Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 21.08.2012, Az.: 1 A 70/12

Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Ratsmitgliedes für eine presserechtliche Gegendarstellung gegen eine Berichterstattung über sein Verhalten in einer Sitzung

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
21.08.2012
Aktenzeichen
1 A 70/12
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2012, 39747
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGOSNAB:2012:0821.1A70.12.0A

Fundstellen

  • FStNds 2013, 2-4
  • GK 2013, 22-26
  • Gemeindehaushalt 2013, 23

Amtlicher Leitsatz

Kosten eines Ratsmitgliedes für eine presserechtliche Gegendarstellung gegen eine Berichterstattung über sein Verhalten in einer Sitzung sind nur erstattungsfähig, wenn die Art der Berichterstattung geeignet ist, auf die Mandatsausübung effektiv einzuwirken.

Tatbestand

1

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Erstattung von Rechtsanwaltskosten.

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Der Kläger ist Mitglied des Rates der Beklagten und des bei diesem gebildeten Bauausschuss. Im Rahmen der Sitzung des Bauausschusses am 21.09. kam es zu Differenzen über die Sitzungsleitung. In dem am Folgetag erscheinenden Bericht darüber im Bersenbrücker Kreisblatt und der Online-Ausgabe der Neuen Osnabrücker Zeitung wurde das Verhalten des Klägers in dieser Sitzung mit folgendem Zitat und der nachfolgenden Erläuterung wiedergegeben:

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"Wir sind hier doch nicht bei den Hottentotten", rief der Grüne und machte jene Geste, die ob ihrer nationalsozialistischen Herkunft nun auch die Vorgesetzten des Lehrers beschäftigen dürfte.

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Gegen diese Wertung seiner Handbewegung wendete sich der Kläger gegenüber den Presseorganen und machte - anwaltlich vertreten - einen Anspruch auf eine Gegendarstellung nach § 11 Nds. Pressegesetz geltend. Er einigte sich mit dem berichterstattenden Verlag dahingehend, dass an Stelle einer förmlichen Gegendarstellung eine berichtigende weitere Berichterstattung erfolgen sollte; den Gegendarstellungsanspruch verfolgte der Kläger nicht weiter. Für die anwaltlichen Bemühungen in diesem Zusammenhang stellte sein Prozessbevollmächtigter 1.643,15 € in Rechnung, deren Erstattung Streitgegenstand des vorliegenden Verfahrens ist.

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Unter dem 23.03.2012 lehnte die Beklagte die Erstattung der Anwaltskosten als Auslagenersatz im Wesentlichen mit der Begründung ab, diese Kosten seien dem Kläger nicht aus der Mandatswahrnehmung selbst, sondern nur anlässlich derselben entstanden. Sie stünden nicht spezifisch mit der Mandatswahrnehmung in Verbindung, sondern resultierten aus der Reaktion gleichsam einer beliebigen Person, unabhängig vom Amt eines Ratsherrn. Sie beträfen den Kläger nur als Privatperson in seinem allgemeinen Persönlichkeitsrecht.

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Der Bescheid wurde dem Kläger am 28.03.2012 förmlich zugestellt.

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Mit der am 23.04.2012 erhobenen Klage verfolgt der Kläger sein Begehren weiter. Er macht zur Begründung im Wesentlichen geltend, die Beauftragung des Anwalts im Verfahren auf Gegendarstellung sei nicht mutwillig oder aus sachfremden Gründen in Gang gesetzt worden. Bei dem presserechtlichen Gegendarstellungsanspruch handele es sich um eine Spezialmaterie, die auch von zahlreichen formalen Anforderungen geprägt sei. In diese habe sich der Kläger nicht in Person einarbeiten können, zumal dieser Anspruch innerhalb von zwei Wochen geltend zu machen sei. Die Kosten seien auch aus Anlass der Mandatsausübung entstanden, weil auf das Verhalten des Klägers als Ratsmitglied während einer Sitzung des Bauausschusses abgestellt worden sei und dieses wertend beschrieben wurde. Ohne dessen Ratsmitgliedschaft und der daraus resultierenden Bekanntheit seien die Darstellungen auch für die berichtenden Presseorgane nicht von Interesse gewesen. Das ihm unterstellte Verhalten schädige das Ansehen der Funktion und des Amtes eines kommunalen Abgeordneten. Es könne sogar das Ansehen des Rates oder des Ausschusses insgesamt gefährden, so dass der Kläger nicht allein eigene private Interessen verfolgt habe.

