Finanzgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.09.2011, Az.: 10 K 143/10

Zurechnung der Einkünfte aus Erbbauzinsen bei unwiderruflicher "Abtretung aller Einkünfte aus dem Grundstück für die Dauer des Fortbestehens einer Ehe" an den Nichteigentümerehegatten

Bibliographie

Gericht
FG Niedersachsen
Datum
01.09.2011
Aktenzeichen
10 K 143/10
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 28172
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:FGNI:2011:0901.10K143.10.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BFH - 19.02.2013 - AZ: IX R 31/11

Redaktioneller Leitsatz

1.

Hat der Eigentümer eines mit einem Erbbaurecht belasteten Grundstücks das Eigentum an diesem Grundstück auf einen anderen übertragen und wird der Erbbauzins jedoch weiter an den ursprünglichen Eigentümer gezahlt, ohne dass dies ausdrücklich schuldrechtlich vereinbart wurde, werden dem neuen Eigentümer des Grundstücks die Zahlungen des Erbbauzinses an den ursprünglichen Eigentümer als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung zugerechnet.

2.

Die Überlassung des Geldes an den ursprünglichen Eigentümer ist bloße Einkommensverwendung.

3.

Nach der in § 9 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG geregelten Auslegungsregel handelt es sich bei Vereinbarung eines Entgelts in wiederkehrenden Leistungen mangels besonderer gegenteiliger Anhaltspunkte um die Begründung eines dinglichen Erbbauzinses. Ein schuldrechtlicher Erbbauzins muss deshalb ausdrücklich (allein oder zusätzlich zum dinglichen Erbbauzins) vereinbart sein (v. Oefele in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch § 9 ErbbauRG Rn. 8).

Zur Zurechnung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus Erbbauzinsen bei unwiderruflicher "Abtretung aller Einkünfte aus dem Grundstück für die Dauer des Fortbestehens einer Ehe" an den Nichteigentümerehegatten

Tatbestand

1

Streitig ist, ob die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus einem mit einem Erbbaurecht belasteten Grundstück dem Kläger oder der Klägerin zuzurechnen sind.

2

Die Kläger sind Eheleute, der Kläger ist beihilfeberechtigter Bundesbeamter im Ruhestand und erhält Versorgungsbezüge.

3

Der Kläger war Eigentümer des Grundstücks ... Str. in W..., an dem mit not. Vertrag vom 24.10.1961 ein Erbbaurecht für die Fa. K-GmbH., die das Grundstück nachfolgend bebaute, mit einer Laufzeit von 99 Jahren eingeräumt worden war; außerdem waren Erbbauzinsen vereinbart, die bei ihm als Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung versteuert wurden. Im Zuge einer geplanten Übertragung des Grundstücks auf die Klägerin trat diese am 08.10.1969 privatschriftlich "alle Einkünfte, die im Laufe ihrer Ehezeit aus diesem Grundstück erzielt werden" an den Kläger unwiderruflich ab. Der Kläger nahm die Abtretung an.

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Mit not. Vertrag vom 15.10.1969 übertrug der Kläger sodann das Grundstück unentgeltlich auf die Klägerin.

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Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der genannten Verträge verwiesen.

6

Der Kläger erklärte in der Folgezeit bis einschließlich 2008 Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung aus diesem Grundstück, die der Beklagte (das beklagte Finanzamt - FA -) bis einschließlich 2001 erklärungsgemäß als Einkünfte des Klägers erfasste; seit dem Veranlagungszeitraum 2002 setzte das FA diese Einkünfte jedoch bei der Klägerin an, so auch im streitigen Einkommensteuerbescheid 2008 vom 19.11.2009.

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Hiergegen legten die Kläger Einspruch ein mit dem Antrag, die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung dem Kläger zuzurechnen.

8

Dieser habe nämlich ein dingliches Nutzungsrecht an den Erbbauzinsen erlangt, indem die Erträge an ihn auf die Dauer der Ehe abgetreten seien. Nicht maßgebend sei, wem das Grundstück zivilrechtlich oder wirtschaftlich nach § 39 AO zuzurechnen sei. Die Erträge flössen wie bisher dem Kläger zu, der dem Erbbaurechtsberechtigten wie bisher als Vertragspartner gegenübertrete. Die wirtschaftlichen Chancen und Risiken lägen beim Kläger; so habe sich der Erbbauzins von ursprünglich rd. 8.500 EUR fast verzehnfacht.

