Landgericht Hannover
Urt. v. 07.12.2000, Az.: 3 S 1238/00 71

Bibliographie

Gericht
LG Hannover
Datum
07.12.2000
Aktenzeichen
3 S 1238/00 71
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2000, 35347
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGHANNO:2000:1207.3S1238.00.71.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - AZ: 510 C 4031/00

In dem Rechtsstreit

wegen Schadensersatzes aus Beförderungsvertrag

hat die 3. Zivilkammer des Landgerichts Hannover auf die mündliche Verhandlung vom 16. November 2000 unter Mitwirkung des Vorsitzenden Richters am Landgericht ... sowie der Richterinnen am Landgericht ... und ... für Recht erkannt:

Tenor:

  1. Auf die Berufung des Klägers wird das am 9.6.2000 verkündete Urteil des Amtsgerichts Hannover - 510 C 4031/00 - geändert und unter Zurückweisung des weitergehenden Rechtsmittels wie folgt neu gefaßt:

    Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2.089,05 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 17.1.2000 zu zahlen.

    im übrigen wird die Klage abgewiesen.

    Von den Kosten des Rechtsstreits beider Instanzen trägt die Beklagte 95 %, der Kläger trägt 5%.

Tatbestand:

1

- Ohne Tatbestandes gemäß § 543 Abs. 1 ZPO -.

Entscheidungsgründe

2

Die Berufung ist zulässig und hat auch in der Sache zum weit überwiegenden Teil Erfolg. Dem Kläger steht gegen die Beklagte wegen des Verlustes seines Fahrrades und der Beschädigung seines Spiralschlosses ein Anspruch auf Schadensersatz in der ausgeurteilten Höhe aus § 25 EVO i. V. m. § 425 Abs. 1 HGB zu.

3

Mit dem Kauf der Fahrradkarte nebst Reservierungskarte bei der Beklagten durch den Kläger und dem bestimmungsgemäß durch den Kläger erfolgten Verladen des Fahrrades im Fahrradwagen des Interregio IR 2478 am 1.9.1999 haben die Parteien am genannten Tage einen Gepäckbeförderungsvertrag im Sinne von § 25 EVO abgeschlossen. Davon geht auch die Beklagte aus. Soweit hierzu in der mündlichen Verhandlung vom 16.11.2000 seitens des Prozeßbevollmächtigten der Beklagten angemerkt worden ist, dass es sich hier möglicherweise um einen anderen Vertragstypus handeln könnte, weil das Gepäckstück nicht, wie sonst üblich, von dem Kläger bei Mitarbeitern der Beklagten zur Beförderung als Reisegepäck aufgegeben und von Mitarbeitern der Beklagten verladen worden ist, sondern weil der Kläger (bestimmungsgemäß) das Fahrrad bei Fahrtantritt selbst in den Fahrradwagen bzw. das -abteil eingeladen hat, vermag die Kammer dem nicht zu folgen. Der Beförderungsvertrag ist dadurch gekennzeichnet, dass der Transportunternehmer ein Transportergebnis in Form der Beförderung von einem Ort zum anderen verspricht. Die Verladung des Transportgutes durch den Transportunternehmer selbst ist keine zwingende Voraussetzung hierfür. Diese Frage ist aber letztlich ohnehin ohne Belang, weil die hier einschlägige Vorschrift des § 25 EVO (in den hierzu ergangenen Zusatzbestimmungen ist der Transport von Fahrrädern in Fahrradwagen bzw. Fahrradabteilungen ausdrücklich geregelt) u.a. für die Frage der Haftung der Beklagten auf die §§ 425 - 430 HGB verweist.

