Oberlandesgericht Oldenburg
Urt. v. 07.11.2001, Az.: 2 U 135/01
1 Jahr; 30 Jahre; 5 Jahre; Anspruchsverjährung; Bauvertrag; Bauvorhaben; Dreißigjahresfrist; Fortentwicklung; Fundamentbalken; Fünfjahresfrist; höchstrichterliche Rechtsprechung; Jahresfrist; kurze Verjährung; Mangelbeseitigungsanspruch; Organisationsverschulden; Pfahlgründung; Pfahlkopfeinbindung; Rißerscheinung; schwerwiegender Mangel; Setzung; unechte Rückwirkung; Verjährungsfristverlängerung; Vertrauensschutz; Werkvertrag; Überwachungsverschulden
Bibliographie
- Gericht
- OLG Oldenburg
- Datum
- 07.11.2001
- Aktenzeichen
- 2 U 135/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2001, 40293
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- LG - AZ: 9 O 658/00
Rechtsgrundlagen
- § 638 Abs 1 S 1 BGB
Tenor:
Die Berufung der Beklagten gegen das am 12. April 2001 verkündete Teil- und Grundurteil des Einzelrichters der 9. Zivilkammer des Landgerichts Oldenburg wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Der Beklagten bleibt nachgelassen, die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 13.000,-- DM abzuwenden, wenn nicht die Klägerinnen vor der Vollstreckung Sicherheit leisten.
Der Streitwert für das Berufungsverfahren und der Wert der Beschwer betragen 350.758,28 DM.
Tatbestand:
Die Klägerinnen machen aus eigenem und aus abgetretenem Recht ihrer Ehemänner Ansprüche auf Erstattung von Ersatzvornahmekosten, Vorschußansprüche sowie Schadensersatzansprüche im Zusammenhang mit einem Bauvorhaben in L. geltend.
Die Klägerinnen und ihre Ehemänner beauftragen die Beklagte mit Verträgen vom 24.06.1991 (Architektenvertrag) und vom 29.07.1991 (Werklieferungsvertrag) mit der Planung und Errichtung eines Doppelhauses. Mit der Ausführung der einzelnem Gewerke betraute die Beklagte Subunternehmer. Das Gebäude erhielt aufgrund der schlechten Baugrundverhältnisse eine Pfahlgründung mit Ortbeton-Verdrängungspfählen. Für die Durchführung der Gründungsarbeiten schaltete die Beklagte eine Firma ... H... GmbH ein, mit der Kappung der Pfähle betraute sie eine Firma W..., die Rohbauarbeiten wurden von der Streithelferin der Beklagten im ersten Rechtszug, der Firma ... J... Bauunternehmung GmbH, ausgeführt. Das errichtete Gebäude wurde im Juni 1992 von den Klägerinnen und ihren Ehemännern abgenommen. Später zeigten sich wesentliche Setzungsschäden.
Die Klägerinnen haben behauptet: Die Setzungsschäden seien auf unsachgemäße Verbindungen zwischen Pfahlgründung und Fundamenten zurückzuführen. An dem Gebäude seien infolge der Setzungen auch Folgeschäden aufgetreten. Die Beklagte habe eine den Umständen nach erforderliche Überwachung und Prüfung der Leistung eingeschalteter Subunternehmer unterlassen.
Die Klägerinnen haben beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an sie 350.919,28 DM nebst 11 % Zinsen auf 20.534,08 DM seit dem 01.05.1999 sowie 4 % Zinsen auf 330.385,20 DM seit dem 29.11.1999 zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat Mängel des Bauwerks, insbesondere eine fehlerhafte Anbindung der Pfahlköpfe an die Fundamente und deren Ursächlichkeit für die Setzungen sowie die behaupteten Mängelbeseitigungskosten der Höhe nach bestritten. Sie hat ferner die Einrede der Verjährung erhoben und dazu behauptet, erstmals im Frühsommer 1998 seien durch die Klägerinnen Mängel angezeigt und gerügt worden.
Das Landgericht hat mit am 12.04.2001 verkündetem Urteil, auf dessen Tatbestand und Entscheidungsgründe wegen aller Einzelheiten Bezug genommen wird, die Klage dem Grunde nach bis zum Betrag von 350.758,28 DM für gerechtfertigt erklärt und sie im übrigen abgewiesen.
