Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 02.06.1983, Az.: VI 584/82

Anspruch auf Aufhebung eines Einspruchsbescheides; Festsetzung von Vorauszahlungen auf die Körperschaftssteuer; Anforderungen an die Erfüllung eines gemeinnützigen Zweckes

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
02.06.1983
Aktenzeichen
VI 584/82
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1983, 13991
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:1983:0602.VI584.82.0A

Verfahrensgegenstand

Körperschaftsteuer-Vorauszahlungen 1982 bis 1984

In dem Rechtsstreit
hat der VI. Senat des Niedersächsischen Finanzgerichts
nach mündlicher Verhandlung
in der Sitzung vom 2. Juni 1983,
an der mitgewirkt haben:
Vizepräsident des Finanzgerichts als Vorsitzender ...
Richter am Finanzgericht ...
Richter am Finanzgericht ...
ehrenamtlicher Richter ...
ehrenamtlicher Richter ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Einspruchsbescheid vom 10. November 1982 und der Bescheid über die Festsetzung von Vorauszahlungen auf die Körperschaftssteuer vom 6. August 1982 werden aufgehoben.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Beklagte.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe der an die Klägerin zu erstattenden Kosten abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin (Kl.), eine durch Vertrag vom 4. Februar 1982 gegründete und am 3. Juni 1982 ins Handelsregister eingetragene Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), verfolgt nach § 2 des Gesellschaftsvertrages folgenden Zweck:

"... schwer vermittelbaren Arbeitslosen (älteren Arbeitslosen, Arbeitslosen, bei denen besondere soziale Schwierigkeiten der Teilnahme am Arbeitsprozeß entgegenstehen, Langzeitarbeitslosen mit schlechten Eingangsvoraussetzungen) durch Angebot von Arbeit, Berufsförderung und seelischer Betreuung tatkräftig zu helfen. Das Unternehmen handelt damit im Interesse der Evangelischen Kirche in Deutschland und ihrer Diakonie.

Im übrigen ist die Gesellschaft zu allen Handlungen berechtigt, die mit dem diakonischen Gebot der Kirche Jesu Christi und mit dem Gegenstand des Unternehmens in Einklang stehen. Dies gilt insbesondere für die seelsorgerische Betreuung der Arbeitslosen,"

2

Gesellschafter der Kl. sind:

  1. 1.

    der Evangelisch-lutherische Stadt-Kirchenverband H.,

  2. 2.

    das Diakonische Werk - Stadtverband für Innere Mission - in H. e.V.,

  3. 3.

    die Aktion Arbeitslosen-Abgabe e.V.,

  4. 4.

    der Verein der Freunde und Förderer des Industriepfarramtes H. e.V.

3

Die Kl. will nach dem Gesellschaftsvertrag (§ 3) ausschließlich und unmittelbar gemeinnützig und selbstlos tätig sein. Sie hat ihre Tätigkeit seit dem zweiten Halbjahr 1981 vorbereitet und im Jahr 1982 aufgenommen. Bis zum 1. November 1982 stellte sie sechs Arbeitnehmer ein, von denen einer die Voraussetzungen des § 97 Arbeitsförderungsgesetz (AFG) - Förderung älterer Arbeitnehmer - und fünf die Voraussetzungen des § 39 Bundessozialhilfegesetz (BSHG) - Eingliederung Behinderter - erfüllten; _ die Einstellung weiterer Arbeitnehmer stand Ende 1982 bevor. Mit diesen Kräften führte die Kl. überwiegend Kleinaufträge aus dem handwerklichen Bereich (kleinere Reparaturen), Gartenpflege und Dienstleistungen aus. Dafür warb sie mit einem Prospekt, mit dem sie insbesondere Hilfe im Garten und Haushalt, bei Metall- und Holzarbeiten, im Bereich der Schalldämmung und Energieeinsparung sowie bei Warenproduktion und Dienstleistungen anbot. Mit Zuschüssen des Arbeitsamtes H. führte sie vom 13. September bis zum 22. Oktober 1982 eine 240 Stunden umfassende Maßnahme zur Förderung von Vermittlungsaussichten nach § 41 a AFG durch und bereitete einen weiteren Lehrgang dieser Art für die Zeit vom 11. April bis 6. Mai 1983 vor. Sie verhandelte im Laufe des Jahres 1982 mit dem Landesarbeitsamt Niedersachsen-Bremen und dem Arbeitsamt H. über die Verwirklichung eines von ihr Ende 1981 erarbeiteten Projektes im Sinn ihres Satzungszweckes, das die Beschäftigung von etwa 30 Arbeitnehmern der in Ihrer Satzung angesprochenen Zielgruppe vorsah:

