Landgericht Lüneburg
Urt. v. 01.12.2020, Az.: 21 KLs/5103 Js 23169/20 (19/20)

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
01.12.2020
Aktenzeichen
21 KLs/5103 Js 23169/20 (19/20)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2020, 72440
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

In der Strafsache
gegen
K.S.,
Staatsangehörigkeit: deutsch,
Verteidiger: Rechtsanwalt Dr. L.
wegen Verunglimpfung des Staates
hat das Landgericht Lüneburg - 1. Große Strafkammer - in der öffentlichen Sitzung vom 01.12.2020, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Landgericht Dr. H.
als Vorsitzender
Richterin am Landgericht F.
Richter am Landgericht M.
als beisitzende Richter
Frau E.
Herr J.
als Schöffen
Staatsanwalt H.
als Beamter der Staatsanwaltschaft
Rechtsanwalt Dr. L.
als Verteidiger
Justizsekretärin G.
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Angeklagte wird wegen Beihilfe zur schweren Verunglimpfung des Staates in Tateinheit mit öffentlicher Aufforderung zu Straftaten in 2 Fällen zu einer

Gesamtfreiheitsstrafe von 6 Monaten

verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wird.

Die sichergestellten Flugblätter "Merkel muss weg" und das sichergestellte Mobiltelefon Huawei werden eingezogen.

Der Angeklagte trägt die Kosten des Verfahrens.

Gründe

(abgekürzt gem. § 267 Abs. 4 StPO)

I.

Der 75 Jahre alte Angeklagte ist Garten- und Landschaftsarchitekt (Dipl. ing. hort). Er ist unbestraft.

II.

Der Angeklagte hat von seinem Schweigerecht Gebrauch gemacht. Aufgrund der aus dem Hauptverhandlungsprotokoll ersichtlichen Beweismittel hat die Kammer folgende Feststellungen getroffen:

lm Mai 2020 verfasste der anderweitig Verfolgte B.S. an einem unbekannten Ort ein Flugblatt mit dem Titel: "Merkel muss weg! - Es lebe der Kaiser! - Die Konterrevolution: Der Weg zur Freiheit" und verbreitete dieses anschließend.

In dem Flugblatt sprach der anderweitig Verfolgte B.S. der Bundesrepublik Deutschland und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung jegliches Existenzrecht ab, stellte die Bundesrepublik Deutschland in bewusst feindlicher Gesinnung als einen seine Bürger gänzlich entrechtenden Unrechtsstaat hin, forderte - dies mit den Mitteln eines Militärputsches - die Beseitigung der Bundesrepublik Deutschland als Staat mit ihrer verfassungsmäßigen Ordnung in Form einer parlamentarischen Demokratie und deren Ersetzung durch eine im Kleid der Reichsverfassung von 1871 wieder zu errichtenden Monarchie. Mit diesem Postulat aber verstieß der anderweitig Verfolgte B.S. gegen die - unabänderlichen (Artikel 79 Abs. 3 GG) - Verfassungsgrundsätze des Demokratieprinzips gemäß Artikel 20 Abs. 1 GG in Form der Verantwortlichkeit der Regierung gegenüber der Volksvertretung sowie der Volkssouveränität gemäß Artikel 20 Abs. 2 S. 1 GG. Darüber hinaus forderte er die Leser seines Flugblatts dazu auf, sich öffentlich und in Versammlungen ihrerseits im Sinne seines Flugblatts zu äußern, mithin die Bundesrepublik Deutschland und ihre verfassungsmäßige Ordnung zu beschimpfen sowie darauf hinzuarbeiten, die genannten Verfassungsgrundsätze außer Geltung zu setzen.

Schließlich formulierte er im Zusammenhang mit der Wiedererrichtung der Reichsverfassung von 1871 als Ziel seines Plans: "Es gelten die Reichsgesetze: Von der BRD ausgestellte Aufenthaltsbewilligungen und "Einbürgerungen" sind ungültig.

Der Angeklagte, der der sog. "Reichsbürgerbewegung" zuzuordnen ist, unterstützte dieses als verfassungsfeindliche Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole und öffentliche Aufforderung zu Straftaten, nämlich der verfassungsfeindlichen Verunglimpfung des Staates und seiner Symbole, strafbare Vorhaben dadurch, dass er

1.

am Mittwoch, den 03.06.2020, das genannte Flugblatt des gesondert verfolgten B.S., welches ihm als pdf-Dokument von einem A.M. zugeleitet worden war, in Kenntnis und Billigung seines strafbaren lnhaltes und um die damit verfolgten Bestrebungen seinerseits zu fördern, mit Hilfe seines Smartphones Huawei als - ausdrücklich so gekennzeichnete - "Druckvorlage" zum Download und zur weiteren Verbreitung zum einen in die Telegram- Chatgruppe "Nachrichten" mit - neben ihm und dem anderweitig verfolgten A.M. - noch 22 weiteren Mitgliedern einstellte und zum anderen an neun Personen (eine davon auch Mitglied der Chatgruppe "Nachrichten") im Einzelchat übersandte und so, ohne die weitere Verwendung der "Druckvorlage" dann noch kontrollieren zu können, verbreitete,