9

Das FA wies den Einspruch als unbegründet zurück. Der Kläger habe kein Nutzungsrecht erlangt. Als lediglich verfügendes Rechtsgeschäft sei die Abtretung nicht geeignet, ein solches zu begründen. Die Abtretung beschränke sich auf die Weiterleitung der durch die Klägerin bezogenen Einkünfte, hierdurch werde die Einkunftsquelle nicht übertragen.

10

Mit der hiergegen erhobenen Klage verfolgen die Kläger weiterhin das Ziel, die Einkünfte aus dem auf die Klägerin übertragenen Grundstück dem Kläger zuzurechnen.

11

Eine Beschwer ergebe sich daraus, dass sich dann ein geringfügig höherer Altersentlastungsbetrag ergebe und außerdem hiervon der Beihilfeanspruch für Krankheitskosten der Klägerin abhänge.

12

Für die Frage, wer Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt, komme es primär auf das Außenverhältnis an, d.h. darauf, (1) in wessen Namen das Nutzungsentgelt gefordert bzw. gezahlt werde und nicht darauf, wem das Wirtschaftsgut als solches zivilrechtlich oder wirtschaftlich zugerechnet werde und (2) wer das Vermieterrisiko trage, also für wessen Rechnung das Entgelt gezahlt werde. Unbedeutend sei, ob der Anspruch auf die Grundstückserträge auf sachenrechtlicher oder schuldrechtlicher Grundlage beruhe. Mit der Regelung habe die Ehefrau für den Scheidungsfall abgesichert werden sollen.

13

Hätten die Kläger seinerzeit ein schuldrechtliches Nutzungsrecht vereinbart, wären die Einkünfte unzweifelhaft dem Kläger zuzurechnen. Nichts anderes müsse im hier gewählten Fall der Abtretung gelten; denn hier habe der Kläger sogar eine stärkere Position als ein obligatorisch Nutzungsberechtigter, weil er das Nutzungsentgelt unmittelbar vom Erbbauberechtigten einfordern könne.

14

Die Kläger beantragen,

die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung statt der Klägerin dem Kläger zuzuordnen und die Einkommensteuer entsprechend herabzusetzen.

15

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

16

Er hält an seiner Auffassung fest.

Entscheidungsgründe

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I.

Die Klage ist zulässig.

18

Grundsätzlich besteht für die Zuordnung von Einkünften bei Eheleuten, die zusammen veranlagt werden, zwar keine Beschwer und ist eine Klage mit dem Klageziel einer abweichenden Zuordnung daher unzulässig. Im Streitfall führt die begehrte Zuordnung indes zu einer geringfügig niedrigeren festzusetzenden Einkommensteuer, weil sich der Altersentlastungsbetrag nach § 24 a EStG in diesem Fall für den Kläger auf den Höchstbetrag von 1.900 EUR errechnet (für die Klägerin 0 EUR) gegenüber Altersentlastungsbeträgen für beide von zusammen 1.881 EUR (Kläger: 133 EUR; Klägerin: 1.748 EUR), was zu einer Steuerminderung von 4 EUR führt.

19

Darüber hinaus ist eine Beschwer ausnahmsweise gegeben, wenn die Zuordnung von Besteuerungsgrundlagen zwar ohne Einfluss auf die Höhe der Steuer ist, jedoch der Regelungsgehalt des Steuerbescheids ausnahmsweise über die bloße Steuerfestsetzung hinausreicht, indem er auf einem anderen Rechtsgebiet als verbindliche Entscheidungs-grundlage dient (z.B. BFH-Urteil vom 20.12.1994 IX R 124/92, BStBl II 1995, 628 m.w.N.). Dies ist vorliegend der Fall, weil nach § 44 Abs. 1 Bundesbeihilfeverordnung (BBV) Ehegatten nur berücksichtigungsfähig sind, wenn der Gesamtbetrag ihrer Einkünfte (§ 2 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes) oder vergleichbarer ausländischer Einkünfte im zweiten Kalenderjahr vor der Beantragung der Beihilfe 17.000 EUR nicht übersteigt. Nach § 4 Abs. 1 Satz 3 BBV ist der Gesamtbetrag der Einkünfte durch Vorlage einer Ablichtung des Steuerbescheides nachzuweisen. Da der Klägerin den Grenzbetrag von 17.000 EUR übersteigende Einkünfte zugerechnet worden sind, ist der Beihilfeanspruch des Klägers für seine Ehefrau unmittelbar berührt.