4

Danach sollen in den Arbeitsbereichen Holzkunsthandwerk, Garten- und Landschaftspflege, Metallverarbeitung und Gemeindedienste Arbeitslose Arbeiten verrichten, die ihren Leistungsvermögen angepaßt sind. Durch sozialpädagogische Begleitung und fachliche Qualifizierung soll eine Weitervermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglicht werden. Nach etwa zwei Jahren sollen etwa 50 v.H. der durch das Projekt entstehenden Kosten selbst erwirtschaftet werden. Bei der in der Satzung genannten Zielgruppe soll durch die Beschäftigung der Beschäftigte

  1. a.

    aus resignativen und passiven Verhaltensformen befreit und stabilisiert werden,

  2. b.

    Arbeitszeitstrukturen und Arbeitsabläufe wieder erlernen,

  3. c.

    den Stand der üblichen Leistungsnormen erreichen,

  4. d.

    durch Bewußtseinsbildung für seine Lage und seine Möglichkeiten über eine umfassende Sozialberatung beruflich rehabilitiert werden,

  5. e.

    beruflich qualifiziert werden,

  6. f.

    eine Weitervermittlung in die Wege geleitet und gefördert werden.

5

Die Förderungswürdigkeit dieses Projekts wurde vom Verwaltungsausschuß des Arbeitsamtes H. am 16. Dezember 1982 grundsätzlich befürwortet (vgl. den Vermerk des Direktors des Arbeitsamtes Hannover vom 17. Dezember 1982). 1983 stellte die Kl. einen Sozialarbeiter ein, der den bei ihr beschäftigten Personen Hilfe bei der Bewältigung ihrer Lebensprobleme zur Förderung ihrer Wiedereingliederung in das Arbeitsleben leistete.

6

Den Antrag der Kl., sie als gemeinnützig anzuerkennen, wies das beklagte Finanzamt (FA) durch einen Bescheid über die Festsetzung von Körperschaftsteuer-Vorauszahlungen für die Veranlagungszeiträume 1982 bis 1984 zurück, in dem es diese Vorauszahlungen auf jeweils 0,- DM festsetzte und die Kl. darauf hinwies, daß sie nicht als gemeinnützig im Sinn des Körperschaftsteuergesetzes 1977 (KStG) und der Abgabenordnung 1977 (AO) anerkannt werden könne. Zur Begründung führte das FA aus, daß die Kl. nur einen begrenzten Personenkreis fördere und daß sie darüber hinaus nicht selbstlos tätig sei, weil sie Arbeit gegen Entgelt anbiete.

7

Hiergegen richtet sich nach erfolglosem Einspruch die Klage, zu deren Begründung die Kl. im wesentlichen ausführt: Entgegen der Annahme des FA fördere sie keinen fest begrenzten Kreis; sie sie vielmehr offen für alle Angehörigen der in ihrer Satzung genannten Zielgruppe, wenn auch ihre Aufnahmekapazität naturgemäß begrenzt sei. Sie sei selbstlos tätig; denn sie verfolge nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche bzw. gewerbliche Zwecke. Soweit sie sich am Wirtschaftsleben beteilige, liege ein Zweckbetrieb im Sinn des § 65 AO vor; ohne ihren Geschäftsbetrieb könne sie ihre satzungsmäßige Aufgabe nicht erfüllen; sie trete zudem nicht in größerem Umfang in Wettbewerb zu nicht begünstigten Betrieben als es bei Erfüllung ihres Satzungszweckes unvermeidbar sei.

8

Die Kl. beantragt,

den Vorauszahlungsbescheid vom 6. August 1982 in der Fassung des Einspruchsbescheides vom 10. November 1982 insoweit aufzuheben, als er ihre Gemeinnützigkeit verneint.

