Amtsgericht Papenburg
Urt. v. 27.02.2002, Az.: 18 C 812/01 (VII)

Übereinstimmung des Schadensbegriffs des Kaskorechts mit dem Schadensbegriff des allgemeinen Zivilrechts ; Anforderungen an die Auslegung einer Allgemeinen Geschäftsbedingung (AGB); Erstattung der auf die Reparaturkosten entfallenden Mehrwertsteuer durch den Kaskoversicherer

Bibliographie

Gericht
AG Papenburg
Datum
27.02.2002
Aktenzeichen
18 C 812/01 (VII)
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2002, 29528
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGPAPBG:2002:0227.18C812.01VII.0A

Fundstellen

  • DAR 2002, 460 (red. Leitsatz)
  • DAR 2002, 461

In dem Rechtsstreitverfahren
hat das Amtsgericht Papenburg
auf die mündliche Verhandlung
vom 20.02.2002
durch
den Richter am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

  1. 1.)

    Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.611,49 Euro (5.107,63 DM) nebst 5 % Zinsen über dem Basiszinssatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungs-Gesetzes vom 09.06.1998 seit dem 26.07.2001 zu zahlen.

  2. 2.)

    Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

  3. 3.)

    Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 3.500,00 Euro vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

1

Die Klägerin hat ihren Pkw mit dem amtlichen Kennzeichen EL-MS 493 bei der Beklagten Kasko versichert. Am 12.07.2001 kam es zu einem Kasko-Versicherungsfall. Die Klägerin hat auf der Grundlage eines Sachverständigengutachens eine Abrechnung beansprucht.

2

Die Beklagte erstattete Reparaturkosten nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens in Höhe von netto 31.585,19 DM und Bergungskosten in Höhe von netto 337,50 DM, mithin abzüglich einer Selbstbeteiligung in Höhe von 650,00 DM, insgesamt 31.272,69 DM. Die auf die Reparaturkosten entfallene Mehrwertsteuer in Höhe von 5.053,63 DM und die auf die Kosten der Bergung entfallene Mehrwertsteuer in Höhe von 54,00 DM, mithin zusammen 5.107,63 DM lehnte die Beklagte zur Regulierung am 26.07.2001 ab.

3

Unstreitig liegt dem Versicherungsvertrag der Parteien die allgemeinen Bedingungen für die Kraftfahrtversicherung (AKB) zum Stand 01. Mai 2000 zugrunde. Hinsichtlich des Inhalts dieser Bedingungen wird auf Bl. 6 bis 9 d.A. verwiesen.

4

Nach § 13 Abs. 5 der AKB ersetzt der Versicherer die Mehrwertsteuer nur, wenn der nicht vorsteuerabzugsberechtigte Versicherungsnehmer diese tatsächlich bezahlt hat.

5

Die Klägerin meint § 13 Abs. 5 AKB sei gemäß § 3 AGBG unwirksam, weil es sich um eine überraschende Klausel handele.

6

Die Klägerin beantragt,

wie erkannt.

7

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

8

Hinsichtlich des übrigen Vorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze der Partien verwiesen.

Entscheidungsgründe

9

Die Klage ist begründet.

10

Die Klägerin hat aufgrund des zwischen den Parteien abgeschlossenen Kasko-Versicherungsvertrages einen Anspruch auf Zahlung in Höhe 2.611,49 Euro (5.107,63 DM).

11

Soweit in den AKB zum Stand 01. Mai 2000 aufgenommen wurde, daß der Versicherer die Mehrwertsteuer nur dann zu ersetzen hat, wenn der nicht vorsteuerabzugsberechtigte Versicherungsnehmer diese Mehrwertsteuer auch tatsächlich bezahlt hat, ist diese Bestimmung nicht wirksamer Vertragsbestandteil im Kasko-Versicherungsvertrag zwischen den Parteien geworden. Denn diese Bestimmung in § 13 Abs. 5 AKB verstößt gegen § 3 AGBG mit der Folge, daß sich die Klägerin diese Bestimmung nicht entgegen halten lassen muß.

