Oberlandesgericht Braunschweig
Beschl. v. 04.09.1995, Az.: Ws 157/95
Vorläufiger Entzug der Fahrerlaubnis wegen eines Verdachts der Trunkenheit im Straßenverkehr; Auslegung einer Beschwerde gegen den Entzug einer Fahrerlaubnis; Möglichkeit der Durchführung eines beschleunigten Verfahrens bei Statthaftigkeit einer Beschwerde
Bibliographie
- Gericht
- OLG Braunschweig
- Datum
- 04.09.1995
- Aktenzeichen
- Ws 157/95
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 1995, 17682
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OLGBS:1995:0904.WS157.95.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG Braunschweig - 10.08.1995 - AZ: 38 Qs 67/95
Rechtsgrundlage
- § 111a Abs. 2 StPO
Fundstellen
- DAR 1995, 498 (Volltext mit red. LS)
- NZV 1996, 122 (Volltext mit red. LS)
- zfs 1995, 473-474 (Volltext mit red. LS u. Anm.)
Verfahrensgegenstand
Verdacht der Trunkenheit im Straßenverkehr
In dem Ermittlungsverfahren
hat der 1. Strafsenat des Oberlandesgerichts ...
am 04. September 1995
beschlossen:
Tenor:
Auf die Beschwerde des Beschuldigten wird der Beschluß des Landgerichts ... vom 10. August 1995 aufgehoben.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sowie die dem Beschuldigten insoweit entstandenen notwendigen Auslagen fallen der Landeskasse zur Last.
Gründe
Durch Beschluß vom 14.06.1995 hat das Amtsgericht ... dem Beschuldigten gem. § 111 a StPO vorläufig die Fahrerlaubnis entzogen. Hiergegen wandte sich der Beschuldigte durch Schriftsatz seiner Verteidiger vom 02.08.1995, mit welchem die Aufhebung der vorläufigen Entziehung der Fahrerlaubnis beantragt wurde; in der Begründung dieses an das Amtsgericht gerichteten Schriftsatzes heißt es, daß eine Beschwerde gegen den amtsgerichtlichen Beschluß vom 14.06.1995 nicht in Betracht komme, aus Sicht des Beschuldigten vielmehr ein selbständiger Aufhebungsantrag gem. § 111 a Abs. 2 StPO sinnvoller erscheine. Das Amtsgericht ... hat diesen Schriftsatz als Beschwerde gegen seinen Beschluß vom 14.06.1995 angesehen und der Beschwerde durch Beschluß vom 04.08.1995 nicht abgeholfen. Das Landgericht ... hat den Schriftsatz vom 02.08.1995 ebenfalls als Beschwerde betrachtet und diese durch Beschluß vom 10.08.1995 als unbegründet verworfen. Der hiergegen gerichteten Beschwerde des Beschuldigten vom 17.08.1995 hat es nicht abgeholfen (Beschluß vom 21.08.1995). Gegen den letztgenannten Beschluß hat der Beschuldigte sich mit Schriftsatz vom 24.08.1995 beschwert; er hat geltend gemacht, das Landgericht habe nun schon zweimal als unzuständiges Gericht entschieden, anstatt die Akten sogleich auf die Beschwerde vom 17.08.1995 hin dem Oberlandesgericht zuzuleiten.
Das Rechtsmittel vom 17.08.1995 ist statthaft, zulässig und begründet. Dem Schriftsatz vom 24.08.1995 kommt keine selbständige Bedeutung als Rechtsmittel zu, da er der Sache nach lediglich die Argumentation aus der Beschwerde vom 17.08.1995 verstärkt, wonach der Schriftsatz vom 02.08.1995 keine Beschwerde dargestellt habe und das Landgericht somit überhaupt nicht zu einer Entscheidung aufgerufen gewesen sei.
Die Beschwerde vom 17.08.1995 ist nicht nach § 310 Abs. 2 StPO unstatthaft. Nach dieser Vorschrift ist eine weitere Anfechtung ausgeschlossen, wenn die angefochtene Entscheidung ihrerseits auf eine Beschwerde hin ergangen ist. Diese Voraussetzung liegt hier jedoch nicht vor. Das Landgericht hat mit dem Beschluß vom 10.08.1995 ohne Vorliegen eines an ihn gerichteten Antrags eine Erstentscheidung und keine Beschwerdeentscheidung getroffen, so daß das gegen diesen Beschluß gerichtete Rechtsmittel seinerseits eine Erstbeschwerde ist.