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Der Kläger beantragt,

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die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 23.03.2012 zu verpflichten, an den Kläger 1.643,15 € zu zahlen,

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hilfsweise,

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ihn von der Zahlungsverpflichtung aus dem Mandatsverhältnis freizustellen.

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Die Beklagte beantragt,

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die Klage abzuweisen.

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Sie hält zwar auch die außergerichtliche Tätigkeit eines Anwalts zur Vermeidung eines Rechtsstreits grundsätzlich für erstattungsfähig, meint aber, die Erstattungspflicht der Gemeinde könne nur für die Kosten in Betracht kommen, die unmittelbar durch die Mandatswahrnehmung entstanden seien und notwendig sind. Vorliegend habe der Kläger die umstrittene Geste nicht aus Anlass, sondern lediglich bei Gelegenheit der Mandatsausübung gemacht, damit fehle der erforderliche unmittelbare Zusammenhang mit der Mandatsausübung.

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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht kann über die vorliegende Klage durch den Einzelrichter nach § 6 VwGO entscheiden, da das Verfahren keine besonderen Schwierigkeiten in tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat.

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Die Klage ist als Leistungsklage zulässig. Die Befugnis der Beklagten, ihr Rechtsverhältnis gegenüber ihren Funktionsträgern durch Verwaltungsakte im Sinne von § 35 Satz 1 VwVfG zu regeln, könnte zweifelhaft, weil diese Funktionsträger zu ihr nicht in einem Außenrechtsverhältnis stehen. Im vorliegenden Fall könnte eine Anfechtungsklage gleichwohl zulässig sein, weil sich die Beklagte in ihrer Entscheidung vom 23.03.2012 der Form eines Verwaltungsakts bedient hat. Dies ergibt sich aus dem Kopf und der nach Art eines Tenors vorangestellten Entscheidung sowie der beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung. Damit wäre dem Kläger die Möglichkeit eröffnet, sein Begehren wegen der gewählten Form auch durch Verpflichtungsklage geltend zu machen. Dies kann für das vorliegende Verfahren letztlich offen bleiben, weil durch die gewählte Form der Leistungsklage das Erstattungsbegehren geltend gemacht werden kann, ohne die besonderen Zulässigkeitsvoraussetzungen der Verpflichtungsklage zu umgehen (so ausdrücklich Verwaltungsgericht Lüneburg, U. v. 16.03.2011 - 5 A 135/10 -; offenbar ohne weitere Erörterung auch Verwaltungsgericht Braunschweig, U. v. 14.09.2001 - 1 A 183/01 -; offengelassen nach Ende des Mandats, Verwaltungsgericht Hannover, U. v. 05.04.2000 - 1 A 3570/99 -; OVG Koblenz, U. v. 19.05.1987 - 7 A 90/86 - NVwZ 1987, 1105).

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Die Klage ist indes nicht begründet. Maßgeblich für die Entscheidung des vorliegenden Rechtsstreits ist die Regelung des § 39 Abs. 5 Satz 1 Niedersächsische Gemeindeordnung -NGO- in der Fassung vom 28.10.2006. Zwar ist zum 01.11.2011 gem. Art. 8 Abs. 1 das Nds. Kommunalverfassungsgesetz in Kraft getreten, das eine den § 39 Abs. 5 Satz 1 entsprechende Regelung in seinem § 44 vorsieht, der anspruchsbegründende Umstand ist vorliegend jedoch in der Zeit vor dem Inkrafttreten, nämlich orientiert am auslösenden Umstand am 21.09.2011 bzw. mit Fälligstellung der streitgegenständlichen Rechtsanwaltskosten vom 06.10.2011 entstanden. Er bemisst sich daher nach Maßgabe der zu diesem Zeitpunkt geltenden Regelungen.

