Verwaltungsgericht Osnabrück
Urt. v. 25.10.2018, Az.: 2 A 47/17

geschlossene Abdeckung; Güllehochbehälter; Nachrüstung; nachträgliche Anordnung; Runderlass; Stand der Technik

Bibliographie

Gericht
VG Osnabrück
Datum
25.10.2018
Aktenzeichen
2 A 47/17
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2018, 74312
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Eine nachträgliche Anordnung gemäß § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG zur Nachrüstung eines Güllehochbehälters mit einer Abdeckung, die einen durchschnittlichen Emissionsminderungsgrad von 90% zu erreichen imstande ist, geht über die sich aus Nr. 5.4.7.1 lit. h) TA Luft 2002 ergebende Vorsorgepflicht hinaus.

Tatbestand:

Der Kläger wendet sich gegen einen immissionsschutzrechtlichen Bescheid des Beklagten, mit dem ihm die Abdeckung eines zu seinem Tiermastbetrieb gehörenden Güllehochbehälters aufgegeben wurde.

Der Kläger ist Landwirt und betreibt auf seiner Hofstelle unter der Anschrift A-Straße, A-Stadt (Flurstück 7/1, Flur F., Gemarkung G.) vornehmlich Schweinemast. Die durch immissionsschutzrechtlichen Bescheid vom 28.11.2002 genehmigte Gesamtkapazität des Betriebs von 24 Rinderplätzen, 147 Sauenplätzen (einschließlich der dazugehörigen Ferkel), 14 Jungsauenplätzen sowie 1.080 Mastschweineplätzen wurde zuletzt durch Genehmigungsbescheid vom 15.01.2013 um zusätzliche 194 NT-Sauenplätze, 1248 Ferkelplätze sowie 720 Mastschweineplätze erweitert. Zu dem Betrieb des Klägers gehört auch ein Güllehochbehälter zur Lagerung von Schweinegülle mit einem Fassungsvermögen von 1.734 m³, dessen Errichtung und Betrieb durch den Bescheid vom 28.11.2002 genehmigt wurde. Der Genehmigungsbescheid vom 15.01.2013 enthält unter Ziff. 7 eine Nebenbestimmung, die anordnet, dass der Güllehochbehälter mit einer geschlossenen Dauerschwimmdecke zu versehen ist.

Nachdem der Beklagte den Güllehochbehälter am 02.03.2016 überprüft hatte, erklärte er mit Anhörungsschreiben vom 04.03.2016, dass er auf der Grundlage des § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG beabsichtige, dem Kläger aufzugeben, den Güllehochbehälter mit einer geschlossenen Abdeckung zu versehen. Die wegen Ziff. 4 des Runderlasses des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz (MU) vom 03.04.2014 (Nds. MBl. Nr. 15/2014 S. 315: „Anforderungen an Anlagen zur Lagerung von Schweine- und Mischgülle“) vorgenommene Überprüfung des Güllehochbehälters habe ergeben, dass dieser über keine dem gegenwärtigen Stand der Technik entsprechende Abdeckung verfüge. Dementsprechend sei gemäß Ziff. 3 des Runderlasses die Nachrüstung mit einer geschlossenen Abdeckung, einem geschlossenen Zeltdach oder einer geschlossenen Kunststoffabdeckung zu fordern.

Hierauf reagierte der Kläger mit Schriftsatz vom 16.03.2016 und erklärte, er sei nicht bereit, den Güllehochbehälter mit einer geschlossenen Abdeckung zu versehen. Aus der TA Luft gehe hervor, dass auch andere Maßnahmen zur Emissionsminderung zulässig seien. Mit einer Strohhäckselschicht könne man einen Emissionsminderungsgrad von mindestens 80% sicherstellen. Dies sei wesentlich kostengünstiger.

Mit Bescheid vom 31.05.2016 gab der Beklagte dem Kläger auf, den Güllehochbehälter bis zum 01.06.2017 mit einer geschlossenen Abdeckung (z. B. einem Zeltdach oder einer Kunststoffabdeckung) zu versehen. Zur Begründung führte er aus, die nachträgliche Anordnung beruhe auf § 17 Abs. 1 BImSchG, der die dynamischen Grundpflichten des § 5 BImSchG konkretisiere. Zu der in § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG geregelten Vorsorgepflicht gehöre auch, dass die betroffene Anlage dem Stand der Technik im Sinne des § 3 Abs. 6 BImSchG i. V. m. der dazugehörigen Anlage entspreche. Der Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz (MU) vom 03.04.2014, unter den der Güllehochbehälter des Klägers falle, regele ausführlich, was heutzutage als Stand der Technik anzusehen sei. Mit einer geschlossenen Abdeckung ließen sich Emissionsminderungsgrade von mehr als 90% mit verhältnismäßigem Aufwand erreichen. Davon gehe auch die TA Luft in Nr. 5.4.7.1 lit. h) aus. An den Runderlass sei er gebunden gewesen, weil es sich bei diesem um eine ermessenslenkende Verwaltungsvorschrift handele, die den durch § 17 BImSchG eröffneten Ermessensspielraum einschränke. Um einen am Gleichheits- und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten Gesetzesvollzug zu gewährleisten, sei es sachgerecht, die Anwendung des § 17 BImSchG über Verwaltungsvorschriften zu lenken. Der vom Kläger vorgetragene Einwand, die TA Luft enthalte wesentlich kostengünstigere Abdeckungsmöglichkeiten, sei nicht geeignet gewesen, ausnahmsweise vom Erlass einer nachträglichen Anordnung abzusehen.