9

Das FA beantragt,

die Klage abzuweisen.

10

Es führt aus: Die Kl. führe nicht überwiegend Maßnahmen der beruflichen Fortbildung oder Umschulung für erwachsene Arbeitslose bzw. Berufsausbildung oder berufsvorbereitende Maßnahmen für arbeitslose Jugendliche durch. Sie beschäftige vielmehr ältere Arbeitslose über 55 Jahre vor allem mit dem Ziel, diesen einen festen Arbeitsplatz zu bieten. Mit diesen Arbeitnehmern biete sie bestimmte Dienstleistungen auf dem allgemeinen Markt an, die auch von anderen Unternehmen angeboten würden. Arbeitsplatzbeschaffung sei allein kein gemeinnütziger Zweck, auch dann nicht, wenn diese durch öffentliche Mittel gefördert werde. Wegen des Wettbewerbs zu nicht begünstigten Betrieben könne auch kein Zweckbetrieb im Sinn des § 65 AO angenommen werden.

11

Wegen des Sachverhalts im einzelnen wird auf den Inhalt der Körperschaftsteuerakten des FA - Steuernummer ... -, die von den Beteiligten eingereichten Schriftsätze und die Niederschrift Über die mündliche Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

12

Die Klage ist begründet.

13

Die Kl. erfüllt sowohl nach ihrer Satzung als auch nach ihrer bisherigen tatsächlichen Geschäftsführung gemeinnützige Zwecke im Sinn der §§ 52 ff. AO und ist deswegen gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 9 KStG von der Körperschaftsteuer befreit.

14

Die Tätigkeit der Kl. ist darauf gerichtet, die Allgemeinheit auf materiellem und sittlichem Gebiet im Sinn des § 52 Abs. 1 AO selbstlos zu fördern.

15

Das Angebot von Arbeit, Berufsförderung und seelischer Betreuung an ältere Arbeitslose, bei denen besondere soziale Schwierigkeiten der Teilnahme am Arbeitsprozeß entgegenstehen, an Langzeitarbeitslose und jüngere Arbeitslose mit schlechten Eingangsvoraussetzungen stellt nach Auffassung des Senats ebenso eine Förderung der Allgemeinheit dar, wie die in § 52 Abs. 2 Nr. 2 AO ausdrücklich erwähnte Förderung der "Jugendhilfe" und der "Altenhilfe"; denn die Eingliederung des genannten Personenkreises in das Arbeitsleben ist eine der Jugendhilfe (§§ 8, 27 Sozialgesetzbuch) und der Altenhilfe (§ 75 BSHG) durchaus vergleichbare und gleichwertige Sozialaufgabe, die zugleich als Beitrag zur Förderung der Wirtschaft verstanden wird. So nennt auch das AFG als Maßnahmen zur Förderung der Wirtschafts- und Sozialpolitik der Bundesregierung - und damit zur Förderung der Allgemeinheit - die berufliche Eingliederung körperlich, geistig oder seelisch Behinderter (§ 2 Nr. 4. a.a.O.) und die berufliche Eingliederung der älteren und anderen Erwerbstätigen, deren Unterbringung unter den üblichen Bedingungen des Arbeitsmarktes erschwert ist (§ 2 Nr. 6, a.a.O.).