4

Gemäß § 425 Abs. 1 HGB haftet die Beklagte als Frachtführer für den Schaden, der dem Kläger durch den Verlust seines Mountainbikes der Firma Scott und die Beschädigung seines Spiralschlosses der Marke ABUS im Zuge der Beförderung dieser Gegenstände von Offenburg nach Hannover (d.h. während der Zeit, während der sich die Gegenstände in der Obhut der Beklagten befanden) entstanden ist. Entgegen der Auffassung des Amtsgerichts ist die Haftung der Beklagten nicht nach § 426 HGB ausgeschlossen. Nach dieser Vorschrift ist der Frachtführer von der Haftung befreit, soweit der Verlust oder die Beschädigung auf Umständen beruht, die der Frachtführer auch bei größter Sorgfalt nicht vermeiden und deren Folgen er nicht abwenden konnte. Bei der Vorschrift handelt es sich wie bei § 7 StVG um eine verschuldensunabhängige Haftung. In Anlehnung an § 7 Abs. 2 StVG ist die Unvermeidbarkeit und Unabwendbarkeit des Schadens anhand des Maßstabes eines "idealen" Frachtführers zu bestimmen, der eine über den gewöhnlichen Durchschnitt erheblich hinausgehende Aufmerksamkeit, Geschicklichkeit und Umsicht sowie ein geistesgegenwärtiges und sachgemäßes Handeln im Rahmen des Menschenmöglichen an den Tag legt. Der ideale Frachtführer berücksichtigt Erkenntnisse, die nach allgemeiner Erfahrung geeignet sind, Gefahrensituationen nach Möglichkeit zu vermeiden. Zwar ist die Frage nach der "äußersten" oder "größten" Sorgfalt nicht absolut zu sehen, vielmehr ist auf die Zumutbarkeit und Verhältnismäßigkeit in der konkreten Situation abzustellen. Gleichwohl sind vom Frachtführer über die normalen Sorgfaltsvorkehrungen im Sinne der §§ 276 BGB, 347 HGB hinausgehende Schadensverhütungsanstrengungen zu verlangen. Lediglich gänzlich untragbare und damit unzumutbare Schutzmaßnahmen können nicht gefordert werden, wobei bei der gebotenen Prüfung die Vergütung, die dem Frachtführer gewährt wird, grundsätzlich nicht ins Gewicht fällt. Denn es ist Sache des Frachtführers, dafür zu sorgen, dass er angesichts der gesetzlichen Rahmenbedingungen Gewinn erzielt. Die Beweislast für die Unabwendbarkeit der Umstände obliegt dem Frachtführer.

5

In Anbetracht der vorstehend genannten strengen Voraussetzungen für einen Haftungsausschluß nach § 426 HGB hat die Beklagte nicht nachgewiesen, dass der Verlust des Fahrrades und die Beschädigung des Spiralschlosses hier auf Umständen beruhten, die sie auch bei größter Sorgfalt nicht vermeiden konnte. Aus dem insoweit übereinstimmenden Vortrag der Parteien geht vielmehr hervor, dass die Beklagte sich letztlich darauf beschränkt hat, den Reisenden in den Fahrradwagen bzw. -abteilen Halterung zur Verfügung zu stellen, an der sie ihr Fahrrad mittels eines Schlosses anschließen können. Eigene Sicherungsmaßnahmen hat sie dagegen nicht ergriffen. Angesichts dessen, dass allgemein bekannt ist, dass ein Fahrradschloß (auch besserer Qualität und Stabilität) innerhalb kürzester Zeit "geknackt" werden kann, ist dies zu wenig. Ob die Beklagte verpflichtet wäre, eine (oder mehrere) der von dem Kläger vorgeschlagenen Sicherungsvorkehrungen zu treffen, kann hier dahingestellt bleiben. Die Auswahl der Schutzmaßnahmen ist in erster Linie Sache der Beklagten. Das bloße Ermöglichen des Anschließens der Fahrräder durch die Reisenden ist aber in jedem Fall nicht ausreichend, um den hohen Sorgfaltsanforderungen des § 426 HGB zu genügen. Die Beklagte hat hier praktisch nicht mehr getan als zur Zeit verstärkt von den Städten und Gemeinden getan wird, die "Fahrradhalter" zur Verfügung stellen, damit Radfahrer (insbesondere in der Innenstadt) ihr Fahrrad zur Sicherung irgendwo anschließen können. Zwar haftet die Stadt (bzw. die Gemeinde) im Falle des Verlustes eines so gesicherten Fahrrades nicht, weil sich hier das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht und die Stadt auch keine besonderen Obhutspflichten für die an den Fahrradhaltern angeschlossenen Fahrräder übernommen hat. Anders ist es jedoch im vorliegenden Fall, auch wenn hier nicht der Normalfall des Beförderungsvertrages bezüglich Reisegepäck vorliegt, bei dem das Reisgepäck Mitarbeitern der Bahn zur Beförderung in einem geschlossenen Gepäckwagen ausgehändigt wird. Gleichwohl treffen die Bahn mit dem Abschluß des Beförderungsvertrages besondere Schutz- und Obhutspflichten, die sie auch wahrnehmen muß. Ob dies allgemein üblich ist, vom Verkehr erwartet wird und/oder im "normalen" Verkehr praktiziert wird, ist in dem Zusammenhang unerheblich. Entscheidend ist, dass das Gesetz von dem Frachtführer mit der "äußersten" Sorgfalt eine über den Standard der "verkehrserforderlichen" und insbesondere der "verkehrsüblichen" hinausgehende Sorgfalt fordert, die ihre Grenze (erst) in der äußersten wirtschaftlichen Zumutbarkeit der vom Frachtführer zu fordernden Maßnahmen findet. Dass es für sie im vorgenannten Sinne wirtschaftlich unzumutbar wäre, etwa beim Halt der Züge eine Ausgabekontrolle durchzuführen, hat die Beklagte nicht ausreichend substantiiert dargelegt, zumal nach dem unbestritten gebliebenen Vortrag des Klägers und auch der Kenntnis des Gerichts der Transport von Fahrrädern mit der Bahn keinen derartigen Umfang hat, dass hierfür zusätzliches Personal eingestellt werden müßte. Zu anderen Schutzmaßnahmen hat sich die Beklagte überhaupt nicht geäußert. Wenn die Auffassung der Beklagten zutreffend wäre, so würde die Haftungsregelung des § 425 HGB bei der Beförderung von Fahrrädern praktisch immer leerlaufen. Angesichts der strengen Anforderungen ah einen Haftungsausschluß kann dies aber nicht sein. Der Beklagten bliebe zudem, um ihre eigenen Kosten möglichst gering zu halten, die Möglichkeit, sich gegen derartige Schadensfälle zu versichern.