Mit Schriftsatz vom 15.06.2016 erhob der Kläger Widerspruch gegen die nachträgliche Anordnung, den er durch Schriftsatz vom 15.08.2016 begründete. In diesem führte er aus, der Beklagte habe übersehen, dass sich der Stand der Technik für Anlagen im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes nach den Vorschriften der TA Luft bestimme, die als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift für die Verwaltung und die Gerichte bindend sei. Den Verfassern der TA Luft seien die unterschiedlichen Abdeckmöglichkeiten für Güllehochbehälter bereits im Jahr 2002 bekannt gewesen. Der in Nr. 5.4.7.1 lit. h) der TA Luft genannte Emissionsminderungsgrad von nur 80% sei bewusst festgeschrieben worden. Die strengen Voraussetzungen für das Überwinden der Bindungswirkung der TA Luft lägen nicht vor.

Den Widerspruch des Klägers wies der Beklagte durch Widerspruchsbescheid vom 18.05.2017 zurück. Zur Begründung bezog er sich auf seine Ausführungen aus dem Bescheid vom 31.05.2016 und ergänzte diese wie folgt: Es sei zwar richtig, dass es sich bei der TA Luft um eine normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift handele, die eine Bindungswirkung entfalte. Die Bindungswirkung entfalle jedoch, wenn es neue Erkenntnisse in Wissenschaft und Technik gebe. Gesicherte Erkenntnisfortschritte könnten den Einschätzungen, Bewertungen und Prognosen, die der Konkretisierung des Standes der Technik in der TA Luft zugrunde lägen, den Boden entziehen. Tendenziell nehme die Bindungswirkung von normkonkretisierenden Verwaltungsvorschriften mit ihrem Alter ab, weil die in ihnen enthaltenen sachverständigen Aussagen häufig durch neuere Erkenntnisse überholt würden. Dies gelte auch im vorliegenden Fall, zumal die Novelle der TA Luft (Stand: 09. September 2016) voraussichtlich einen Emissionsminderungsgrad von 90% zur Minderung geruchsintensiver Stoffe durch Ausführung einer geschlossenen Abdeckung von Güllelagerstätten fordern werde.

Hiergegen hat der Kläger am 16.06.2017 Klage erhoben. Er ist der Ansicht, die Voraussetzungen für den Erlass einer nachträglichen Anordnung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG lägen nicht vor. Die Pflicht zur Nachrüstung des Güllebehälters ergebe sich nicht aus der Schutzpflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG, weil keine hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts erkennbar sei. Eine Pflicht zur Nachrüstung des Güllehochbehälters lasse sich auch nicht aus der Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG herleiten, weil dies über die von ihm zu erfüllenden Betreiberpflichten hinausgehe. Es sei unzulässig, dass der Beklagte von den in der TA Luft 2002 niedergelegten Standards abrücke. Dass die Einschätzungen, Bewertungen und Prognosen durch gesicherte Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt seien, habe der Beklagte nicht dargelegt. Zur Erreichung des vom Beklagten beabsichtigten Ziels sehe die TA Luft mildere Maßnahmen vor. Gemäß der VDI-Richtlinie 3894 Blatt 1 aus 2011 über Emissionen und Immissionen aus Tierhaltungsanlagen könne bei Schweinegülle das von der TA Luft geforderte Mindestmaß an Emissionsminderung von 80% mit einer Strohhäckselauflage im Umfang von 5 kg/m² bzw. einer Höhe von 10 cm erreicht werden. Durch den Runderlass werde eine solche Strohhäckselauflage nicht mehr zugelassen. Die Schaffung neuer umweltrechtlicher Standards sei nicht die Aufgabe von Verwaltungsbehörden.

Der Kläger beantragt,

den Bescheid des Beklagten vom 31.05.2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 18.05.2017 aufzuheben.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist er auf ein Urteil der Kammer vom 10.11.2016 (Az.: 2 A 443/14, juris Rn. 56) und meint, die dort aufgezeigten Grundsätze zum Wegfall der Bindungswirkung der TA Luft seien auf den vorliegenden Fall vollumfänglich übertragbar.