20

II.

Die Klage ist aber unbegründet.

21

1.

Nach ständiger Rechtsprechung gehört der Erbbauzins zu den Einkünften aus Vermietung und Verpachtung gemäߧ 21 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG (z.B. BFH-Urteil vom 20.09.2006 IX R 17/04, BStBl II 2007, 112). Denn die Vorschrift erfasst nicht nur Einkünfte aus Miet- und Pachtverträgen im bürgerlich-rechtlichen Sinne, sondern darüber hinaus alle Einkünfte aus der zeitlich begrenzten entgeltlichen Überlassung unbeweglichen Vermögens zum Gebrauch oder zur Nutzung. Entscheidend ist insoweit nicht die Bezeichnung durch die Vertragsparteien, sondern der wirtschaftliche Gehalt des jeweiligen Vertrags. Da das Erbbaurecht für den Berechtigten ein vererbliches und veräußerliches dingliches Recht begründet, auf oder unter der Oberfläche des Grundstücks ein Bauwerk zu haben (§ 1 ErbbauV), stellt der Erbbauzins ein Entgelt für die Einräumung eines zeitlich begrenzten dinglichen Nutzungsrechts am Grund und Boden dar. Es handelt sich um ein befristetes Nutzungsverhältnis, das während der Laufzeit des Erbbaurechts auf den fortdauernden Austausch von Leistungen gerichtet ist.

22

2.

Die Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung erzielt damit grundsätzlich derjenige, der in Ausübung seiner Rechte entgeltlich die Nutzung des Grundstücks an einen anderen überlässt. Das ist beim Erbbaurecht zwangsläufig zunächst einmal der Eigentümer des Grundstücks, denn nur dieser kann ein Erbbaurecht als dingliche Last zugunsten des Erbbauberechtigten bestellen. Geschieht dieses - wie regelmäßig - entgeltlich, erfüllt der Eigentümer den Tatbestand der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung. Dies ist vorliegend, nachdem das Grundstück vom Kläger auf die Klägerin übertragen worden ist, die Klägerin.

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3.

Allerdings verwirklicht den objektiven Tatbestand der Einkunftsart Vermietung und Verpachtung auch derjenige, der die rechtliche und tatsächliche Macht hat, eines der in § 21 Abs. 1 EStG genannten Wirtschaftsgüter anderen entgeltlich auf Zeit zur Nutzung zu überlassen und Träger der Rechte und Pflichten aus einem Miet- oder Pachtvertrag ist (zum dinglichen Nutzungsrecht z.B. BFH-Urteile vom 31.10.1989 IX R 216/84, BStBl II 1992 und vom 15.04.1986 IX R 52/83, BStBl II 1986, 605; zum obligatorischen Nutzungsrecht z.B. BFH-Urteil vom 26.04.2006 IX R 22/04, BFH/NV 2006, 2046 m.w.N.). Dies setzt jedoch zwingend voraus, dass der Nutzungsberechtigte auch in die Vermieterstellung einrückt, was beim dinglichen Nutzungsrecht regelmäßig kraft Gesetzes erfolgt (§§ 566, 567, 578 Abs. 1, 581 Abs. 2 BGB), beim obligatorischen Nutzungsrecht erfordert, dass der schuldrechtlich zur Nutzung Berechtigte rechtsgeschäftlich den Miet-/Pachtvertrag übernimmt, so dass eine Vereinbarung unter Zustimmung des Mieters/Pächters erforderlich ist. Es reicht nicht aus, wenn der Mieter/Pächter die Miete/Pacht lediglich auf ein Konto des Nutzungsberechtigten überweist (BFH-Urteil vom 26.04.2006 IX R 22/04, BFH/NV 2006, 2046 m.w.N.). Bei einem vorbehaltenen Nutzungsrecht, bei dem der Nutzungsberechtigte wie bisher die Früchte des Grundstücks zieht, sich nach außen nichts, sondern lediglich die Rechtsgrundlage ändert, ist zumindest erforderlich, dass der Nutzungsberechtigte weiterhin "Vermieter bzw. Verpächter", nunmehr allerdings aufgrund einer anderen Rechtsgrundlage (nicht mehr als Eigentümer, sondern als Nutzungsberechtigter) ist.