6

Ein haftungsminderndes Mitschulden des Klägers an dem Diebstahl seines Fahrrades liegt nicht vor. Mit dem Sichern seines Fahrrades mittels eines Spiralschlosses und dem Befestigen der ihm ausgehändigten numerierten Gepäckbanderole am Rahmen des Rades hat der Kläger alles gemacht, was ihm möglich war, um einen Diebstahl des Fahrrades zu verhindern. Ein Aufenthalt im Fahrradwagen selbst "zur Bewachung seines Fahrrades" war ihm während der Fahrt nicht möglich, da dies nicht erlaubt ist. Weitere Sicherungsmittel standen ihm nicht zur Verfügung.

7

Die Haftung ist gemäß § 31 EVO auf einen Betrag von 2.500,00 DM je Gepäckstück begrenzt; dieser Betrag ist hier unzweifelhaft nicht erreicht. Gemäß § 25 EVO i. V. m. § 429 HGB hat die Beklagte Wertersatz zu leisten. Dieser bestimmt sich bezüglich des Fahrrades der Höhe nach dem gewöhnlichen Verkaufswert, der für ein vergleichbares Rad erzielt werden könnte. In Anbetracht dessen, dass es sich bei dem entwendeten Mountainbike zwar um ein gebrauchtes Fahrrad gehandelt hat, der Kläger dieses jedoch erst ca. 3 1/2 Monate vor dem Entwendungszeitraum als neu erworben hat und es sich angesichts des Kaufpreises um ein qualitativ hochwertiges Fahrrad gehandelt hat, schätzt die Kammer den Marktpreis auf 2.023,50 DM (95 % des Kaufpreises). Bezüglich des Fahrradschlosses beläuft sich der zu ersetzende Betrag auf 65,55 DM (= 95 % des Anschaffungspreises). Dies beruht darauf, dass das zerschnittene Schloß, welches im Fahrradwagen verblieben war, praktisch keinen Wert mehr hat.

8

Zinsen in Höhe der geforderten 4 % kann der Kläger erst ab dem 17.1.2000 verlangen, §§ 284, 286, 288 BGB, da ein früherer Verzugseintritt nicht dargetan ist. Zwar ist eine Mahnung entbehrlich, wenn für die Leistung durch Gesetz oder Rechtsgeschäft eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist. Dieser Fall liegt hier jedoch nicht vor. Die Leistungszeit ergibt sich zum einen nicht aus dem Gesetz, Für eine Bestimmung der Leistungszeit durch Rechtsgeschäft ist eine vertragliche Vereinbarung erforderlich, eine einseitige Bestimmung durch den Gläubiger (hier durch das Schreiben vom 13.10.1999 mit Fristsetzung bis zum 24.10.1999) genügt dagegen nicht.

9

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 ZPO.