Wegen des weiteren Vortrags der Beteiligten wird auf deren Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen wird auf die Gerichtsakten sowie die beigezogenen Verwaltungsvorgänge Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Anfechtungsklage ist zulässig und begründet. Der Bescheid des Beklagten vom 31.05.2016 und der Widerspruchsbescheid vom 18.05.2017 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in seinen Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Kläger ist nicht verpflichtet, seinen Güllehochbehälter mit einer geschlossenen Abdeckung zu versehen.

I.

Rechtsgrundlage für den Erlass einer nachträglichen Anordnung ist § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG. Danach können zur Erfüllung der sich aus dem Bundes-Immissionsschutzgesetz und der aufgrund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergebenden Pflichten nach Erteilung der Genehmigung sowie nach einer nach § 15 Abs. 1 BImSchG angezeigten Änderung Anordnungen getroffen werden.

Eine nachträgliche Anordnung im Sinne des § 17 Abs. 1 BImSchG kann seinem Schutzzweck nach sowohl bei unveränderter als auch bei veränderter Sach- und Rechtslage ergehen. Sie ist nicht etwa deshalb ausgeschlossen, weil die Anlage durch eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung gedeckt ist. Denn eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung stellt nur fest, dass die Anlage mit den zum Zeitpunkt der Genehmigungserteilung geltenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften vereinbar ist. Im Immissionsschutzrecht gibt es keinen Grundsatz, dass eine dem Anlagenbetreiber eingeräumte Rechtsposition trotz Rechtsänderungen zu belassen ist. Diese Anpassungspflicht ergibt sich aus der dynamischen Natur der Betreiberpflichten nach § 5 BImSchG (BVerwG, Urteil vom 30.04.2009 – 7 C 14/08 –, juris, Rn. 22 f.). Insofern kommt es für den Erlass einer nachträglichen Anordnung nach § 17 Abs. 1 BImSchG allein darauf an, dass eine Situation vorliegt, in der die Erfüllung der immissionsschutzrechtlichen Pflichten ohne die entsprechende Anordnung nicht gewährleistet erscheint (Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 09.12.2016 – 8 A 2691/15 –, juris Rn. 26).

II.

Diese Voraussetzungen für den Erlass einer nachträglichen Anordnung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG liegen hier nicht vor. Eine Pflicht des Klägers, seinen Güllehochbehälter nachzurüsten, ergibt sich weder aus der immissionsschutzrechtlichen Schutzpflicht gemäß § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG (dazu 1.) noch aus der immissionsschutzrechtlichen Vorsorgepflicht nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG (dazu 2.).

1.

Die in § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG geregelte Schutzpflicht ist vorliegend keine Grundlage für die angeordnete Nachrüstung. Danach sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und erhebliche Belästigungen für die Allgemeinheit nicht hervorgerufen werden können. Als Instrument der Gefahrenabwehr greift die Vorschrift nur dann ein, wenn die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts besteht. Sie dient der Abwehr anerkannter Gefahren und der Vorbeugung gegenüber künftigen Schäden, die durch solche Gefahren hervorgerufen werden können (BVerwG, Urteil vom 11.12.2003 – 7 C 19.02 –, juris Rn. 12).

Die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines konkreten Schadenseintritts hat der Beklagte weder aufgezeigt noch ist sie in sonstiger Weise ersichtlich. Der Beklagte hat die nachträgliche Anordnung nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BImSchG von vornherein nicht wegen eines konkret drohenden Schadenseintritts, sondern allein zur Durchsetzung eines von ihm angenommenen neuen Stands der Technik zur Vorsorge im Sinne von § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG erlassen.

2.

Die Pflicht des Klägers, den Güllehochbehälter mit einer geschlossenen Abdeckung zu versehen, folgt auch nicht aus der immissionsschutzrechtlichen Vorsorgepflicht des § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG. Nach dieser Vorschrift sind genehmigungsbedürftige Anlagen so zu errichten und zu betreiben, dass zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen und sonstige Gefahren, erhebliche Nachteile und Belästigungen getroffen wird, insbesondere durch die dem Stand der Technik entsprechende Maßnahmen. Im Gegensatz zum Schutzgebot nach § 5 Abs. 1 Nr. 1 BImSchG dient die Vorsorge nicht dem Schutz vor konkret bzw. belegbar schädlichen Umwelteinwirkungen, sondern soll dem Entstehen von Umwelteinwirkungen generell vorbeugen (BT-Drs. 7/1513, S. 2). Die Vorsorgepflicht erfasst mithin mögliche Schäden, die sich deshalb nicht ausschließen lassen, weil nach dem derzeitigen Wissensstand bestimmte Ursachenzusammenhänge weder bejaht noch verneint werden können, also noch keine Gefahr, sondern lediglich ein Gefahrenverdacht oder ein Besorgnispotential besteht. Bestehen hinreichende Gründe für die Annahme, dass Immissionen zu schädlichen Umwelteinwirkungen führen, ist es Aufgabe der Vorsorge, solche Risiken zu minimieren (BVerwG, Urteil vom 11.12.2003, a. a. O.).

Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt. Die Forderung des Beklagten steht mit der sich aus Nr. 5.4.7.1 lit. h) der TA Luft 2002 ergebenden Vorsorgepflicht des Klägers nicht in Einklang (dazu a.). Der Beklagte durfte auch nicht ausnahmsweise von den Vorgaben der TA Luft abweichen. Dass die in der TA Luft 2002 verbindlich niedergelegten Standards durch Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt sind, ist nicht erkennbar (dazu b.). Die Nachrüstung des Güllehochbehälters durfte auch nicht als über den Stand der Technik hinausgehende Vorsorgemaßnahme angeordnet werden (dazu c.). Im Einzelnen:

a.)

Stand der Technik im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes ist gemäß § 3 Abs. 6 Satz 1 BImSchG der Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen oder Betriebsweisen, der die praktische Eignung einer Maßnahme zur Begrenzung von Emissionen in Luft, Wasser und Boden, zur Gewährleistung der Anlagensicherheit, zur Gewährleistung einer umweltverträglichen Abfallentsorgung oder sonst zur Vermeidung oder Verminderung von Auswirkungen auf die Umwelt zur Erreichung eines allgemein hohen Schutzniveaus für die Umwelt insgesamt gesichert erscheinen lässt. Es handelt sich um einen (gerichtlich voll überprüfbaren) unbestimmten Rechtsbegriff (vgl. Jarass, BImSchG-Kommentar, 12. Auflage 2017, § 3 Rn. 117), bei dessen Auslegung gemäß § 3 Abs. 6 Satz 2 BImSchG die in der Anlage zu § 3 Abs. 6 BImSchG aufgeführten Kriterien zu berücksichtigen sind. Gemäß § 3 Abs. 6 Satz 2 BImSchG i. V. m. der Anlage zu § 3 Abs. 6 BImSchG sind bei der Bestimmung des Standes der Technik die Verhältnismäßigkeit zwischen Aufwand und Nutzen möglicher Maßnahmen und der Grundsatz der Vorsorge und der Vorbeugung zu berücksichtigen. Die Anlage listet mehrere Kriterien zur Bestimmung des Standes der Technik auf. Dazu gehören insbesondere vergleichbare Verfahren, Vorrichtungen und Betriebsmethoden, die mit Erfolg im Betrieb erprobt wurden (Nr. 4), Fortschritte in der Technologie und in den wissenschaftlichen Erkenntnissen (Nr. 5) sowie Art, Auswirkungen und Menge der jeweiligen Emissionen (Nr. 6). Der Stand der Technik ist ein genereller Maßstab, für den die Umstände des jeweiligen Einzelfalls grundsätzlich keine Rolle spielen, sodass es auf die wirtschaftliche Lage des betroffenen Betreibers ebenso wenig ankommt wie auf die örtlichen Gegebenheiten in der Nachbarschaft seiner Anlage (vgl. hierzu: BVerwG, Urteil vom 23.07.2015 – 7 C 10/13 –, juris Rn. 18; Jarass, BImSchG-Kommentar, 12. Auflage 2017, § 3 Rn. 118).

Da es sich bei dem Güllehochbehälter um eine bauliche Anlage zur Lagerung von Flüssigmist außerhalb eines Stalles handelt, der dem Halten bzw. der Aufzucht von Nutztieren dient, wird der Stand der Technik im Sinne des Bundes-Immissionsschutzgesetzes zudem durch Nr. 5.4.7.1 lit. h) der TA Luft 2002 konkretisiert. Als normkonkretisierende Verwaltungsvorschrift, die auf der Grundlage des § 48 BImSchG nach Anhörung der beteiligten Kreise erlassen wurde, enthält die TA Luft 2002 grundsätzlich verbindliche Regelungen, Festlegungen und Vorgaben für die mit Genehmigungen, nachträglichen Anordnungen und Ermittlungsanordnungen befassten Verwaltungsbehörden. Nach Nr. 1 Satz 2 lit. d) der TA Luft 2002 sind deren Vorschriften bei der Entscheidung über nachträgliche Anordnungen nach § 17 Abs. 1 BImSchG zu beachten. Zugleich konkretisiert sie unbestimmte Rechtsbegriffe des Gesetzes durch generelle, dem gleichmäßigen Gesetzesvollzug dienende Standards, die entsprechend der Art ihres Zustandekommens in hohem Maße wissenschaftlich-technischen Sachverstand und allgemeine Folgenbewertungen verkörpern. Derartige Standards sind auch die Emissionswerte, die angeben, welche von Anlagen ausgehenden Luftverunreinigungen nach dem Stand der Technik vermeidbar sind, dementsprechend als Grundlage für Emissionsbegrenzungen nach dem Stand der Technik dienen und im Rahmen des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit das Maß der gesetzlich gebotenen Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen konkretisieren (vgl. § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG). Mit dieser Funktion sind die in der TA Luft 2002 vorgegebenen Emissionswerte auch im gerichtlichen Verfahren beachtlich (BVerwG, Beschluss vom 21.03.1996 – 7 B 165/95 –, juris Rn. 9 m. w. N.).