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Nach § 39 Abs. 5 Satz 1 NGO haben Ratsfrauen und Ratsherren Anspruch auf Ersatz ihrer Auslagen, einschließlich der Aufwendungen für eine Kinderbetreuung und ihres Verdienstausfalls. Vorrangiger Anknüpfungspunkt für die Bestimmung der Reichweite des Erstattungsanspruches ist der Wortlaut der Regelung. Hier stehen die Begriffe "Auslagen" und "Aufwendungen" nebeneinander. Aufwendungen sind grundsätzlich Vermögensopfer, die jemand zum Zwecke der Ausführung einer Aufgabe freiwillig oder auf Weisung des Geschäftsherrn macht sowie solche, die sich als notwendige Folge der Ausführung ergeben (vgl. Sprau in Palandt/BGB, 71. Auflage, § 670 Rdnr. 3 und § 683 Rdnr. 8). Dabei wird aus dem Wortlaut nicht eindeutig erkennbar, ob die gesetzliche Regelung die Begriffe Auslagen und Aufwendungen synonym oder inhaltlich differenziert versteht (ohne weitere Differenzierung unter der Überschrift "Auslagenersatz" in Ziffer 2.1 auch Wefelmeier NKommVR, § 44 Anm. 2.1). Wenn sich eine Differenzierung herleiten ließe, käme nach der verschiedenen Bedeutung je nach Anknüpfung an den Begriff des Auslegens oder Ausliegens (vgl. Grimmsches Wörterbuch - Stichwort "Auslage") nur eine nach dem Inhalt der Disposition in Betracht. Dann beträfe die "Auslage" nur die Erstattung von baren Ausgaben, also solchen in Geld (so wohl Thiele, NGO, 8. Auflage, § 39 NGO Anm. 6 S. 115). Demnach stellte sich eine zu erstattende Zahlung der Anwaltsgebühren als Auslage des Klägers, das hilfsweise geltende gemachte Freistellungsbegehren als dessen inhaltsgleiches minus dar.

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Dieser Auslagenbegriff kann aber nicht unbegrenzt geltend. Die an ihm anknüpfende Erstattung setzt zunächst voraus, dass die anwaltliche Vertretung durch einen vernünftigen Anlass gerechtfertigt ist, also nicht mutwillig aus sachfremden Gründen erfolgt (Verwaltungsgericht Lüneburg, U. v. 16.03.2011 - 5 A 135/10 - S. 6 UA m.w.N. auch auf die Rspr zu anderem Landesrecht). Aber auch über diese "Mutwilligkeitsgrenze" (OVG Saarlouis, B. v. 05.10.181, - 3 R 87/80; VG Hannover U. v. 05.04.2000 - 1 A 3570/99 -) hinaus folgt aus der systematischen Stellung in Satz 1 des § 39 Abs. 5 NGO eine Beschränkung des Erstattungsanspruches: Mit dem Possessivpronomen vor dem Begriff "Auslagen" stellt die gesetzliche Regelung einen Rückbezug auf das Satzsubjekt, die Ratsfrauen und Ratsherren her. Naturgemäß können nicht alle Vermögensverfügungen, die diese freiwillig treffen, einen Erstattungsanspruch auslösen. Anderenfalls fielen die Erwerbsgeschäfte des täglichen Lebens auch unter diesen Begriff. Die Rückbezogenheit kann also nur dann die zwingend erforderliche begrenzende Funktion über die Zuordnung zur Person hinaus haben, wenn sie auf die Vermögensdisposition im Zusammenhang mit der Ausübung des öffentlichen Amtes, des Mandats, abstellt. Eine solche Beziehung zwischen Vermögensdisposition und Amt ist sicherlich dann gegeben, wenn die Ratsfrau oder der Ratsherr Verfahrenskosten auf sich nimmt, um organschaftliche Rechte gegenüber der Körperschaft geltend zu machen oder zu verteidigen (so in den Verfahren VG Lüneburg, aaO., S. 7 UA. m.w.N.; VG Hannover, U. v. 05.04.2000 S. 5 UA.).

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Der Erstattungsanspruch kann aber auch durch die Wahrnehmung weitergehender Rechte und Ansprüche des Mandatsträgers oder der Mandatsträgerin ausgelöst werden. Dies ergibt sich aus der im zweiten Halbsatz aufgeführten Aufzählung, dem Hinweis auf die Aufwendungen für Kinderbetreuung und Verdienstausfall. Wenn dieser Halbsatz mit der Konjunktion "einschließlich" eingeleitet wird, zeigt der Gesetzgeber mit dem gewählten Wortlaut, dass der Erstattungsanspruch nicht auf Vermögensdispositionen für die Wahrnehmung oder Verteidigung von organschaftlichen Rechten beschränkt sein soll. Auch für einen mit Dritten geführten Rechtsstreit wäre danach ein Erstattungsanspruch gegeben, wenn er sich hinreichend mandatsbezogen darstellte. Nur so ist gewährleistet, dass ein Mandatsträger sich wirksam dagegen zur Wehr setzen kann, dass ein Dritter effektiv auf die Mandatsausübung oder die damit verbundenen Rechte einwirkt und nur so wird bei vergleichbarer Wirkung das Mandat nicht nur gegen andere Funktionsträger der Kommune geschützt, sondern die Abwehrmöglichkeit ohne finanzielle Risiken für die ehrenamtlich Tätigen auf vergleichbar gewichtige Beeinträchtigungen durch Dritte geschützt.

