Oberlandesgericht Celle
Beschl. v. 19.11.2020, Az.: 13 Verg 2/20

Kostenentscheidung nach Rücknahme des Nachprüfungsantrags vor der Vergabekammer

Bibliographie

Gericht
OLG Celle
Datum
19.11.2020
Aktenzeichen
13 Verg 2/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2020, 52665
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OLGCE:2020:1119.13VERG2.20.00

Verfahrensgang

vorgehend
VK Niedersachsen - AZ: VgK-18/2020

Amtlicher Leitsatz

Zu den Grundsätzen für die Kostenentscheidung nach Rücknahme des Nachprüfungsantrags vor der Vergabekammer (billiges Ermessen)

Redaktioneller Leitsatz

Bei einer Antragsrücknahme im Verfahren vor der Vergabekammer entspricht es grundsätzlich billigem Ermessen, dem Antragsteller, der sich durch die Rücknahme in die Rolle des Unterlegenen begeben hat, die Kosten aufzuerlegen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn die Antragsrücknahme deshalb erfolgt, weil der Antragsteller sein materielles Ziel erreicht hat, etwa weil der Auftraggeber seinem Begehren entsprochen hat (hier: verneint).

Tenor:

Die sofortige Beschwerde der Antragstellerin gegen den Kostenbeschluss der Vergabekammer Niedersachsen beim Niedersächsischen Ministerium für Wirtschaft, Arbeit, Verkehr und Digitalisierung, Lüneburg, vom 4. August 2020 wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin trägt die Antragstellerin.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf bis zu 10.000 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Antragstellerin wendet sich mit ihrer sofortigen Beschwerde gegen einen Kostenbeschluss der Vergabekammer Niedersachsen.

In dem von der Antragstellerin beantragten (Anlage BF 5, Bl. 86 ff. d.A.) Nachprüfungsverfahren hat - nach Stellungnahme der Antragsgegnerin (Bl. 127 ff. VergA) - die Vergabekammer mit Schreiben vom 16. Juli 2020 darauf hingewiesen, dass der Nachprüfungsantrag keine hinreichende Erfolgsaussicht habe und zur Vermeidung unnötiger Kosten eine Antragsrücknahme empfohlen (Anlage BF 7, Bl. 103 ff. d.A. = Bl. 325 ff. VergA). In den wesentlichen Fragen sei der Antrag wegen Rügepräklusion unzulässig und im Übrigen unbegründet.

Die Antragstellerin hat hierzu zunächst mit Schriftsatz vom 21. Juli 2020 - unter Aufrechterhaltung ihres Nachprüfungsantrags - Stellung genommen (Bl. 335 ff. VerGA). Sodann hat sie den Nachprüfungsantrag mit Schriftsatz vom 24. Juli 2020 zurückgenommen (Anlage BF 9, Bl. 107 f. d.A. = Bl. 371 f. VergA). Hierzu hat sie angeführt, die Rücknahme erfolge aus unternehmerischen Gründen ohne Anerkenntnis für die Sach- und Rechtslage.

Mit Kostenbeschluss vom 4. August 2020 hat die Vergabekammer ausgesprochen, dass der Antragstellerin die - auf 1.414,50 € festgesetzten - Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer zu tragen und der Antragstellerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Kosten zu erstatten hat (Anlage BF 1, Bl. 71 ff. d.A. = Bl. 381 ff. VergA). Weil die Antragstellerin im materiellen Sinne unterlegen gewesen sei, entspreche es billigem Ermessen gemäß § 182 Abs. 4 Satz 3 GWB, dass die Antragstellerin ihr die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Kosten zu tragen habe; hierzu zählten unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls auch die anwaltlichen Kosten der Beklagten.

Hiergegen wendet sich die Antragstellerin mit ihrer sofortigen Beschwerde. Sie meint, bei der Kostenentscheidung sei eine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten des zurückgenommenen Nachprüfungsantrags vorzunehmen. Danach entspreche die Kostenentscheidung nicht billigem Ermessen, weil der Nachprüfungsantrag erfolgreich gewesen, zumindest aber der Ausgang offen gewesen wäre. Die Rügen der Antragstellerin seien nicht präkludiert gewesen. Zudem sei zu berücksichtigen, dass die Antragsgegnerin sie durch eine nach ihrer eigenen Auffassung nicht erforderliche EU-weite Ausschreibung zu dem Nachprüfungsantrag verleitet habe.

Die Antragstellerin beantragt,

die Entscheidung der Vergabekammer Niedersachsen vom 4. August 2020

a) dahingehend abzuändern, dass die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer von der Antragstellerin zu tragen sind,

b) hilfsweise zu a) dahingehend abzuändern, dass die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer jeweils hälftig von der Antragstellerin und von der Antragsgegnerin zu tragen sind;

c) aufzuheben, soweit laut dortigem Tenor zu 3. die Antragstellerin der Antragsgegnerin die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Kosten zu erstatten hat.

Die Antragsgegnerin beantragt,

die sofortige Beschwerde zurückzuweisen.

Wegen des weiteren Vorbringens wird auf die Beschwerdeschrift und die -erwiderung Bezug genommen.

II.

Die gemäß § 171 Abs. 1, § 172 Abs. 1 - 3 GWB zulässige sofortige Beschwerde der Antragstellerin ist unbegründet.

Die angefochtene Kostenentscheidung der Vergabekammer ist nicht zu beanstanden.

1. Hat sich der Nachprüfungsantrag durch Antragsrücknahme oder anderweitig erledigt, erfolgt die Entscheidung darüber, wer die Kosten der Vergabekammer und die notwendigen Aufwendungen des Antragsgegners zu tragen hat, nach billigem Ermessen (§ 182 Abs. 3 Satz 5, Abs. 4 Satz 3 GWB).

