Landgericht Hildesheim
Beschl. v. 12.03.2008, Az.: 12 Qs 12/08

Einfacher Diebstahl als Straftat von erheblicher Bedeutung i.S.d. § 100g Abs. 1 Nr. 1 Strafprozessordnung (StPO); (Analoge) Anwendbarkeit des § 100g Abs. 1 Nr. 2 StPO bei Handydiebstählen

Bibliographie

Gericht
LG Hildesheim
Datum
12.03.2008
Aktenzeichen
12 Qs 12/08
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2008, 31425
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHILDE:2008:0312.12QS12.08.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hildesheim

Fundstellen

  • JA 2009, 72-73 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
  • NStZ 2008, VI Heft 10 (amtl. Leitsatz)
  • NStZ-RR 2008, VI Heft 10 (red. Leitsatz)

Verfahrensgegenstand

Diebstahl

Redaktioneller Leitsatz

Ein einfacher Diebstahl ist grundsätzlich keine Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne des § 100g Abs. 1 Nr. 1 StPO.
§ 100g StPO findet auch im Falle von Handydiebstählen in der Regel keine Anwendung.

In dem Ermittlungsverfahren
...
hat die 1. große Strafkammer des Landgerichts Hildesheim
auf die Beschwerde der Staatsanwaltschaft vom 25.02.2008
gegen den Beschluss des Amtsgerichts Hildesheim vom 20.02.2008 (... Gs .../...)
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht .., und
die Richterinnen am Landgericht ... und ...
am 12.03.2008
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde wird auf Kosten der Landeskasse als unbegründet verworfen.

Gründe

1

I.

Am 11.01.2008 erstattete die Geschädigte Strafanzeige, weil ihr in der Nacht zuvor in einer Diskothek in Hildesheim ihre unbeaufsichtigt abgestellte Handtasche gestohlen worden war. Inhalt der Handtasche waren, außer ihrem Portemonnaie und einem Schlüsselbund, zwei Handys. Den Gesamtschaden bezifferte sie auf etwa 550,00 EUR.

2

Die Staatsanwaltschaft hat am 15.02.2008 zur Ermittlung des Täters beim Amtsgericht beantragt,

gemäß §§ 100 g, 100 h StPO den Netzbetreibern aufzugeben, Auskunft über die Telekommunikation, welche mit den beiden Handys im Zeitraum vom 10.01. bis 15.05.2008 geführt wurde bzw. geführt wird, zu erteilen.

3

Das Amtsgericht hat diesen Antrag abgelehnt mit der Begründung, es handele sich bei dem Diebstahl nicht um eine Straftat von erheblicher Bedeutung.

4

Hiergegen richtet sich die Staatsanwaltschaft mit ihrer Beschwerde.

5

II.

Die Beschwerde ist zulässig, hat in der Sache aber keinen Erfolg.

6

Wie das Amtsgericht zutreffend ausführt, sind die tatsächlichen und rechtlichen Voraussetzungen für die beantragte Maßnahme nicht gegeben.

7

Anordnungsvoraussetzung gemäß § 100 g StPO ist zunächst der Verdacht einer Straftat von erheblicher Bedeutung (§ 100 g Abs. 1 Nr. 1 StPO) oder einer mittels Telekommunikation begangenen Straftat (§ 100 g Abs. 1 Nr. 2 StPO).

8

Beides liegt hier nicht vor.

9

Ein einfacher Diebstahl ist in der Regel keine Straftat von erheblicher Bedeutung i.S.v. § 100 g Abs. 1 Nr. 1 StPO. Durch die ausdrückliche beispielhafte Erwähnung der in § 100 a StPO genannten Straftaten hat der Gesetzgeber die Anordnungsvoraussetzung diesbezüglich präzisiert und verdeutlicht, von welcher Tatschwere ein in Betracht kommender Straftatbestand sein muss. Zwar kommt es -wie nun in § 100 g Abs. 1 Nr. 1 StPO in der Fassung vom 21.12.2007 ausdrücklich festgelegt- immer auf den Einzelfall zur Beurteilung der Erheblichkeit der Straftat an. Der einfache Diebstahl einer Handtasche mit einem Gesamtschaden von ca. 550,00 EUR lässt die Tat hier jedoch auch im Einzelfall als nicht erheblich erscheinen.

10

Auch handelt es sich nicht gemäß § 100 g Abs. 1 Nr. 2 StPO um eine mittels Telekommunikation begangene Straftat. Der Gesetzgeber verlangt in diesen Fällen keine erhebliche Bedeutung der Straftat mit der Begründung, dass diese Taten ohne eine Auskunft über die Verbindungsdaten regelmäßig nicht aufklärbar seien (vgl. BTDrucks. 14/7008, S. 7).

11

Dies gilt sicher regelmäßig auch für Handydiebstähle. Für eine analoge Anwendung des § 100 g Abs. 1 Nr. 2 StPO ist hier jedoch schon deshalb kein Raum, weil keine planwidrige Regelungslücke vorliegt. Der Gesetzgeber hat den Anwendungsbereich des § 100 g StPO in Kenntnis der Aufklärungsproblematik bei Handydiebstählen (die im Übrigen aber auch bei den meisten anderen Diebstählen vorliegt, bei denen man lediglich keine weitere Möglichkeit der Aufklärung hat) dennoch auf die bereits benannten Straftatbestände beschränkt.

12

Soweit die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerdebegründung darauf abstellt, dass das Schutzgut des § 100 g StPO hier nicht betroffen sei, weil nur der berechtigte Handyeigentümer oder -nutzer geschützt werde und die Maßnahme sich gegen diesen nicht mehr richten könne bzw. dieser durch seine Strafanzeige auf sein Datenschutzrecht verzichtet habe, folgt die Kammer dieser Auffassung nicht.

13

Eine Maßnahme nach § 100 g StPO greift in das von Art. 10 Grundgesetz geschützte Fernmeldegeheimnis ein, welches nicht nur den Kommunikationsinhalt, sondern auch die Kommunikationsumstände, also auch die hier betroffenen Verbindungsdaten, und somit die gesamte Nutzung des Kommunikationsmediums schützt (vgl. BverfG NJW 2006, 3197). Betroffener i.S.v. § 100 g Abs. 1 StPO ist danach derjenige, dessen Kommunikation betroffen ist und somit derjenige, der nunmehr, sei es auch unberechtigt, das Handy nutzt. Der rechtmäßige Handyeigentümer kann nicht über das Grundrecht des Diebes verfügen, seine Einwilligung in die Kommunikationsüberwachung hat daher keine den Grundrechtseingriff rechtfertigende Wirkung.

14

Die Entscheidung des Amtsgerichts Friedberg (NStZ 2006, 317), auf die die Staatsanwaltschaft Bezug nimmt, lässt die Kammer zu keiner anderen Bewertung kommen. Nach Auffassung der Kammer fällt die dort verfahrensgegenständliche Erhebung von Mautdaten schon nicht unter den Begriff der Telekommunikation, weil es sich dabei nicht um individuelle Kommunikation zwischen Menschen handelt, sondern um einen Datenaustausch zwischen Maschinen (vgl. auch Meyer-Goßner, StPO, 50. Aufl., § 100 g Rn. 4), der von Art. 10 GG nicht geschützt ist. Es kann deshalb hier dahinstehen, ob in einem solchen Fall die Einwilligung des rechtmäßigen Eigentümers die Verwertung der Mautdaten rechtfertigt, wie es das AG Friedberg angenommen hat.

15

III.

Gegen diese Entscheidung ist kein Rechtsmittel gegeben ( § 310 Abs. 2 StPO).

16

Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 StPO.