Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 10.01.1961, Az.: P OVG 7/60

Wahl eines Personalrates; Anfechtung einer Wahl wegen unzulässiger Wahlbeeinflussung; Erlöschen einer Mitgliedschaft im Personalrat ; Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
10.01.1961
Aktenzeichen
P OVG 7/60
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 1961, 10760
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:1961:0110.P.OVG7.60.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 14.10.1960

Verfahrensgegenstand

Wahlanfechtung

In dem Rechtsstreit
hat das Oberverwaltungsgericht für die Länder Niedersachsen und Schleswig-Holstein - Fachsenat für Personalvertretungssachen -
in seiner Sitzung vom 10. Januar 1961 in ...
an der teilgenommen haben:
Senatspräsident Dr. Engelhard als Vorsitzender,
... als ehrenamtliche Beisitzer,
nach mündlicher Verhandlung
beschlossen:

Tenor:

  1. 1.

    Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluß des Verwaltungsgerichts Hannover - Fachkammer für Personalvertretungssachsen - vom 14. Oktober 1960 aufgehoben.

  2. 2.

    Die Wahl des Vertreters der Arbeitergruppe zum Personalrat des ... am 15. und 16. Februar 1960 ist ungültig.

Gründe

1

I

Der Personalrat des ... wurde am 15. und 16. Februar 1960 neu gewählt. Es fand Gruppenwahl statt. Für den zu wählenden einen Vertreter der Arbeitergruppe wurden zwei Wahlvorschläge eingereicht, der eine mit dem Kennwort: "Gewerkschaft ...", der andere mit dem Kennwort: "...". Auf letzterem wurde der Arbeiter ..., der gewerkschaftlich bei der ... organisiert ist, als Wahlbewerber benannt und auch auf dieser Liste gewählt, da diese Liste sieben Stimmen erhielt, während die Liste der ... nur sechs Stimmen auf sich vereinigte. Bei der Stimmabgabe wurde folgender Stimmzettel verwendet:

Stimmzettel

für die Wahl des örtlichen Personalrates beim ...

Gruppe: Arbeiter

Liste 1 Kennwort: ... Lohnempfänger u. Beamten-Anwärter

1.
...

2.
... (St) ...

Liste 2 Kennwort: Gewerkschaften ...

1. ...

2

Mit dem am 2. März 1960 bei dem Verwaltungsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tage hat die Bezirksleistung Antragstellerin die Wahl des Vertreters der Arbeitergruppe angefochten mit dem Antrage, ... diese für ungültig zu erklären.

3

Sie hat vorgetragen: ... sei bei ihr - der ... - gewerkschaftlich organisiert und von dem damaligen Dienststellenleiter ... und dessen damaligem ständigen Vertreter ... in unzulässiger Weise dazu bewogen worden, auf der Liste der ... zur Personalratswahl zu kandidieren. Dies stelle eine gegen die guten Sitten verstoßende Wahlbeeinflussung im Sinne von § 21 Abs. 1 BPersVG dar, denn der Dienststellenleiter habe sich unter allen Umständen aus dem Wahlkampf herauszuholen. Im vorliegenden Falle hätten jedoch der Dienststellenleiter und sein ständiger Vertreter den Bediensteten ... in seiner Entscheidungsfreiheit stilwidrig beeinflußt und dazu gedrängt, in einer Konkurrenzgewerkschaft zu kandidieren, obwohl ihnen dessen Mitgliedschaft bei der ... genau bekannt gewesen sei.

4

Der beteiligte örtliche Personalrat hat um ... Zurückweisung des Antrages ... gebeten und bestritten, daß eine sittenwidrige Beeinflussung des Bediensteten ... durch den Dienststellenleiter und seinen Vertreter stattgefunden habe.

