Landgericht Stade
Urt. v. 19.07.1990, Az.: 4 O 306/89
Unterscheidung zwischen Arbeitnehmerüberlassung durch eine Gesellschaft bürgerlichen Rechts (GbR) oder Anwerbung von Arbeitnehmern zur Erfüllung ihrer werkvertraglichen Pflichten
Bibliographie
- Gericht
- LG Stade
- Datum
- 19.07.1990
- Aktenzeichen
- 4 O 306/89
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 1990, 15113
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:LGSTADE:1990:0719.4O306.89.0A
Verfahrensgegenstand
Schadensersatz
In dem Rechtsstreit
hat die 4. Zivilkammer des Landgerichts Stade
auf die mündliche Verhandlung vom 28. Juni 1990
durch
den Vorsitzenden Richter am Landgericht Biermann,
die Richter am Landgericht Nagel und Frau Schulz
für Recht erkannt:
Tenor:
- 1.
Die Klage wird abgewiesen.
- 2.
Die Kläger tragen die Kosten des Rechtsstreits.
- 3.
Das Urteil ist für die Beklagte wegen der Kostenforderung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 36.000,00 DM vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Kläger sind Gesellschafter einer Gesellschaft bürgerlichen Rechts, die sich zuletzt insbesondere damit befaßte, Fisch anlandende Schiffe in ... und ... zu entladen. Die Kläger arbeiteten im wesentlichen mit der ... (im folgenden ... genannt) und mit der ... zusammen; mit der ... hatten die Kläger seit den 70er Jahren einen "Werkvertrag" geschlossen, der in den folgenden Jahren jeweils erneuert wurde, der letzte wurde am 10.12.1982 abgeschlossen mit einer Laufzeit vom 01. Januar bis 30. Juni 1983.
In der Praxis erfolgte die Zusammenarbeit so, daß zum Beispiel die ... in Ermangelung ausreichender eigener Arbeitskräfte solche bei den Klägern kurzfristig anforderte, wenn es galt, einen Fischdampfer zu entladen. Die Kläger ihrerseits warben zu diesem Zweck Arbeitnehmer hauptsächlich aus der landwirtschaftlichen Bevölkerung an, die dann als geschlossener Bang (Arbeitskolonne von 13 bis 15 Arbeitern) gleichzeitig mit anderen Arbeitskräften die Fischdampfer entluden.
Die Gesellschaft bürgerlichen Rechts (im folgenden GbR) hatte seit 20.06.1975 eine Erlaubnis zur gewerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung gehabt, die zuletzt bis zum 10.07.1982 verlängert worden war. Mit Bescheid vom 06.07.1982 wurde diese Erlaubnis wegen Verstoßes gegen die Auflagen widerrufen (es wurde z. B. beanstandet, daß mit den Arbeitnehmern keine schriftlichen Arbeitsverträge abgeschlossen worden waren).
Im Frühjahr 1983 ermittelte das Arbeitsamt Oldenburg als Bearbeitungsstelle zur Bekämpfung der illegalen Beschäftigung gegen die GbR wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz (AüG).
Mit Bescheiden vom 19.04.1983 wurde den Klägern untersagt, gewerbsmäßig Arbeitnehmer an Dritte ohne die erforderliche Erlaubnis zu überlassen; zugleich wurde für jeden Fall der Zuwiderhandlung ein Zwangsgeld angedroht.
Mit Widerspruchsbescheid vom 09.08.1983 wurden die Widersprüche der Kläger als unbegründet zurückgewiesen.
Auf die Klage der Kläger hob das Sozialgericht Stade mit Urteil vom 11.05.1984 die beanstandeten Bescheide auf, nachdem eine umfangreiche Beweisaufnahme durch Zeugenvernehmung stattgefunden hatte (Aktenzeichen: S 6 Ar 188/83 und S 6 Ar 197/83 Sozialgericht. Stade).
Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil wurde durch Urteil des Landessozialgerichts vom 12.12.1985 zurückgewiesen (Aktenzeichen: L 10 Ar 129/84 Landessozialgericht Niedersachsen). Auch das Landessozialgericht hatte Zeugen vernommen und Auskünfte der Betriebshaftpflicht und der Berufsgenossenschaft eingeholt. Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landessozialgerichts wurde durch Urteil des Bundessozialgerichts vom 11.02.1988 zurückgewiesen (Aktenzeichen: 7 RAr 5/86 Bundessozialgericht). Zeitlich parallel zu dem Untersagungsverfahren lief ein Ermittlungsverfahren gegen die Kläger. Im Rahmen dieses Verfahrens ergingen Bußgeldbescheide vom 14.08.1984; das Verfahren vor dem Amtsgericht Hannover wurde schließlich mit Verfügung vom 22.12.1986 eingestellt.
Die Kläger tragen vor, nach Zustellung der Bescheide vom 19.04.1983 hätten sie jegliche Entladetätigkeit von Fischdampfern eingestellt, da die ... und der ... nicht mehr zu einer Zusammenarbeit mit ihnen, den Klägern, bereit gewesen seien. Die ... und die ... hätten nämlich befürchten müssen, daß auch gegen sie Verfahren eingeleitet würden.
Die Kläger behaupten, seit Mitte der 70er Jahre hätten sie sich ausschließlich mit Fischentladungen beschäftigt, so daß der gesamte Geschäftsbetrieb zum Erliegen gekommen sei. Ab 1980 hätten die Kläger ihren gesamten Umsatz aus den Beziehungen zur ... und zur ... bezogen.
Die Kläger sind der Auffassung, daß die Beklagte rechtswidrig und schuldhaft in ihren eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb eine griffen hätten. Die Mitarbeiter der Beklagten hätten den Sach- und Streitstand nicht sorgfältig genug ermittelt, bevor die Verfügungen vom 19.04.1983 erlassen worden seien. Die Mitarbeiter der Beklagten hätten sich darauf beschränkt, die Arbeitnehmer der GbR zu vernehmen, sie hätten nicht die Mitarbeiter der Vertragspartner der GbR vernommen. Auch sei nicht geprüft worden, ob Gewährleistungsfälle von den Klägern abgewickelt worden seien.
Die Kläger gehen von einem durchschnittlichen Jahresgewinn von 1.087.652,48 DM aus und machen für die Jahre 1983, 1984 und 1985 sowie hilfsweise für 1986 und 1987 entgangenen Gewinn in Höhe von 2,5 Millionen DM geltend. Wegen der Berechnung wird auf Blatt 18 ff d. A. Bezug genommen.
Die Kläger beantragen,
die Beklagte zu verurteilen, 2.500.000,00 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 29.04.1986 an die Kläger zu zahlen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte bestreitet, daß ihre Mitarbeiter nicht sorgfältig ermittelt hätten. Sie verweist darauf, daß etliche Zeugen vernommen worden seien, Durchsuchungen durchgeführt und Unterlagen ausgewertet wurden. Auch nach dem 19.04.1983 sei weiter ermittelt worden, wie sich aus dem Bußgeldbescheid vom 14.08.1984 ergebe. Die Beklagte ist der Auffassung, auch die rechtliche Beurteilung der gewonnen Fakten sei vertretbar gewesen, das ergebe sich auch aus den Urteilen des Sozialgerichts Stade und des Landessozialgerichts Niedersachsen. Zu dem Vorwurf, daß Gewährleistungsfälle nicht überprüft worden seien, weist die Beklagte darauf hin, daß Unterlagen bezüglich derartiger Fälle nicht gefunden wurden.
Die Beklagte ist der Auffassung, daß ein Anspruch der Kläger gemäß §839 Absatz 3 BGB ausgeschlossen ist. Die Kläger hätten einstweiligen Rechtsschutz in entsprechender Anwendung von § 97 Absatz 2 Satz 2 SGG oder § 80 Absatz 5 VWGO beantragen können und müssen; ein derartiger Antrag wäre erfolgversprechend gewesen.