Gegen dieses Urteil hat die Beklagte Berufung eingelegt.
Sie verfolgt die Einrede der Verjährung weiter und behauptet, der von ihr eingeschaltete Architekt S... habe die einzelnen Arbeitsschritte und insbesondere die fachgerechte Einbindung der Pfahlköpfe in die Gründungskonstruktion mehrmals wöchentlich sehr genau überwacht, Ausführungsmängel dabei aber nicht festgestellt.
Die Beklagte beantragt,
unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage insgesamt abzuweisen.
Die Klägerinnen beantragen,
die Berufung zurückzuweisen.
Wegen aller Einzelheiten des Parteivorbringens im zweiten Rechtszug wird auf die gewechselten Schriftsätze verwiesen.
Die Akten 9 OH 34/98 LG Oldenburg waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Berufung hat keinen Erfolg. Das angefochtene Urteil ist richtig (§ 543 Abs. 1 ZPO). Die dem Grunde nach vom Landgericht für gerechtfertigt erklärten Ansprüche unterliegen wegen eines der Beklagten zur Last fallenden Organisationsfehlers der 30-jährigen Verjährung, so daß die Verjährungseinrede der Beklagten nicht durchgreift.
Die Voraussetzungen für die Ausdehnung des Anwendungsbereichs des § 638 Abs. 1 S. 1 BGB auf den hier vorliegenden Sachverhalt sind, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, gegeben. Die zur Begründung vom Landgericht angestellten Erwägungen entsprechen den in der höchstrichterlichen Rechtsprechung (BGH BauR 1992, 500) entwickelten Grundsätzen, und die Berufung zeigt keine Umstände auf, die eine abweichende Entscheidung rechtfertigen könnten. Das gilt insbesondere auch für den Vortrag zur Bauüberwachung durch den Architekten S....
Grundsätzlich hat der Besteller die Voraussetzungen darzulegen, die zur Annahme einer 30-jährigen Verjährungsfrist nach § 638 Abs. 1 S. 1 BGB führen. Entgegen der Annahme der Berufung sind die Klägerinnen ihrer Darlegungslast insoweit nachgekommen. Der Besteller genügt seiner Darlegungslast bereits dann, wenn er Tatsachen vorträgt, nach denen entweder der Unternehmer selbst oder die von diesem zur Erfüllung seiner Offenbarungspflicht eingesetzten Gehilfen den Mangel erkannt, aber nicht offenbart haben. Gegebenenfalls ist insoweit schon der Vortrag ausreichend, der Unternehmer habe die Überwachung des Herstellungsprozesses nicht oder nicht ausreichend organisiert, so daß der Mangel nicht erkannt worden sei. Dabei kann die Art und Schwere des Mangels ein so überzeugendes Indiz für eine fehlende oder nicht richtige Organisation sein, daß es einer weiteren Darlegung hierzu nicht bedarf (BGH a.a.O.). Ein gravierender Mangel an besonders wichtigen Gewerken kann ebenso den Schluß auf eine mangelhafte Organisation von Überwachung und Überprüfung zulassen wie ein besonders augenfälliger Mangel an weniger wichtigen Bauteilen (BGH a.a.O.).
So liegt der Fall hier:
Art und Umfang der vom gerichtlichen Sachverständigen Tode sowie dem von den Klägerinnen beauftragten Brunnenbauermeister B... festgestellten Mängel, auf die sich die Klägerinnen beziehen, rechtfertigen die Annahme, daß die Beklagte bei der Einschaltung von Subunternehmern und von zwei Architekten zur Bauüberwachung unzureichend oder überhaupt nicht die organisatorischen Voraussetzungen dafür geschaffen hat, daß von ihr allein geschuldete Bauleistungen in ausreichender Weise auf eine vertragsgerechte Ausführung kontrolliert wurden und sie von Mängeln Kenntnis erhielt.