Der Antrag aus dem Schriftsatz vom 02.08.1995 ist nicht als Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts ... vom 14.06.1995 über die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis des Beschuldigten anzusehen, über welchen das Landgericht gem. §§ 304 ff StPO zu entscheiden gehabt hätte. Als Beschwerde gilt eine Erklärung eines Verfahrensbeteiligten zwar nicht erst dann, wenn sie subjektiv als Beschwerde gemeint war, sondern bereits dann, wenn sie aufgrund einer vertretbaren Auslegung für das Gericht als Beschwerde erscheinen kann (vgl. Gollwitzer in Löwe - Rosenberg, StPO, 24. Aufl., § 310 Rdnr. 6; OLG Köln MDR 1980, 600 [OLG Köln 17.12.1979 - 2 Ws 870/79]). Der Schriftsatz des Beschuldigten vom 02.08.1995 kann jedoch bei umfassender Würdigung nicht als Beschwerde ausgelegt werden. Der Antrag zu Ziff. 1 des Schriftsatzes, nach welchem die vorläufige Entziehung der Fahrerlaubnis aufgehoben und der Führerschein herausgegeben werden sollte, ist zwar ambivalent und kann bei isolierter Betrachtung sowohl als an das Amtsgericht gerichteter Aufhebungsantrag als auch als Beschwerdeantrag erscheinen, über den das Landgericht als Beschwerdegericht zu entscheiden hätte. In der Begründung des Antrags wird jedoch bereits am Anfang klargestellt, daß eine Beschwerde nicht gemeint sei, sondern ausschließlich ein selbständiger Aufhebungsantrag gem. § 111 a Abs. 2 StPO. Über diesen klaren Wortlaut der Antragsbegründung durften Amtsgericht und Landgericht sich nicht hinwegsetzen. Das Landgericht stützt seine Auslegung des Schriftsatzes vom 02.08.1995 auf den Gesichtspunkt, daß der Beschuldigte unbedingt die Aufhebung des Beschlusses vom 14.06.1995 begehrt habe, welchen das Amtsgericht durch seinen Nichtabhilfebeschluß vom 04.08.1995 aber aufrecht erhalten habe; dieser Gesichtspunkt greift nicht durch, da der Beschuldigte dieses Ziel ebensogut mit einem Antrag nach § 111 a Abs. 2 StPO erreichen konnte, den er auch gestellt, welchen das Amtsgericht aber im Wege eines Nichtabhilfebeschlusses behandelt, also nicht in seinem wahren Gehalt erfaßt und auch nicht sachlich beschieden hat.
Der Senat vermag auch nicht der Auslegung des Schriftsatzes vom 02.08.1995 durch die Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 28.08.1995 zu folgen, wonach der Beschuldigte eine bedingte Beschwerde für den Fall erhoben haben soll, daß das Amtsgericht dem Antrag auf umgehende Aufhebung des Ursprungsbeschlusses vom 14.06.1995 gem. § 111 a Abs. 2 StPO nicht stattgeben sollte. Eine solche vorsorgliche Rechtsmitteleinlegung ist der Antragsschrift vom 02.08.1995 nicht zu entnehmen. Für den Fall, daß dem Antrag nach § 111 a Abs. 2 StPO nicht stattgegeben werden sollte, weist der Beschuldigte nämlich nicht auf seine Beschwerdemöglichkeit, sondern lediglich auf die Möglichkeit des beschleunigten Verfahrens nach den §§ 417 ff. StPO hin. Die Frage, ob hier ein Ausnahmefall vorliegt, in welchem die Einlegung eines bedingten Rechtsmittels zulässig ist, kann deshalb dahingestellt bleiben.
Da der Beschuldigte mithin keine Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsgerichts ... vom 14.06.1995 eingelegt hatte, ist der angefochtene Beschluß des Landgerichts ohne prozessualen Anlaß ergangen und war deshalb aufzuheben (vgl. OLG Saarbrücken VRS Bd. 27, S. 453 ff). Der vorangegangene Nichtabhilfebeschluß des Amtsgerichts ... vom 04.08.1995 ist mangels vorangegangener Rechtsmitteleinlegung gegenstandslos. Der Aufhebungsantrag vom 02.08.1995 ist noch nicht sachlich gem. § 111 a Abs. 2 StPO beschieden, was der Ermittlungsrichter, oder im Falle der Anklageerhebung der zuständige Strafrichter (vgl. Kleinknecht/Meyer-Goßner, StPO, 42. Aufl., § 111 a Rdnr. 7) nachzuholen hat.
Die Kostenentscheidung folgt aus entsprechender Anwendung des § 467 StPO.