Den von den Kläger begehrten entgangenen Gewinn bestreiten die Beklagten der Höhe nach, sie tragen u. a. vor, daß die Kläger auch noch im Mai 1983 gearbeitet hätten und Umsatz erzielt hätten. Wegen weiterer Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den vorgetragenen Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Die Akten des Landesarbeitsamtes Niedersachen - Bremen betreffend ... Bl. 352/83 (Band I), Bl. 353 bis 367/83 (Band II), Bl. 368 bis 373/83 (Band III), lagen vor und waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Den Klägern steht weder ein Anspruch aus §839 BGB in Verbindung mit Artikel 34 Grundgesetz (I.) noch aus enteignungsgleichem Eingriff (II.) gegen die Beklagte zu, so daß die Klage abzuweisen ist.
I.
1.
Durch das Urteil des Bundessozialgerichts vom 11.02.1988 steht rechtskräftig fest, daß die Beklagte nicht befugt war, den Klägern zu untersagen, gewerbsmäßig Arbeitnehmer an Dritte zu überlassen; das Bundessozialgericht hat festgestellt, daß die Kläger keine Arbeitnehmerüberlassung ausgeübt haben, sondern die Arbeitnehmer, die sie zum Entladen der Fischereischiffe eingesetzt haben, zur Erfüllung ihrer werkvertraglichen Pflichten angeworben haben.
II.
Da nicht jede objektiv unrichtige Sachbehandlung eine Ersatzpflicht begründet, kommt es darauf an, ob die Mitarbeiter der Beklagten schuldhaft gehandelt haben.
Vorsätzliches Handeln im Sinne von Kenntnis der Tatsachen, die die Pflichtverletzung objektiv ergeben und Bewußtsein der Pflichtwidrigkeit, werfen die Kläger den Mitarbeitern der Beklagten nicht vor, sie behaupten jedoch, diese hätten den Sach- und Streitstand nicht sorgfältig ermittelt, bevor sie die Verfügungen vom 19.04.1983 erlassen hätten.
Für die Frage, ob die Mitarbeiter der Beklagte fahrlässig gehandelt haben, kommt es darauf an, a) ob sie nach gewissenhafter Prüfung zu einer b) auf vernünftige Erwägungen gestützten Entscheidung gekommen sind.
a)
Aus den beigezogenen Akten der Beklagten ergibt sich, daß aufgrund einer anonymen Anzeige vom 28.02.1983 ein Durchsuchungsbeschluß für den Betrieb der Kläger erwirkt wurde und die Durchsuchung durchgeführt wurde; es wurden Geschäftsunterlagen beschlagnahmt und ausgewertet. Es wurden etliche Zeugen vernommen, und zwar die von den Klägern eingesetzten Arbeitnehmern. Bei den Zeugenvernehmungen wurde insbesondere danach gefragt, ob die "Vormannfunktion" von Leuten der Kläger oder Mitarbeitern der Vertragspartner wahrgenommen wurde (vgl. Zeugen ... Vernehmungsniederschriften vom 12.04.1983; Zeugen ... und andere).
Wenn die Kläger der Beklagten vorwerfen, daß im wesentlichen ihre, der Kläger, Arbeitnehmer vernommen wurden und nicht Mitarbeiter der Vertragspartner (der ... und der ... so ist festzuhalten, daß auch das Sozialgericht Stade Wert auf diese Fragen gelegt hat und sich in seinem Urteil vom 11.05.1984 mit dieser Frage auseinandergesetzt hat. Auch das Landessozialgericht Niedersachsen hat in seinem Urteil vom 12.12.1985 darauf abgestellt, daß es im wesentlichen auf die tatsächliche Durchführung des Vertrages ankommt. Diese konnte aber am zutreffendesten von den tatsächlich eingesetzten Mitarbeitern bezeugt werden. Es ist den Kläger zuzugeben, daß die Bescheide vom 19.04.1983 bezüglich der durchgeführten Ermittlungen nicht sehr ergibig sind; darauf kommt es jedoch nicht entscheidend an, sondern darauf, ob die Ermittlungen tatsächlich gewissenhaft geführt worden sind. Diese Frage bejaht die Kammer.
b)
Wenn die Kläger den Mitarbeitern der Beklagten vorwerfen, daß sie keinerlei Ermittlungen in Richtung "Gewährleistungsfälle" getrieben hätten, so greift dies schon über zu der Frage, ob die Entscheidung der Beklagten auf vernünftige Erwägungen gestützt und demnach vertretbar war.