Der Sachverständige T... hat in seinen Gutachten vom 14.12.1998, 30.08. und 07.12.2000 in Anlehnung an das Privatgutachten des Brunnenbauermeisters B... eindeutig und nachvollziehbar ausgeführt, daß die zweifelsfrei fehlerhafte bzw. in Einzelfällen nicht vorhandene Einbindung der Pfahlköpfe in die Fundamentbalken einen Mangel darstellt, der von der mit den Fundamentierungsarbeiten beauftragten Unternehmerin grundsätzlich nicht übersehen werden durfte und konnte. Dieser Mangel war die Ursache für die aufgetretenen Setzungen mit Rißerscheinungen kräftigster Ausprägung. Wegen der nicht fachgerechten Ausführung muß nach dem Urteil des Sachverständigen T... mit weiteren Setzungen und damit zusammenhängenden Rißerscheinungen gerechnet werden. Diese nicht fachgerechte Bauausführung ist ersichtlich als schwerwiegender Mangel zu qualifizieren, was sich insbesondere aus den Folgen dieses Mangels eindrucksvoll erschließt. Der Sachverständige T... hat erhebliche Folgeschäden beschrieben und auf die Gefahr weiterer Schäden hingewiesen. Auch das Privatgutachten des Sachverständigen B... vom 25.06.1999 beschreibt nicht mehr korrigierbare Setzungen/Wohngebäudeschiefstellungen. Allein der nach allem gravierende Mangel der Bauausführung mit erheblichen Folgeschäden ist ein überzeugendes Indiz für eine fehlende oder nicht richtige Organisation, so daß es weiterer Darlegungen der Klägerinnen nicht bedarf, zumal ihnen mangels genauerer Kenntnis von der Organisationsstruktur der Beklagten ein dezidierter Vortrag nicht möglich ist.
Der in Rede stehende eklatante und von der Berufung selbst als folgenschwer bezeichnete Mangel hätte nach Einschätzung des Sachverständigen T... auch als versteckter Mangel bei einer ordnungsgemäßen Überprüfung festgestellt werden müssen. Insbesondere durfte der Mangel einem Architekten im Rahmen einer Kontrolle nicht verborgen bleiben. Selbst in der Schalung ist eine senkrechte Pfahlkopfbewehrung, sofern vorhanden, nach Angaben des Sachverständigen ohne Schwierigkeiten zu erkennen. Sollte dies dennoch wegen der Einschaltung von drei verschiedenen Unternehmern bei den Gründungsarbeiten nicht geschehen sein, so ist das Übersehen des schwerwiegenden Mangels auf die arbeitsteilige Struktur und die offensichtlich nicht ausreichende Überprüfung durch die eingeschalteten Architekten zurückzuführen; bei Einschaltung nur eines Unternehmers zur Ausführung sämtlicher Arbeitsschritte hätte diesem der festgestellte Mangel ohne Zweifel nicht verborgen bleiben können. Den gerade durch die Einschaltung mehrerer Unternehmern entstandenen Gefahren bzw. Risiken hätte die Beklagte, wie das Landgericht zutreffend ausgeführt hat, durch ausreichende organisatorische Maßnahmen begegnen können und müssen, zumal die fachgerechte Einbindung der Pfähle in die Gründungskonstruktion einen besonders wichtigen Bauabschnitt im Hinblick auf die Stabilität des Bauwerks darstellte und deshalb die arbeitsteilige Einschaltung von drei Unternehmern nach der Diktion des Sachverständigen T... als "milde ausgedrückt" ungewöhnliche Methode anzusehen ist.