16

Der Einschätzung des FA, daß der Kreis der Personen, dem die Förderung durch die Kl. zugute kommen soll, im Sinn des § 52 Abs. 1 Satz 2 AO "fest abgeschlossen" sei, weil er sich auf die Belegschaft ihres Unternehmens erstrecke oder aus den anderen im Gesetz genannten Gründen dauernd nur klein sein könne, vermag sich der Senat nicht anzuschließen. Die Satzung enthält keine zahlenmäßige Einschränkung der zu betreuenden Personen. Sie schreibt auch nicht fest, daß ihr "Angebot von Arbeit und Berufsforderung" auf eine Bindung an sie bzw. die von ihr veranstalteten Unternehmungen hinauslaufen solle. Nach Nr. 2 des Projektentwurfs, der als Konzeption der Gründung der Kl. zugrunde gelegen hat (vgl. Nr. 2, 5, a.a.O.) und der deshalb zur Auslegung der Satzung herangezogen werden kann, soll vielmehr die sozialpädagogische Begleitung und fachliche Qualifizierung erklärtermaßen eine Weitervermittlung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen. Dies deutet darauf hin, daß nach dem Satzungszweck der Personenkreis nicht fest begrenzt sein sollte, sondern daß die Kl. ihre Unternehmungen als Durchlaufstationen versteht, daß sie mithin auf einen Wechsel der betreuten Personen angelegt ist. Gegen eine Abgrenzung oder Beschränkung im Sinn des § 52 Abs. 1 Satz 2 AO spricht auch die bei der Gründung der Kl. gehegte Vorstellung, jeweils etwa 30 Personen zu betreuen. Gegenüber der vom FA im Schriftsatz vom 16. Februar 1983 genannten Zahl von 210 betreuungsbedürftigen Personen der Zielgruppe im Einzugsbereich erscheint dem Senat die Zielvorstellung der Kl. hinreichend gewichtig, um die Anwendung des § 51 Abs. 1 Satz 2 AO auszuschließen. Daß die Zahl der Betreuten in dem kurzen Zeitraum, der gegenwärtig zur Beurteilung zur Verfügung steht, erheblich geringer gewesen ist, steht der Gemeinnützigkeit der Kl. nicht entgegen; denn entscheidend für die Beurteilung ist Zielrichtung (§ 52 Abs. 1 Satz 1 AO: "... wenn ihre Tätigkeit darauf gerichtet ist ..."; vgl. auch BFH-Urteil vom 13. Dezember 1978 I R 39/78, BStBl II 1979, 482). Schließlich ist zu berücksichtigen, daß die Kl. ihre Zielvorstellungen unter anderem deshalb bisher nur begrenzt hat verwirklichen können, weil sie nicht als gemeinnützig anerkannt worden ist (vgl. das Schreiben des Präsidenten des Landesarbeitsamtes Niedersachsen-Bremen an den Klägervertreter vom 6. Januar 1983).

17

Die Kl. ist nach ihrer Satzung und ihrer bisherigen tatsächlichen Geschäftsführung auch selbstlos tätig im Sinn der §§ 52, 55 AO; denn sie verfolgt nach der Überzeugung des Senats nicht in erster Linie eigenwirtschaftliche, gewerbliche oder sonstige Erwerbszwecke. Die Kl. kann ihre Zwecke, wie sie unwidersprochen vorgetragen hat und wie zudem durch den Schriftwechsel mit den Arbeitsbehörden und entsprechende Vermerke belegt wird, ihre Zwecke nur mit Unterstützung aus öffentlichen Mitteln der Arbeitsförderung verwirklichen. Sie ist auf absehbare Zeit nicht in der Lage, kostendeckend zu arbeiten. Dies ergibt sich aus ihrer dem Arbeitsamt vorgelegten Kostenschätzung. Nach ihrer eigenen Einschätzung, die nach Auffassung des Senats realistisch ist, können bei voller Projektverwirklichung nach etwa zwei Jahren etwa 50 v.H. der entstehenden Kosten selbst erwirtschaftet werden. Unter diesen Umständen ist es unschädlich, daß die Kl. Dienstleistungen gegen Entgelt ausführt.

18

Soweit die Kl. einen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhält und künftig in vergrößertem Umfang unterhalten will, ist nach Auffassung des Senats ein Zweckbetrieb im Sinn des § 65 AO gegeben. Die Kl. kann ihren steuerbegünstigten satzungsmäßigen Zweck, schwer vermittelbare Arbeitslose in das Arbeitsleben einzugliedern, durch eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr erreichen. Sie tritt, wie sich aus Art und Umfang ihrer Betätigung ohne weiteres ergibt, damit auch nicht in größerem Umfang in Wettbewerb zu nicht begünstigten Betrieben derselben oder ähnlichen Art, als es bei der Erfüllung der steuerbegünstigten Zwecke unvermeidbar ist.

19

Der angefochtene Vorauszahlungsbescheid war danach aufzuheben. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO; die Nebenentscheidungen beruhen auf § 151 Abs. 3 FGO in Verbindung mit den §§ 708 Nr. 10, 711 Zivilprozeßordnung.