5

Das Verwaltungsgericht hat nach eingehender Beweisaufnahme über die Verhandlungen, die der damalige Dienststellenleiter und sein Vertreter mit ... aus Anlaß der Wahlvorbereitung geführt haben, durch den am 14. Oktober 1960 verkündeten Beschluß den Antrag zurückgewiesen, weil aufgrund des Ergebnisses der Beweisaufnahme eine sittenwidrige Beeinflussung der Wahl nicht festgestellt worden sei. Die Beeinflussung eines Angehörigen der Dienststelle hinsichtlich seiner Aufstellung als Wahlbewerber sei nicht zu beanstanden. Auch der Dienststellenleiter könne einen Bediensteten auffordern, sich als Wahlbewerber aufstellen zu lassen oder von einer Wahlkandidatur Abstand zu nehmen.

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Gegen diesen ihren Prozeßbevollmächtigten am 8. NNovember 1960 zugestellten Beschluß hat die Antragstellerin am 19. November 1960 Beschwerde eingelegt. Sie bekämpft den angefochtenen Beschluß mit Rechts Ausführungen zu der Frage einer gegen die guten Sitten vorstoßenden Wahlbeeinflussung und rügt des weiteren, daß das Ergebnis der Beweisaufnahme von dem Erstgericht nicht zutreffend gewürdigt worden sei. Darüber findet sie, daß die Wahl in der Arbeitsgruppe auch von [XXXXX].

7

Der Personalrat bittet um

Zurückweisung der Beschwerde.

8

und führt aus: Die Wahlanfechtung scheitere schon deshalb, weil durch die von der Antragstellerin beanstandeten Handlungen des. Dienststellenleiters und seines Vertreters das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflußt werden konnte. Im übrigen hält er den angefochtenen Beschluß des Verwaltungsgerichts, der das Vorliegen einer sittenwidrigen Wahlbeeinflussung verneint, auch sachlich für zutreffend. Endlich sei das Verfahren in der Hauptsache erledigt, weil der gewählte Vertreter der Arbeitergruppe ... am 22. September 1960 von der Dienststelle ... an die Dienststelle ... abgeordnet worden sei. Die Abordnung habe bereits länger als drei Monate gedauert, was nach § 27 Buchst. d) und e) BPersVG das Erlöschen seiner Mitgliedschaft im Personalrat zur Folge habe.

9

Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen wird auf den vorgetragenen Inhalt ihrer Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 6. und 10. Januar 1961 Bezug genommen.

10

Die Beteiligten wurden angehört.

11

II.

Die zulässige Beschwerde ist begründet.

12

1.

Da in der Arbeitergruppe nur ein Vertreter zu wählen war, hätte die Wahl nach den Vorschriften des § 15 Abs. 3 Satz 4 des Personalvertretungsgesetzes vom 5. August 1955 (BGBl. I S. 477) - BPersVG - i. Verb. mit § 30 der Wahlordnung zum Personalvertretungsgesetz vom 4. November 1955 (BGBl. I S. 709) - WOzBPersVG - nach den Grundsätzen der Mehrheitswahl (Personenwahl) durchgeführt werden müssen. Wenn sie diesen Vorschriften zuwider nach den Grundsätzen der Verhältniswahl durchgeführt wurde, so bedeutet dies einen Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren (VGH Bebenhausen, Beschl. v. 19.3.1957 - Nr. 133/56 - ZBR 1958 S. 28 = AP Nr. 1 zu § 30 WahlO z. PersVG mit Anm. von Küchenhoff). Denn zwischen den beiden Arten des Wahlverfahrens - Verhältniswahl (= Listenwahl) und Mehrheitswahl (= Personenwahl) - muß scharf unterschieden werden. Wenn Mehrheitswahl Platz greift, muß auch der Schein, daß eine Verhältniswahl vorliegen könnte, vermieden werden. Infolgedessen darf im Falle der Mehrheitswahl weder auf Wahlvorschläge von Organisationen noch auf die Zugehörigkeit der Kandidaten zu diesen Organisationen hingewiesen werden (Küchenhoff aaO). Vielmehr werden die Wahlbewerber aus sämtlichen gültigen Wahlvorschlägen in der durch den Anfangsbuchstaben ihres Familiennamens gegebenen alphabetischen Reihenfolge in den Stimmzettel übernommen. Nach dem Inhalt der bei der Wahl verwendeten Stimmzettel hat jedoch eindeutig Verhältniswahl stattgefunden. Dies war unzulässig.