Nach Nr. 5.1.1 Satz 1 der TA Luft 2002 enthalten die danach folgenden Vorschriften unter anderem Emissionswerte, deren Überschreiten nach dem Stand der Technik vermeidbar ist, emissionsbegrenzende Anforderungen, die dem Stand der Technik entsprechen, sowie sonstige Anforderungen zur Vorsorge gegen schädliche Umwelteinwirkungen durch Luftverunreinigungen. Dazu gehört auch Nr. 5.4.7.1 lit. h) der TA Luft 2002, wonach die Lagerung von Flüssigmist außerhalb des Stalles in geschlossenen Behältern erfolgen soll oder gleichwertige Maßnahmen zur Emissionsminderung anzuwenden sind, die einen Emissionsminderungsgrad von 80% der Emissionen an geruchsintensiven Stoffen und an Ammoniak erreicht. Künstliche Schwimmschichten sind nach etwaiger Zerstörung durch Aufrühren oder Ausbringungsarbeiten nach Abschluss der Arbeiten unverzüglich wieder funktionstüchtig herzustellen. Im Vergleich zu ihrer Vorgängervorschrift konkretisiert Nr. 5.4.7.1. lit. h) der TA Luft 2002 die Vorgaben hinsichtlich des einzuhaltenden Emissionsminderungsgrades und den hierfür erforderlichen Maßnahmen. So ordnete Nr. 3.3.7.1.1 lit. e) der TA Luft 1986 lediglich an, dass die Lagerung von Flüssigmist außerhalb des Stalles in geschlossenen Behältern erfolgen soll oder gleichwertige Maßnahmen zur Emissionsminderung anzuwenden sind (GMBl., S. 95). Aus den Gesetzgebungsmaterialien zu Nr. 5.4.7.1 lit. h) der TA Luft 2002 geht hervor, dass die Forderung der Nr. 3.3.7.1.1 lit. e) der TA Luft 1986 nach einer geschlossenen Abdeckung beibehalten werden sollte, weil sie die wirksamste Methode zur Emissionsminderung an Flüssigmistlagerbehältern sei und dementsprechend weiterhin als Alternative zu den sonstigen Abdeckmethoden angeführt werden solle. Weiter heißt es dort, dass die Forderung nach einer unverzüglichen Wiederherstellung der funktionstüchtigen Oberflächenabdeckung alle künstlichen Abdeckmethoden und nicht nur die Strohabdeckung betreffe (vgl. BR-Drs. 1058/1/01, S. 71).

Mit der angefochtenen Verfügung vom 31.05.2016 verlangt der Beklagte, dass der Kläger seinen Güllehochbehälter mit einer geschlossenen Abdeckung (z. B. einem Zeltdach oder einer Kunststoffabdeckung) versieht. Zur Begründung bezieht er sich auf einen Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz vom 03.04.2014 – 33-40500/201.4 – „Anforderungen an Anlagen zur Lagerung von Schweine- und Mischgülle gemäß BImSchG“ (Nds. Ministerialblatt Nr. 15/2014, S. 315). Dieser führt unter Ziff. 2 („Stand der Technik“) aus, dass sich die Forderung der TA Luft 2002 für nach dem BImSchG genehmigungsbedürfte Anlagen nach einer geschlossenen oder hinsichtlich des Emissionsminderungsgrades vergleichbaren Abdeckung zur Minderung von Ammoniak und geruchsintensiver Stoffe durch die Ausführung einer geschlossenen Abdeckung, eines geschlossenen Zeltdaches oder einer geschlossenen Kunststoffabdeckung mit Minderungsgraden von mehr als 90% mit verhältnismäßigem Aufwand erreichen lasse. Angesichts dessen ordnet Ziff. 3 des Runderlasses („Neuanlagen zur Lagerung von Schweinegülle“) an, dass die Genehmigungsbehörde im Rahmen eines immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens (Neugenehmigung nach § 4 BImSchG oder Änderungsgenehmigung nach § 16 BImSchG) für Anlagen zur Lagerung von Schweinegülle in der Regel die Ausführung einer geschlossenen Abdeckung, eines geschlossenen Zeltdaches oder einer geschlossenen Kunststoffabdeckung zu fordern habe. Für Bestandsanlagen, die noch keine geschlossene Abdeckung oder ein geschlossenes Zeltdach oder eine geschlossene Kunststoffabdeckung haben, regelt Ziff. 4 des Runderlasses („Bestehende Anlagen zur Lagerung von Schweinegülle“), dass die zuständige Behörde eine entsprechende Nachrüstung zu fordern habe, weil nur eine geschlossene Abdeckung dem gegenwärtigen Stand der Technik entspreche.