Bei einer Antragsrücknahme entspricht es grundsätzlichen billigem Ermessen, dass der Antragsteller, der sich durch die Rücknahme in die Rolle des Unterlegenen begeben hat, die Kosten zu tragen hat (OLG München, Beschluss vom 8. März 2016 - Verg 1/16, Rn. 3, juris; Beck VergabeR/Krohn, 3. Aufl. 2017, GWB § 182 Rn. 29). Entgegen der Auffassung der Antragstellerin ist in diesem Fall grundsätzlich keine summarische Prüfung der Erfolgsaussichten des zurückgenommenen Nachprüfungsantrags geboten. Die von der Antragstellerin zitierten Entscheidungen betreffen übereinstimmende Erledigungserklärungen.

Abweichend von dem vorgenannten Grundsatz kann eine Kostentragung des Antragsgegners jedoch dann der Billigkeit entsprechen, wenn die Antragsrücknahme deshalb erfolgt, weil der Antragsteller sein materielles Ziel erreicht hat - etwa weil der Auftraggeber dem Begehren des Antragstellers entsprochen hat (MüKoEuWettbR/Reider, 2. Aufl. 2018, GWB § 182 Rn. 10).

2. Danach entspricht es im vorliegenden Fall der Billigkeit, der Antragstellerin die Kosten aufzuerlegen. Die Antragstellerin hat nach Erhalt der Hinweise der Vergabekammer ihren Nachprüfungsantrag zurückgenommen, obwohl sie ihr materielles Ziel nicht erreicht hat.

Den von der Antragstellerin gerügten Gesichtspunkten hat die Antragsgegnerin - jedenfalls ganz überwiegend - nicht abgeholfen (die unter verschiedenen Gesichtspunkten gerügte Preisabfrage für die Warenkörbe, das gerügte Verlangen einer Preisbindung sowie mehrere als zu unbestimmt gerügte Unterkriterien des Zuschlagskriteriums "Qualität"), sodass das Nachprüfungsverfahren insoweit materiell keinen Erfolg hatte.

Die auf das zweite Rügeschreiben der Antragstellerin vom 3. Juli 2020 (Anlage BF 4, Bl. 81 ff. d.A.) erfolgten Klarstellungen der Antragsgegnerin (Anlage BF 6, Bl. 102 ff. d.A.) führen nicht zu einer anderen Beurteilung. Die daraufhin von der Antragstellerin zu zwei Rügen erklärten Erledigungen (Bl. 335 VergA) betrafen lediglich Nebenaspekte. Es kann dahingestellt bleiben, ob insoweit überhaupt Unklarheiten bestanden. Denn jedenfalls waren die Klarstellungen nicht Anlass für die Antragsrücknahme der Antragstellerin. Vielmehr hatte die Antragstellerin ihren Nachprüfungsantrag zunächst noch ausdrücklich aufrechterhalten, bevor sie ihn - aus unternehmerischen Gründen - zurücknahm. Darüber hinaus ist im Rahmen der für die Kostenentscheidung vorzunehmenden Billigkeitsprüfung zu berücksichtigen, dass die Antragstellerin der Antragsgegnerin keine Gelegenheit zu entsprechenden Klarstellungen gegeben hatte, bevor sie den Nachprüfungsantrag vom 3. Juli 2020 stellte. Den Antrag hat sie bereits ca. eine halbe Stunde nach Erhebung der Rügen (Bl. 240 VergA) eingereicht. Die Antragsgegnerin hat die Klarstellungen sodann unverzüglich vorgenommen.

Auch die von der Antragstellerin zitierte Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Beschluss vom 25. Januar 2012 - X ZB 3/11, juris) führt zu keiner anderen Beurteilung. Dieser Beschluss betrifft einen anderen Sachverhalt. Dort hatte der Antragsgegner dem Nachprüfungsverfahren durch Aufhebung der Ausschreibung nachträglich die Grundlage entzogen (aaO, Rn. 13, juris), woraufhin das Nachprüfungsverfahren übereinstimmend für erledigt erklärt wurde. In diesem Fall muss sich nach Auffassung des Bundesgerichtshofs der Antragsgegner an dem durch eine EU-weite Ausschreibung gesetzten Rechtsschein festhalten lassen, so dass er sich nicht auf die Unanwendbarkeit des Vergaberechts - und die hieraus folgende Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrags - berufen kann. Hingegen hat im vorliegenden Fall nicht die Antragsgegnerin die Erledigung herbeigeführt, sondern sich die Antragstellerin eigenständig zur Rücknahme ihres Antrags entschieden. Zudem beruht die Kostenentscheidung ohnehin nicht auf der von der Antragsgegnerin eingewandten Unzulässigkeit des Nachprüfungsantrages, sondern auf dem fehlenden materiellen Erfolg des Nachprüfungsantrags.

III.

Eine mündliche Verhandlung ist nicht geboten, weil sich die sofortige Beschwerde lediglich gegen eine Kostenentscheidung richtet (vgl. Beck VergabeR/Vavra, 3. Aufl. 2017, GWB § 175 Rn. 10 m.w.N.).

IV.

Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus §§ 175, 78 GWB.

Der Streitwert des Beschwerdeverfahren bemisst sich gemäß § 3 ZPO analog nach den Kosten, die für das Verfahren vor der Vergabekammer insgesamt angefallen sind. Diese schätzt der Senat auf insgesamt bis zu 10.000 € (unter Berücksichtigung der durch die Vergabekammer festgesetzte Gebühren für das Vergabeverfahren in Höhe von 1.414,50 € sowie der angefallenen anwaltlichen Geschäftsgebühren).