Nach allem hätte die Beklagte, um mit Erfolg dem Vorwurf der Arglist zu entgehen, vortragen müssen, wie sie ihren Betrieb im einzelnen organisiert hatte, um den Herstellungsprozeß zu überwachen und das Werk vor Ablieferung zu überprüfen (Senat BauR 1995, 105, 106, rechtskräftig durch Nichtannahmebeschluß des BGH vom 13.10.1994; OLG Hamm NJW-RR 1999, 171, 172). Das hat sie indessen nicht hinreichend getan. Sie hat nicht einmal eine generelle Beschreibung ihrer betrieblichen Organisation gegeben und nicht ausreichend dargelegt, daß ihre aufsichtsführenden Mitarbeiter nach der Fertigstellung der Gründungsarbeiten diese eingehend auf Mangelfreiheit überprüft haben. Die Behauptung, der zur Überwachung eingesetzte Architekt S... habe bei seinen Baustellenbesuchen an drei Tagen in der Woche die einzelnen Arbeitsschritte, insbesondere die fachgerechte Einbindung der Gründungspfähle in die Gründungskonstruktion sehr sorgfältig überwacht, reicht nicht aus. Denn durch die Ergebnisse des Sachverständigen T... ist belegt, daß S... jedenfalls nicht häufig genug tätig geworden ist, weil er sonst den Mangel hätte bemerken müssen. So wird denn auch zugleich vorgetragen, daß S... nicht das Einbinden eines jeden einzelnen Pfahlkopfes an die Bewehrungskörbe überwacht habe. Das wäre allerdings im Hinblick auf die enorme Bedeutung dieser Bauleistung für das Bauwerk in seiner Gesamtheit und die weitreichenden Folgen eines in diesem besonders wichtigen Bauabschnitt unterlaufenen Fehlers jedenfalls in größerem Umfang als tatsächlich geschehen notwendig gewesen.
Der Hinweis der Berufung auf die Einschaltung zuverlässiger und erfahrener Fachunternehmer, die nach Auffassung der Beklagten über ausreichende Sachkunde verfügten, genügt zur Erfüllung der der Beklagten obliegenden Darlegungspflicht hinsichtlich der Organisation nicht. Denn auch die (fast stets übliche) Einschaltung von Fachunternehmern zur Erbringung von Bauleistungen bietet, wie sich gerade an dem hier in Rede stehenden Bauvorhaben gezeigt hat, keine Gewähr für eine vertragsgerechte Erbringung von Bauleistungen, auch insoweit ist stets eine Überwachung und Überprüfung der ausgeführten Leistungen zwingend notwendig, um Rechtsnachteile zu vermeiden. Gerade die gegliederte Auftragsvergabe im Hinblick auf einen besonders bedeutsamen Bauabschnitt in Verbindung mit dem Umstand, daß durch ständige Weiterführung der geschuldeten Leistungen und fortschreitende Fertigstellung der verursachte erhebliche Baumangel verdeckt wurde und einer Überprüfung ab einem gewissen Fertigungsstadium nicht mehr zugänglich war, machte eine besondere Kontrolle und Überwachung der Arbeiten erforderlich.
Schließlich greift auch das Argument der Berufung nicht, daß die vom Landgericht zugrundegelegte BGH-Entscheidung (BGH BauR 1992, 500) erst nach Ausführung der hier in Rede stehenden (mangelhaften) Leistungen ergangen sei. Die Beklagte genoß vor dieser Entscheidung, die übrigens einen Schadensfall aus dem Jahre 1988 (!) betraf, ersichtlich keinen Vertrauensschutz dahin, daß eine Verlängerung der Verjährungsfrist wegen eines Organisationsverschuldens nicht in Betracht kam. Bereits durch eine Entscheidung vom 15.01.1976 hatte der BGH zudem zur Problematik der Verlängerung der Verjährung im Hinblick auf ein Organisationsverschulden Stellung genommen (BGHZ 66, 43 ff.). Gegen eine Fortentwicklung der Rechtsprechung ist niemand geschützt.
Höchstrichterliche Urteile sind den Gesetzen nicht gleichzustellen und erzielen damit keine vergleichbare Rechtsbindung. Eine höchstrichterliche Rechtsprechung hat nicht nur Bedeutung für die Zukunft; sie betrifft in gleicher Weise früher begründete, noch nicht abgeschlossene Rechtsbeziehungen. Als Akt wertender Erkenntnis wirken gerichtliche Entscheidungen schon ihrer Natur nach auf einen in der Vergangenheit liegenden, noch nicht abgeschlossenen Sachverhalt ein (vgl. BGH NJW 1996, 1467, 1469 [BGH 29.02.1996 - IX ZR 153/95]). Eine solche sog. unechte Rückwirkung ist grundsätzlich rechtlich unbedenklich.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 97, 708 Nr. 10, 711 S. 1 sowie 546 Abs.1 und 2 ZPO.