Die Forderung des Beklagten, den Güllehochbehälter mit einer geschlossenen Abdeckung zu versehen, weil sich mit einer solchen ein Emissionsminderungsgrad von mehr als 90% mit verhältnismäßigem Aufwand erreichen lasse, steht mit Nr. 5.4.7.1 lit. h) der TA Luft 2002 nicht in Einklang. Sie geht über die sich aus hieraus ergebende Vorsorgepflicht hinaus. Denn nach dieser Vorschrift muss mit der verwendeten Behälterabdeckung lediglich ein Emissionsminderungsgrad von 80% erreicht werden. Zudem eröffnet Nr. 5.4.7.1 lit. h) der TA Luft 2002 dem Anlagenbetreiber ein Auswahlermessen, welche „gleichwertigen Maßnahmen“ er zur Erreichung des vorgeschriebenen Emissionsminderungsgrades ergreifen kann. Dazu gehören auch die von dem Kläger angeführten Strohhäcksel. Dass mit einer Strohhäckselschicht ein Emissionsminderungsgrad von 80% erreicht werden kann, ergibt sich aus der VDI-Richtlinie 3894, Blatt 1 (S. 49, Tabelle 19), die gemäß Nr. 5.1.1 a. E. der TA Luft 2002 als Erkenntnisquelle herangezogen werden kann. Die Entstehungsgeschichte von Ziff. 5.4.7.1 lit. h) der TA Luft 2002 macht zudem deutlich, dass auch die Verfasser der TA Luft 2002 hiervon ausgingen. Denn in den Gesetzgebungsmaterialien wird eine Strohabdeckung als Alternative zu einer geschlossenen Abdeckung namentlich genannt (vgl. BR-Drs. 1058/1/01, S. 71 und BR-Drs. 1058/1, S. 152).

b.)

Der Beklagte durfte auch nicht ausnahmsweise von den verbindlichen Vorgaben der Nr. 5.4.7.1 lit. h) der TA Luft 2002 abrücken. Die Voraussetzungen für den Wegfall ihrer Bindungswirkung sind nicht erfüllt. Es ist nicht erkennbar, dass die in der TA Luft 2002 verbindlich konkretisierten Standards durch gesicherte Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt sind.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts entfällt die oben dargestellte Bindungswirkung der TA Luft, wenn g e s i c h e r t e Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik ihre Vorgaben obsolet werden lassen. In diesem Fall können die neuen Erkenntnisse den Einschätzungen, Bewertungen und Prognosen, die der Konkretisierung des Standes der Technik in der TA Luft zugrunde liegen, den Boden entziehen. Um dies beurteilen zu können, müssen der Erkenntnisstand bei Erlass der TA Luft 2002 und dessen seinerzeitige Umsetzungen mit dem jetzigen Stand der Technik miteinander verglichen werden (BVerwG, Urteil vom 21.06.2001 – 7 C 21.00 –, juris Rn. 14).

aa.)

Im vorliegenden Fall hat der Beklagte nicht dargelegt, dass die Vorgaben von Nr. 5.7.4.1 lit. h) der TA Luft 2002 durch Erkenntnisfortschritte in Wissenschaft und Technik überholt sind. Er bezieht sich allein auf den Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz vom 03.04.2014 und meint, dieser regele ausführlich, was heutzutage als Stand der Technik anzusehen sei. Diese Erwägung geht an der Sache vorbei. Denn der Erlassgeber führt nicht aus, wie er zu dieser Einschätzung gelangt, sondern unterstellt, dass Nr. 5.4.7.1 lit. h) der TA Luft 2002 nicht mehr den gegenwärtigen Stand der Technik wiedergibt. Soweit dieser unter Ziff. 2 ausführt, dass sich durch eine geschlossene Abdeckung ein Emissionsminderungsgrad von mehr als 90% mit verhältnismäßigem Aufwand erreichen lasse und dies effektiver als die übrigen Abdeckungsmöglichkeiten sei, fehlt es an einem Vergleich zwischen dem Erkenntnisstand bei Erlass der TA Luft im Jahr 2002 und dem jetzigen Erkenntnisstand. Ein solcher ist auch nicht entbehrlich, weil dem Gesetzgeber, wie die oben dargestellte Entstehungsgeschichte der TA Luft 2002 zeigt, die unterschiedlichen Effizienzgrade der Abdeckungsmethoden bekannt waren. So heißt es in der Begründung zu Nr. 5.4.7.1 lit. h) der TA Luft 2002 (vgl. BR-Drs. 1058/1/01, S. 71), dass eine geschlossene Abdeckung die wirksamste Methode zur Emissionsminderung an Flüssigmistbehältern sei und deshalb weiterhin als Alternative zu den sonstigen Abdeckmethoden angeführt werden solle. Diese Erwägung macht deutlich, dass sich die Verfasser der TA Luft bewusst nicht für die technisch beste Lösung – eine geschlossene Abdeckung – entschieden haben, sondern auch weitere Abdeckmöglichkeiten zulassen wollten, die den geforderten Emissionsminderungsgrad von 80% zu erreichen imstande sind.

bb.)