Aus den Entscheidungsgründen des Urteils des Bundessozialgerichts vom 11.02.1988 ergibt sich, daß für die Abgrenzung "Arbeitnehmerüberlassung" und "Werkvertrag" in erster Linie die tatsächliche Handhabung entscheidend ist und die Frage der Abwicklung von Gewährleistungsfällen ein zusätzlicher Gesichtspunkt der Prüfung ist. Diese Frage mußte sich den Mitarbeitern der Beklagten also nicht von vornherein aufdrängen.
Im übrigen ist die Kammer der Auffassung, daß die Mitarbeiter der Beklagten das Ergebnis ihrer Ermittlungen rechtlich vertretbar gewertet haben; die anderweitige Sicht der entscheidenden Frage durch das Sozialgericht, das Landessozialgericht und das Bundessozialgericht kann den Mitarbeitern der Beklagten nicht rückwirkend als Verschulden angelastet werden.
Es bestand für die Mitarbeiter der Beklagten auch deshalb Veranlassung für ihre Annahme, die Kläger betrieben Arbeitnehmerüberlassung, weil zum Beispiel der Werkvertrag mit der ... in gleicher Form abgeschlossen wurde wie in den Jahren zuvor, als den Klägern die Erlaubnis zur erwerbsmäßigen Arbeitnehmerüberlassung noch vorgelegen hatte.
III.
Da eine schuldhafte Amtspflichtverletzung nicht bejaht werden kann, kann es offenbleiben, ob die Kläger hätten versuchen müssen, den Schaden durch Einleitung eines Verfahrens zur Bewährung vorläufigen Rechtschutzes abzuwenden, § 839 Absatz 3 BGB. Die Kammer verhehlt jedoch nicht ihre Auffassung, daß die Kläger alles hätten versuchen müssen, um den Schaden so gering wie möglich zu halten; dazu hätte der Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtschutzes gehört, auch wenn für den vorliegenden Fall eine ausdrückliche gesetzliche Regelung nicht vorlag. Daß eine gewisse Erfolgsaussicht für einen derartigen Antrag zu bejahen gewesen wäre, ergibt sich schon daraus, daß das Sozialgericht Stade erst nach einer umfangreichen Beweisaufnahme in der Sache entschieden hat. Inwieweit dabei die Frage der Verletzung des rechtlichen Gehörs eine Rolle spielt, auf die die Kläger abstellen, kann hier ebenfalls unentschieden bleiben.
II.
Eine Haftung der Beklagten aus enteignungsgleichem Eingriff scheidet aus, da die Verfügungen vom 19.04.1983 nicht unmittelbar in den eingerichteten und ausgeübten Bewerbebetrieb der Kläger eingegriffen haben. "Die Substanz eines Gewerbebetriebes ist nur berührt, wenn in die den Betrieb darstellende Sach- und Rechtsgesamtheit als solche, in den Betrieb als wirtschaftlicher Organismus eingegriffen und damit das ungestörte Funktionieren dieses Organismus unterbunden oder beeinträchtigt, wenn mit anderen Worten der Eigentümer gehindert wird, von dem Bewerbebetrieb als der von ihm aufgebauten und aufrechterhaltenen Organisation sachlicher und persönlicher Mittel den bestimmungsgemäßen Gebrauch zu machen" (BGH NJW 67, 1857). Durch die Verfügungen vom 19.04.1983 ist den Klägern nicht ihre Tätigkeit schlechthin untersagt worden, sondern durch die Zwangsgeldandrohung für den Fall der Zuwiderhandlung ist das AüG ihnen gegenüber konkretisiert worden. Daß die ... und die ... in der Folge dieser Verfügungen nicht mehr mit ihnen zusammenarbeiten wollten, wie die Kläger behaupten - diese bestreitet die Beklagte - ist zwar als adäquat kausale Folge des Tätigwerdens der Beklagten anzusehen, nicht jedoch als unmittelbarer Eingriff in den Bewerbe trieb der Kläger.
Aus den vorgenannten Gründen kommt es nicht darauf an, ob und in welcher Höhe den Klägern durch die Verfügung der Beklagten Gewinn entgangen ist.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 709 ZPO.
Nagel
Schulz