2.

eine Vielzahl von gedruckten Stücken dieses Flugblatts - wiederum in Kenntnis und Billigung seines strafbaren lnhaltes und um die damit verfolgten Bestrebungen zu fördern - am Samstag, den 06.06.2020, in der Zeit zwischen ca. 18: 30 Uhr und 19: 20 Uhr im Kundenraum der Volksbank in R., O. Straße, S., deponierte und darüber hinaus mindestens an Wohnhäusern in der O. Straße verteilte, um die Botschaft des Flugblatts weiteren Bevölkerungsteilen mit einer, wie ihm bewusst war, für ihn selbst nicht mehr überschaubaren Außenwirkung zu verbreiten.

III.

Der Angeklagte ist der Beihilfe zur schweren Verunglimpfung des Staates in Tateinheit mit öffentlicher Aufforderung zu Straftaten in 2 Fällen gem. §§ 90a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 i.V.m. 92 Abs. 3 Nr. 3, Abs. 2 Nr. 1, Nr. 4, 111 Abs. 1, Abs. 2 S. 1, 27, 52, 53 StGB schuldig.

Hierbei ist sich die Kammer der für die freiheitlich-demokratische Grundordnung konstituierenden Bedeutung der von Art. 5 Abs. 1 GG geschützten Meinungsfreiheit bewusst.

Die im Flugblatt propagierte Forderung nach der Wiedererrichtung der Reichsverfassung von 1871 und damit der Abschaffung der parlamentarischen Demokratie im Sinne des Grundgesetzes dokumentiert, dass die Bundesrepublik Deutschland und ihre verfassungsmäßige Ordnung über eine bloße Ablehnung und Kritik hinaus im Ergebnis in hasserfüllt-kämpferischer Weise als Unrechtstaat dargestellt und als der Achtung ihrer Bürger unwert hingestellt - und damit im Gesetzessinne beschimpft - wird. Diese Deutung fügt sich nahtlos in die im Flugblatt vorgeschlagenen Lösung der "Konterrevolution" ein, deren Sinnhaftigkeit sich nur erschließt, wenn sie sich gerade auf das gesamte derzeitige System bezieht. Vor diesem Hintergrund stellt auch die Bezeichnung "Merkel-Diktatur", von der die Deutschen sich nach Darstellung des Flugblattes im Wege einer Konterrevolution befreien sollen, keine Kritik mehr an der amtierenden Bundeskanzlerin dar, sondern steht ebenfalls stellvertretend für die gesamte Bundesrepublik in ihrer gegenwärtigen Verfassung. Die Bezeichnung eben dieser verfassungsmäßigen Ordnung als "Diktatur", die Gleichsetzung der Bundesrepublik Deutschland mit der DDR, der Umstand, dass der Autor des Flugblatts der Bundesrepublik jede Staatlichkeit ("Die BRD ist, wie die DDR, kein deutscher Staat, sondern ein völkerrechtswidriges Konstrukt...") und in der Gesamtschau mit der zugleich erhobenen Forderung nach einer "Konterrevolution" und Ersetzung der gegenwärtigen Ordnung durch eine Monarchie das Existenzrecht abspricht, lässt nur den Schluss zu, dass die Bundesrepublik Deutschland als Unrechtsstaat hingestellt werden soll. Explizit wird dies unterstrichen mit der Ausführung, die Bundesrepublik sei ein "Feindstaat der Deutschen" und entrechte ihre Bürger. Das gesamte Flugblatt geht hierbei inhaltlich über eine bloße - von Artikel 5 Abs. 1 GG gedeckte - Kritik und Ablehnung der Bundesrepublik Deutschland und ihrer verfassungsmäßigen Ordnung hinaus. Der Autor des Flugblatts bringt seine Verachtung gegenüber die auf dem Grundsatz der Volkssouveränität gründende parlamentarische Demokratie zum Ausdruck und stellt diese Ordnung auch als in den Augen ihrer Bürger gänzlich unwert dar durch die Forderung, die angestrebte "Konterrevolution" in Form eines Militärputsches, jedenfalls mit militärischer Gewalt, zu verwirklichen; denn nach der Vorstellung des Verfassers des Flugblattes sollen "die Alliierten SHAEF-Truppen auf Anweisung von Präsident Trump und in Zusammenarbeit mit der Bundeswehr die BRD-Regierung und die Parteien auflösen und vorübergehend die Kontrolle im Land übernehmen."