Dass die Vorgaben von Nr. 5.7.4.1 lit. h) der TA Luft 2002 als überholt zu bewerten sind, ergibt sich auch nicht aus den von der Kammer herangezogenen Erkenntnismitteln. Weder der Forschungsbericht „UN ECE-Luftreinhaltekonvention – Task Force on Reactive Nitrogen: Systematische Kosten-Nutzen-Analyse von Minderungsmaßnahmen für Ammoniakemissionen in der Landwirtschaft für nationale Kostenabschätzungen“ des Umweltbundesamtes (abrufbar unter: https://www.umweltbundesamt.de/sites/default/files/medien/461/publikationen/4206.pdf) noch der Abschlussbericht „Wirtschaftliche Bewertung von Maßnahmen zur Verminderung der Emissionen aus der Tierhaltung in Nordrhein-Westfalen“ des Fachbereichs Agrarwirtschaft der Fachhochschule Soest (veröffentlicht als „Forschungsbericht Nr. 29“; abrufbar unter: https://www4.fh-swf.de/media/downloads/fbaw_1/forschung_1/abgeschlossene_fp/agraroekonomie/Zusammenfassung_FB_Verminderung_von_Emissionen_in_der_Tierhaltung.pdf) sind nach ihrer Zielrichtung und ihren tatsächlichen Feststellungen geeignet, einen gegenüber der TA Luft 2002 gesicherten Erkenntnisfortschritt aufzuzeigen.

Der Forschungsbericht des Umweltbundesamtes enthält keinen Vergleich des jetzigen Erkenntnisstandes mit dem Erkenntnisstand bei Erlass der TA Luft 2002 im Hinblick auf die mit den verschiedenen Abdeckmöglichkeiten jeweils erreichbaren Emissionsminderungsgraden. Er zeigt insbesondere nicht auf, dass neue Abdeckmöglichkeiten hinzugetreten wären oder sich das Emissionsminderungspotential der in Betracht kommenden Maßnahmen mittlerweile erhöht oder sonst entscheidungserheblich verändert hätte. Dies festzustellen war auch nicht beabsichtigt. Ziel des Forschungsberichtes ist es, die Methodik zur Ermittlung von Minderungskosten gemäß internationaler Abstimmung zu aktualisieren, um die Transparenz und innere Konsistenz zu erhöhen und den Vergleich auf internationaler Ebene zu ermöglichen (vgl. Einleitung).

Auch der Abschlussbericht der Fachhochschule Soest hat nicht den Vergleich des aktuellen Kenntnisstandes mit dem Erkenntnisstand bei Erlass der TA Luft 2002 hinsichtlich der praktischen Eignung verschiedener Behälterabdeckungen zum Gegenstand. Vielmehr vergleicht und bewertet der Bericht die den Verfassern der TA Luft 2002 bekannten Maßnahmen zur Minderung von Emissionen in der Tierhaltung in wirtschaftlicher Hinsicht.

cc.)

Ein neuer Stand der Technik ergibt sich auch nicht aus dem Entwurf des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit vom 09. September 2016 für eine Novellierung der TA Luft 2002. Der Entwurf sieht in Nr. 5.4.7.1 lit. j) zwar einen Emissionsminderungsgrad von 90% für Anlagen zur Lagerung von Schweinegülle außerhalb des Stalles vor, konkrete Schlüsse auf eine Überholung der bisherigen Werte lassen sich hieraus aber noch nicht ziehen. Der Entwurf war in dem für die Entscheidung maßgeblichen Zeitpunkt – dem Erlass des Widerspruchbescheids – weder in Kraft getreten noch innerhalb der Bundesregierung abgestimmt. Das Bundesumweltministerium hat den oben genannten Entwurf bereits mehrfach angepasst. Der neueste Entwurf für eine Novellierung der TA Luft 2002 datiert vom 16.07.2018. Insofern mögen die seit Jahren andauernden Bemühungen um eine Anpassung der TA Luft 2002 zwar ein Indiz für den tatsächlichen Fortschritt des Standes der Technik auch im Hinblick auf die Lagerung von Flüssigmist außerhalb eine Stalles sein, eine gesicherte Erkenntnisquelle stellen sie jedoch nicht dar, zumal die Entwürfe des Bundesministeriums für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit einen Vergleich des damaligen und des heutigen Erkenntnisstandes weder beinhalten noch ermöglichen. In diesem Zusammenhang weist die Kammer allerdings darauf hin, dass der Kläger angesichts der dynamischen Natur der Betreiberpflichten (vgl. § 5 BImSchG) zur Nachrüstung seines Güllehochbehälters verpflichtet sein könnte, sobald die neue TA Luft (den bisherigen Entwürfen entsprechend) in Kraft tritt.

dd.)

