Amtsgericht Papenburg
Urt. v. 30.03.1999, Az.: 1645-44 C 95/99

Voraussetzungen für eine Eingliederung des Verunglückten in den Unfallbetrieb; Eingliederung durch Mithilfe beim Beladen eines LKW`s; Voraussetzungen für das Vorliegen einer gemeinsamen Betriebsstätte

Bibliographie

Gericht
AG Papenburg
Datum
30.03.1999
Aktenzeichen
1645-44 C 95/99
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 1999, 20725
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGPAPBG:1999:0330.1645.44C95.99.0A

Verfahrensgegenstand

Schadensersatz

In dem Rechtsstreit
hat das Amtsgericht Papenburg
auf die mündliche Verhandlung vom 02.03.1999
durch
die Richterin ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits hat die Klägerin zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar; die Klägerin kann die Vollstreckung gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 1.000 DM abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1

Die Klägerin begehrt Schadensersatz aus übergegangenem Recht wegen eines Unfallereignisses am 18.12.1997, bei dem ihr als Kraftfahrer beschäftigter Arbeitnehmer verletzt wurde.

2

Am Unfalltag hatte dieser den Auftrag, mit dem Lkw der Klägerin Ladegut bei der Beklagten in Lathen abzuholen. Der Beladungsvorgang erfolgte auf dem Betriebsgelände der Beklagten und wurde von dem Arbeitnehmer der Beklagten, ... mit einem Gabelstapler durchgeführt. Im Verlauf der Beladetätigkeit war der Arbeitnehmer der Klägerin damit beschäftigt, die Plane des Lkw von hinten nach vorne zu schieben, damit der Arbeitnehmer der Beklagten den Lkw mit dem Gabelstapler beladen konnte. Während der Arbeitnehmer der Beklagten noch mit dem Beladen des Lkw's der Klägerin beschäftigt war, rollte er diesem mit den Rädern des von ihm bedienten Gabelstaplers über den Fuß.

3

Infolge der erlittenen Verletzungen war der Arbeitnehmer der Klägerin vom 18.12.1997-28.01.1998 arbeitsunfähig. Die Klägerin verlangt Schadensersatz wegen des ihrem Arbeitnehmer für diesen Zeitraum fortgezahlten Arbeitsentgeldes in Höhe von 5.458,50 DM.

4

Sie behauptet, ihr Arbeitnehmer, ... sei durch den Arbeitnehmer der Beklagten, ... verletzt worden, nachdem er die Plane von hinten nach vorne geschoben habe. Zum Zeitpunkt des Unfallgeschehens habe er bereits neben dem Lkw gestanden und den Beladungsvorgang lediglich beobachtet. Sie ist daher der Ansicht, die Haftungsbeschränkung des § 106 Abs. 3 SGB VII komme nicht in Betracht, weil ihr Mitarbeiter nicht bei der Beladung des Lkw geholfen habe und es somit an einer gemeinsamen Betriebsstätte gefehlt habe.

5

Die Klägerin beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie 5.458,50 DM nebst 10 % Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

6

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

7

Sie behauptet, ihr Gabelstapler sei dem Arbeitnehmer der Klägerin über den Fuß gefahren, als dieser die Plane des Lkw's von hinten nach vorne gezogen habe. Durch diese Mithilfe sei die Haftung der Klägerin nach §§ 104 ff. SGB VII auf Vorsatz beschränkt.

Entscheidungsgründe

8

Die Klage ist unbegründet.

9

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Schadensersatz wegen unfallbedingter Fortzahlung des Arbeitsentgeldes, weil der Forderungsübergang bei Dritthaftung gem. § 6 EFZG entfällt. Dem Arbeitnehmer der Klägerin steht weder aus Vertragsrecht - Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter - noch aus Deliktsrecht (§ 831 BGB) ein nach § 6 EFZGübergangsfähiger Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu.

10

Eine Ersatzpflicht der Beklagten kommt vorliegend gem. den Haftungsbeschränkungen der §§ 104 As. 1, 106 Abs. 3 dritte Alt. SGB VII nur für vorsätzliches Handeln in Betracht. Anhaltspunkte für eine vorsätzliche Körperverletzung sind jedoch auch nach dem Vorbringen der Klägerin nicht gegeben.

11

Zugunsten der Beklagten als Unternehmerin greift hier die Haftungsbeschränkung des § 104 Abs. 1 SGB VII ein, da der Arbeitnehmer der Klägerin im Zeitpunkt des Unfalls in einer "die Versicherung begründenden Beziehung" zur Beklagten stand, d.h. sogenannter "Wie-Beschäftigter" im Sinne des § 2 Abs. 2 SGB VII war. Durch die Vorschrift des § 104 Abs. 1 SGB VII wurde die frühere Rechtsprechung zur "Eingliederung" nach § 539 Abs. 2 RVO gesetzlich fixiert, so daß die dort entwickelten Grundsätze heranzuziehen sind. Die bisherige Regelung des § 539 Abs. 2 RVO, wonach die Eingliederung auch bei vorübergehender Tätigkeit gilt, ist in der neuen Vorschrift nicht mehr enthalten, was jedoch keine inhaltliche Änderung bedeutet (BT-Dr. 13/2204, S 75-76).