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Eine solche vergleichbare Einwirkung kann auch in einer Berichterstattung über das Verhalten eines Mandatsträgers liegen. Nun ist nach dem Bild der kommunalen Selbstverwaltung und der grundrechtlich geschützten Funktion der Presse, Art 5 Abs. 1 S. 2 GG, eine Berichterstattung, auch eine kritische, grundsätzlich von Jedermann innerhalb der Grenzen des absoluten Persönlichkeitsschutzes (vgl. z.B.: BVerfG, B. v. 16.06.2008, - 1 BvR 17/08 -; B. v.26.02.2008, - 1 BvR 1602/07, 1 BvR 1606/07, 1 BvR 1626/07 -) hinzunehmen. Erst wenn eine Grenze überschritten wird, die die Mandatsausübung, insbesondere das Abstimmverhalten des Mandatsträgers in einer solche Weise beeinflusst, dass diese faktisch nur noch geleitet von der bisherigen oder erwarteten Berichterstattung darüber motiviert ist, überschreitet sie eine Grenze, die der Abwehr zur Sicherung der freien Mandatsausübung bedarf. Erst dann betrifft die Berichterstattung einen Mandatsträger nicht in einer aus seinem Ehranspruch als Person abgeleiteten Position, sondern in der auch durch den Auslagenerstattungsanspruch gesicherten Mandatsfunktion.

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Damit steht die Bestimmung der Reichweite des Erstattungsanspruches der Mandatsträger im Einklang mit anderen Erstattungs- bzw Kostenübernahmeansprüchen im behördlichen Gefüge: Auch Kosten der Personalvertretung hat die Dienststelle zu übernehmen, vgl. § 37 NPersVG und § 44 Abs. 1 BPersVG. Hier besteht zwar der systematische Unterschied, dass eine Kostenübernahme-, aber keine -erstattungspflicht vorgesehen ist. Diese beruht aber notwendig darauf, dass der Personalrat nicht über eigene Haushaltsmittel verfügt und entsprechend nicht in Vorlage treten kann. Auch dieser Kostenübernahmeanspruch ist trotz seines scheinbar unbeschränkten Wortlauts aber nicht grenzenlos gewährleistet. Vielmehr ist auch der Personalrat an den Grundsatz der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung gebunden. Kosten einer mutwilligen Rechtsverfolgung braucht daher die Dienststelle nicht zu tragen (vgl z.B.: BVerwG B. v. 09.03.1992, - 6 P 11/90 -, B. v. 29.04.2011, - 6 PB 21/10 -). Dieser Gedanke lässt sich auf den Erstattungsanspruch der Mandatsträger übertragen, dann über die Bindung an die Haushaltsgrundsätze hinaus stehen sie als Mitglieder des zur Beschlussfassung über den Kommunalhaushalt berufenen Organs, § 40 Abs. 1 Nr. 8 NGO, in mindestens gleich Weise in der Pflicht (so auch ausdrücklich Wefelmeier, NKommVG, § 44 Anm. 2.1).

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Die Berichterstattung über den Kläger, die diesen in Verbindung bringt mit nationalsozialistischen Gedankengut oder ihm einen Rückgriff auf dessen Symbole unterstellt, ist ein schwerer Eingriff, aber nicht in das Mandat, sondern in seine Persönlichkeitsrechte. Deshalb ist die Grenze, die die kostenauslösende Inanspruchnahme anwaltlichen Beistands zur Verteidigung der Mandatsfunktion auslösen könnte, im vorliegenden Sachverhalt nicht überschritten. Die Entscheidung der Beklagten, den Kläger die Erstattung der Anwaltskosten in Höhe von 1.643,15 € zu versagen, ist deshalb aus Rechtsgründen unabhängig von der gewählten Form der Bescheidung nicht zu beanstanden.

25

Die Nebenentscheidungen finden ihre Grundlage in § 154 Abs. 1 VwGO und § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

Erstattung von Kosten eines Ratsmitglieds