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2.

Durch den geschilderten Verstoß gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlverfahren konnte das Wahlergebnis auch beeinflußt werden. Nicht erforderlich ist, daß das Wahlergebnis durch die Unregelmäßigkeit tatsächlich beeinflußt worden ist. Es genügt vielmehr die theoretische Möglichkeit, daß das Wahlergebnis mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit beeinflußt worden wäre (BVerwG Beschl. v. 4.6.1959 [nicht 16. 4. !] - VII P 13.58 - ZBR 1959 S. 337 [nur Leitsatz]; Hess. VGH, Beschl. v. 7.3.1957 - BPV 1.56 - AP Nr. 1 zu § 22 PersVG; OVG Münster, Beschl. v. 29.3.1957 - V B 694/56 - VerwRspr. Bd. 9 S. 433; OVG Koblenz, Beschl. v. 4.12.1956 - 4 B 5/56 - AS Bd. 5 S. 345; OVG Lüneburg, Beschl. v. 21.1.1958 - P OVG 9/57 - ZBR 1958 S. 318 = DÖV 1958 S. 268 = RiA 1958 S. 62). Das ist hier schon aus dem Grunde der Fall, weil die Liste, auf der der Bedienstete ... zur Wahl gestellt wurde, von den 14 Wahlberechtigten der Arbeitergruppe nur 7 Stimmen erhalten hat. Die Möglichkeit, daß zum mindesten ein Teil der Wähler der einen oder anderen Liste deswegen seine Stimme gab, weil die Wahlvorschläge mit gewerkschaftlichen Kennworten versehen waren, ist nicht von der Hand zu weisen. Hinzu kommt, daß ein Wahlberechtigter sich an der Wahl nicht beteiligt hat. Ob sich dieser Wahlberechtigte bei ordnungsmäßiger Durchführung der vorgeschriebenen Personenwahl an der Wahl beteiligt haben würde oder nicht und wem er gegebenenfalls seine Stimme gegeben hätte, läßt sich nicht einmal mutmaßen. Dies festzustellen, ist auch nicht Aufgabe des Gerichts. Die Wahlanfechtung ist daher berechtigt.

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3.

Der Ansicht des Personalrats, das Beschlußverfahren sei aus dem Grunde in der Hauptsache erledigt, weil das gewählte Personalratsmitglied ... bereits länger als drei Monate an eine andere Dienststelle abgeordnet ist, was nach § 27 Buchst. d und e BPersVG Erlöschen seiner Personalratsmitgliedschaft zur Folge habe, kann nicht gefolgt werden. Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Beschluß vom 20.6.1958 - VII P 13.57 - (BVerwGE 7, HO = ZBR 1958 S. 279 = NJW 1958 S. 1649 = Personalvertretung 1959 S. 111) das Problem der Erledigung der Hauptsache im Beschlußverfahren behandelt. Die maßgebliche Stelle lautet:

"Wird, wie im vorliegenden Falle, der konkrete Streitfall im Laufe des Rechtsbeschwerdeverfahrens durch Umstände gegenstandslos, die weder in einer der Auffassung des Antragstellers Rechnung tragenden Erledigung dieses konkreten Steitfalles bestehen, noch von dem Antragsteller zu vertreten sind, dann wird das Rechtsschutzbedürfnis an einer Klärung der Rechtsfrage, der in der Rechtsbeschwerdeinstanz gemäß § 92 Abs. 1 ArbGG regelmäßig grundsätzliche Bedeutung zukommt, nicht verneint werden können, solange die Möglichkeit des wiederholten Auftretens der Streitfrage besteht."