Die verfassungsrechtlich gebotene Abwägung zwischen der Schwere der Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit durch eine Verurteilung einerseits und dem Grad der Beeinträchtigung des von § 90 a StGB geschützten Rechtsguts durch die Äußerung andererseits (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 29. Juli 1998 - 1 BvR 287/93) fällt angesichts der Intensität der Angriffe auf die freiheitlich-demokratische Grundordnung zu Lasten des Angeklagten aus.

Mit der Forderung: "Gehen Sie auf die Straße! damit dieser Plan umgesetzt werden kann!"fordert der Verfasser des Flugblatts die Leser des Flugblatts seinerseits im Sinne des § 111 Abs.1 StGB dazu auf, öffentlich bzw. in Versammlungen auf die Verwirklichung des von ihm vorgestellten Plans mit den darin enthaltenen bzw. den diesem zu Grunde liegenden Wertungen öffentlichkeitswirksam hinzuwirken und insofern ihrerseits die Bundesrepublik Deutschland und ihre verfassungsmäßige Ordnung zu beschimpfen. Da nicht feststellbar war, dass die Aufforderung zum Erfolg geführt hat, war § 111 Abs. 2 StGB anzuwenden.

Beide Tatbestände, zu denen der Angeklagte jeweils - durch das Versenden bei Telegram (Tat 1.) bzw. durch das Verteilen des Flugblatts (Tat 2.) - Beihilfe geleistet hat, stehen in Tateinheit, § 52 StGB. Diese Taten stehen wiederum in Tatmehrheit, § 53 StGB.

Entgegen der Anklage war der Angeklagte nicht zudem wegen jeweils tateinheitlich verwirklichter Volksverhetzung gem. §130 Abs. 2 Nr. 1 c StGB zu verurteilen. Hinsichtlich der Formulierungen im Flugblatt im Zusammenhang mit Ausländern war im Rahmen der verfassungsrechtlich gebotenen Auslegung und Deutung aus Sicht der Kammer (auch unter Berücksichtigung der angeblichen "volkszerstörerischen Migrationspolitik" und der Behauptung "Von der BRD ausgestellte Aufenthaltsbewilligungen und "Einbürgerungen" sind ungültig") kein unter jedem denkbaren Gesichtspunkt die Menschenwürde von Menschen mit Migrationshintergrund angreifender Inhalt im Sinne des Volksverhetzungstatbestandes festzustellen, insbesondere sind die Ausführungen jedenfalls nicht zwingend dahingehend zu verstehen, dass sämtlichen Ausländern eine Bleiberecht abgesprochen werden solle.

IV.

Die Kammer hat auf die aus dem Tenor ersichtliche Gesamtstrafe erkannt.

Hinsichtlich der Tat zu 1. hat die Kammer auf eine Einzelstrafe von 4 Monaten, hinsichtlich der Tat zu 2. von 3 Monaten erkannt.

Die Verhängung kurzer (Einzel-)Freiheitsstrafen war im Sinne von § 47 StGB unerlässlich. Denn sie war zwingend erforderlich, um auf den Angeklagten einzuwirken. Der Angeklagte hat durch sein Verhalten in der Hauptverhandlung (Aushändigung von Pamphleten mit Reichsbürgerhintergrund, Platznehmen nicht auf dem Sitz des Angeklagten, sondern im Zuschauerraum, Nichterscheinen am Fortsetzungstermin, Stehenbleiben während der Hauptverhandlung trotz Aufforderung des Vorsitzenden, sich zu setzen) erkennen lassen, dass er in keiner Weise gewillt ist, den Staat - hier in Form der Justiz - zu akzeptieren.

Die Verhängung einer (kurzen) Freiheitsstrafe war aber auch zur Verteidigung der Rechtsordnung unerlässlich. Angesichts der in der Öffentlichkeit zunehmend präsenten "Reichsbürgerbewegung" war aus Sicht der Kammer die Verhängung der schärfsten Sanktion in Form einer Freiheitsstrafe erforderlich, um zu dokumentieren, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung wehrhaft Bestrebungen entgegentritt, die ihre Abschaffung mit strafrechtlich relevanten Verhaltensweisen vorantreiben will.

Da es sich um die erste Verurteilung des Angeklagten überhaupt handelt, konnte die Gesamtstrafe zur Bewährung ausgesetzt werden, da zu erwarten ist, dass der Angeklagte sich schon die Verurteilung zur Warnung dienen lassen und künftig auch ohne die Einwirkung des Strafvollzugs keine Straftaten mehr begehen wird, weshalb auch - anders als im Rahmen von § 47 StGB - die Verteidigung der Rechtsordnung eine Vollstreckung nicht zwingend gebietet.

V.

Die sichergestellten Flugblätter und das Mobiltelefon Huawei waren gem. § 74 StGB als Tatmittel einzuziehen.

VI.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 467 StPO.