12

Nach ganz überwiegender Meinung stimmt der Schadensbegriff des Kaskorechts mit dem Schadensbegriff des allgemeinen Zivilrechts überein. Die auf die Reparaturkosten entfallende Mehrwertsteuer ist vom Kaskoversicherer zu erstatten ohne Rücksicht darauf, ob die Reparatur tatsächlich in einer gewerblichen Werkstatt durchgeführt wurde oder nicht (Landgericht Osnabrück, DAR. 1984, 322). Auch wenn der Versicherungsnehmer das unfallgeschädigte Fahrzeug selbst repariert oder von privater Hand oder gar nicht reparieren läßt, hat der Kaskoversicherer wie der Schädiger im Schadensrecht den Mehrwertsteuerbetrag zu zahlen, der als allgemeiner Kostenfaktor zu den sachverständig errechneten Wiederherstellungskosten gehört (BGH, NJW 1985, 1222 [BGH 30.01.1985 - IVa ZR 109/83]). Zu den erforderlichen Kosten einer Wiederherstellung zählt für einen nicht vorsteuerabzugsberechtigten Versicherungsnehmer der für die Mehrwertsteuer kalkulierte Betrag auch dann, wenn er Entschädigung auf der Basis eines Reparaturkostengutachtens begehrt, das beschädigte Fahrzeug aber unrepariert läßt oder in Eigenarbeit repariert (OLG Düsseldorf, NJW 1983, 2949 [OLG Düsseldorf 12.04.1983 - 4 U 187/82]). Dieser überwiegenden Ansicht in der Rechtsprechung schließt sich das erkennende Gericht an. Danach ist es also gewöhnlicherweise von einem Versicherungsnehmer zu erwarten, daß auch die Reparaturkosten vom Kaskoversicherer ersetzt werden. Eine Klausel in den allgemeinen Geschäftsbedingungen gilt dann als ungewöhnliche Klausel, wenn eine erhebliche Abweichung vom dispostiven Recht festzustellen ist (Palandt/Heinrichs Rn. 2 zu § 3 AGBG, 61. Auflage 2002). Wie vorhin schon ausgeführt entspricht der Schadensbegriff des Kaskorechts dem Schadensbegriff des allgemeinen Zivilrechts mit der Folge, daß gewöhnlicherweise auch Mehrwertsteuer vom Schädiger oder vom Kaskoversicherer zu erstatten ist. Durch § 13 Abs. 5 AKB wird von diesem dispositiven Recht ganz erheblich abgewichen. Insoweit handelt es sich also um eine ungewöhnliche Klausel. Damit allein läßt sich aber noch nicht eine überraschende Klausel gemäß § 3 AGBG begründen. Denn es muß hinzukommen, daß der andere Teil des Vertrages mit dieser Klausel nicht zu rechnen braucht. Ob eine Klausel überraschend ist, beurteilt sich in der Regel nach den Erkenntnismöglichkeiten des typischerweise zu erwartenden Durchschnittskunden; eine überraschende Klausel liegt dann nicht vor, wenn eine ohne weiteres zu verstehende Klausel drucktechnisch so angeordnet ist, daß eine Kenntnisnahme durch den Kunden zu erwarten ist (Palandt/Heinrichs Rn. 3 zu § 3 AGBG a.a.O.). Diese Voraussetzung ist hier erfüllt. Nach dem äußeren Erscheinungsbild von § 13 AKB in der Fassung 01.05.2000 ist die streitgegenständliche Bestimmung in keiner Weise drucktechnisch hervorgehoben. Nur durch lesen der gesamten Bestimmung von § 13 AKB läßt sich erkennen, daß durch § 13 Abs. 5 AKB die Erstattungspflicht für eine Mehrwertsteuer weitgehend ausgeschlossen wurde. Die Erkenntnismöglichkeiten eines typischerweise zu erwartenen Durchschnittskunden gehen nach der Überzeugung des Gerichts nicht so weit, daß von einem Durchschnittskunden erwartet werden kann, die jeweilige Fassung der AKB hinsichtlich der Ersatzleistung vollständig durchzulesen. Dies gilt um so mehr, als es sich vorliegend um einen sehr eng und ohne erkennbare Absätze geschriebenen Text handelt. Etwa anderes würde dann gelten, wenn die streitgegenständliche Bestimmung von § 13 Abs. 5 AKB drucktechnisch in besonderer Weise hervorgehoben worden wäre, etwa durch Fettdruck oder durch farbliche Kennzeichnung. Für diesen Fall wäre sicherlich auch ein Durchschnittskunde ohne weiteres in der Lage, diese Bestimmung zu erkennen. Ob darüberhinaus auch ein individueller Hinweis auf die von der Üblichkeit abweichende Bedingung in den AKB erforderlich ist, kann insoweit dahinstehen.

13

Weil es sich also bei § 13 Abs. 5 AKB in der Fassung vom 01. Mai 2000 um eine überraschende Klausel im Sinne von § 3 AGBG handelt, muß sich die Klägerin diesen Inhalt der AKB nicht entgegenhalten lassen, dieser Inhalt der AKB wurde also nicht Vertragsbestandteil. Aus diesen Gründen hat die Klägerin einen Anspruch auf Zahlung der restlichen Mehrwertsteuer in Höhe von 2.611,49 Euro (5.107,63 DM).

14

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 284, 288 BGB. Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 709 ZPO.