24

a)

Dies ist bei einem Erbbaurecht indes schon gar nicht möglich. Denn der Erbbauzins ist ein Entgelt für die Einräumung eines zeitlich begrenzten dinglichen Nutzungsrechts am Grund und Boden. Dieses dingliche Nutzungsrecht kann nur der Eigentümer des Grundstücks einräumen, es kann mithin nicht aufgrund eines obligatorischen oder dinglichen Nutzungsrechts von einem Nutzungsberechtigten gewährt werden, d.h. ein Nutzungsberechtigter kann bei einem Erbbaurecht nicht in die "Vermieterstellung" eintreten. Diese Form einer Nutzungsüberlassung kann grundsätzlich nur der Eigentümer gewähren.

25

b)

Dies wird auch an der Regelung des § 9 Abs. 2 ErbbauRG deutlich, wonach der -dingliche - Anspruch des Grundstückseigentümers auf Entrichtung des Erbbauzinses in Ansehung noch nicht fälliger Leistungen nicht von dem Eigentum an dem Grundstück getrennt werden kann. Das Stammrecht einschließlich des Rechts auf die noch nicht fälligen Einzelleistungen ist Bestandteil des Grundeigentums und daher nicht sonderrechtsfähig, also nicht selbständig übertragbar, verpfändbar und pfändbar (Münchner Kommentar § 9 ErbbauRG Rn. 7). Aus diesem Grunde ist die Abtretung der - künftigen - Erträge aus dem Grundstück durch die Vereinbarung vom 08.10.1969 gar nicht wirksam geworden.

26

c)

Auch wenn man der - fehlgeschlagenen - Abtretung in Verbindung mit der jahrzehntelangen Durchführung eine stillschweigende Nutzungsrechtsvereinbarung entnehmen wollte, die aufgrund der zeitlichen Abfolge der Verträge als vorbehaltenes Nutzungsrecht zu beurteilen wäre, könnte eine solche nicht dazu führen, dass der Kläger den Tatbestand der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung erfüllte. Denn es ist zwar möglich, einen Erbbauzins schuldrechtlich alleine oder zusätzlich zum dinglichen Erbbauzins zu vereinbaren (Palandt/Bassenge, § 9 ErbbauRG Rn.1; v. Oefele in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch § 9 ErbbauRG Rn. 8), der dann auch Gegenstand einer Nutzungsvereinbarung sein könnte. Doch fehlt es vorliegend an entsprechenden schuldrechtlichen Vereinbarungen über den Erbbauzins. Denn § 9 Abs. 1 Satz 1 ErbbauRG enthält wiederum eine Auslegungsregel, dass bei Vereinbarung eines Entgelts in wiederkehrenden Leistungen es sich mangels besonderer gegenteiliger Anhaltspunkte um die Begründung eines dinglichen Erbbauzinses handelt. Ein schuldrechtlicher Erbbauzins muss deshalb ausdrücklich (allein oder zusätzlich zum dinglichen Erbbauzins) vereinbart sein (v. Oefele in Münchener Kommentar zum Bürgerlichen Gesetzbuch § 9 ErbbauRG Rn. 8). Anhaltspunkte hierfür bestehen nach den vorliegenden Unterlagen nicht, so dass davon auszugehen ist, dass lediglich ein dinglicher Erbbauzins vereinbart ist, der aber, wie oben ausgeführt ist, nicht Gegenstand eines Nutzungsrechts sein kann, weil nach § 9 Abs. 2 ErbbauRG noch nicht fällige Erbbauzinsen eben nicht vom Eigentum getrennt werden können.

27

4.

Soweit der Erbbauzins weiterhin entsprechend dem Willen der Kläger an den Kläger gezahlt worden ist, hat der Erbbauberechtigte damit seine dingliche Verpflichtung gegenüber der Klägerin und Eigentümerin des Grundstücks erfüllt und diese damit den Tatbestand der Erzielung von Einkünften aus Vermietung und Verpachtung erfüllt. Die Überlassung des Geldes an den Kläger ist bloße Einkommensverwendung.

28

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 Finanzgerichtsordnung (FGO).

29

Die Revision war wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zuzulassen.