12

Für eine Eingliederung in den Unfallbetrieb reicht es nach ständiger Rechtssprechung aus, daß der Verunglückte für den Unfallbetrieb ähnlich wie ein Arbeitnehmer dieses Betriebs tätig geworden ist und seine Tätigkeit in die betriebliche Sphäre des Unternehmens fällt, so daß sie diesem Unternehmen der Sache nach zuzurechnen ist (BGH VersR 84, 737 n.W.n.). Dabei ist die Eingliederung in den Betrieb des fremden Unternehmens auch zu bejahen, wenn sie nur punktuell, z.B. durch bloße Mithilfe, erfolgt, sofern diese im unmittelbaren Zusammenhang mit den Arbeitsvorgängen steht (BAG VersR 86, 352; Wannagat, Kommentar zum Recht des SGB - gesetzl. Unfallversicherung, 1998, § 104 SGB VII, Rdnr. 11).

13

Entgegen der Auffassung der Klägerin ist hier eine solche, die Eingliederung begründende Mithilfe, gegeben. Das Beladen des Lkw's gehörte zum Aufgabenkreis der Beklagten, während die Klägerin bzw. ihr Arbeitnehmer gem. § 22 Abs. 1 StVO lediglich für ein verkehrssichers Verstauen der Ladung Sorge zu tragen hatte. Dafür war es aber nicht erforderlich, beim eigentlichen - gefährlichen - Beladungsvorgang dem Arbeitnehmer der Beklagten Hilfe zu leisten. Das vom Arbeitnehmer der Klägerin vorgenommene Zurückziehen der Plane ist dem eigentlichen Beladungsvorgang zuzurechnen, da hierdurch das weitere Beladen des Lkw's ermöglicht werden sollte. Das zum Beladen günstige Positionieren der Plane lag somit im Aufgabenbereich der Beklagten. Der Arbeitnehmer der Klägerin hat sich daher in einen fremdbestimmten Vorgang nicht bloß eingeschaltet, sondern eine Tätigkeit daraus übernommen. Hätte er sich darauf beschränkt, zu überwachen, daß sein Lkw verkehrssicher beladen wird, so hätte er die Sphäre seines Stammbetriebs, d.h. der Klägerin nicht verlassen.

14

Ohne Bedeutung ist dabei, daß seine Hilfeleistung auch für den Betrieb der Klägerin nützlich war, um eine schnellere Abfertigung zu erreichen.

15

Desweiteren ist es unerheblich, ob der Geschädigte zum Unfallzeitpunkt gerade beim Beladen behilflich war, oder aber gerade wieder neben dem Lkw stand und den Arbeitnehmer der Beklagten beobachtete. Das Beladen des Lkw's stellt einen einheitlichen und zusammenhängenden Lebensvorgang dar, der zum Unfallstreitpunkt unstreitig noch nicht abgeschlossen war. Abgeschlossen wäre das Beladen nur dann gewesen, wenn der Arbeitnehmer der Beklagten die gesamte Ladung im Lkw verstaut und der Arbeitnehmer der Klägerin die Plane darauf derart befestigt hätte, daß die Weiterfahrt möglich gewesen wäre. Dies war jedoch noch nicht geschehen.

16

Der Unfall ereignete sich somit noch während des gemeinsamen Beladens, so daß der Arbeitnehmer der Klägerin zu diesem Zeitpunkt in den Betrieb der Beklagten eingegliedert war.

17

Aus den o.g. Gründen kommt im Rahmen einer vertraglichen Haftung über § 278 BGB auch die weitergehende Haftungsbeschränkung des § 106 Abs. 3 dritte Alt. SGB VII zum tragen, da die an dem Unfall beteiligten Arbeitnehmer als "Versicherte mehrerer Unternehmen vorübergehend betriebliche Tätigkeiten auf einer gemeinsamen Betriebsstätte verrichtet haben".

18

In Anlehnung an § 2 ArbStättVO ist von einer gemeinsamen Betriebsstätte dann auszugehen, wenn die Verrichtung betrieblicher Tätigkeiten durch die Versicherten mehrerer Unternehmen in engem räumlichen und zeitlichem Kontakt nebeneinander erfolgt und sich die Tätigkeitsbereiche der Unternehmen zumindest teilweise überlappen. Vorliegend haben die Arbeitnehmer beider Parteien auf der vorübergehend gemeinsamen Betriebsstätte, nämlich dem Betriebsgelände der Beklagten, die Beladung des Lkw's verrichtet. Der Arbeitnehmer der Klägerin hat den Lastwagen auf dem Hof der Beklagten in die entsprechende, zum Beladen geeignete Position gebracht, woraufhin der Arbeitnehmer der Beklagten begann, das Ladegut mit dem Gabelstapler auf den Lkw zu hiefen. Währenddessen schob der Arbeitnehmer der Klägerin die Plane des Lkw von hinten nach vorne, um das Aufladen mittels des Gabelstaplers zu ermöglichen. Die beiden Arbeitnehmer der Parteien sind somit nicht unabhängig voneinander tätig geworden. Das Beiseiteschieben der Plane und das Rangieren mit dem Gabelstapler waren aufeinander abgestimmte Tätigkeitsabläufe, die zu einem gemeinsamen Zweck, nämlich dem Beladen des Lkw's, verrichtet wurden.

19

Es handelt sich mithin um ein Fallbestaltung, die von § 106 Abs. 3 dritte Alt. SGB VII erfaßt wird.

20

Die Haftung der Beklagten ist folglich in jeder Hinsicht auf Vorsatz beschränkt, so daß der von der Klägerin erhobene Schadensersatzanspruch wegen der hier lediglich gegebenen Fahrlässigkeit zurückzuweisen war.

21

Die Nebenentscheidungen rechtfertigen sich aus §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 11, 711 S. 1 ZPO.