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Bei der hier vorliegenden Schwere des Verstoßes gegen zwingende Vorschriften über das Wahlverfahren sowie im Hinblick auf das unbestrittene Vorbringen der Antragstellerin, daß bei früheren Personalratswahlen in der Dienststelle die Wahl in der Arbeitergruppe ordnungsmäßig als Mehrheitswahl durchgeführt worden sei, besteht nach Auffassung des Senats die Möglichkeit eines wiederholten Auftretens der Streitfrage. Dies rechtfertigt eine Entscheidung zur Sache, ohne daß es eines Eingehens darauf bedarf, ob auch die von der Antragstellerin vorgebrachten weiteren Wahlanfechtungsgründe durchgreifen. Das Gericht brauchte insbesondere nicht zu prüfen, ob sich der damalige Dienststellenleiter und sein ständiger Vertreter einer gegen die guten Sitten verstoßenden Wahlbeeinflussung im Sinne von § 21 Abs. 1 BPersVG schuldig gemacht haben.

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4.

Auch der Einwand des Personalrats, die Antragstellerin handele rechtsmißbräuchlich, wenn sie das Wahlanfechtungsverfahren nur aus dem Grunde durchführe, weil das Personalratsmitglied ... das bei ihr gewerkschaftlich organisiert ist, auf der Liste einer Konkurrenzgewerkschaft gewählt worden sei, greift nicht durch. Zwar gelten die aus § 242 BGB entwickelten Rechtsprinzipien auch für das Betriebsverfassungsrecht und für das Personalvertretungsrecht; denn sie sind Bestandteil der allgemeinen Rechtsordnung (BAG, Urt. v. 27.6.1955 - 1 AZR 429/54 - AP Nr. 4 zu § 66 BetrVG). Von einem Rechtsmißbrauch der Antragstellerin kann im vorliegenden Falle schon deshalb nicht gesprochen werden, weil nach der neueren Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (Beschluß vom 2.12.1960 - ABR 20/59) eine Gewerkschaft von ihren Mitgliedern bei der Vorbereitung der Betriebsratswahlen "Verbandsdisziplin" fördern kann. Die gleichen Grundsätze gelten sinngemäß für die Wahlen zu den Personalvertretungen. Die Gewerkschaften dürfen (verlangen, daß ihre Mitglieder sich nicht den Interessen der Gewerkschaft zuwider betätigen. Eines weiteren Eingehens auf die Motive, die die Antragstellerin zur Wahlanfechtung bewogen haben mögen, bedarf es jedoch nicht. Denn der Einwand des Rechtsmißbrauchs ist nicht dazu bestimmt, jeder unbilligen Rechtsverfolgung entgegengesetzt zu werden und auf diese Weise an die Stelle des Rechts mehr oder weniger unbestimmte Billigkeitserwägungen zu setzen (Soergel-Siebert, Bürgerliches Gesetzbuch, I. Bd., Anm. 111 zu § 242).

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5.

Mir eine Kostenentscheidung ist, wie der Senat in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits wiederholt entschieden hat, im Beschlußverfahren kein Raum.

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6.

Gründe, im vorliegenden Fall wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache die Rechtsbeschwerde zum Bundesverwaltungsgericht zuzulassen (§ 76 Abs. 2 BPersVG i. Verb. mit § 91 Abs. 3 ArbGG), liegen nicht vor. Die Entscheidung beruht auf den getroffenen tatsächlichen Feststellungen.

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Rechtsmittelbelehrung

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Die Entscheidung über die Nichtzulassung der Rechtsbeschwerde ist unanfechtbar (Bundesverwaltungsgericht, Beschl. vom 2.5.1957 - II CO 2.56 = BVerwGE 4, 357 = RiA 1957 S. 303 = NJW 1957 S. 1249 = DÖV 1957 S. 831 = AP Nr. 1 zu § 76 BPersVG).