Mit diesen Ausführungen setzt sich die Kammer auch nicht in Widerspruch zu dem von dem Beklagten angeführten Urteil vom 10.11.2016 (Az.: 2 A 443/14, juris). In der angeführten Textpassage (a. a. O., juris Rn. 56) wurde lediglich der rechtliche Rahmen aufgezeigt, unter welchen Voraussetzungen ausnahmsweise von den verbindlichen Vorgaben der TA Luft 2002 abgewichen werden kann. In dem Urteil hatte die Kammer entschieden, dass Abluftreinigungsanlagen – jedenfalls bei großen Anlagen zur Schweinehaltung – mittlerweile dem Stand der Technik im Sinne von § 3 Abs. 6 BImSchG entsprechen. Diese Einschätzung beruhte auf zahlreichen Quellen, beispielsweise auf Antworten der Bundesregierung vom 25.03.2013 und vom 14.07.2014 unter Verweis auf einen Forschungsbericht des Thünen-Instituts, einem Beschluss der Bund/Länder-Arbeitsgemeinschaft vom 14.03.2013 sowie dem Bericht Nr. 61/2016 „Aktuelle Entwicklung Kosten-Nutzenanalyse und Vollzugsempfehlungen für den Einsatz von Abluftreinigungsanlagen in der Tierhaltung“ des Umweltbundesamtes aus dem Jahr 2016 (a. a. O., juris Rn. 44 ff.). Da es im vorliegenden Fall an vergleichbaren Erkenntnisquellen fehlt, sind die aufgezeigten Grundsätze zum Wegfall der Bindungswirkung nicht einschlägig.

c.)

Der Beklagte durfte die Nachrüstung des Güllehochbehälters auch nicht als über den Stand der Technik hinausgehende Vorsorgemaßnahme anordnen.

Dem Stand der Technik kommt eine Sperrwirkung für über diesen Stand hinausgehende Vorsorgemaßnahmen nicht zu. Eine Maßnahme zur Emissionsbegrenzung kann auch dann eine erforderliche und wirtschaftlich zumutbare Vorsorgemaßnahme sein, wenn sie zur Emissionsminderung praktisch geeignet ist, aber aus wirtschaftlichen Gründen noch nicht dem Stand der Technik entspricht. Denn nach § 5 Abs. 1 Nr. 2 BImSchG ist Vorsorge „insbesondere“ durch die dem Stand der Technik entsprechende Maßnahmen zu treffen. Sie kann im Einzelfall auch über den Stand der Technik hinausgehen. Seit der Neufassung des § 5 Abs. 1 BImSchG durch Art. 2 Nr. 5 lit. a) des Gesetzes zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. Juli 2001 (BGBl. S. 1950) ist der Stand der Technik bei allen Vorsorgemaßnahmen einzuhalten, nicht nur bei Maßnahmen der Emissionsbegrenzung. Er ist nach der Begründung des Gesetzesentwurfs allerdings nur ein Regelstandard (BT-Drs. 14/4599, S. 126). Die dem Stand der Technik entsprechenden Vorsorgemaßnahmen können als Regel, d. h. unabhängig von den Umständen des Einzelfalls verlangt werden. Die Pflicht, Vorsorge nach dem sich fortentwickelnden Stand der Technik zu treffen, ist deshalb ein ebenso effizientes wie wettbewerbsneutrales Mittel zur Gewährleistung eines hohen Schutzniveaus für die Umwelt. Der „Regelstandard“ schließt jedoch nicht aus, einzelfallbezogen unter Berücksichtigung von Aufwand und erreichbarer Immissionsminderung in der Nachbarschaft der Anlage eine über den Stand der Technik hinausgehende Emissionsbegrenzung zu verlangen (BVerwG, Urteil vom 23.07.2015, a. a. O., juris Rn. 21).

Daran gemessen durfte der Beklagte die Nachrüstung des Güllehochbehälters nicht als über den Stand der Technik hinausgehende Maßnahme anordnen, weil es an dem erforderlichen Einzelfallbezug fehlt. Eine Einzelfallentscheidung unter Berücksichtigung der konkreten Immissionssituation der Anlage des Klägers hat der Beklagte nicht getroffen. Mit der geforderten Maßnahme wollte er gerade nicht die Einhaltung des sich aus Nr. 5.4.7.1 lit. h) der TA Luft 2002 ergebenden Emissionsminderungsgrades von 80% sicherstellen, sondern auf der Grundlage des Runderlasses des Niedersächsischen Ministeriums für Umwelt, Energie und Klimaschutz vom 03.04.2014 eine weitergehende Geruchsminderungsrate von mehr als 90% erreichen.