dass nur im Fall einer Korrektur der Ursprungsentscheidung auf die Gegenvorstellung hin die ursprünglich falsche Beurteilung durch das Gericht als unverschuldetes Hindernis im Sinne des § 233 ZPO angesehen werden kann (Thüringer Oberlandesgericht a.a.O., Rn. 14, bestätigt durch BGH, a.a.O.). Einziger weiterer Ausnahmefall, in welchem der Beginn der Wiedereinsetzungsfrist trotz Kenntniserlangung von dem Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss noch nicht einsetzt, ist dementsprechend derjenige, in welchem das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft das Prozesskostenhilfegesuch gleichzeitig mit der Berufungsverwerfung zurückweist, wenn dieser "Kombinationsbeschluss" im Rechtsbeschwerdeverfahren aufgehoben worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 23.3.2011 - XII ZB 51/11, Rn. 15; Beschluss vom 27.10.2011 - III ZB 31/11, Rn. 25). Da aber auch diese Fallkonstellation hier nicht gegeben ist und die Klägerin auch sonst keine schützenswerten Anhaltspunkte bei Erhalt des ihren Antrag auf Prozesskostenhilfe zurückweisenden Beschlusses dafür haben konnte, dieser Beschluss werde noch auf eine Gegenvorstellung hin geändert, vermochte diese auch nicht den Lauf der Wiedereinsetzungsfrist hinauszuschieben. Spätestens mit Ablauf des 12.4.2016 ist die Wiedereinsetzungsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 1 ZPO verstrichen. Es gilt auch nicht etwa die Monatsfrist des § 234 Abs. 1 Satz 2 ZPO, da es eben nicht nur um die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist, sondern auch schon um die Versäumung der Berufungseinlegungsfrist ging.

II.

Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die mit Schriftsatz vom 25.4.2016 eingelegte Berufung unzulässig ist. Die Frist zur Einlegung der Berufung von einem Monat gemäß § 517 ZPO ist nicht eingehalten worden. Eine Wiedereinsetzung kann nicht mehr gewährt werden (s.o.).

III.

Die persönliche Stellungnahme der Klägerin vom 21.5.2016 sowie die anwaltliche Version derselben Stellungnahme vom 24.5.2016 rechtfertigen keine andere Entscheidung. Diese geht nicht auf die maßgeblichen Erwägungen ein, wie sie bereits im Hinweisbeschlusses vom 9.5.2016 enthalten sind. Auf den Umstand, dass die persönliche Stellungnahme der Klägerin vom 21.5.2016 gegen den Anwaltszwang (§ 78 ZPO) verstößt, sowie auf den weiteren Umstand, dass der dieselbe persönliche Stellungnahme inkorporierende anwaltliche Schriftsatz vom 24.5.2016 eine vom Prozessbevollmächtigten durchgeführte eigenverantwortliche Prüfung und Genehmigung nicht erkennen lässt (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl., § 130 Rn. 16; BGH MDR 2008, 644; BGH FamRZ 2006, 408f.), kommt es demzufolge nicht einmal an.

C.

Der für das Berufungsverfahren festgesetzte Streitwert entspricht dem geltend gemachten Interesse an der Abänderung der erstinstanzlichen Entscheidung, §§ 43 Abs. 1, 47 Abs. 1 Satz 1, 48 Abs. 1 Satz 1 GKG, 3, 9 Satz 1 ZPO in Verbindung mit § 256 ZPO.

I.

Dabei war zu berücksichtigen, dass auch in II. Instanz mit dem Antrag zu 1. im Wege der offenen Teilklage ein Schmerzensgeldbetrag von 12.500,00 € und ein materieller Schadensersatzbetrag von ebenfalls 12.500,00 € geltend gemacht wird (vgl. Zöller/Herget, a.a.O., § 3 Rn. 16 Stichwort "Teilklagen").

II.

Zusätzlich war der Feststellungsantrag zu berücksichtigen, der auf materielle und immaterielle Schäden gerichtet ist, wobei dieser ausdrücklich nicht auf zukünftige Schäden beschränkt worden ist.

1. Die Vorstellung der Klägerin zur Höhe des Schmerzensgeldes richtet sich aufgrund der Bezugnahme auf das gesamte erstinstanzliche Vorbringen (S. 14 Berufungsschrift vom 25.4.2016, Bl. 235 d.A.) nach dem Mindestbetrag von 85.000,00 € (S. 13 Klageschrift vom 21.2.2014, Bl. 30 d.A.) abzüglich der im Wege der Teilklage geltend gemachten 12.500,00 €, was einen Betrag vom 72.500,00 € ergibt.

2. Für die materiellen Schäden war der mit der Berufungsbegründung geltend gemachte jährliche Verdienstausfallschaden in Höhe von 16.800,00 € (S. 6 Schriftsatz vom 15.10.2015, Bl. 152 d.A.), bezogen auf einen Zeitraum von dreieinhalb Jahren (§ 9 Satz 1 ZPO), mithin in Höhe von 58.800,00 €, zugrunde zu legen. Aufgrund der Bezugnahme auf das gesamte erstinstanzliche Vorbringen (S. 14 Berufungsschrift vom 25.4.2016, Bl. 235 d.A.) sind an weiteren materiellen Schadenspositionen die auf S. 12, 13 der Klageschrift vom 21.2.2014 (Bl. 29, 30 d.A.) erwähnten Beträge von 15.697,76 € (Mehrausgaben für Mietwohnungen, Umzugskosten, nicht oder zu wenig gezahlten Zuschüssen), 165,10 € (Taxi-Aufwendungen für Besorgungen) und 966,46 € (Besorgungs- und Amtsgänge von Diakoniehelfern) zusätzlich zu berücksichtigen. Insgesamt ergibt sich ein Betrag von 75.629,32 €, von dem ebenfalls die im Wege der offenen Teilklage geltend gemachten 12.500,00 € abzuziehen sind. Hieraus errechnet sich ein Betrag von 63.129,32 €.

Insgesamt ergibt sich hinsichtlich der vom Feststellungsantrag erfassten materiellen und immateriellen Schadenspositionen ein Betrag von 135.629,32 €. Hiervon ist aufgrund des Feststellungsantrags ein Abschlag in Höhe von 20 % zu machen (Zöller-Herget, a.a.O., § 3 Rn. 16 Stichwort "Feststellungsklagen"), was zu einem Streitwert von 108.503,45 € führt.

Zuzüglich des Streitwerts des Antrages zu 1. in Höhe von 25.000,00 € errechnet sich ein Gesamtstreitwert in Höhe von 133.503,45 €.

III.

Der Antrag zu Ziffer 2. und die Zinsforderung sind als Nebenforderungen nicht streitwertrelevant, §§ 43 Abs. 1 GKG, 4 Abs. 1, 2. Halbsatz ZPO.